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James Last und der Abgrund

Die Süddeutsche folgt ihm in die Tiefe

Man könnte meinen, es sei schon etwas zuviel oder jedenfalls mehr als genug gewesen, was jetzt, da er gestorben ist, in kürzester Zeit an Nachrufen zur Hand war. Jeder weiß, dass alles bereitliegt, wenn ein Prominenter schon mal den 75., den 80. und den 85. Geburtstag erlebt hat. Das ging den ganzen Tag bis weit nach Mitternacht (bei Markus Lanz wurde so kräftig und zukunftsgewiss wiederholt, dass Nichtsahnende meinen konnte, es sei ja auch längst an der Zeit gewesen, ihn jetzt Jahr für Jahr zu feiern). Und am nächsten morgen stehe ich auf und finde das Tageblatt und die Süddeutsche, und beide feiern ihn, „oh happy day“!

In der Süddeutschen fesselt mich sofort die Analyse (wenn man es so nennen soll) des Titels „Happy Heart“, – wie konnte ein Redakteur so schnell so fleißig sein?

Erschienen ist der Titel, natürlich, im „Happy Music Verlag“, und zum Intro gleitet die E-Gitarre vom zweigestrichenen g aus nach unten, platscht auf betonhartes C-Dur. Das macht Spaß, das ist Freude, da hüpft das Herz und schlägt Purzelbäume, noch bevor der Song überhaupt begonnen hat. Dann aber kommt die Stunde des galanten Schlagwerks, immer leicht federnd, als habe es gerade zwei neue Hüftgelenke bekommen. Das Schlagzeug ist dazu da, all die Zweifler und Nörgler der Hansi-Happiness abzuschmettern.

Das Wort „hüftlahm“ bietet sich an, aber ich scheue den Weg zum Computer nicht, ich will die Musik in voller Sound-Qualität erleben. HIER. Hört, wohin der Bass geht, – in betonhartes C-dur!? 35 Sekunden genügen. Hat er den Trugschluss nicht gehört? Aber weiter im Text:

Man muss diese luftige Balance aus beinahe Nichts und beinahe Etwas schon genau hinbekommen, alles musikalisch oder sonst wie Tiefschürfende würde hierbei stören. Für den anspruchsvollen Hörer, der hier aber wirklich nicht gefragt ist, klingt das oft wie „Music Minus One“, die Übeplatten für Solisten, auf denen nur die Orchesterbegleitung zu hören ist.

Eine sehr schöne Beobachtung, die der Autor jedoch sogleich zurückweist, denn das schon erwähnte Wort liegt ihm auf der Zunge:

Dieser hüftlahme Vergleich ist aber falsch. Es geht hier vielmehr um Wellness des Herzens und Happysound der Seele. Man hat das schon mal analysiert („man“? – wer denn, um alles in der Welt?): Über die schon seit ein paar Takten anvisierte Septe im Bass, also dem Sekundakkord, fällt das beinahe erreichte D-Dur in die flauschig ausgebreitete Subdominante, das reine G-Dur, das ein bisschen nach frischem Heu riecht.

Nach frischem Heu? Es riecht nach Déjà-vu. Finde ich die Analyse im Internet? Nein, nicht sofort. Ich lande vielmehr HIER. Auch hier das frische Heu und noch mehr als ich hoffen konnte: Schweinequieken und ein Masseur mit heißen Steinen.

Da muss ich mich meiner Stimmgabel nicht schämen. Mir fehlt das absolute Gehör.

Quelle der eingerückten Zitate (mit Ausnahme des roten Zwischenrufes): Süddeutsche Zeitung 11. Juni 2015 (Seite 9)  Glück ohne Abgrund  Die ideale Balance aus beinahe Nichts und beinahe Etwas: Der Bandleader James Last ist tot / Von Helmut Mauró

Zur Schonung des Journalisten sei vermutet, dass er vielleicht nicht von dem Youtube-Konzert-Video ausgeht, das aber immerhin aus dem Jahr 1977 stammt; es wird keine „archaischere“ Frühfassung geben, sagen wir ohne die auffällige „Rückung“. Vielleicht steht es in den Noten anders. Aber: hat ein Musik-Journalist etwa echte Noten? Gar aus dem Happy-Music-Verlag, den er erwähnt???

Auf unserm irgendwie authentischen Video also beginnt das Klavier (nicht die E-Gitarre) und zwar in G-dur, die Basstöne der Akkordfolge des Klaviers steigen abwärts:  g‘ (4mal) fis‘ (4mal) f‘ (4mal) e‘ (4mal) es‘ (4mal) d‘ (2mal) g‘ (2mal) fis‘ (4mal) – und dieses fis‘ ist Bestandteil des Dominantseptakkords (d‘-fis‘-a‘-c“) – und könnte nun rückkehrend „aufschlagen“ – aber wo??? Niemand erwartet etwas anderes als ein G-dur, dieselbe Tonart, in der es begann. Was kommt stattdessen? Ein B-dur, ob rein oder nicht, da platscht nichts auf, es ist eine Überraschung – nennen wir es Rückung oder Trugschluss, jedenfalls ein Sprung in die terzverwandte Tonart B-dur. Und wenn das B-dur seine Pflicht getan hat, – hier ist endlich auch der E-Bass dabei, und zwar mit den Pfundnoten B A G F Es D C B D D / und jetzt alle: E Fis / G-dur (bei 0:32) – da sind wir ja wieder!

Man sieht vielleicht: schon der harmloseste Ansatz einer Analyse wirkt etwas anspruchsvoll und würde dennoch genau die simplen Harmonieformeln ans Licht bringen, nach denen die Musik ohnehin klingt. Nichts, was nicht 100 bis 200 Jahre alt wäre. Und die Melodie macht fortwährend Gebrauch vom sogenannten Sequenz-Gang: jede kleine melodische Wendung wird, kaum ist sie vorgetragen, eine Stufe tiefer gesetzt, und sofort noch einmal, – das ist zeitgleich vorauszusehen, schon im Ansatz. Die Leute schalten blitzschnell und freuen sich ihres musikalischen Einvernehmens so sehr, dass sie rhythmisch mitklatschen und schunkeln.

Aber bloß keine Hochkultur-Ironie! Erheben wir uns von den Plätzen. So etwas wird es auch noch lange nach James Last geben.

PS. 12.06.

Es lässt mir keine Ruhe, ich glaube, ich muss diesen Anfang erst notieren, ehe ich ihn loswerde. Vor meinem inneren Auge steht die Bläser-Phalanx, davor der Admiral im weißen Anzug, etwas erhöht die gleißenden Damen mit Geigen, in der Tiefe das dumpf schaukelnde Publikum, man möchte laut schreien. Ich muss es aufschreiben, damit die Banalität des Frohsinns zu einem bloßen Schriftbild gerinnt. – Aber nun hab ich’s, weshalb es mich verfolgt, mich wider Willen sogar romantisch anheimelt! Nein, vergleichen Sie nur:

0:00 bis etwa 0:27 HIER – dann stoppen, und dann unmittelbar Hier klicken.
Sehen Sie? das ist B-dur mit der ganzen Kraft einer Sequenz, be happy, James, in Ewigkeit, Amen.