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Wie normal ist Diversity?

In den 80er Jahren, so scheint es uns heute, war es noch einfach, mit der Vielfalt der Kulturen zu argumentieren. Wie in der Natur, sollte eine Koexistenz der verschiedensten Völker denkbar sein. Die verschiedensten Weltbilder kennenzulernen, sollte nicht zu Verwirrung, Distanzierung oder einer willkürlichen Bewertung führen, sondern zu einer subjektiven Bereicherung des Denkens. Nicht das Eigene, von Jugend an Eingeübte, das Geläufige sollte für Richtigkeit bürgen, sondern das Neue, das kritisch Geprüfte, alles, was nach menschlichem Ermessen über das fehlbare Ego hinausweist. Es gab völkerkundliche Bestseller, die diese Haltung stützten. Nur mit der Musik war das eine andere Sache. Da muss es ja viel tiefer gehen, die Nuancen des Nachbardorfes können abstoßend wirken, die Gesänge eines fernen Volkes faszinierend. Wenn man dies wusste, konnte man sich zu einer geheimen Avantgarde zählen.

So konnte man endlos weiterphantasieren. Allerdings: heute ist alles anders. Warum?

ZITAT aus DIE ZEIT 20. April 2023 Autor: Ijoma Mangold

Diversity ist ja keineswegs ein Ausdruck von Subversion, sondern es ist die Ideologie der Macht und des Kapitals. Es sind die größten Weltkonzerne, die sich Diversity auf die Fahnen geschrieben haben, und es sind die Verwaltungen und Gremien der staatlichen und halbstaatlichenn Institutionen, die über ihre Durchsetzung wachen, also die, die öffentliche Mittel oder Sponsorengelder zu vergeben haben.

Woher kommt das Bedürfnis nach formierter Moral? Die tiefe Befriedigung, die es auslöst, wenn alle dasselbe Vokabular verwenden und durch den Gebrauch bestimmter Schlüsselwörter ihre Gesinnung ins Schaufenster stellen? Da lässt sich nur spekulieren. Vielleicht hat uns Social Media zu unserem Erschrecken vor Augen geführt, wie heterogen wir Menschen in Wahrheit sind, und diese tatsächliche Verschiedenheit (die man nur so lange gepriesen hat, wie sie ein theoretisches Phantom war) soll nun durch ein großes sprachsymbolisches Pädagogik-Programm gezähmt werden. Als hätten die Funktionseliten Angst, dass ihnen sonst alles um die Ohren fliegt.

Quelle DIE ZEIT 20.April 2023 Seite 47 Alles so schön keimfrei hier Warum die Künstler sich nicht mehr trauen, die Bürger zu erschrecken und den gesellschaftlichen Konsens aufzustören / Von Ijoma Mangold / hier

Heißt das nicht Wokeness… Was versteht man denn ansonsten unter Diversity, wenn man die gute Sache verfechten will? Z.B. hier Zitat:

Diversity bedeutet Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Menschen. Wir leben in einer Welt, in der die Vielfalt von Lebensformen stetig zunimmt. Diversity schätzen zu lernen stellt den positiven gesellschaftlichen Gegenentwurf zu Diskriminierung dar.

Wikipedia hier

Noch einmal Ijoma Mangold, der nach einigen Beispielen aus Literatur und Musik ausführt:

Der außerkünstlerische Maßstab ist in all diesen Fällen die Identität. Sie ist die heilige Kuh, vor der alle das Knie beugen. Da sind keine Frivolitäten erlaubt. Niemand will hier bei einer Blasphemie ertappt werden. Deshalb legen Schriftsteller ihre Manuskripte sogenannten Sensitivity-Readern vor, die überprüfen, ob der Roman auch so geschrieben ist, dass die Gefühle etwaiger Minderheitengruppen nicht verletzt werden. Was gibt den Sensitivity-Readern ihre Kompetenz und moralische Autorität? Nun, es ist natürlich wieder die Identität, die zu einem umso mächtigeren Phantasma aufgebläht wird, je mehr die westlichen Gesellschaften angeblich divers und fluide werden. Wer sich öffentlich äußert, gilt als Stimme einer bestimmten kollektiven Grupe, nicht mehr als eigensinniger Denker mit einer alle überraschenden Meinung zu den Dingen.

Quelle a.a.O. DIE ZEIT 20.April 2023 Seite 47 (Ijoma Mangold)

Mehr zur Identität: hier / Zitat daraus:

Genau in dieser Funktion wird der Doppelcharakter von Identität sichtbar: Sie soll einerseits das unverwechselbar Individuelle, aber auch das sozial Akzeptable darstellbar machen. Insofern stellt sie immer eine Kompromißbildung zwischen „Eigensinn“ und Anpassung dar. Das Problem der „Gleichheit in der Verschiedenheit“ beherrscht auch die aktuellen Identitätstheorien.