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Eros (Thanatos) Gewalt

Eine phänomenale CD : genug Stoff zum Hören, Fühlen und Weiterdenken

Cover & Einführungstext aus dem Booklet

HIER vorweg der Link zum Gespräch „Eros und Gewalt – Gehirn, Gefühl, Gesang“ mit Hannah Monyer, Walter Nußbaum und J. Marc Reichow mit ausführlichem Themenindex.

Das Gespräch ergänzt und erweitert den kurzen Essay der Heidelberger Neurophysiologin Prof. Dr. Hannah Monyer im zweisprachigen Booklet der am 8. September 2023 beim Label Genuin (https://genuin.de) veröffentlichten neuen CD der SCHOLA HEIDELBERG unter Leitung von Walter Nußbaum.

Es berührt interdisziplinär folgende Themenkomplexe: 01:50 Madrigal: Musik und Sprache – Warum Rezitation? 04:30 „Psycho-Musik?“ und Einführungstext 05:00 Vorstellung Prof. Dr. Hannah Monyer 06:05 Psychologie der Aufmerksamkeit, Abwechslung und Dichte 07:42 Bernini und das Gewaltcover 10:09 Extreme Ausdrucksmittel 10:33 Warum Begriffe wie „Neuroökonomie“ ? 12:35 Eros UND Gewalt 14:00 Versuch der Objektivierung: Vertonung und Schlüsselbegriffe 16:00 Kontrollverlust, doch rationales Komponieren? 18:00 Gewalt in Biographien und Werk 19:10 Gesualdos „Beltà“ als Beispiel 21:00 Moment und Gegenwart 21:43 Zeitstil, Rhetorik und Besonderheiten 23:00 Gesualdos Dichte … 24:00 … und Verfeinerung 24:25 Gewalt als Gefangenschaft der Liebe 26:00 Manierismus 26:50 Rollenbilder und literarische Tradition 28:45 Gesualdo „nicht polyphon“? 29:40 Für welches Publikum? 30:15 Gesualdo, als szenische Musik gehört 30:34 … am Beispiel „Tu m’uccidi“ (1) 31:10 Phantastik und Diagnose von „Ideenflucht“ 33:25 Grenzsituationen und Eifer-Sucht 34:00 Gewalt und motorischer Handlungszwang 35:00 Gewalt bei Bernini (2) 35:23 „Tu m’uccidi“ im Detail (2) 39:00 Erotischer Subtext, Tod und Orgasmus 41:15 Verlust, Kontrolle, Melancholie und Humoralpathologie 44:18 Physiologie der Liebesempfindung 51:00 Kunst als Sublimation 53:00 Claude Viviers Text über „Chants“ 54:44 Schlüsselstelle aus „Chants“ 57:00 Trauma und spirituelle Musik 58:20 Liebe, Mutterliebe, Marienverehrung bei Vivier und Gesualdo 59:30 Bedeutung von Glenn Watkins für die Gesualdo-Forschung 1:00:20 Stravinsky, Gesualdo und die Folgen 1:00:40 KlangForum Heidelberg: Netzwerk Madrigal 1:01:10 Zitat (und Bedeutung) von Glenn Watkins 1:01:30 [Farbfehler] 1:01:42 Physiologische Nachbarschaft von Hirnarealen (Frage zum Text) 1:04:00 Akzeptanz und Umschreiben des Vergangenen im Gehirn 1:06:00 Trauma und Traum 1:07:30 Was ist mit Michelangelo Rossi? 1:09:50 Beispiel „O miseria d’amante“ (mit Fotos aus den CD-Aufnahmen) 1:13:47 Intonation, reine Intonation und verwandte Probleme 1:17:30 „… Reinheit nur, … wenn man ohne Vibrato singt“ 1:18:00 Vicentino und das Archicembalo 1:20:00 „So erklärt die Neurowissenschaft …“ ? 1:23:00 Weiteres Leben, Rückzug, Schuldkomplex von Gesualdo 1:24:00 Schlusswort und Hoffnung auf die Kunst

Anregung JMR:

Volker Beck: Weltrisikogesellschaft (dt. 2008) aber siehe hier

Die zwei Gesichter des Risikos – Chance und Gefahr – werden während der Industrialisierung, beginnend mit der internationalen Handelsschiffahrt, zum Thema. Das Risiko stellt die Wahrnehmungs- und Denkschablone der mobilisierenden Dynamik einer Gesellschaft dar, die mit der Offenheit, den Unsicherheiten und Blockaden einer selbsterzeugten Zukunft konfrontiert und mehr durch Religion, Tradition oder die Übermacht der Natur festgelegt ist, aber auchden Glauben an die Heilswirkungen der Utopien verloren hat.

Während sich zwischen Gott und dem Risiko eine Kluft auftut, ist der europäische Roman eine Verbindung mit dem Risiko eingegangen. Als das Risiko auf den Plan trat, mußte Gott seine Position als Weltenlenker räumen, mit allen umstürzlerischen Konsequenzen. Die »Kunst des Romans« (Milan Kundera 1986) hat gemäß ihrer eigenen Logik die vielen Gesichter des Risikos entdeckt und seine existentielle Dimension erkundet und ausgemalt: In der Gestalt des Don Quichotte ist das Leben auf Erden, dessen Zukunft nicht der Macht der Götter oder Gottes Weisheit gehorcht, zu einem unabschließbaren Abenteuer geworden. Denn in der Abwesenheit Gottes entfaltet das Risiko seine verheißungsvolle  und schreckensvolle, schier unbegreifliche Ambiguität. Die Welt ist nicht, wie sie ist, sondern ihr Sein und ihre Zukunft setzen Entscheidungen voraus, Entscheidungen, die Nutzen und Schattenseiten gegeneinander abwägen, die Fortschritt und Verfall miteinander verbinden und, wie alles Menschliche, Irrtum, Nichtwissen, Hybris, Kontrollversprechen und am Ende gar den Keim der möglichen Selbstzerstörung in sich tragen.

Vor- und Nacharbeiten, Zettelsammlung JR

Verbindung zu „Dessiner les Passions“ bzw. Le Brun HIER

zu schön um wahr zu sein?

Hemmung in der Bildenden Kunst, die Leidenschaft hässlich darzustellen, mit verzerrtem Gesicht. Siehe Lessing: „Laokoon“. Dagegen Leonardos Fratzen (für Nahkampf-Darstellungen? aber auch das Gesicht bei seiner Zeichnung eines physiologischen Coitus-Querschnitts, hier). S.a. hier (Sütterlin: Fratzen, Monster / 2005) und hier (Haag: Porträtkarikatur im Barock / 2013)

https://www.ypsilon-psychoanalyse.de/01-2016-kreative-zerstoerung/das-todestriebkonzept hier

Weiter werde ich darauf zu sprechen kommen, […]wieso gerade bei den kulturschaffensten Menschen (KünstlerInnen, SchriftstellerInnen beispielsweise) oft ein hohes Maß an Leiden mitschwingt. Denn schließlich ist das Werk des Todestriebs nicht der Kurzschluss mit dem Tod, der Selbstmord etwa, sondern Produktivität schlechthin.

Freuds Streben nach Verwissenschaftlichung, sein Versuch, sich in den naturwissen­schaftlichen Diskurs einzureihen, erscheint nie so vergeblich wie hier und es ist auch oft kritisiert worden, worauf ich jetzt nicht weiter eingehen will [Birgit Meyer zum Wischen]. Die Biologie versagt die Unterstützung bei der Begründung der Konstruktion des Seelischen, was Freud aber nicht von seiner „Hypothese“ abbringen kann. Statt ein Scheitern zu konstatieren, kann man an dieser Stelle einen Wechsel auf die Ebene des Repräsentationsvermögens vollziehen.

Der Schritt vom Ursadismus zum ursprünglichen Sadismus kann nicht nur auf eine Angelegenheit des speziellen Organsystems der Muskulatur20 eingeschränkt werden. Er ist auf der Ebene einer Ab­fuhr durch Organsysteme nicht beschreibbar, da er nicht weniger „bewirkt“ als dass „überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts“. Der ursprüngliche Sadismus ist zu iden­tifizieren mit dem Repräsentationsvermögen, das die ontologische Konstitution von Welt erst ermöglicht.21 Im Unterschied zur Metaphysik „fundiert“ die Todestriebtheorie die­ses also im Gewaltakt der Umwendung des Ursadismus. Alles, was wir tun, ist Ableistung dieses ursprünglichen Sadismus (der prinzipiell jederzeit zum Sadismus als Perversion zusammenbrechen kann). Die gesamte menschliche Existenz, die sich im Vollzug des Repräsentationsvermögens manifestiert, tritt genau hier hervor: Wahrnehmen, Den­ken, Fühlen, Handeln, usw.

Die Freud’schen Todes- und Lebenstriebe können nun nicht länger als biologische In­stinkte angesehen werden. Denn der Mensch besitzt keine rein biologischen Instinkte und Bedürfnisse. Er befindet sich stattdessen immer schon in der Ordnung der Repräsentation oder der Ordnung des Begehrens. Wenn dann versucht wird, die Konstitution des Repräsenta­tionsvermögens selbst als biologische Genese zu beschreiben, kommt es zu derart para­doxen Gebilden wie den Freudschen „Ursprungs-Erzählungen“.

Mit dem Sadismusvokabular will Freud wohl darauf hinweisen, dass alles, was wir kulturell leisten, eine Angelegenheit von Gewalt ist, was wiederum auf die Hypothek unserer Sterblichkeit zurückfällt. In diesem Sinne ist jeder Wunsch nach Gewaltfreiheit illusorisch, insofern es aller Kulturarbeit zuwi­derläuft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Sadismus hier

https://en.wikipedia.org/wiki/Claude_Vivier hier (die Umstände seines Todes!)

https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Gesualdo hier

  Detail: hier

https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/4037 hier

https://www.perlentaucher.de/buch/glenn-watkins/carlo-gesualdo-da-venosa.html#reviews hier

https://klangforum-heidelberg.de/eros-und-gewalt hier

https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Mitglieder/CV_Monyer_Hannah_D.pdf hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Temperamentenlehre hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Blutkreislauf_des_Menschen_und_der_S%C3%A4ugetiere hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Lokalisation_(Neurologie) hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Mesolimbisches_System hier

https://www.dasgehirn.info/denken/motivation/sucht-motivation-zu-schlechten-zielen hier

Bernini: https://de.wikipedia.org/wiki/Gian_Lorenzo_Bernini hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Verz%C3%BCckung_der_heiligen_Theresa hier

Borromini: https://de.wikipedia.org/wiki/Francesco_Borromini hier

Rivalität zwischen Bernini und Borromini hier

Zu untersuchen (Ideen zur Psychologie):

Notwendiger Zusammenhang 1 Liebe (Begehren) und 2 Verschmähte Liebe, die umschlägt in Gewalt (Hass)

1 zielt auf Ich-Erweiterung, Alleinbesitz 2 auf Isolation, Verminderung, Entbehrung, fühlbare Leerstelle

1 Euphorie (Überschuss) 2 Verlustängste (Herabminderung)

Unerwiderte Liebe?

Man leidet ohnehin vermehrt unter der Abhängigkeit, – wenn sie jedoch auf feindselige Ablehnung trifft, schlägt sie um in Gewaltbereitschaft (Rache).

Es hat mit Machtlosigkeit, Entmächtigung zu tun. Eros als „Wille zur Macht“? Mit Sondermitteln. Wer am meisten liebt, ist am meisten ausgeliefert, zu demütigenden Konzessionen bereit. In der erfahrenen Hilflosigkeit aber auch zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen disponiert. Man macht kaputt, was einen kaputt macht.

Die Gewaltanwendung (bis hin zur planmäßigen, nicht nur jähzornigen Tötung), etwa im Krieg, auch präventiv, hat mit dem Bewusstsein des immer im Hintergrund drohenden eigenen Todes zu tun: mein Überleben ist ein sichtbares Zeichen, dass ich vom Gesetz des allgemeinen Sterbenmüssens ausgenommen bin. Canetti hat das beschrieben. (Masse und Macht: der Überlebende).

Ich hörte einmal das zynische Touristen-Wort: Es genügt nicht, reich zu sein. Die anderen müssen auch arm sein.

Umgekehrt geht die Logik der Liebe: wer leichtfertiger liebt, muss nicht die Gedankenlosigkeit des Partners fürchten. Wer sich immer wieder der Liebe des anderen versichern muss, – um zu glauben, dass jene/r wirklich liebt/treu ist/jeder Anfechtung widersteht -, sorgt für Fahrlässigkeit auf der anderen Seite. Die verbalen Liebesbeteuerungen (als lästige Pflicht) kosten wenig. Rilke: „Seht euch die Liebenden an: wenn erst das Bekennen begann, wie bald sie lügen.“

Wer einen anderen Menschen leiden lässt, – durch scherzhafte Andeutungen, durch gespielte Missverständnisse -, entgeht der Gefahr, selber leiden zu müssen.

Wer aus dem eigenen Leiden Gedichte (Romane oder Harmoniefolgen) machen kann, erlebt als Ausgleich kreativen Lustgewinn. Gedachte (benannte) Leiden verbinden sich leichter mit ihrer Verklärung. Das wirkliche Leiden blockiert oder lähmt.

Was ist Liebe? bei Erich Fromm https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Kunst_des_Liebens hier

Vgl. Jose Ortega Y Gasset „Signale unserer Zeit“ (1963)

Erinnerung an die Lektüren 1962, 2007, 2007, 2015

Inhaltsverzeichnis (S.115 zu Proust S.138 zum Tango S.225 zu Amok)

Neue Musik liest Zeichen der Zeit

Eine Übernahme von Materialien des KlangForum Heidelberg

(…was die Musik fragt, wenn sie quasi-literarisch zwei Zitate dazu bringt, sich zu durchdringen und neu, nämlich kritisch zu erklären…)

***

Stefan Litwin (*1960)
„Among Friends“
für 6 Solo-Stimmen und präpariertes Klavier
(2014)

J. Marc Reichow (Klavier)
SCHOLA HEIDELBERG

Peyee Chen (Sopran)
Clémence Boullu (Mezzo)
Juliane Dennert (Alt)
Sebastian Hübner (Tenor)
Luciano Lodi (Bariton)
Martin Backhaus (Bass)

Walter Nußbaum (Leitung)

Auftragswerk des KlangForum Heidelberg e.V.
zum Literatursommer BW 2014, UA Heidelberg 14.09.2014
Ersteinspielung ZKM Karlsruhe, August 2020
Tonmeister: Benjamin Miller

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„Among Friends“, gesungene Texte

Oh beautiful for spacious skies
America
Oh beautiful for patriot dream
America
God shed his grace on thee
America
God mend thine every flaw
Confirm thy soul in self-control
Thy liberty in law

(aus America, the Beautiful von Katharine Lee Bates)

Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
und lispeln englisch, wenn sie lügen.
(aus Faust von Johann Wolfgang von Goethe)

***

Stefan Litwin, Analecta Varia (statt eines Einführungstexts, 2014)

„Wer die Wahrheit ausspricht, begeht kein Verbrechen.“
– Edward Snowden*

“In God we trust, everybody else we monitor.”
– Geheimdienstspruch nach der Abhöraffäre

„Der Datenverkehr liefert uns die internen Video-Telefonkonferenzen der UNO (yay!)“
– Aus einem NSA-Bericht über Spionage gegen die Vereinten Nationen

„Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben der Bundesregierung schriftlich versichert, dass sie Recht und Gesetz in Deutschland einhalten.“
– Ronald Pofalla, Kanzleramtschef (2009-2013)

„Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt.“
– Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister (2011-2013)

„Es ist wichtig, dass wir im Rückblick nicht allzu selbstgerecht sind mit Blick auf den harten Job, den diese Leute hatten. Viele dieser Leute (…) sind wahre Patrioten.“
– Barack Obama zum CIA-Abhörskandal 2014

“We can be a little more informal among friends!”
– Barack Obama neben Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor

„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“
– Angela Merkel

SelectorType PUBLIC DIRECTORY NUM
SynapseSelectorTypeID SYN_oo44
SElectorValue 49173948XXXX
Realm 3
RealmName rawPhoneNumber Subscriber GE CHANCELLOR MERKEL Ropi S2C32
NSRL 2002-388*
Status A
Topi F666E
Zip I66E
Country Name
CountryCode GE

– Digitaler Eintrag zu Angela Merkels Mobiltelefon / Spionageauftrag der NSA

„Die größte Angst, die ich habe, wenn ich an das Ergebnis dieser Enthüllungen für Amerika denke, ist, dass sich nichts ändern wird.“
– Edward Snowden

* Addenda (im Juli 2020)

»Among Friends« wurde 2014 aus Anlass des NSA-Skandals geschrieben.

Heute, 6 Jahre später, lebt Edward Snowden immer noch versteckt in Moskau, und Russland mischt sich in die US-Politik ein.

S.L. im Juli 2020

***

J.Marc Reichow
Sind Worte Taten?

Während der Projektvorbereitung wurde die – auch durch ihre anfängliche Bagatellisierung – empörenden Schändung grundgesetzlich garantierter Rechte durch NSA, GCHQ &. Co. publik, ein millionenfacher systematischer Eingriff auch in die schriftliche Privatsphäre also, der auf fast ironische Weise den Bogen zurück zu ‚Worten als Taten“ schlägt [vgl. „Worte sind Taten“, Motto des Literatursommers BW 2014]: als offenbar staatlich geduldete vorgebliche Motivfindung, Beweissicherung und präventive Aufdeckung mutmaßlicher Verbrechen unter Verletzung von Post- und Fernmeldegeheimnis – de facto strafbar nach §206 StGB.
Die Anführungsstriche um Stefan Litwins Werktitel » Among Friends « sind nicht nur Satzzeichen, sondern bezeichnen auch die überfällige Frage nach dem Wert der politischen Floskel von Freundschaft – zwischen Völkern? zwischen Geheimdiensten? zwischen Mächtigen? (Explizit fragt das nur die Musik, die quasi-literarisch zwei Zitate dazu bringt, sich zu durchdringen und neu, nämlich kritisch zu erklären.)

(aus dem Programmheft zum Literatursommerkonzert 2014)

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(jmr 05.03.2021)

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Das folgende Video im externen Fenster hier für den Fall, dass Sie während des Abspielens Texte im Zusammenhang nachlesen wollen.

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Und noch etwas – ein Werk für Violine solissimo von René Leibowitz

René Leibowitz (1913-1972):
Fantaisie pour violon seul op.56 (1961)
– Ersteinspielung nach dem Autograph –

Ekkehard Windrich (Violine)

Aufnahme im ZKM Karlsruhe, August 2020
Tonmeister: Benjamin Miller

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Visuelle Gestaltung: J. Marc Reichow

Das im Video verwendete Gemälde „Le Parloir de la Prison“ von André Masson (1961) aus dem Besitz von René Leibowitz nach der Reproduktion im Katalog (Livres-Correspondances-Estampes-Peintures des bibliothèques René Leibowitz et Henri Michaux) des Auktionshauses Eric Couturier (Paris 1999).

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Die Ersteinspielung der Fantaisie pour violon seul op.56 nach der autographen Reinschrift knüpft an die langjährige Auseinandersetzung des KlangForum Heidelberg unter Leitung von Walter Nußbaum mit dem kompositorischen Oeuvre von René Leibowitz an, deren Höhepunkt die Produktion der CD „Leibowitz – Compositeur“ zum 100. Geburtstag des Komponisten 2013 (divox) war.

Ekkehard Windrich führte die Fantaisie op.56 erstmals (in Deutschland?) beim Veranstaltungswochenende „Nah, jetzt fern – Stimmen, Musik und Gesellschaft zur Zeit von Corona“ am 2. August 2020 in Heidelberg auf.

Von Corona und Chorälen

Einzigartige Himmelserscheinungen

Die Gelegenheit ist günstig wie selten:

 Ganzer BR-Artikel hier 

Vgl. Screenshot Wikipedia „Stern von Bethlehem“

Was mir eine neue CD bedeutet

   Enno Rudolph siehe hier

 .    .    .    .    .    . Hineinhören hier Zu diesem Werk s.a. hier

Zum Coverfoto der CD (Hieronymus Bosch)

 Wikipedia, mehr dazu hier

Mit den Planeten, die am Anfang dieses Artikels stehen, habe ich begonnen wie meine eigene Oma, wenn sie uns Kindern „den Glauben“ predigte und zum Einstieg gern auf die Blümchen am Wegesrand verwies, die alles bezeugen könnten, was sie sagte. Sie drohte uns selten, wir hatten ohnehin kein Sündenbewusstsein, höchstens mal ein schlechtes Gewissen. Aber Predigten sind mir seitdem zuwider. Das Ende der Zeit! Das jüngste Gericht! Jahrzehnte später habe ich mich noch über das Wort „glauben“ aufgeregt. Nur weil ich nicht alles wissen kann, muss ich doch nicht irgendetwas „glauben“!?

Es dauerte also auch hier eine Weile, ehe ich glaubte, dass dieser Philosoph nicht predigt, sondern Gedanken entwickelt. Sein Einführungstext, dessen erster Teil oben in der Booklet-Übersicht zu lesen ist, endet tatsächlich erst nach drei Seiten und zwar – wie man es schon argwöhnte – bei der „Gültigkeit des Wortes Gottes“, aber ganz anders als man dachte. Denn: „Die Zeit dieser Choräle ist die Zeit der Glaubenskämpfe, und die Zeit der Glaubenskämpfe sind Kämpfe um die menschliche Freiheit.“

Ich denke an die intensive Lektüre des Jahres 2014, als ich ein Buch las über „Das Böse oder das Drama der Freiheit“, und doch erlebte, wie Rüdiger Safranski, der klar denkende Autor, der mich von A bis Z überzeugte, sich im folgenden Jahr ins Abseits bugsierte, als er in der Flüchtlingskrise so hasenherzig Distanz suchte. Heute lese ich sein Buch aufs neue, weil diese CD so vieles aufrührt. Auf der einen Seite die beredte Schönheit der alten Choräle, auf der anderen die Reflexionen, die in all dem das unerhörte Spiegelbild, den Vorschein unserer eigenen Zeit aufdecken. Und da heißt es schließlich nach Orlando di Lasso: „Die Zeit ist böse geworden.“

ZITAT Enno Rudolph:

In den Zeiten gigantischer Katastrophen, ob naturbedingt wie die Tsunamis oder von Menschen gemacht, wird immer wieder die Abwesenheit Gottes erfahren. Die Frage ist auch heute noch immer wieder: Wie kann Gott das zulassen, dass im Jemen die Menschen massenweise verhungern, dass Kinder in den erbärmlichen Flüchtlingslagern Griechenland Entsetzliches zu leiden haben, dass der Mensch im Regenwald Brasiliens seinen eigenen Lebensraum brutal zerstört, dass ganze Völker in Myanmar, die Uiguren in China, in Somalia, in Mali oder im Kongo schlimmeres Leid zu ertragen haben, als es durch Folterungen aller Art verursacht werden kann? Warum der Mensch nicht eingreift, wenn der Mensch so handelt, wissen wir auch von den Chorälen. Er ist böse. Er ist der Verursacher. Oder er ist gleichgültig und satt. Beides sind auch Hilfskräfte des Bösen.

Dies hören wir in Tr.29, und Sekunden später in Tr.30 den alten Tonsatz aus dem Jahre 1609, von Michael Prätorius: „Es ist ein Ros entsprungen“, und in Tr.31 trauen wir unseren Ohren nicht beim „Mirabile Mysterium“.

Ich muss so vieles wissen, weil ich so wenig glauben kann: wie erfand man derart gewaltige, für das einfache Volk geeignete Weisen (Luther?), das Wunder der einfachsten melodischen Bausteine, Tonfolgen, Fertigteile, wie wurden sie aufgeladen durch das Wunder der Harmonie, des mehrstimmigen Tonsatzes (nicht erst bei Bach), und wie konnte dann die Melodie allein eine so ungeheure Wirkung entfalten, sobald sie von einer inbrünstigen Gemeinschaft aufgesogen und ins Gedächtnis eingraviert worden war?

Die Gelegenheit ist günstig wie selten: die CD wird mich einige Zeit begleiten. Letztlich weil das Ensemble unvergleichlich sauber, im wahrsten Sinne des Wortes himmlisch singt, auch: weil die Prosatexte den Kopf freigeben und weil der Sprecher mit einer geradezu zärtlichen Überredungskraft zu lesen vermag. Es aktiviert, es lähmt nicht.

Ich werde hier noch einige Hintergrundtexte oder Links versammeln.

Zur Theodizee hier 

Zum Horizont der Musik-Interpretation finden Sie dies und zu anderen Projekten des Ensembles weiteres hier , darin etwa auch ein Beispiel zum „Sternbild Mensch„.

Über die Herkunft der Choräle bzw. des Chorals überhaupt lese ich von Martin Geck: LUTHERS LIEDER Leuchttürme der Reformation / Georg Olms Verlag Hildesheim etc. 2017 Aber es geht mir nicht um das Konfessionelle, nicht einmal um das Christentum, es geht mir um die Musik und um die Sprache. Es kann nicht schaden, Tr.14, ein so bekanntes Lied, mehrfach zu hören, 4 verschiedene Tonsätze zu unterscheiden, zu lächeln über so wunderbar rührende Zeilen wie: „Daß du da liegst auf dürrem Gras / Davon ein Rind und Esel aß!“ und am Ende das Kapitel 5 im Luther-Buch „Vom Kränzelsingen zum Kindelwiegen“.

 

Als Max Reger die Choräle entdeckte (aus dem Vorwort zu den Choralfantasien Edition Breitkopf 8496 von Hans Haselböck):

Guido Bagier (1923) fügt hinzu: „…die Gewalt der textlichen Unterlage [!] ergreift Reger mit einer solchen Heftigkeit, daß die musikalische Phantasie ganz von deren Vorstellungen erfüllt wird.“

Wunderwerk der Chromatik

Mirabile Mysterium

Extern hier Über das Ensemble: Stile Antico hier

Über den Komponisten Jacobus Gallus hier

 MGG Edo Škulj Hartmut Krones

Jacobus Gallus (1550-1591) war sehr vertraut mit dem kompositorischen Stand der Musik seiner Zeit, besaß z.B. viele Werke von Orlando di Lasso (1532-1594).

Neben derartiger Verwendung von Chromatik als ‚Thema‘ bzw. Kontrapunkt steht eine mehr harmonisch orientierte, eindrucksvoll repräsentiert in Lassos Prophetiae Sibyllarum mit dem beziehungsreichen Textanfang: „Carmina Chromatica quae audis modulata tenore […]“. [JR vgl. hier] Die Farbenpracht des Vokalsatzes, die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der Lasso in einem schwerelos wirkenden harmonischen Raum die Klänge fluktuieren läßt, unmittelbar von C-Dur nach E-Dur, in zwei Schritten von G-Dur nach cis-Moll gelangt, findet in der Instrumentalmusik etwa bei G. Gabrieli und seinem Umkreis ihre Nachwirkung; späterhin begegnet man vergleichbaren harmonischen Erscheinungen wohl erst bei Bruckner wieder.

Quelle MGG (neu) Sachteil Bd.2 „Diatonik – Chromatik – Enharmonik“ Sp. 1227 (Peter Cahn)

*    *    *

Anmerkung bei Dahlhaus „Untersuchungen über die Entstehung der harmonischen Tonalität“ Bärenreiter 1968 hier ZITAT:

Ich erinnere mich (leider nur vage) an Adornos Einschätzung der frühen Chromatik (Schütz): sie sei atavistisch und zeuge nicht etwa von einer leittönigen Durchdringung des Materials. Dahlhaus hätte ihm bis 1969 gerade noch widersprechen können.

Wie kam ich drauf? Durch eine einzigartige Weihnachtsplatte (CD Schola Heidelberg) – doch davon später…

„Die Natur erneuert sich“

  Sehen Sie Nr.30 Zum Hineinhören hier

Was ich sonst noch dringend empfehle, ist folgender Zeitungsartikel, – hat zwar mit alter Musik nichts zu tun, aber irgendwie mit der aktuellen Lage in der Vorweihnachtszeit, betrifft Lockdown (nmz): hier.

Ein weiterer Hinweis: der am meisten abgefragte Artikel dieses Blogs ist der über Mozarts Wiener Geige (2017 hier). Heute habe ich Anlass gefunden, ihn zu ergänzen (durch Hinweis auf seine Salzburger Geige), und sitze hier, von Erinnerungen übermannt … (nein Quatsch! ich verlasse den Schreibtisch, um Geige zu üben, aber nicht Mozart, sondern Bach, auf meiner Maggini-Kopie, – meine Mutter hat sie damals bezahlt, und der Kauf hat sich zweifellos amortisiert).

Vormerken (Weihnachten)

Warum nicht?

Etwas zu hören, zu genießen – und zu denken.

Die Choräle gehören zu den schönsten, die es gibt. Und sie sind schöner gesungen denn je!

Aber glauben Sie nicht, dass ich Ihnen „in dieser schweren Zeit“ ein eher jenseitsgerichtetes Denken empfehle. Denn diese Form der harmonischen Disziplinierung macht uns keineswegs unempfänglich für das andere Ende der Skala, z.B. die ungehobelten, wilden Klänge des Balkans, und wenn es sein muss, verweise ich auf einen Blogbeitrag, der nach wie vor gilt und dazu anregt, das scheinbar Unvereinbare zusammenzudenken. Hier ! Es gibt auch ein Lied dort, das ich nicht ohne Tränen hören kann, was mir aber genauso bei einigen Chorälen passieren kann, die mich in das Umfeld des Weihnachtsoratoriums oder der Passionen von Bach versetzen. So ähnlich denke ich auch an die Außenbezirke von Skopje zurück. Die Welt ist keineswegs in Ordnung, so wie sie ist und wie sie war.

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Es ist nicht ganz leicht, diese CD zu entdecken. Und wenn Sie hier ⇑ das Impressum anklicken, wissen Sie, warum ich früher darauf komme als mancher andere inhaltlich interessierte Mensch. Ich bin also befangen. Und ich denke bei der Empfehlung nicht unbedingt an die potentiellen Kirchgänger, die jetzt ihren einzigen Gottesdienstbesuch im Jahr durch Corona gefährdet sehen. Sondern eher an säkular gesonnene, bedachtsame Menschen, die sich in einer nie so erlebten, bedrängten Zeit vorfinden und bereit sind, sich durch wundersame Klänge über das Nächstliegende erheben, mit dem Unbegreifbaren verbinden zu lassen.

Auf jpc kann man schon reinhören, zu kaufen gibt es die Aufnahme erst ab 6. November. HIER

Achtung: die von mir auf Verdacht bestellten Exemplare sind schon heute (19. Oktober) bei mir eingetroffen.