Es ist doch nur ein alter Spruch… Wieso hat er mich besonders berührt, als ich ihn über dem Eingang einer Schule in Solingen sah? Siehe hier.
Vielleicht weiß ich es heute? Ich habe ihn wiedergesehen:
An der Volksschule in Lohe bei Bad Oeynhausen. Dort habe ich 1947 mein erstes Schuljahr erlebt und und ziemlich zu Anfang von Lehrer Stark eine schallende Ohrfeige erhalten. Von nun an wusste ich, was das ist, die Furcht des Herrn, eines Herrn, der sogar „Stark“ hieß. Er kam aus dem Osten und legte größten Wert darauf, dass dumme kleine westfälische Kinder eine deutliche, aufrechte Aussprache erlernen und z.B. nicht einfach „Wuast“ sagen, sondern Wurrrst. Er selber wurde deshalb gern Herr „Starrrk“ genannt. Hier ist der Eingang der Schule heute, dann der Blick durch die Bäume auf die Fenster der Klasse, in der ich damals meinen ersten Unterricht erlebte. Die Schule lag und liegt gleich unterhalb der Kirche, wie man sieht.
Warum die Ohrfeige? Ich sollte Silben bilden aus Buchstaben, die wir schon durchgenommen hatten, also aus f und a etwa „fa“, aus b und o vielleicht „bo“. Das war die Hausaufgabe. Ich hatte sie aber missverstanden und schrieb immer ganze Wörter, das hatte ich bei meinem älteren Bruder schon viel früher mitgelernt, also: „Familie“, „Boden“ u.ä., – ich erhielt die Ohrfeige für die Anmaßung. War ich überheblich oder allzu selbstbewusst? Ich glaube nicht.
Von nun an wusste ich allerdings, was die Furcht des Herrn ist: die Furcht vor dem Herrn Starrk! So stand es draußen an der Wand. Und zwar mit Quellenangabe: Sirach 1, 14. Das ist ein apokryphes Buch des Alten Testaments, in der Bibel meiner Loher Oma kommt es überhaupt nicht vor. Aber die andere Oma aus Belgard, die zitierte gern noch einen anderen Spruch von Sirach: „Wer die Rute schonet, hasset seinen Sohne“. Irgendwie habe ich es früh zu spüren begonnen – ein derart schlechter Reim kann schon mal per se nichts mit der Weisheit Anfang zu tun haben.
Die Schläge waren damals noch an der Tagesordnung: einmal ging der HErr zu weit, und jemand musste mit Nasenbluten nach Hause gehen, die Mutter kam, und der Lehrer schimpfte, wie sich die Kinder heutzutage dumm anstellen! Und dann auch noch so aufsässig zu bluten, unerhört!!
Aber eines Tages kam der neue Lehrer Sichelschmidt (s.u.), und alles war gut. Der Knabe, der da vorn in der Mitte sitzt, sieht doch ganz glücklich aus, oder nicht?
Geschrieben nach einem Wiedersehen auf der Lohe – eingedenk der frühesten Zeiten. KINDHEIT. Unten: Auf einem neuen Foto (1947) der Nachbarn: auch meine Eltern. Notiz aus den Erinnerungen meiner Mutter. (Stolz, ja doch! Aber etwas übertrieben.) Meine genaue Größe am 7.3.47: 121 cm; am 26.12.47: 127 cm. (Nach Krieg und Flucht: Das neue Leben auf dem Lande!)
Die Landschaft meiner Kindheit. Die sogenannte Steinkuhle, Hobergs Busch. Der Blick über Feld und Wald auf das ferne Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica. Dort – in Wolkenformen oder Dunst – las meine Oma das kommende Wetter ab. Dorthin – auf ein im Tal liegendes Waffenlager – waren auch die Flaks gerichtet, die die Amerikaner nach dem Einmarsch hier auf die Felder gestellt hatten.
(Fotos unten: E.Reichow, Handyfotos oben: JR)
17.07. Neue Lektüre (s.u.) / 18.07. Nachbarschaftstreffen Lohe / 19.07. Lemgo (Extra-Beitrag) Nicht vergessen: Geläut St. Marienkirche A-C-Es, Juden, Hexen, St. Nicolai, Pfarrer Andreas Koch „Teufelsbündner“.