Message zur indischen Geige

Charumathi Raghuraman

Ardanarishwaram d Ardanarishwaram e

Die Botschaft erreichte mich aus den Niederlanden:

Hi Jan,

Here’s – as promised – my mail. Via messenger I sent you a short message yesterday about a brilliant violinist I’d like to recommend, but perhaps you already know her: Charumathi Raghuraman (born in 1987). Here’s a short bio of her from 2008 (republished on the web in 2012):

http://srutimag.blogspot.nl/2012/09/generation-next_10.html

She’s a foremost disciple of legendary violin player T.N. Krishnan.

If I’m not mistaken, Jan, you play the violin yourself and with your great knowledge of raga music I wanted to share some information. I think Charumathis’s playing represents the best of what carnatic violin playing has to offer – indeed, she’s one of my great favourites. At the end of my latest edition of my Concertzender-programme ‚Wereldmineralen‘, this one

Pieter de Rooij HIER

(via the link you can listen to the programme). I included this very beautiful performance https://www.youtube.com/watch?v=DPBbO7qd1C4

I’d love to hear your opinion on her playing, in particular this performance. The video shows Charumathi Raghuraman on violin, her husband Anantha R. Krishnan on Mridangam and Anuradha Genrich on tanpura.

It’s a well recorded live performance at the Sargfabrik in Vienna, earlier this year. The wonderful composition „Ardhanarishwaram“ is from Muthuswami Dikshithar, it’s played in raga kumudakriya; the tala is rUpakam.
More of her playing in good quality can be found on her YouTubechannel. She accompanies many great carnatic artists, such as for instance Ranjani and Gayatri.
I’ve been an admirer of Charumathi’s playing since approximately 2010/2011, and I’m curious about your thoughts of her.

All the Best / Hartelijke Groeten,

Pieter de Rooij

***

Wie froh ich war über diesen Hinweis und die Anregung, mich endlich wieder intensiver der indischen Musik zuzuwenden, der südindischen wohlgemerkt, mit der im Kuckertz-Seminar 1967 alles anfing, als wir eine Krti im Raga Mayamalavagaula zu transkribieren hatten. Dazu gehörten endlose Wiederholungen kleiner Abschnitte, so oft, bis man jede Nuance einigermaßen klar erfasst hatte. Im Glücksfall konnte es folgendermaßen aussehen, aber so sah es nur bei Kuckertz selbst aus; die Niederschrift war am Ende zugleich der erste Schritt zur Analyse. Zeile für Zeile beobachtete man das sich allmähliche Aufwölben der Varianten und empfand am Ende beim Wiederhören all dieser Figuren auf dem Saiteninstrument Vina unweigerlich Vergnügen.

Mayamalavagaula Kuckertz Transkription

Quelle Josef Kuckertz: Form und Melodiebildung der karnatischen Musik Südindiens / Otto Harassowitz Wiesbaden 1970

Was tue ich also als erstes, wenn ich diese Musik höre? Es ist leicht, dem visuellen Zauber des Films zu entgehen, da die Interpreten ziemlich ins Dunkel getaucht sind, so dass man sich vollkommen auf die abstrakten Tonfolgen konzentrieren kann. Zunächst auf die Töne des Ragas KUMUDAKRIYA, um den es – wie ich lese – hier gehen wird. Also:  HIER. Zuerst den Grundton sicher erfassen, nicht irritieren lassen, dass die Geige auf der großen Terz beginnt; wenn wir den Grundton mit C gleichsetzen, handelt es sich also um den Ton E, angeschliffen vom Ton Des aus; über dem E wird ein Fis berührt, dann folgt der Abstieg über E – Des – C. Damit sind wir bei 0:17. Vom mehrfach wiederholten Ton C aus geht es abwärts, – aber auf welche Töne? Ich nenne sie As – Fis – E, – ob ich das As später als Gis hören will, lass ich einstweilen offen. Es geht über dieselben Töne wieder aufwärts zum C, wir sind bei 0:33.

Charumathi nach 0 33

Neuansatz auf tiefem E, aufwärts zum C, über As auf Des springend, vom C kurz zurückgleitend auf As. 0:47.

Charumathi bis 0 47

Von As über C und Des zum E (gehalten), Fis – Gis – Fis – E  – Fis – Gis – Fis – E – Des – C . 0:58.

Charumathi bis 0 58.

Von As über C und E nach Fis – Gis – Fis – etc. – E – Des … bis C (und absinkend zum As). 1:21.

Charumathi bis 1 21

Von As schnell zu C – und zurück – As- Des – C – As Sprung rauf zum Fis etc.      C. 1:42

Charumathi bis 1 42

Alapana geht in dieser Form bis 6:21; dann beginnt Kriti (+ Mrdangam-Trommel).

Pallavi 6:24 bis 7:50 / Anupallavi (?) bis 9:20 /  Carana (?) bis 10:24 / Ende 12:04

(Fortsetzung folgt)

Einige Zwischeninformationen: wer ist der Komponist dieses Werkes (das bei 6:24 beginnt)? Muthuswami Dikshitar – siehe dazu Wikipedia HIER

Wie wird seine Komposition, die mit den Stichworten  ardhanarishwaram (Textbeginn)  dikshitar (Komponist + Dichter) kumudakriya (Raga) zu finden ist, im Original gesungen? Siehe unten die Aufteilung (und die Wiederholungen) des Textes, der unter dem Video angegeben ist.

Pallavi

0:05 ardha nārīśvaraṃ / ārādhayāmi satataṃ //  0:15 / 0:25 / 0:35 /

0:45 atri bhṛgu vasiṣṭhādi muni bṛnda vanditaṃ śrī

0:50 ardha nārīśvaraṃ / ārādhayāmi satataṃ

1:00 atri bhṛgu vasiṣṭhādi muni bṛnda vanditaṃ śrī

1:05 ardha nārīśvara u———– 1:13 — 1:23

Anupallavi

1:24 ardha yāma alaṃkāra / viśēṣa prabhāvaṃ // 1:34 / 1:44 / 1:54 /

2:04 ardha nārīśvarī priya-karaṃ abhaya karaṃ śivam

2:09 ardha nārīśvaraṃ —-

2:16 ardha nārīśvarī priya-karaṃ abhaya karaṃ śivam

2:21 ardha nārīśvaraṃ / ārādhayāmi satataṃ

2:31 atri bhṛgu vasiṣṭhādi muni bṛnda vanditaṃ śrī

2:36 ardha nārīśvaraṃ —-                    2:55

Charanam

2:56 nāgēndra maṇi bhūṣitaṃ nandi turagārōhitaṃ // 3:06 /

3:16 śrī guru guha pūjitaṃ kumuda kriyā rāga nutam // 3:26 /

3:36 āgamādi sannutaṃ ananta vēda ghōṣitaṃ // 3:41 /

3:45 amarēśādi sēvitaṃ ārakta varṇa śōbhitam

3:51 ardha nārīśvaraṃ —–

3:58 āgamādi sannutaṃ ananta vēda ghōṣitaṃ

4:03 amarēśādi sēvitaṃ ārakta varṇa śōbhitam

4:08 ardha nārīśvaraṃ / ārādhayāmi satataṃ

4:18 atri bhṛgu vasiṣṭhādi muni bṛnda vanditaṃ śrī

4:23 ardha nārīśvaraṃ —–

4:31 ya———————- 4:44 (Mrdangam) Tanpura //

Nicht so wichtig, wie man vielleicht denkt, ist es, diese Verse zu verstehen (eine Übersetzung soll andeutungsweise folgen), sondern sie als „Melodieträger“ zu verfolgen und die Gliederung zu verstehen; veränderte Silbenfolgen einem veränderten Linienverlauf zuzuordnen. Die vielmalige Wiederholung wird das Melodieverständnis wachsen lassen. Was den Text angeht: die Interpretation all dieser Gesänge auf Vina oder Violine wird ja allgemein akzeptiert. Und man muss nicht davon ausgehen, dass das Publikum dabei den Text im Stillen mitdenkt. Es ist reine Musik…

Wer Noten lesen kann, sollte unbedingt die Töne der Skala im Auf- und Abstieg zu singen versuchen, was nicht ganz leicht ist. Als Grundton (Sa) nimmt man in westlicher Notation immer den Ton C. Wobei die absolute Grundtonhöhe der indischen Interpretation unterschiedlich sein kann: Zum Beispiel steht die Version mit der Geigerin Charumathi Raghuraman auf dem Grundton F, die Version der zuletzt gehörten Sängerin auf G, aber nur wenn wir sie beide auf dem Grundton C notieren, sind die verschiedenen Versionen leicht miteinander vergleichbar.

Kumadakriya Skala

Dies ist die Skala, die üblicherweise für den Raga Kumudakriya angegeben wird, – meist mit indischen Tonnamen oder anhand einer abgebildeten Klaviertastatur, die mit den entsprechenden Buchstaben versehen ist. Man sieht, dass der Abstieg sich in einem Ton vom Aufstieg unterscheidet, was sehr häufig bei Ragas der Fall ist (sonst auch mit Tonvarianten).

Das Diksitar-„Thema“, das gesungen wird, klingt als sei es die Demonstration der Skala mit Vertauschung von Auf- und Abstieg. Trotz der wenigen Töne, braucht man einige Zeit, um sich der Identifizierung zu vergewissern. Ich habe zudem Fis und As etwas willkürlich ausgewechselt (es handelt sich einfach um denselben Ton). Mit dem Blick auf dieses „Thema“, ob korrekt notiert oder nicht, kann man leicht feststellen, wie im weiteren Verlauf statt wörtlicher Wiederholungen melodische Verwandlungen erfolgen. (Nicht zu vergessen: ich schreibe hier keine wissenschaftliche Arbeit, für die ich enorm viel mehr Aufwand treiben müsste, sondern ??? – ICH ÜBE NUR, wenn auch mit ein wenig Vorwissen und einer gewissen Erfahrung. Nur deshalb erlaube ich mir, auch anderen Leuten meine Übungen vorzuschlagen…)

Kumadakriya Skala & Thema

Übrigens können Sie jetzt auch leicht von 1 bis 12 mitzählen und haben dann unterschwellig eine Vorstellung von der – durch die Mrdangam-Trommel markierten -TALA-Periode, in diesem Fall RUPAKA. Und wenn Sie das Gefühl haben, etwas gelernt zu haben, so versuchen Sie doch (zurück zum Anfang!) den gleichen musikalischen Vorgang bei der Geigerin Charumathi Raghuraman mitzuvollziehen. Ich beende hiermit diesen Artikel, bin aber in Wahrheit noch lange nicht fertig!

DANK AN PIETER DE ROOIJ !