Die Bürger im Staat haben nicht nur Rechte
Nicht jede Lanz-Sendung ist gut. Gerade wenn er politisch besonders investigativ sein will („werden Sie nun Kanzler oder nicht?“), nervt er das wohlmeinendste Publikum. Wunderbar aber, wenn er Gäste hat, die ihm gewachsen sind und er selbst auch nur konstruktiv mitwirkt. Wie gestern, wo wirklich jede(r) einzelne etwas Triftiges zu sagen hatte. Der Skandal, Aserbeidschan betreffend, bot lebendiges Anschauungsmaterial für eine Politposse gefährlichen Ausmaßes und wurde messerscharf vom Soziologen Gerald Knaus dargelegt. Der Philosoph Richard David Precht verblüffte durch Binsenwahrheiten, die angesichts der durchaus nicht „querdenkenden“ Straßenakteure und Denkverweigerer brisant geworden sind: es genügt nicht, Steuern zu zahlen, um das Recht zu haben, die Politiker mit absurden Forderungen vorzuführen und bei Widerworten gleich zu behaupten, das sei wie in Nordkorea. Der Philosoph referierte nicht Platons „Staat“, sondern sprach schlicht von den Pflichten der Bürger, die eben auch – wie das Wort von der Würde des Menschen – im Grundgesetz definiert sind. Und er formuliert so klar, dass man sich gern von Lanz auf das Buch zum Thema hinweisen lässt, ohne sich darob zum bloßen Kunden herabgestuft zu fühlen.
Zusammenfassendes Zitat:
Precht appellierte an die Bürger, sich bei aller berechtigter Kritik an der Politik der eigenen Verantwortung für das Gelingen der Gemeinschaft bewusst zu werden. Menschen wie die vermeintlichen Querdenker hätten die seltsame Vorstellung, dass der Staat dazu da sei, ihnen Rechte zu garantieren, ihnen jedoch nichts abverlangen dürfe. Das sei natürlich ein Irrglaube. Aber auch wegen der vielen Versprechungen von Politikern im Wahlkampf hätten sich so manche Bürger zu politischen Schnäppchen-Jägern zurückentwickelt, denen es vorrangig um den eigenen Vorteil gehe, um nicht übervorteilt zu werden. „Sie benehmen sich nicht wie Staatsbürger, sondern sie werden zu Kunden“ , warnte Precht. „Wenn das passiert, dann bröckelt unser Gemeinwesen.“
Er wiederholte aus einem Interview mit dem „Spiegel“ seinen markigen Spruch „Corona-Leugner arbeiten selten auf Intensivstationen“ und die Forderung, ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen und Neu-Rentner einzuführen. So könnten Empathie und Gemeinsinn gestärkt oder überhaupt erst vermittelt werden. „Die positive Erfahrung, etwas für Andere zu tun, kann man nur praktisch vermitteln, das kann man jemandem nicht theoretisch erklären“, gab der Philosoph zu bedenken. „Das ist die beste Form, gute Staatsbürger hervorzubringen.“ Und vielleicht ja auch bessere Politiker.
Quelle: Nina Jerzy in t-online hier
Zur LANZ-Sendung hier / Precht ab 18:25 und ab 39:08 bis ca. 58:00, Gerald Knaus über Aserbeidschan und Korruption ab 59:00
Empfehlenswert, den separaten Precht-Ausschnitt hier zu studieren, – allein wegen der zahlreichen drangehängten Stellungnahmen von Seiten des „Volkes“. Sowohl über Precht als auch über Lanz…
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Dass ich das folgende kleine Buch, eine „Betrachtung“, gleich zweimal gekauft habe, verursachte ein leichtes Kopfschütteln in der Buchhandlung meines Vertrauens und gratis ein kleines klärendes Gespräch: 1 Geschenk für meine Enkelin plus 1 für mich, damit ich argumentativ auf dem gleich Stand bleibe wie sie, – nicht etwa wie Precht. Aber ob der zuletzt genannte auch schon das dritte oder vierte Buch besitzt, das nagelneu auf meinem Schreibtisch liegt? (Siehe unten). Und dies nicht aus paritätischen Gründen (ebenfalls nämlich von Nicola Gess, Titel: Staunen / Eine Poetik). Er würde staunen. Vermutlich hat er aber nur weniger Musik-Bücher als ich (und sonst alles), – obwohl er in Berlin über Ästhetik liest. – Aber falls dies nun etwas flapsig klang, sei es ironiefrei gesagt: Precht schreibt hervorragend, es liest sich, als höre man ihn sprechen; es ist einfach gutes Deutsch. Und es wäre auch falsch zu sagen, dass er all seine klugen Gedanken doch nur aus Büchern herausgesucht habe. Da hat jemand die wissenschaftliche Zitierweise völlig missverstanden, wenn er meint, dass ein Schriftsteller, der wichtige Aussagen anderer Philosophen mit Namensnennung wiedergibt, zu unbegabt ist, selbst zu denken. Das Nach-Denken funktioniert so! Niemand kommt auf diesem grundlegenden Gebiet politischer Standortbestimmung ohne Lehrmeister aus. Und es zeugt nur von Redlichkeit, sich des historischen Zusammenhangs zu vergewissern, selbst wenn man über die unverwechselbare aktuelle Corona-Zeit reflektiert, die sich eben nicht zur Grippewelle zurückstufen lässt. Aber man täusche sich nicht in seinen Erwartungen: es gibt auch einfach langweilige Stellen in diesem Lesestoff. So ist das Leben! Man hat kein zweites. Und wenn mein Vater in den 50er Jahren von Pflicht sprach und sie rühmte, klang das ganz anders. Ich glaube heute, dass er glaubte, damit sei ihm – nach dem Krieg – eine unbezweifelbar positive Essenz geblieben.