Ein Corona-Spaziergang
Ich nenne ihn so, weil es neu ist, dass man im Frühling zu zweit spazieren gehen darf. In früheren Jahren tat man es einfach so und freute sich auch. Aber jetzt erscheint einem die Welt neu, wiedergeschenkt, auf Zeit. Als sei man lange krank gewesen. In Wirklichkeit hat man nur so viel über die sich ausbreitende Seuche gehört. Seuche? Und dann steht da ein Schild im Wald. Schweinepest! Damit haben wir Gottseidank nichts zu tun. Nur die Schweine. Hier ist allenthalben Frühling. Für Schwein und Mensch.
Fotos Huawei JR 27. März 2020 mittags Schwanenmühle Krüdersheide
Große Freude am Nachmittag: die Singdrossel ist wieder zurück aus dem Süden; ihr unablässiges Rufen klingt durch das Tal, wechselnde Standorte. Schöne Signale, aber es nervt auch ein bisschen: es ist so, als wenn jemand im Supermarkt ständig „Hallo!“ ruft, nebst Varianten wie „Du da!“, „Schau her!“, „Ich seh‘ dich!“ und „Bitte warten!“.
Fritz Habekuss schrieb gestern in seinem liebevollen ZEIT-Artikel:
Ein paar Meter weiter sitzt eine Singdrossel, deren Gesang mein Bestimmungsbuch mit „selbstsicher“ und „rechthaberisch“ beschreibt. Mir kommt es an diesem Morgen wegen der Pausen zwischen den Strophen etwas wehmütig vor. Dann bemerke ich, dass da ein anderes Männchen antwortet. Je mehr ich zuhöre, desto mehr erscheint mir die Stadt von einem dichten Geflecht von Gesängen und Rufen überzogen, das über den Lauten der Menschen liegt. Für uns gemacht ist der Gesang nicht. 300 Millionen Jahre Evolution liegen zwischen uns und den Vögeln. Aber wir können entscheiden, diesen Gesprächen zuzuhören, die da Tag für Tag vor unseren Fenstern und Balkonen, in unseren Gärten und Parks geführt werden, sie können zu einer Brücke zwischen uns und diesen anderen Wesen werden.
Hier ein schönes Beispiel (nur falls Sie nicht genau wissen, was das ist, eine Singdrossel, es ist ja eher eine „Rufdrossel“, – die großartigere Sängerin ist natürlich die Schwarzdrossel, genau genommen: das männliche Tier, das Weibchen auf dem Nest, so sagt man, hört scharf zu, es hat keinen leichten Part im Spiel der Evolution).
Erst neuerdings höre ich im Garten auch wieder die Mönchsgrasmücke, die ich allerdings nicht mit Sicherheit von einer Gartengrasmücke unterscheiden kann, – außer ich sehe zugleich das schwarze Käppchen.
Hier ist es natürlich leicht:
Noch einmal Fritz Habekuss (DIE ZEIT 26. März 2020 Seite 37), – er zitiert eine wunderbare Kurzformel für den Gesang des Rotkehlchens, den ich liebe, aber leider auch gern mit einem quietschenden Gartentor vergleiche. In Zukunft nie mehr, das schwöre ich:
Wie beim Rotkehlchen, das schon im Winter sein Brutrevier markiert, damit es ihm niemand streitig macht. Seinen Gesang hat eine befreundete Ornithologin einmal als „feinen Vorhang aus herabfallenden Wasserperlen“ beschrieben – seitdem sie mir das erzählte, verwechsele ich den Gesang des Rotkehlchens nicht mehr mit dem Schluchzen und Schmettern der Nachtigall, die ab Mitte April zurückkehrt.
Nun, beim Vergleich des Rotkehlchens mit der Nachtigall kann ich ihm leider absolut nicht folgen, allein die Schwarzdrossel könnte dieser in unsern Breiten das Wasser reichen, oder – wie ich neuerdings finde – der Gelbspötter, der allerdings zu aufgeregt klingt, um die schmetternden Meditationen der Nachtigall auch nur im entferntesten zu erreichen. Schön, wie sich der Wissenschaftler Habekuss über das Werkzeug der Vögel äußert:
Das Spektakel des Vogelgesangs erzeugt ein hochkomplexer, filigraner Stimmapparat, die Syrinx. Sie ist nicth größer als eine Linse und zusammengesetzt aus einem Dutzend Knochenringen sowie einem Dutzend Muskeln. Die Stimmlippen können sich bis zu 200-mal pro Sekunde zusammenziehen. Der Gesang ist stimmliche Präzisionsarbeit im Millisekundenbereich. Beim Ausströmen der Luft werden die Stimmlippen in Schwingungen versetzt, und „der Luft wird Gesang verliehen“, wie der Biologe und Schriftsteller David Haskell schreibt.
Der Autor Fritz Habekuss, ein wissenschaftlich denkender Mensch, der mir durch ein nicht unbedingt musikalisch* durchdrungenes, aber ehrlich empfundenes Produkt besonders sympathisch geworden ist. Am Schluss gibt er noch eine Hilfe in Gestalt des ZEIT-Links HIER, mit Quellenangaben zur erwähnten Literatur (auch einiger anderer Artikel). Nützlich ist auch der Hinweis auf die Smartphone-Apps des Berliner Naturkundemuseums hier und des Merlin Bird ID des Cornell Lab of Ornithology hier .
* warum? ein Musiker hätte z.B. niemals die Amsel (die mit dem gelben Wunderschnabel) als einen schwarzen Allerweltsvogel bezeichnet. Man lese Robert Musils Erzählung „Die Amsel“: da gibt es die Metaphern, die einem Ohrenmenschen weiterhelfen.