Neues vom alten Schopenhauer (und von Lenz Prütting)
Daß heut zu Tage in der Deutschen Litteratur »humoristisch« durchgängig in der Bedeutung von »komisch« überhaupt gebraucht wird, entspringt aus der erbärmlichen Sucht, den Dingen einen vornehmeren Namen zu geben, als ihnen zukommt, nämlich den einer über ihnen stehenden Klasse: so will jedes Wirthshaus Hotel, jeder Geldwechsler Banquier, jede Reiterbude Cirkus, jedes Konzert Musikalische Akademie, das Kaufmannskomptoir Büreau, der Töpfer Thonkünstler heißen, – demnach auch jeder Hanswurst Humorist. Das Wort Humor ist von den Engländern entlehnt, um eine, bei ihnen zuerst bemerkte, ganz eigenthümliche, sogar, wie oben gezeigt, dem Erhabenen verwandte Art des Lächerlichen auszusondern und zu bezeichnen; nicht aber um jeden Spaaß und jede Hanswurstiade damit zu betiteln, wie jetzt in Deutschland allgemein, ohne Opposition, geschieht, von Litteraten und Gelehrten; weil der wahre Begriff jener Abart, jener Geistesrichtung, jenes Kindes des Lächerlichen und Erhabenen, zu subtil und zu hoch seyn würde für ihr Publikum, welchem zu gefallen, sie bemüht sind, Alles abzuplatten und zu pöbelarisiren. Je nun, »hohe Worte und niedriger Sinn« ist überhaupt der Wahlspruch der edeln »Jetztzeit«: demgemäß heißt heut zu Tage ein Humorist, was ehemals ein Hanswurst genannt wurde.
Lenz Prütting:
Wenn ich durch die Fernsehsender zappe, stelle ich fest, dass vor allem eine bestimmte Art des Lachens provoziert wird – nämlich die des Auslachens. Nicht nur bei den Kommerziellen, sondern auch im öffentlich-rechtlichen Programm. Ständig geht es darum, jemanden vorzuführen.
Spiegel: Ist das nicht eine besonders sichere Methode?
Prütting:
Allerdings. Sie funktioniert jedenfalls immer dann, wenn es beim Zuschauer an Humanität fehlt. Wenn es daran nicht fehlt, setzt allerdings Verlegenheit ein – oder Ekel.
Quelle Spiegel-Gespräch (Elke Schmitter) DER SPIEGEL 8/2015 „Sie meinen, Lachen beruhe auf Komik?“ Der Philosoph Lenz Prütting wollte nur einen Aufsatz über das Lachen schreiben. Aber das scheint kompliziert zu sein. Es wurden 1950 Seiten.
Arthur Schopenhauer (Anfang des schon oben zitierten Kapitels aus „Die Welt als Wille und Vorstellung“ Zweiter Band Leipzig 1891) Diese zwei Bände erwarb ich am 6.10.1956 in der „Brockensammlung Bethel“ für etwa 2 Deutsche Mark. Der Religionslehrer (!) Gutberlet sagte dazu: Ja, Reichow, das ist gut für den Anfang!
Das neue Werk von Lenz Prütting kostet respektable 149,- Euro. Aber nicht nur die folgenden Sätze einer Rezension elektrisieren mich:
Der Erkenntnisgewinn ist außerordentlich. Oft scheint sich Prütting weit von seinem Gegenstand zu entfernen, doch dienen solche Umwege stets dazu, den Geist eines Denkers im Allgemeinen zu charakterisieren. Prüttings Verfahren erschließt so gut wie vergessene Denkschulen wie die der „Heiteren Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts und entfaltet umso stärkere erhellende Kraft, je mehr er sich der Gegenwart nähert. Schon gegen Darwins Evolutionstheorie hat er, wenigstens so weit es die Genese des Lachens betrifft, gravierende Einwendungen zu machen.
Am aufschlussreichsten jedoch erweist sich Prüttings Verfahren an jenen Sparten, die sich ihrem Anspruch nach als Naturwissenschaften verstehen, aber deren strengen Anforderungen bei genauerer Prüfung nicht standhalten und stattdessen mit unerwiesenen Größen und Postulaten operieren. Prütting nennt ihre Vertreter verächtlich „Neohydrauliker“. Denn wenn sie von der Verschiebung von „Energien“ reden, geben sie sich (so sieht es Prütting) keine Rechenschaft darüber, wie stark ihre Modellbildung auf der Dampfmaschine fußt und damit auf dem überholten Stoßprinzip als Ursache aller Bewegung. Wer für die Lektüre des Ganzen keine Muße findet, sollte sich zumindest das Kapitel 2.14 nicht entgehen lassen, „Im Irrgarten der Energetik“, in dem Sigmund Freud und mit speziellem Nachdruck Konrad Lorenz samt seiner Schule der Verhaltensforschung einer vernichtenden Kritik unterzogen werden.
Autor: Burkhard Müller (Süddeutsche Zeitung), vollständig nachzulesen HIER. (Produktbeschreibung und Rezensionen).
Fortsetzung des oben, auf der Schopenhauer-Originalseite, abgebrochenen Textes:
Je größer und unerwarteter, in der Auffassung des Lachenden, diese Inkongruenz ist, desto heftiger wird sein Lachen ausfallen. Demnach muß bei Allem, was Lachen erregt, allemal nachzuweisen seyn ein Begriff und ein Einzelnes, also ein Ding oder ein Vorgang, welcher zwar unter jenen Begriff sich subsumiren, mithin durch ihn sich denken läßt, jedoch in anderer und vorwaltender Beziehung gar nicht darunter gehört, sondern sich von Allem, was sonst durch jenen Begriff gedacht wird, auffallend unterscheidet. Wenn, wie zumal bei Witzworten oft der Fall ist, statt eines solchen anschaulichen Realen, ein dem höhern oder Gattungsbegriff untergeordneter Artbegriff auftritt; so wird er doch das Lachen erst dadurch erregen, daß die Phantasie ihn realisirt, d. h. ihn durch einen anschaulichen Repräsentanten vertreten läßt, und so der Konflikt zwischen dem Gedachten und dem Angeschauten Statt findet. Ja, man kann, wenn man die Sache recht explicite erkennen will, jedes Lächerliche zurückführen auf einen Schluß in der ersten Figur, mit einer unbestrittenen major und einer unerwarteten, gewissermaaßen nur durch Schikane geltend gemachten minor; in Folge welcher Verbindung die Konklusion die Eigenschaft des Lächerlichen an sich hat.
Schopenhauer, auch nachzulesen hier (gutenberg.spiegel.de).
Bei Gelegenheit sollte ich dies mit Beispielen belegen oder – nach Rekonstruktion meines alten Blogs, die noch aussteht – mit einem Link in einen früheren Schopenhauer-Beitrag. Reizvoll erscheint mir heute, seine Idee mit den Ausführungen von Gilbert Ryle zur Kategorien-Verwechslung zu verbinden.
Es ist durchaus zulässig, in einem gewissen logischen Ton zu sagen, Geister existierten, und dann wieder in einem anderen logischen Ton zu sagen, Körper existierten; aber diese Ausdrücke zeigen nicht verschiedene Arten von Existenz an, denn ‚Existenz‘ ist nicht ein Gattungswort wie ‚Farbe‘ oder ‚Geschlecht‘. Sie zeigen vielmehr zwei verschiedene Bedeutungen des Wortes ‚existieren‘ an, etwa so wie das Wort ’steigen‘ in dem Satz ‚die Flut steigt‘ etwas anderes bedeutet als in ‚die Erwartung steigt‘ oder ‚das durchschnittliche Sterbealter steigt‘. Es wäre ein schlechter Witz zu sagen, daß jetzt also drei Dinge steigen, die Flut, die Erwartung und das durchschnittliche Sterbealter. Es wäre ein ebenso guter oder schlechter Witz zu behaupten, daß Primzahlen, Mittwoche, die öffentliche Meinung und Flotten existierten; oder daß sowohl Geister wie Körper existierten. In den folgenden Kapiteln will ich beweisen, daß die offizielle Lehre tatsächlich auf einer Reihe von Kategorienverwechslungen beruht, indem ich zeige, daß absurde Konsequenzen aus ihr folgen.
Quelle Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes – Reclam Stuttgart 1969 – Seite 17 ff, Zitat Seite 23 f.