Archiv für den Monat: September 2020

Ich habe genug

Eine Assoziation

 Quelle ZEIT-Magazin 3.8.2020 Nr.37 Seite 61

Es ist nur die eine, die Frage-Hälfte der Rubrik, zu der im Original die Antwort des Psychotherapeuten Wolfgang Schmidbauer gehört; beides ist immer interessanter Lesestoff. (In diesem Fall gibt er der Frau namens Nadine recht, aber seine schöne Begründung will ich hier nicht verraten.) Ich benutze die Gelegenheit, um eine eigene Assoziation anzuknüpfen. Ich gebe Nadine ebenfalls recht, bin aber irritiert, weil da steht, diese Kantate – es ist  BWV 82, eigentlich „Ich habe genung“ , – werde von einem Countertenor gesungen. Ich habe die Eingangsarie selbst einmal bei Frau Becker-Überhorst studieren müssen und zwar in Bassbariton-Lage, kannte also das Stück ganz gut, als wir es in Esslingen aufgenommen haben. Das muss ganz früh gewesen sein, um 1965, Collegium Musicum des WDR. Mit Barry McDaniel, Bariton, und Helmut Winschermann, Solo-Oboe. Der Sänger war erfrischend unkompliziert, sang lebendiger als es damals in der Kirche üblich war, und als Winschermann die letzte Arie („Ich freue mich auf meinen Tod“) anstimmte, machte McDaniel im Altarraum Hula-Hoop-Bewegungen mit der Hüfte und scherzte: „Ja, man muss das tanzen!“

Also war mein erster Griff nach dem Smartphone um nachzuprüfen, ob es diese Kantate auch mit Countertenor gibt, und in der Tat: nach einer Version mit Peter Kooy (Bass) und Herreweghe ( hier ) wurde auch eine mit Andreas Scholl (Countertenor) und dem Kammerorchester Basel angeboten. Dieselbe Tonart, wie ich höre, also im Gesang eine Oktave zu hoch. Ist das erlaubt? Mir passt es nicht, – kann man sagen, dass es darüberhinaus auch noch zu wenig „tanzt“?

Ein Auswahl-Album, – hat er überhaupt je die ganze Kantate gesungen? Es sind ja doch die anderen Sätze, die einen so ergreifen. Aber eher mit Peter Kooy.

Mein Gott, wie weit bin ich abgedriftet von Fragen der Ehe, erst recht von Tod und Leben. Es tut mir leid, dass Barry McDaniel im Juni 2018 gestorben ist, immerhin mit 87 Jahren. Er war aber auch 10 Jahre älter als ich. Und nun muss ich mit einer gewissen Betroffenheit die Antwort des Psychotherapeuten studieren. Da steht u.a.: „Wer sich Gedanken über die Musikstücke macht, die auf seiner Beerdigung gespielt werden sollen, ist sehr lebendig. Nadine kann Thomas Mann und Sigmund Freud anführen, die beide betont haben, dass Vergänglichkeit den Wert des Schönen in unserem Leben nicht mindert, sondern erhöht.“

Ich hatte mir ja auch schon mal ein solches Stück ausgesucht (Mahlers „Trinklied vom Jammer der Erde“), kam aber mit dem Gedanken nicht klar, dass ich es dann selber nicht mehr werde mithören können, nicht einmal – was mir eigentlich noch wichtiger wäre – die Wirkung auf die kleine Trauergemeinde überprüfen könnte. Wer sich dabei offensichtlich langweilt oder über die Lautstärke aufregt oder über den Affen, der da hundert Jahre … oder wie war das? Jedenfalls hätte gerade der mein größtes Mitleid!

Und jetzt wieder frustriere ich meine Leser:innen, weil unklar bleibt, ob ich eine Person oder den Affen meine. Zugegeben: ich neige zu Scherzen an den unpassendsten Stellen.

Polarisierung, rassistische Codes und Medien

Statements aus einer Lanz-Sendung

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-25-august-2020-100.html

HIER ab 6:12 bis 10:22 (Video verfügbar bis 24.09.2020

Rushdie: „Make America great again“ meint eigentlich „make America white again“

Lanz: Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass da überhaupt nochmal irgendjemand miteinander ins Gespräch kommt, und wo ist dieser amerikanische Optimismus geblieben? Wir waren doch immer die Deutschen, die an allem rumzumeckern haben. Aber das, dieses Destruktive, der Hass, der da zum Teil die Zweifel, die da gesät werden…, das hat doch mit dem Amerika, das wir kennen, nichts mehr zu tun…

MELINDA CRANE (6:36) : Richtig, diese Polarisierung ist nicht alleine Schuld von Donald Trump. Die Polarisierung (ein guter Punkt!) ist mindestens seit 20, 30 Jahren (wann hat das begonnen, für Sie, und wo?) – eigentlich in der Zeit der 80er Jahre unter Ronald Reagan. Er hat zum Teil die gleiche Sprache benutzt wie Donald Trump, zum Beispiel auch eine Code-Sprache, die versucht Angst zu erwecken. Und zum Teil auch Angst, die mit Rassen-Ressentiments zusammenhängt, und das haben wir gestern Abend auch gesehen und gehört, wenn einige Redner davon sprechen, dass der Mob in die Vororte drängt, da[s] ist implizit in dieser Aussage: der schwarze Mob dringt in die weißen Vororte. (Genau!) Mit genau solchen Vorurteilen spielte auch Ronald Reagan. (Entschuldigen Sie, weil Sie das gerade sagen: Salma Rushdie saß mal hier, fällt mir grade ein, und er sagte damals: wenn er sagt „make America great again“ meint er eigentlich „make America white again“, und das versteht auch jeder so.) Und es ist auch so, dass die Republikanische Partei in den letzten Jahren immer weißer wird, schwarze Amerikaner wählen überwiegend demokratisch, die Republikanische Partei wird auch immer älter, christlicher und männlicher. Das heißt, die Demokratische Partei – das haben wir auch letzte Woche gesehen bei deren Parteitag – wird wirklich sehr divers, und es gab auch wirklich sehr viel verschiedene Stimmen auf diesem demokratischen Parteitag, insoweit, – es gibt auch die Botschaft der … Einigung, der Wunsch nach einem Ende dieser Spaltung, das wurde sehr stark formuliert von Joe Biden auf dem demokratischen Parteitag, auch von Menschen aber, die bisher als spaltend galten, z.B. Bernie Sanders, oder Elizabeth Warren, sie haben sehr klar gesagt in dieser letzten Woche: wir müssen uns einigen, wir müssen unsere Demokratie schützen (Ja, aber das Verrückte ist, wenn man denen zuhört, offensichtlich versteht darunter jeder etwas anderes!). So ist es, und das ist gerade die Bedeutung von Polarisierung. Polarisierung heißt nicht nur: Republikaner gegen Demokraten, sondern Polarisierung heißt: zwei vollkommen unterschiedliche Weltanschauungen, die (genau!) aufeinanderprallen. Und dies hat leider auch mit Medienpolarisierung zu tun. Viele Amerikaner konsumieren nur die Medien, die ihre bevorstehenden Ideen und Urteile bestätigen. (Leben im Klischee, ja?) bei Republikanern, ja, Fox News ist das Beispiel dafür, und diese Vision, die wir gestern Abend gehört haben auf dem Republikanischen Parteitag, eine sehr sehr düstere Vision, das ist genau die Vision, die sehr stark von Fox News zum Beispiel propagiert wird. Und deswegen kann es sein, dass ein Republikaner, der in der letzten Zeit seinen Job verliert oder das Gefühl hat, sein Job steht in Gefahr wegen der Coronakrise, dass der trotzdem sagt: die Wirtschaft blüht! Weil die Aktienmärkte stark sind. Und das ist gerade der Barometer von Donald Trump und auch von Fox News, dafür wie gut die Wirtschaft läuft. Von daher kann es sein, dass wir im November sehen, dass Menschen, die selbst hart betroffen sind von dieser Krise, sagen: ja, aber die Wirtschaft, die wird schnell wieder zurückkommen, und dafür ist Donald Trump verantwortlich, und deswegen wähle ich ihn. (10:22)

10:47 St. Louis 26.06.2020: bewaffnetes Ehepaar vor dem Haus

Lanz: … weil Sie gerade sprachen über den Mob, Sie sagten, da wird aber insinuiert: der schwarze Mob zieht in die weißen Vorstädte… wir erinnern uns an diese Szene des Ehepaares, ich glaube St. Louis war es, die McCluskies (?) vor ihrem Haus standen ehm bewaffnet, und es ziehen die Demonstranten an ihrem Haus vorbei, und es war lange unklar, was es mit dieser Szene auf sich hatte. Und die beiden werden jetzt genutzt und gezielt eingesetzt. Wir hören mal rein: (Film läuft)

Melinda Crane: das war der absolut erstaunlichste Moment.

FILM-UNTERTITEL (Frau spricht): Machen Sie keinen Fehler, egal wo Sie leben. Ihre Familie wird unter den radikalen Demokraten nicht sicher sein. (Mann spricht): Präsident Trump wird das gottgegebene Recht eines jeden Amerikaners schützen, ihre Häuser und ihre Familien zu verteidigen.

Lanz: So, diese Sprache wieder, – wir haben hier vor ein paar Wochen schon mal zusammen gesessen: Demokraten sind nur noch Linksradikale, aus Prinzip, das hat sich etabliert! (11:36) Melinda Crane: Später spricht er von den Marxisten. In der Demokratischen Partei. er spricht davon, dass diese Partei den Menschen die Waffen wegnehmen will. Dass diese Partei den Mob in die Vororte dann lässt, damit der Mob Billigwohnungen dort macht und praktisch die Menschen dort – sie haben gesagt: die Vororte abschaffen. Das alles ist eine Codesprache für den Rassismus. Und dieses Paar wurde sogar strafrechtlich angezeigt dafür, dass sie ihre Waffen auf friedlich Protestierende gerichtet haben. Sie wurden angezeigt, und sie bekommen einen prominenten Platz am ersten Tag des Republikanischen Parteitags. Das war für mich der absolut erstaunlichste Moment von dem ganzen Abend. (12:31)

Lanz: Aber es zeigt, wie Propaganda funktioniert.

(Fortsetzung folgt)