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Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn heißen.

Von höherer Bildung

Am 8.7. 1829 schrieb Abraham Mendelssohn Bartholdy einen ernsten Brief an seinen Sohn Felix. Er hatte erfahren, dass dieser auf seiner England-Tournee begonnen hatte, den Namensbestandteil Bartholdy wegzulassen und war empört. Die ausführliche Begründung ist historisch hochinteressant. (Den Baum setze ich hinzu, weil ich ihn am selben Tag gesehen wie die Briefstelle abgeschrieben habe. Er könnte auch bedeuten: „Ich liebe Felix Mendelssohn!“)

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Meines Vaters Vater hieß Mendel Dessau. Als dessen Sohn, mein Vater, in die Welt getreten war, als er anfing genannt zu werden, als er den edlen, nie genug zu preisenden Entschluß faßte, sich selbst, und seine Mitbrüder, aus der tiefen Erniedrigung, in welche sie versunken waren, durch Verbreitung einer höheren Bildung zu reißen, fühlte er, daß es ihm schwer werden würde, als Moses Mendel Dessau in das nähere Verhältnis, welches ihm erforderlich war, zu denjenigen zu treten, die damals im Besitz dieser höheren Bildung waren; er nannte sich, ohne daß er fürchtete seinem Vater dadurch zu nahe zu treten, Mendelssohn. Die Änderung war so unbedeutend als entscheidend. Als Mendelssohn trennte er sich unwiderruflich von einer ganzen Classe, aus der er die besten zu sich hinaufzog, und an eine andre Gemeinschaft anschloß. Der große Einfluß den er damals durch Wort, Schrift und That, auf die edelste und geistreichste Weise ausübte, der heute noch fortlebt und sich in steter Entwicklung verbreitet, gab dem Namen den  erangenommen, ein großes Gewicht, aber auch eine unauslöschliche Bedeutung. Einen christlichen Mendelssohn kann es nicht geben, denn die Welt agnoscirt keinen, und soll es auch nicht geben, denn er selbst wollte es ja nicht seyn. Mendelssohn ist und bleibt das Judentum in der Übergangsperiode, das sich, weil es sich von Innen heraus rein geistig zu verwandeln strebt, der alten Form um so hartnäckiger und consequenter anschließt, als anmaßend und herrschsüchtig die neue Form meynt und behauptet, nur durch sie sey das Gute zu erreichen.

Der Standpunkt, auf welchen mich mein Vater und meine Zeit gestellt, legte mir gegen Euch, meine Kinder, andere Pflichten auf, und gab mir andere Mittel an Händen, ihnen zu genügen. ich hatte gelernt, und werde es bis an meinen letzten Atemzug nicht vergessen, daß die Wahrheit nur Eine und ewig, die Form aber vielfach und vergänglich ist, und so erzog ich Euch, solange die Staatsverfassung unter der wir damals lebten, es zugeben wollte, frei von aller religiösen Form, welche ich Eurer eigenen Überzeugung, im Fall diese eine erheischen sollte, oder Eurer Wahl nach Rücksichten der Convenienz überlassen wollte. Das sollte aber nicht seyn, ich mußte für Euch wählen. Daß ich keinen inneren Beruf fühlte, bei meiner Geringschätzung aller Form überhaupt die jüdische als die veraltetste, verdorbenste, zweckwidrigste für Euch zu wählen, versteht sich von selbst. So erzog ich Euch in der christlichen als der gereinigteren von der größten Zahl civilisierter Menschen angenommenen und bekannte mich auch selbst zu derselben, weil ich für mich thun mußte, was ich für Euch als das bessere erkannte. So wie aber meinem Vater sich die Nothwendigkeit aufgedrängt hatte, seinen Nahmen seiner Lage angemessen zu modifizieren, so erschien es mir Pietät und Klugheitspflicht zugleich das auch zu thun. Hier habe ich mir eine Schwäche vorzuwerfen, ich bekenne sie, aber ich halte sie für verzeihlich. Was ich für recht hielt, hätte ich ganz und entschieden thun sollen. Ich hätte den Namen Mendelssohn ganz ablegen, und den Neuen ganz annehmen sollen; ich war meinem Vater schuldig, es zu thun, ich that es nicht, um langjährige Gewohnheit, viele Mitlebende zu schonen, schiefen und giftigen Urtheilen zu entgehen; ich that Unrecht, ich wollte den Übergang vorbereiten, ihn Euch erleichtern, die ihr nichts zu schonen und zu besorgen hättet. Ich ließ sehr absichtlich deine Karten in Paris Felix M. Bartholdy stechen, da du im Begriff warst in die Welt zu treten, und Dir einen Nahmen zu machen. Du bist in meine Ideen nicht eingegangen, ich habe auch hier wieder schwach genug, nicht eingegriffen, und wünsche mehr als ich erhoffe oder verdiene, daß mein jetziges Einschreiten nicht zu spät kommt. Du kannst und darfst nicht Felix Mendelssohn heißen, Felix Mendelssohn Bartholdy ist zu lang, und kann kein täglicher Gebrauchsname seyn, du mußt dich also Felix Bartholdy nennen weil der Name ein Kleid ist, und dieses der Zeit, dem Bedürfniß, dem Stande angemessen seyn muß, wenn es nicht hinderlich und lächerlich werden soll. Die Engländer, sonst so förmlich, altrechtgläubig und steif, ändern ihre Nahmen öfters im Leben, und es wird fast keiner unter dem Nahmen berühmt, den er in der Taufe erhalten. Und sie haben Recht. ich wiederhole dir, einen christlichen Mendelssohn giebt es so wenig als einen jüdischen Confucius. Heißt du Mendelssohn so bist du eo ipso ein Jude, und das taugt dir nichts, schon weil es nicht wahr ist.

Beherzige dies, mein lieber Felix und richte dich danach. Kommt heute noch dein Brief so finde ich auf dem großen Bogen wohl noch Platz zu einigen Worten.

Dein Vater und Freund.

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Fotos (Friedrichsaue an der Wupper): E. Reichow

Quelle des Brieftextes: Eva Weissweiler: Fanny Mendelssohn Ein Portrait Die Frau in der Literatur Ullstein Taschenbuch Frankfurt/M – Berlin – Wien 1985 ISBN 3 548 30171 1 (Seite 81f)