Was Musikvermittlung bewirkt
Quelle Hans Georg Nicklaus: Lecture-Concerts / Musikvermittlung in Großbritannien und den USA zwischen 1880 und 1900 / Seite 34-46 / Musik & Ästhetik Klett-Cotta Stuttgart April 2024
Die gesammelten Dokumente (…) stehen im Kontrast zur Idee einer ›Universalsprache Musik‹, die sich in Europa ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etabliert und immer wieder (bis zur Gegenwart) manchmal direkt, oftmals eher impliziert in den Diskursen um Musik aufscheint.³° Dass aber Musik aus anderen Zeiten und (vor allem geographischen) Kontexten nur mit erläuternden Hilfen verständlich ist, veranlasst die Autoren keineswegs dazu, am Ideal der Unmittelbarkeit zu rütteln. Musik soll direkt zu den Hörenden sprechen.
Unmittelbarkeit einerseits und Vermittlung andererseits bilden hier darum keinen Widerspruch, weil zwischen den Komponisten und der Wirkung ihrer Werke das Hören als eigenständige und zu trainierende Tätigkeit etabliert wird. Nicht einem bloßen Verstehen, sondern einem verständigen Hören sind die Bemühungen der Lecture-Concerts gewidmet. Die paradoxe Forderung nach einer Vermittlung zum Zweck der Unmittelbarkeit wird erst möglich und sinnvoll durch die gleichsam zwischen Werk und Wirkung geschobene Kategorie des ›richtigen‹ Hörens jener an einen anderen Ort und großteils auch in eine andere Zeit »verpflanzten« Musik.
Anm.³° Hans Georg Nicklaus: Weltsprache Musik. Rousseau und der Triumph der Melodie über die Harmonie München 2015
Als Anregung zwischendurch der aktuelle Beitrag von Bojan Budisavljević (s.a.hier).
https://www.nmz.de/politik-betrieb/kulturpolitik/relevant-schon-aber-bedeutend?utm_source=CleverReach&utm_medium=email&utm_campaign=03.04.25+Kampagnen-Name&utm_content=Mailing_16085025 HIER
Ich kenne seit Studienzeiten den Dissens zwischen Leuten, die Musik erklären und vermitteln wollen, und anderen, die dies ablehnen und meinen, Musik könne und müsse unbedingt für sich selbst sprechen. Ich selbst stand immer auf Seiten derer, die nach zusätzlichen Informationen verlangten. Diese bestünden z.B. allein schon in der Angabe des Komponisten und seiner Lebensdaten, ermögliche damit zumindest die Vergegenwärtigung der Epoche und des Lebensraumes. Die Wahrnehmung eines begrifflich erfassbaren Umfeldes der scheinbar begriffslosen musikalischen Kunst.
Hilfreich ist vielleicht die Vorschaltung eines anderen Kulturproduktes, das zweifelsfrei mit Worten und Begriffen arbeitet, wo allerdings ganz ähnliche Diskussionen auftauchen. Gemeint ist die Lyrik. Bedarf sie der Interpretation oder nicht? Sie braucht den gesprochenen Vortrag, kein Zweifel (obwohl auch das stumme Lesen ausreichen könnte), – aber braucht sie nicht ebenso das Innehalten bei bestimmten Worten, das Reflektieren ihres Bedeutungsspektrums, das Wirken des Assoziationsraumes einzelner Wendungen?
Ein kurzer Blick in die mehr oder weniger zufällig bei mir angesammelte Literatur zum Thema Lyrik:
Warum? Obwohl doch fast alle Gedichte aus lauter Wörtern bestehen, die wir kennen? Warum müssen wir einander selbst im persönlichen Gespräch so oft erklären, wie wir das eben gemeint haben? Ja, aber das Gedicht ist in sich geschlossen, es enthält alles, was es zu sagen hat.
So? Sie verstehen deutsch? Dann sagen Sie doch mit Ihren Worten, was der Dichter meint:
(Fortsetzung folgt)