Das Private und die Welt
Es ist keine Überheblichkeit, sich selbst in Beziehung zum Ganzen zu setzen, so wie es kein Zeichen von Bescheidenheit ist, wenn man sich selbst als Nichtigkeit behandelt. Man bewegt sich auf gebahnten Wegen, auch wenn man den nächtlichen Sternenhimmel betrachtet und sich als Sandkorn fühlt, man beruft sich auf Immanuel Kant, die Erbauer der Pyramiden oder Millionen Menschen vorher oder gleichzeitig. Wenn einem zwei von ihnen zum erstenmal gegenüber sitzen, wird man doch sehr bald von Großeltern und Verwandten reden, von der Gruppe, aus der man kommt, von den Generationen vorher, von der Geschichte der Sprache und der Ernährung, von der Bedeutung der Musik hier und dort. Zumal im Fall Indien, wo die klassische Musik, d.h. diejenige von bleibender Bedeutung, sich vor Jahrhunderten in zwei große Stile gespalten, den der karnatischen Südindiens und den der Hindustani-Musik. Im Fall der Geigerin Kala Ramnath innerhalb ein und derselben Familie, das Instrument selbst führt in die Tiefe der Geschichte. Im Fall des Tabla-Spielers Abhijit Banerjee schnell zurück zu jenem Punkt, als die Begegnung mit dem berühmten Namensvetter ihn in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung führte. Weltöffentlichkeit. Das Dokument der Zusammenarbeit mit Nikhil Banerjee bedeutet ihm persönlich viel.
Die Jahreszahl trügt, entstanden ist die Londoner Aufnahme in den frühen 80er Jahren, Nikhil Banerjee starb am 27. Januar 1986, noch nicht 55jährig; Abhijit war ein junger Mann am Anfang seiner Karriere.
Das folgende Buch erreichte mich am Tag der Abreise nach Bielefeld, wo am 11. März das Konzert der indischen Künstler stattfand. Das ist der einzige Zusammenhang… Typisch. „Im Anfang war das Wort – aber sicher nicht die Schrift.“ Ob es in dieser Schrift ein Wort über die Musik gibt?
Nachtrag 18.03.2015
Schließlich machen wir Bekanntschaft mit den frühen Zeugnissen der Kunst. Wir staunen über frühe Musikinstrumente, doch stehen wir manchmal ganz und gar ungläubig vor Felsbildern, deren künstlerische Qualität und Ausdruckskraft noch heute dem Betrachter den Atem rauben. Waren es heilige Orte, an denen sich von Zeit zu Zeit Menschen versammelten und ihre Gedanken und Vorstellungswelten an den Höhlenwänden verewigten? Was bedeuten die Hände, die als Zeugnisse früher Individualität, was die Mischwesen, die vielleicht als schamanistische Bildelemente erscheinen? In diesen Fällen müssen wir bei der Interpretation besondere Vorsicht walten lassen, um nicht unsere eigenen Erwartungen und Vorstellungen in eine unendlich ferne Vergangenheit zurückzuspiegeln. Darin liegt generell wohl die größte Gefahr im Umgang mit prähistorischen Gesellschaften, die uns nicht bewusst mit Zeugnissen über sich selbst versorgt haben. Ein entscheidendes merkmal, die uns in diesem Buch begegnen, ist ihre Fremdheit und die Fremdheit der Lebensbedingungen, unter denen sie entstanden und wieder vergangen sind.
Quelle Hermann Parzinger: Die Kinder des Prometheus Verlag C.H.Beck München 2014 (Seite 15)
Foto: Christof Berger January 2000 (Wikimedia siehe hier)