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Nicht rassistisch, sondern religiös

Ein bemerkenswerter Unterschied

Ich erinnere an den Eintrag, die Kirchen in Lemgo betreffend. Man lese noch einmal den Kommentar, den der Kirchenvorstand zum Passions-Relief auf einer kleinen Tafel angebracht hat:

Unser Verhältnis zum jüdischen Volk steht nach wie vor im Schatten der jahrhundertealten judenfeindlichen Haltung sowie der Judenverfolgung und des Mordes an den Juden in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland und in den okkupierten Gebieten.

Es ist an dieser Stelle sicher nicht beabsichtigt, aber man vergisst leicht, dass der rassistische Wahn und der religiöse nicht im gleichen Kontext zu sehen sind. Der eine begründet sich aus der Bibel, der andere aus einer defizitären Biologie, wobei die Frage ist, ob die Juden nur in den Focus der Nazi-Ideologie geraten konnten, weil sie innerhalb der Kirchengeschichte seit alters unter Anklage standen. So schreibt Herbert Rosendorfer:

Ein trauriges Kapitel deutscher Geschichte darf nicht unerwähnt bleiben. Seit spätantiker Zeit wohnten (wie überall im Römischen Reich) auch auf dem Gebiet des späteren Deutschland Juden. Für Köln ist eine jüdische Gemeinde im früheren vierten Jahrhundert bezeugt. Für karolingische und ottonische Zeit sind solche Gemeinden in vielen Städten des Rheinlandes und Süddeutschlands nachweisbar. Das Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerung war relativ gut. Dennoch ist festzuhalten, daß der (nicht rassistisch, sondern religiöse) Antisemitismus, was heute von der Kirchengeschichtsschreibung gern heruntergespielt wird, zum wesentlichen Kern der christlichen Theologie gehörte. Gerechterweise muß dagegen wiederum gesagt werden, daß die wenigen wirklich großen Geister der mittelalterlichen Kirche den im elften Jahrhundert beginnenden Judenverfolgungen entgegentraten, so etwa Bernhard von Clairvaux. In Deutschland kam es in Mainz 1012 zum ersten Progrom, Ende des Jahrhunderts kamen irreguläre Horden, die sich auch Kreuzfahrer nannten, aus Frankreich und Flandern über den Rhein, und da diese Horden – mit Recht – daran zweifelten, je ihr Ziel Palästina zu erreichen, massakrierten sie die näher greifbaren „Feinde Christi“, nämlich die Juden in den rheinischen Städten. In manchen Fällen konnte diese Barbarei von der Obrigkeit abgewehrt werden, aber leider ist zu vermerken, daß die christlichen Deutschen Gefallen an den bequemen und straflosen Judenverfolgungen fanden. Und so zieht sich neben der mehr oder minder glänzenden deutschen Geschichte die blutige, traurige, nach Rauch und Brand stinkende Geschichte der deutschen Judenfeindschaft durch die Jahrtausende hin.

Quelle Herbert Rosendorfer Deutsche Geschichte Ein Versuch Von den Anfängen bis zum Wormser Konkordat / Nymphenburger /München 1998 ISBN 3-485-00792-7 (Seite 229)

Judenfeindschaft Berliner Prospekt 1992 Judenfeindschaft gr Berliner Festspiele Argon Verlag ISBN 3-87024-199-3

Gestaltung: Jürgen Freter (Umschlag unter Verwendung des Plakatmotivs von Gabriele Burde)

ZITAT

In Spanien ging die Inquisition auch gegen die Massen konvertierter Juden vor und legte im 15. Jahrhundert die ersten Grundlagen für den rassischen Antisemitismus. Die Reformation – insbesondere in Deutschland – brachte den Juden wenig Gutes, da der große deutsche Reformator Martin Luther gegen die „verstockten“ Juden lästerte und einige der abstrusesten Vorwürfe in die Geschichte des Antijudaismus einführte. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts mit ihrer Ideologie der allgemeinen Menschenrechte ebnete dann zwar den Weg zur Emanzipation der Juden, aber ihre dunklere Seite war das Auftreten eines nachchristlichen, weltlichen Antijudaismus, der mit Francois Marie Voltaires antijüdischen Ausfällen seinen Anfang nahm und im Vernichtungsantisemitismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kulminierte.

Der Begriff Antisemitismus selbst wurde 1879 von dem deutschen radikalen Journalisten Wilhelm Marr (1819-1904) geprägt, weniger als ein Jahrzehnt nach der Vollendung der rechtlichen Emanzipation der Juden im kaiserlichen Deutschland.

Quelle Robert S. Wistrich: Vom „Christusmord“ zur „Weltverschwörung“ Motive des europäischen und arabischen Antisemitismus. In: Jüdische Lebenswelten ESSAYS Berliner Festspiele Jüdischer Verlag Suhrkamp Verlag Herausgegeben von Andreas, Julius H. Schoeps, Edward van Voolen BERLIN 1992 ISBN 3-633-54048-2 (Seite 352)

Ein wichtiger Punkt: Aufklärer als Antisemiten (Voltaire, Nietzsche) siehe dazu: Ursula Homann „Voltaire, Nietzsche und die Juden / Waren die Philosophen Hitlers Wegbereiter?“