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Gebrandmarkte

Bildnotizen zu Kirchen in Lemgo 19. Juli 2015

Lemgo St Marien Chor  Lemgo St Marien Nebeneingang

Lemgo Jude mit Spitzhut St. Marien, Lemgo

Erläuterung auf einer beigefügten Schrifttafel: Diese Figur aus der Bauzeit der Kirche (um 1313) ist ein Zeugnis mittelalterlichen Antijudaismus. Mit dem thronenden Christus am rechten Wandpfeiler bilden beide Figuren zusammen die personifizierte Darstellung der jüdischen und christlichen Religion: Synagoge und Ecclesia. Die Synagoge ist in der Person eines Juden mit Spitzhut (mittelalterliches diskriminierendes Bekleidungsmerkmal für Juden) zu erkennen. Sie hält ein aufrecht stehendes Schwein in Händen. Damit verhöhnt die Darstellung das dem Juden heilige Gesetz, das Gott seinem Volk durch Moses gegeben hat. Das Schwein gehört zu den unreinen Tieren (3. Mose 11,7), das weder gegessen noch im toten Zustand angerührt werden darf.

(Der Rest des Textes ist identisch mit den entsprechende Absätzen auf der unten wiedergegebenen Tafel.)

Lemgo Säule Jude & Jesus  Lemgo Jesus & Juden

Lemgo Tafel Jesus, Juden Passion

So wurden aus den beschämenden Selbstzeugnissen einer verwirrten Theologie gewissermaßen Gedenksteine. Zu sehen in der sehenswerten Kirche St. Marien. Sobald man die andere, schon in der Außenansicht spektakuläre Kirche St.Nicolai betritt und sich an die mystische Beleuchtung des Innenraums gewöhnt hat, fällt der Blick bald auf den tiefschwarzen Stein mit dem quer durchgeschlagenen Riss, der zunächst kaum auffällt, wie durch Blitzschlag hineingebrannt: ein Kainsmal . GOTT WIRD ENDLICH MEIN HAUPT AUFRICHTEN UND MICH WIEDER ZU EHREN SETZEN / ANDREAS KOCH, 1647 – 1665 Pfarrer an St. Nicolai.

Was ist ihm widerfahren?

Pfarrer Andreas Koch Riss (Bitte anklicken)

Man kann es kaum entziffern, ganz unten stehen die grausamen Fakten:

Pfarrer Andreas Koch Bio

Er ist hingerichtet worden, weil er sich gegen die Hexenprozesse gewandt hat, und zwar als sogenannter „Teufelsbündner“. Ein „Sympathisant“ der Gebrandmarkten? Ganz so einfach ist die Sachlage nicht: er hat den Glauben seiner Zeit durchaus geteilt, sein Ziel war nicht die Auflösung des Hexenwahns, – er wollte nur mehr Gerechtigkeit in das Verfahren bringen.

Die Lektüre des lutherischen Theologen und Erfurter Professors Johann Matthäus Meyfarth wird später ausdrücklich erwähnt, doch hat er möglicherweise auch die „Cautio Criminalis“ von Friedrich Spee gekannt. Wie diese beiden Autoren bestritt Andreas Koch nicht die Existenz von Hexen oder die Möglichkeit zu Schadenzauber, doch sah er wie sie die Gefahr, daß durch ein fragwürdiges Prozeßverfahren Unschuldige ihr Leben verlören. Damit stand er repräsentativ für die Lemgoer Oberschicht, die in der Prozeßwelle 1653-1656 erstmals nicht mehr bereit war, Beschuldigungen gegen ihre Familienangehörigen fraglos zu akzeptieren, und sich mit allen juristischen Mitteln dagegen wehrte.

Quelle  siehe HIER  (www.historicum.net).  In den historischen Details auch nachzulesen bei Wikipedia (Artikel Andreas Koch).

Lemgo St. Nicolai Bus  Lemgo St Nicolai fern St. Nicolai

(Handyfotos: JR)

In diesem Zusammenhang habe ich mich eines Buches erinnert, das mein Bruder 1955 von Verwandten aus Greifswald zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte; ich las damals viel Historisches (angefangen mit Quo Vadis) und so auch dies, das sich nachhaltig einprägte:

Hexen Bernsteinhexe 1 Wilhelm Meinhold

Verhexte Koinzidenzen

Vom guten Glauben und zufälligen Obsessionen

Ich will nicht verhehlen, dass ich an die tiefere Bedeutung von Koinzidenzen nicht glaube. Es soll ja Leute gegeben haben, denen aus solchen Zufällen – wie aus der Erfahrung eines Déjà vue – die Ahnung erwuchs, sie seien zu hohen Dingen berufen. Vermutlich reagiere ich aber immer wieder nur auf bestimmte Reflexe und ordne sie einander zu. Das heißt zum Beispiel: ich fahre zu einem Vortrag ganz in der Nähe, Haus Graven, weil dort ein Vortrag über Geschichte, Eigenart und Vielfalt der Kartoffel (mit nachfolgender Speisung und Tränkung der Gäste) stattfinden sollte. Ausschlaggebend: ich kenne die Referenten Herbert Ferres und Olaf Link, – den einen als Anbieter einer hervorragenden Auswahl von frischen Lebensmitteln auf dem Ohligser Wochenmarkt, den andern als Autor von heimatbezogenen Büchern sowie durch Berichte im Solinger Tageblatt. Ich kaufe eines von den ausgelegten Büchern, zufällig (?) das über die Hexenprozesse im Bergischen Land. Wahrscheinlich, weil ich hineingeschaut hatte und zufällig (?) auf ein Argument zum Hexenwahn gestoßen bin, das ich bisher nicht bedacht hatte. Es deutete auf „echten“ Glauben. Zudem erinnerte ich mich an ein Denkmal des Schreckens in Völs am Schlern (Südtirol). „Viel Spaß und Gruselstunden!“ hieß es da.

Hexen Völs 2012 Foto E. Reichow 2012

Hier und heute aber gab es ausschließlich Informationen rund um die Kartoffel, die weiß Gott nichts mit den Hexen ihrer Zeit zu tun hatten. Mein Glaube an die Kraft der Kartoffel ist gefestigt!  (Hochinteressant: die vorübergehende „Verteufelung“ der Linda in unserem Jahrhundert… s.a. unter Big-Brother-Awards.)

Kartoffel 141128

Das oben erwähnte Argument:

Die beschriebenen Torturen galten in den Hexenprozessen als „probatio probatissimi“, als „Beweis aller Beweise“. Die Folterungen sollten ermöglichen, dass die Angeklagten auch gegen den Willen des Teufels ihre Taten gestehen können. Allgemein vertraute man darauf, dass Gott die Verurteilung Unschuldiger nicht zulassen würde. Hieraus leiteten die Menschen die Gewissheit ab, dass, wer verurteilt wurde, auch schuldig war. (Seite 27)

Hexen Olaf Link vorn Hexen Olaf Link rück TextISBN 978-3-86680-319-0

Heute morgen schlage ich die Zeitung auf und sehe die folgenden großangelegten Berichte: über drei Seiten der mit farbigen Bildern versehene Artikel über die bösen Geister in Papua-Neuguinea und die taktvollerweise angehängte Rekapitulation unserer 400 Jahre unterm Zeichen des „Hexenhammers“: Die Hölle, das sind nicht nur die Anderen…

SZ Hexen Papua SZ Hexen Europa

Quelle Süddeutsche Zeitung Samstag/Sonntag 29./30. November 2014 Seite 13 ff BUCH ZWEI. Autoren: Arne Perras und Matthias Dobrinski.

Versöhnlicher Ausklang: Die Kartoffelhexe

Kartoffelhexe

(Foto: Wikipedia Commons)