Das Fragezeichen…
…habe ich hinter das Wörtchen Kultur in die Überschrift gesetzt, wenn auch in Klammern, weil ich die Fragen vorausahne, die mich treffen sollen und die ich zurückweise. Mit der Kultur habe ich nie zu schaffen gehabt. – Mit welcher? wird zurückgefragt. – Mit der, die ihr meint. – Welche denn? – Eben!
Der große Bericht steht auf Seite 7 unseres Tageblatts, neben der Zahl 7 lese ich: „KULTUR“.
Und in Spiegel online Kultur war gestern zu lesen:
Zumindest zeigte Lamar selbst mit seiner Performance eindrucksvoll, dass jeder Preis dann egal wird, wenn die Show über die Unterhaltung hinausweist: Seinen Song „The Blacker the Berry“ performte der Rapper in Häftlingskleidung, vor Gefängniskulisse und mit Handschellen; am Ende blieb seine Silhouette im Dunkeln vor dem Grundriss Afrikas, über den „Compton“ geschrieben war; der Name des sozial gebeutelten Stadtteils in Los Angeles also, aus dem Lamar und andere Rapgrößen stammen. Es folgten Standing Ovations.
Und am Ende bekam der Künstler sogar, als er sich mit seinem Auftritt so schon längst selbst zum Sieger des Abends gekürt hatte, gar doch noch die Anerkennung, die ihn über den Poprahmen hinaus würdigte: Auf Twitter gratulierte ihm das Weiße Haus. Verpackt waren die Worte in eine Eigenwerbung für Obamas Mentorenprogramm, ja. Aber sie wirkten trotzdem: „Shoutout to @KendrickLamar and all the artists at the #Grammys working to build a brighter future“ schrieb die US-Regierung. Word.
Ich erinnere mich und gebe in das Suchkästchen rechts oben ein, was ich im eigenen Blog nachlesen will, – war das nicht im Zusammenhang mit dem Kultur-Shooting-Star-Pianisten? Moment, HIER, das sollte in der Tat eine weiterhin interessante Aufgabe bleiben.
Den oben genannten Song aber müssen Sie selber eingeben und – auf eigene Gefahr – hören und sehen wollen.
In den Rahmen der Kultur-Debatte könnte die über die sogenannte „Klassik“ gehören. Aber gerade dort lauern die dümmsten Vorurteile, wie man dem Bericht der Süddeutschen Zeitung über die Grammy-Verleihung entnehmen kann:
Für hiesige Klassikfreunde, die ihre Musik ja immer für die wichtigste auf dieser Welt halten, ist ein Blick in die Grammy-Gewinnerliste durchaus heilsam. Da wurden zwar Grammys in 83 verschiedenen Kategorien vergeben, doch nur zehn davon entfielen auf die Klassik. Das ernüchtert.
Quelle Süddeutsche Zeitung 17. Februar 2016 Seite 9 / Gesprengte Ketten Grammys 2016: In einem wütenden, überwältigenden Auftritt präsentiert Kendrick Lamar den USA schwarze Selbstermächtigung zur besten Sendezeit. von Julian Dörr, Jan Kedves, Reinhard Brembeck.
Das ernüchtert nicht, sondern bestätigt: Die Grammys sagen über „Klassik“ rein gar nichts aus. Über Klassik wird auch nicht abgestimmt. Nie und nirgendwo. So wenig wie über Kant und Nietzsche.
Aktualisierte Agenda mit Neuem aus der Kultur
Es gibt einen mentalen Motor, der durch komplementäre Lektüre angetrieben wird.
Kamel Daoud: Der Fall Meursault – eine Gegendarstellung / Kiepenheuer & Witsch Köln 2016 ZITAT (Seite 11):
Wie alle anderen wirst auch du diese Geschichte genauso gelesen haben, wie sie von dem Mann aufgeschrieben wurde, der sie erzählt hat. Er schreibt so gut, dass seine Worte so genau passen wie von Hand behauene Steine. Er war so detailbesessen, dein Held, dass er die Worte förmlich dazu zwang, zu Mathematik zu werden. Endlose Berschnungen auf der Basis von Steinen und Mineralien. Hast du bemerkt, wie er schreibt? Er benutzt die Kunst des Dichtens, um den Schuss aus seiner Waffe zu beschreiben! Seine Welt ist sauber, wie erfüllt von der Klarheit des Morgens, präzise, eindeutig, durchdrungen von Aromen und durchzogen von neuen Horizonten.
Nur die „Araber“ werfen Schatten, er macht sie zu undeutlichen und nicht in die Landschaft passenden Wesen, die aus einem „Damals“ stammen. Damit werden sie in allen Sprachen der Welt zu Gespenstern, selbst wenn sie nur einen Flötenton von sich abgeben.
Rückblende 1963
Albert Camus: L’étranger / zum französischen Text hier. Tonaufnahme des Anfangs, gelesen von Camus selbst hier.
Nachtrag 20.02.16
ZITAT:
Was meinen Sie, warum der Faschismus, – und der „Islamische Staat“ ist ein Faschismus -, sich immer erst an der Kultur vergreift, warum man Kulturstätten zerstört, Wissenschaftler und Intellektuelle tötet? Genau deshalb: Weil dann nichts als die Wüste zurückbleibt. Und was hört man in der Wüste? Man hört Gott. Wissen Sie, ich war selbst einmal sehr religiös, und ich denke, dass mich unter anderem die Bücher gerettet haben. Ich sage oft: Der Mann vieler Bücher ist tolerant, der Mann eines Buches ist intolerant. Es bedarf vieler Bücher, um frei zu sein.
FAZ 17.02.16 Im Gespräch: Kamel Daoud Keiner wird als Islamist geboren / Der algerische Autor Kamel Daoud hat Camus’ Roman „Der Fremde“ noch einmal geschrieben hat – aus der Sicht der Araber. Ein Gespräch über die Entfremdung zwischen arabischer und westlicher Kultur / von ANNABELLE HIRSCH / online HIER
ZITAT:
Man denkt beim Flüchtling an dessen Status und nicht an seine Kultur. Er ist ein Opfer, das die Projektionen der Europäer auf sich zieht, die Pflicht zur Menschlichkeit oder Schuldgefühle. Man sieht den Überlebenden und vergisst, dass der Flüchtling in einer Kultur gefangen ist, in der das Verhältnis zu Gott und zur Frau eine wichtige Rolle spielt. Im Westen angelangt, hat der Flüchtling oder Migrant sein Leben gerettet, aber man übersieht nur zu gern, dass er seine Kultur nicht so leicht aufgeben wird. Seine Kultur ist das, was ihm angesichts seiner Entwurzelung und des Schocks der neuen Umgebung bleibt.
FAZ 18.02.16 Islam und Körper Das sexuelle Elend der arabischen Welt / In den Ländern Allahs herrscht ein krankes Verhältnis zur Frau und zum Begehren. Das muss wissen, wer bei der Bewertung der Kölner Silvesternacht der Naivität entkommen will. / Von KAMEL DAOUD online HIER
Nachtrag 25.02.2016
DIE ZEIT Seite 39 Das Tribunal der Pariser Mandarine / Der algerische Autor Kamel Daoud soll den Islam nicht kritisieren / Von Iris Radisch
(…) Die Wissenschaftler befanden den Autor in Le Monde für schuldig, von der „Überlegenheit westlicher Werte“ überzeugt zu sein und einer fremden Kultur den „Respekt vor der Frau“ in unerträglich paternalistischer Weise „aufzwingen“ zu wollen.
Kamel Daoud, der seit Jahrzehnten beim Quotidien d’Oran arbeitet und wegen seiner couragierten Kommentare sogar mit einer Fatwa belegt wurde, verlässt nach diesem Pariser Unsinn der Mut. Er hat angekündigt, sich aus dem Journalismus zurückzuziehen. Noch immer, schreibt er, sei es im Land Voltaires nicht möglich, den Islam zu kritisieren, ohne stigmatisiert zu werden. (…)
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