Archiv für den Monat: Juni 2016

Hochwasser Theater Bonn – Godesberg

Siehe HIER!

Man sehe im Link auch die Bilderfolge „Rock am Ring“ in Mendig – und stelle sich vor, jemand nimmt teil, der (die) einem nahesteht … zeltend … (und hätte geruhsam in Stuttgart schlafen können). Inzwischen wurde das Festival abgebrochen.

Wenn es einen also wirklich betrifft, – nicht auszudenken. Z.B. noch ganz woanders, bloß auf dem Weg ins Theater:

Godesberg Theater Screenshot 2016-06-05 Screenshot 5. Juni hier

Und dann? wie war denn die Aufführung am 4. Juni?

Gestern die Kammerspiele, NICHT … (wie in der Werbung)

…“barrierefrei erreichbar“.
Hätten wir unseren Drink nicht in der Bar „Insel“ (!!! direkt neben den Kammerspielen) eingenommen , sondern bereits IM Theater, wären wir in die glückliche Lage gekommen, MIT den Schauspielern im Theater eingeschlossen zu werden!!!
Oder wenigstens MIT ihnen evakuiert zu werden.
Leider saßen wir noch ganz friedlich in der Sonne (!) auf der Insel-Terrasse, als peu à peu die Godesberger Innenstadt geflutet wurde…
Zunächst hält man es für Ausläufer einer gründlichen Wochenend-Geschäftsreinigung, dann denkt man, wahrscheinlich wird da hinten ein Brunnen gereinigt oder so. Dann stehen die ersten Menschen neben dem Wasser und machen Handy-Fotos. Das Ordnungsamt fährt wie ein Amphibienfahrzeug durch die Fluten- man denkt, ach , ein Glück, kümmert sich also jemand drum. Irgendwann sieht man, dass schon die Treppe der Kammerspiele auf einen Meter bedroht ist.
Die Vorstellung wird also SICHER ausfallen, da kaum noch Leute trockenen Fußen hineinkommen könnten. Irgendwann realisiert man, dass das Wasser weiter vordringt und keinesfalls weniger wird, wenn auch nicht bedrohlich mehr, aber doch stetig! Ganz allmählich fällt – in Zeitlupe – der Groschen bei dir selber: ääääähm. Warum genau sitzt du jetzt noch hier. Es dauert nicht mehr so lange und du wirst nasse Füße kriegen.
Ein Schauspieler kommt , zieht sich die Schuhe aus und geht beherzt Richtung Eingang. Er versichert mir (doofe Fragen sind in solchen Ausnahmesituationen erlaubt…) , dass vermutlich keine Vorstellung stattfinden wird, er aber dennoch erstmal hineinmüsse (doofe Antworten auch…).
Man geht Richtung Bahnhof (nachdem die Option verworfen wird, wenigstens noch auf die hinausflüchtenden Schauspieler zu warten), sieht allerdings schon in der Parallelstraße Wasser Richtung Bahnhof strömen, überlegt sich , ob überhaupt noch eine Bahn fährt. Also besser der Fußmarsch (Sonne, tropischfeuchte Luft) am endlos langen Stau vorbei Richtung Innenstadt. Die wissen alle gar nicht, warum sie da stehen und vermutlich heute NICHT mehr durch Godesberg werden fahren können. Oder informieren ihre Smartphones sie?
Gut, dass wir zu Fuß sind. Aber es wird uns mulmig bei der Beobachtung, WIE SCHNELL, durch welch relativ kleine  Ursache bereits ein solcher Ausnahmezustand passiert. Mit so vielfältigen Auswirkungen über Kilometer hinweg.
Statt Theater also heute ein bizarrer Spaziergang , anderthalb Stunden lang (in etwas unbequemeren Theaterschuhen eben) , durch Straßen , die man sonst NIE beschreiten würde. Langgezogene Industriestraßen mit uralten Eisengießer-Fabriken, dem alten Haribo-Werk , mit alten Gehöften, schnuckeligen kleinen Dorfkernen, alle immer noch dörflich, obwohl von der großen Stadt verschlungen und halbverdaut.
Plötzlich auch auftauchend ein riesiger verwunschener Park hinter schmiedeeisernen hohen Zäunen. Wem mag dieses Idyll mitten in der Stadt wohl gehören?  Unglaubliche klitzekleine Gässchen zwischen Fachwerkhäusern. Friesdorf, unterhalb der Godesburg, dann Dottendorf, Kessenich.
Nur die letzten Kilometer in die Bonner Innenstadt fahren wir  mit der Straßenbahn. Zu unserem Italiener. Auch das so wunderbar INTENSIV: mit Blick zur offenen Küche, wo ca 15 Männer, schweißgebadet im Akkord, Pizzen und Pasta bereiten. Einer zuständig nur fürs „Finish“ mit einem Öl oder noch ein paar Griffen Parmesan, einer zuständig für permanente Telleranlieferung, einer nur zum Pfanneschwenken .
Toll doch auch, wenn das zivilisierte Leben nicht so jämmerlich strauchelt wie beim Godesberger Hochwässerchen, sondern so fluppt wie bei Tuscolo in der Küche
So, ein aufregender Abend war das. Meine Füße tun ein wenig weh, leider kein Theater, aber eine Andeutung von großem Kino…
Schade nur, dass mir so die Drei Schwestern entgangen sind, denn drei sind bestimmt noch viel toller als
EINE
(schrieb ich gerade meinem Bruder)
Schönen Sonntag Euch!
Und liebe Grüße,
Saskia
Sonntag, 5. Juni 2016, 10 Uhr
P.S.
Sehr interessant ist vor allem die psychologische Erfahrung dabei.
Wie lange es dauert, bis man begreift. Wie sich Erkenntnis dann in einer Menschenmenge fortpflanzt (oder auch erstmal nicht), wie lange man sich in Sicherheit wähnt, weil einige Attribute ja immer noch für die gewöhnliche, gewohnte Sicherheit sprechen: die Sonne scheint , kein offensichtliches Unwetter, andere Menschen reagieren noch mit gewohnten kleineren Maßnahmen auf die zunächst kleinen Veränderungen (ein Mann von den Kammerspielen fegt z.B. mit dem Besen die Gullis frei, damit das Wasser besser ablaufen kann), die Menschen machen ihre Fotos (immer – scheinbar- Zeichen dafür, dass man hier was geboten bekommt, das man würdigen muss), die Menschen , die man auf dem Weg in die Gegenrichtung warnt, gehen dennoch weiter, denn glauben tun sie ja nur, was sie selbst sehen.

Erwin Bodky ALT!

Aus dem Nachlass von Artur Reichow (zwischen 1921 und 1932)

Das Buch Der Vortrag alter Klaviermusik, Berlin : Hesse, 1932 (Max Hesses Handbücher. 95.), das ich aus meiner Jugend kenne, ist verschollen. Aber die Beilage fand sich jetzt in einem anderen Buch derselben Reihe, die sich mein Vater seit Beginn seines Studiums in Berlin Stück für Stück zulegte, zumeist aus der Feder von Hugo Riemann (s.a. die Empfehlung im Vorwort von 1910).

Riemann Orchestrierung Titel Riemann Titelseite innen AR Riemann Vorrede 1910Riemann Signatur AR 1921

Aus derselben Zeit (oder schon aus seiner Belgarder Vorbereitung für das Studium) stammten wohl die zahlreichen Hefte der Methode Rustin:

Rustin Methode Rustin Methode Harmonie

Das Werk von Erwin Bodky hat sich mein Vater erst bei seinem zweiten Studium (nach der Kapellmeister-Zeit) anschaffen können, als er Anfang der 30er Jahre bei Bodky Klavierunterricht hatte. Siehe auch die Programmzettel hier. Das Buch ist nicht mehr ohne weiteres greifbar, daher gebe ich wenigstens eins der Bachwerke als Beispiel, wie sie Bodky zu erarbeiten vorschlug, nämlich die Fuge in g-moll aus dem ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers in seiner vierhändigen Fassung.

Bodky Bearbeitg Cembalo-Klavier Bodky Bearbeitg Vorwort Bodky Bach g-moll Fuge 1 Bodky Bach g-moll Fuge 2 Bodky Bach g-moll Fuge 3

Was ist unsere Gegenwart?

Süddeutsche Zeitung 31.Mai 2016

Gegenwart 1960 Gegenwart 1963 JR Queneau Zeltner-Neukomm

SZ Queneau Neu SZ Feuilleton 31. Mai 2016 Seite 12

Zitat darin von Gerda Zeltner-Neukomm 1961 („im Jahr des Erscheinens der ersten deutschen Übersetzung durch Eugen Helmlé und Ludwig Harig“):

Ebenso unheimlich wie lustig. Diese Stilübungen wollen nicht einmal mehr literarische Konventionen zerstören, sie gehen vielmehr ganz selbstverständlich von der Voraussetzung aus, daß die Vernichtung bereits stattgefunden hat. Da nichts der Rede wert ist, bleibt nur, daß die Rede sich selber wert sei, und sie wird um so munterer, je wesenloser der Anlaß ist.

Dieser Bezug auf das, was ich vor Jahrzehnten kennengelernt habe, ist mir soviel wert, dass ich ich mich komplikationslos für das Neue begeistern kann, wenn nur das Begeistern nicht so maßlos altmodisch wäre.

Eine andere Schlagzeile im Feuilleton der Süddeutschen lautete gestern folgendermaßen:

Millionen für ein zerwühltes Bett / Warum befriedigt der Kunstbetrieb vor allem Luxusbedürfnisse? Und was passiert, wenn Kreativität zur Norm wird? Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sucht Antworten. Von Till Briegleb. (Siehe auch hier)

Ein sehr guter Bericht, die beiden Bücher habe ich bestellt, sie sind aber nicht – wie sonst – von heute auf morgen zu bekommen, sondern es dauert länger. Wahrscheinlich wegen dieses Berichtes.

Ullrich analysiert die Generation von marktbestimmenden Superreichen, denen „Kunst“ lediglich zum persönlichen „Souveränitätsgewinn“ dient – wobei dieser um so höher ausfällt, je größer die Lücke zwischen offensichtlicher Wertlosigkeit des Objekts und dem dafür bezahlten Preis ist. Er beschreibt die willfährige Deutungspropaganda abhängiger Kuratoren und Katalogtextverfasser, die auch dem offensichtlichsten Markenprodukt aus einer Künstlerwerkstatt mit gestelzter Prosa Relevanz andichten.

Und er belegt umfassend und mit durchaus scharfen Kommentaren, wie sich eine konsum- und statusgelenkte Gesellschaft diesem Mechanismus völlig ergibt. Inhaltlich orientiert man sich an einer Gruppe sehr reicher Menschen, die mit ihren Kaufentscheidungen jede Diskussion überflüssig machen. Wenn für ein zerwühltes Bett Millionen bezahlt werden, dann muss es Ausdruck von Tiefsinn sein. Nach dieser Logik funktioniere inzwischen die inhaltliche Wertschöpfung, und alle Marktbeteiligten, vom Sammler zum Kunstvermittler, vom Künstler bis zum Museumsbesucher, ja selbst die Kritiker und Kunsthistoriker bedienen dieses System.

Quelle wie oben fettgedruckt: Millionen für ein zerwühltes Bett / Von Till Briegleb / Süddeutsche Zeitung 31. Mai 2016 Seite 12

Mehr davon, wenn die beiden Bücher bei mir eingetroffen sind… (siehe zunächst hier).

Die dritte große Geschichte in dieser einen Tageszeitung (und es gibt noch mehr, z.B. die Seite über den Gotthard-Tunnel, die Seite mit dem lustigen Konterfei des Fußballspielers Boateng und über die perfide rhetorische Strategie der AfD, dann über das – wohl doch nicht so aufregende – Geheimnis der Grabkammer des  Tutenchamun: es gibt Tage, an denen Zeitungen inhaltlich nicht zu bezahlen sind), die dritte große Geschichte also für mich ist die über

Die Teenie-Flüsterin / Die Journalistin Nancy Jo Sales versteht amerikanische Jugendliche wie kaum eine Zweite. In ihrem neuen Buch gibt sie Eltern verstörende Einblicke in das geheime Online-Leben ihrer Kinder. / Von Anne Philippi.

Sie (…) landete in einer „Zweiten Welt“, wie ein Mädchen diese Welt in Sales Buch beschreibt: Die Welt der Texting-Apps und Social-Media-Plattformen, ein Paralleluniversum, das weder Papa noch Mama verstehen und auch nicht verstehen sollen. Sale traf 13-19-Jährige in zehn Staaten der USA, sprach mit ihnen über ihre zweite Welt, über ihre frühe Ehe mit einem Smartphone. Eine 16-Jährige in Los Angeles sagte, Social Media zerstöre ihr Leben. „Aber wenn wir damit aufhören, haben wir kein Leben mehr.“ Mädchen ihres Alters lebten mit dem Telefon. Und das gilt auf der ganzen Welt.

(…)

„Hier geht es um eine ganz neue Medien-Kultur“, sagt Sales. „Eine, in der nach Regeln gespielt wird, die immer weniger mit Spaß zu tun haben.“

(…)

Die Geschäftsmodelle der Tech-Welt basieren jedenfalls auf einer Kultur, deren Teilnehmer häufig am Asperger Syndrom leiden, der wohl berühmtesten psychischen Krankheit im Silicon Valley: eine spezielle Form des Autismus, welche die üblichen menschlichen Kontakte verhindert oder äußerst unangenehm erscheinen lässt. Menschen, die darunter leiden, kreieren dann Apps, die Asperger eher verschlimmern statt verbessern, also eine Art Henne-Ei-Problem: Wer war zuerst da? Menschen mit Asperger oder Menschen, die mit ihren Apps andere zu Asperger-Patienten machen?

Quelle Süddeutsche Zeitung 31.Mai 2016 Seite 31 MEDIEN (Titel wie oben fettgedruckt) Die Teenie-Flüsterin / Von Anne Philippi / über die Journalistin Nancy Jo Sales und ihr Buch „American Girls: Social Medias and the Secret Lives of Teenagers“.