Nachholbedarf, optativ

Sokrates 1957/58 oder: was möglich gewesen wäre

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  Schullektüre 1957

Übersetzung: Friedrich Schleiermacher

 Privatlektüre 1958 .    .    .    . Privatlektüre Dez.1958

Auf den letzten Seiten finde ich einen Eintrag, der bedenkenswert ist (Kierkegaard begann ich 1961, mit wenig Ausdauer). „Predigen ist allerdings die schwierigste aller Künste und eigentlich die Kunst, die Sokrates preist: ein Gespräch führen zu können…

…Es versteht sich von selbst, daß deshalb keineswegs einer in der Gemeinde antworten muß oder daß es für immer helfen würde, einen Redenden einzuführen. Das, was Sokrates eigentlich an den Sophisten tadelte mit der Unterscheidung: daß sie wohl reden könnten, aber keine Zwiegespräche führen, war, daß sie über jedes Ding viel sagen konnten, daß aber das Moment der Aneignung fehlte. Die Aneignung ist gerade das Geheimnis des Zwiegesprächs.“ (Kierkegaard, Begriff Angst, S.19)

 Ja, es geht um Aneignung. „Erwirb es,… …um es zu besitzen.“

Und es gibt, in demselben Buch, letzte (Einband-)Seite, noch eine Notiz aus der frühen Zeit, die – frei nach Nietzsche – mein Vorurteil dieser 50er Jahre festhält, ein fast rassistisches: „der Asiate“ ohne Logik (ich meinte es nicht kritisch, – genau so schlimm).

 .    .    .    . Wie es (jeweils) begann…

Also: nicht nur eine Erinnerung, sondern eine Regelung des Nachholbedarfs. Ich war übrigens kein guter Schüler in Griechisch, – vielleicht ist auch deshalb der Durst unstillbar geblieben. Jedenfalls begann alles mit diesem frühen Band der Fischer-Bücherei, auch das Titelbild faszinierte mich. Da war ich gerade 15. Sehr wichtig war aber ein Jahr später der von Romano Guardini kommentierte Band. Die Lektüre des Originals in der Schule bedeutete Schneckentempo. Viel Lexikonarbeit, ohne gedankliches Neuland. Heute würde ich mich anders motivieren. Und würde es wohl  genauso anderen weitergeben können.

Wenn ich auch schon bald die Lehre von den Ideen und der Unsterblichkeit der Seele nicht mehr ohne Widerspruch hingenommen habe, – die Wendung der Rede zu Apoll und zu den Schwänen ist mir nie aus dem Sinn gegangen.

 

Deshalb dachte ich auch heute Mittag um 13.00 Uhr an Sokrates, als ich die Vogelschreie von hoch oben aus der Luft herabtönen hörte und sah, wie sich Tausende von Tieren im Schwarm hin- und herwendeten und zu formieren suchten. Es waren aber natürlich Kraniche und keine Schwäne. Ein erregendes Schauspiel.

 Foto E.Reichow 28.10.2018

Schön wär’s gewesen zu erfahren, dass sie sich auf den Weg nach Griechenland begeben. Aber sie hatten wohl ein anderes Ziel im Sinn. (Algarve? Marokko?)

Aus „Das große Buch vom Vogelzug“ von Kai Curry-Lindahl, Verlag Paul Parey Berlin und Hamburg 1982