Verkehrte Welten
Es ist uns ein Rätsel, warum sich junge deutsche Menschen durch islamistische Parolen einfangen lassen und jeden Zweifel an simplen Welterklärungen ausblenden. Aber zugleich haben wir das Rätsel auch schon gelöst: Es ist gerade diese Simplizität, die sie fasziniert, das gewaltige Pathos, mit dem sie den gewählten Weg für den einzig wahren erklären können: sie dürfen kleinmütige Bedenken achtlos beiseitewischen, zweifelsfrei, alternativlos, unumkehrbar und was die Sprache sonst noch an unerbittlichen Worten für ein denkfaules Verhalten zur Verfügung stellt. Wenn sich ein letzter Rest von Menschlichkeit beimischt, klingt er so:
Und ob man die Feinde abknallt oder köpft, ist doch egal. Tot ist tot. Es geht nur darum, dass sie nicht leiden. Selbst die schlimmsten Feinde dürfen wir nicht quälen, so will es der Koran.
Die Gedankengänge kennen wir (s.a. hier), viele Zeitungen wetteifern, sie den bärtigen Fanatikern zu entlocken und darzustellen (Zitat oben: siehe hier). Zuweilen erschüttert, wenn solche Statements mit einer gewissen Milde gegenüber dem Fragensteller geäußert werden, der solche Logik nicht begreifen kann. Gerade unsere Ratlosigkeit erfüllt die Gegner mit ruhiger Zuversicht und unbeirrbarem Gottvertrauen. Die offensichtlichen Krisen in ihrer selbstgewählten Welt bleiben ihnen für immer verborgen, – man nennt das Komplexitätsverweigerung. Überall begegnen die gleichen Stichworte, heute im politischen Kommentar der Süddeutschen:
Es gibt keine singulären Ursachen für die Krisen in der arabischen Welt – und auch keine einfachen Lösungen. Der gern beklagte Mangel an Strategie im Westen ist auch Ausdruck der Ratlosigkeit angesichts der Komplexität und schwindender Einflussmöglichkeiten. Hoffnung auf Fortschritte gibt es am ehesten dort, wo Verteidigungskonflikte um Ressourcen und Macht den Krisen zugrundeliegen: in Libyen und Jemen, vielleicht im Irak.
Die Dschihadisten des Islamischen Staates entziehen sich dieser Logik: Ihr Projekt hat einen absoluten, einen totalitären Anspruch. Menschenleben bedeuten für sie nichts – sie setzen darauf, durch monströse Zivilisationsbrüche unüberlegte Reaktionen zu provozieren und ein apokalyptisches Chaos zu entfesseln. Sie glauben, daraus als Sieger hervorzugehen. Es wird einen Mix aus politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ansätzen brauchen – und vor allem langen Atem und überlegtes Handeln, um dem etwas entgegenzusetzen. Mit schnellen Erfolgen kann man nicht rechnen. Die Region steht vor einem finsteren Jahrzehnt. Europa aber wird sich nicht abwenden oder immunisieren können gegen die Bedrohung, die hier heranwächst,Charlie Hebdo und Kopenhagen sind Belege dafür.
Quelle Süddeutsche Zeitung 24. Februar 2015 Seite 4 / Naher Osten / Wenn Staaten scheitern / Von Paul-Anton Krüger
Ich stelle mir vor, wie die Szenerie von weit hinten aussieht, jenseits der Meere und der Wüsten. Wo die biographisch prägende Aufklärung vielleicht schon darin besteht, in die Koranschule zu gehen, lesen und schreiben zu lernen. Und in diesem Moment erhalte ich einen Essay, der genau diese Perspektive aus der Ferne, von der gegenüberliegenden Seite, in den Fokus rückt. Die Komplexität wächst, zugleich die Nachdenklichkeit und die Immunisierung gegen radikal vereinfachende Parolen. Die nächsten beiden Blog-Beiträge versuchen diese Perspektive von der anderen Seite aus nachzuvollziehen. Der Autor Hans Mauritz ist gewissermaßen ein Fachmann des Perspektivenwechsels: er verbringt die Wintermonate im ägyptischen Luxor, eine kurze Zeit im Schweizer Kanton Zug und die andere Hälfte des Jahres im Val d’Elsa in toscanischer Einsamkeit. Vor ein paar Jahren übernahm ich einen seiner Beiträge, den er für die Zeitschrift Kemet geschrieben hatte.
Die Zeitschrift Kemet (hier eine Analyse aus dem Jahr 2012) musste inzwischen auf Grund der wirtschaftlich schwierigen Lage in Ägypten eingestellt werden.
Der „ägyptische Frühling“ ist in den westlichen Zeitungen nur noch als eine Art Fußnote gegenwärtig. In der schon oben zitierten Süddeutschen lese ich im Feuilleton:
Die Zeiten, in denen sie [die Künstler] unbekümmert Wände bemalen konnten, seien längst vorbei. Graffiti werden wieder in den Untergrund gedrängt. Wenige Orte erinnern noch an die Aufbruchstimmung 2011, am meisten vielleicht noch die Außenwand der American University Cairo am Tahrir-Platz. Dort malten die Künstler anfangs überlebensgroße Porträts von Opfern der Aufstände. Dann kamen Kunstwerke über aktuelle Vorfälle hinzu und die Mauer wurde eine Art Wandzeitung, informativ, kritisch, höhnisch, provokant und vor allem frei. Die Künstler fühlten sich geschützt durch die Euphorie und die Entschlossenheit der Jugend. Die Mohammed-Mahmud-Straße war eine Open-Air-Galerie: Zuschauer fügten Kommentare hinzu, übermalten oder verfremdeten die Bilder.
Quelle Süddeutsche Zeitung 24. Februar 2015 (Seite 10) „Gegen die Wand“ Graffiti waren die Kunst der Revolution in Ägypten. Heute werden sie verboten und übermalt. Sogar ein Bildband wurde konfisziert. Von Karin El Minawi.
Ach, Ägypten!
Erste Begegnung am 11. April 1967
Nach dieser Reise – einer Tournee von Casablanca bis Kabul – wendete ich mich der arabischen Musik zu, seit damals kenne ich zumindest eine Aufnahme von Oum Kalthoum nahezu auswendig: Die Rubayat-el-Khayam, die Lieder Omars, des Zeltmachers.