Archiv der Kategorie: Pop

Jazz nach Songs

Eine Übung

Der Text des Liedes hier, und das Lied bei Wikipedia hier

Transcription

Das Lied Blackbird hier bei Wiki, weiter hier, mit Text hier

Wikipedia über das Stück: hier . – Wie oft sie daran gearbeitet haben, ohne zufrieden zu sein!  Warum? Bis es endlich so etwas wie eine linkische, altbackene Show zu sehen war, mit einer Melodie, über deren Zauber man lange nachdenken kann; soll sie so traurig, nostalgisch wirken? Oder ist sie versehentlich in den Proportionen verschoben, so dass man Warum-Fragen stellen muss?

(dieselbe Version, ohne gesprochene Einleitung)

*    *    *

Nachträge

Oscar Peterson about piano styles

Woher kam der Jazz?

Maximilian Hendlers Forschungsreisen

Zitat:

Die befremdlichen Züge, welche die Musik der Afroamerikaner für Weiße an sich hatte und immer noch hat, führten zu einem bis heute weiterwirkenden Irrtum. Die afroamerikanische Musik kommt von den Schwarzen – die Schwarzen kommen aus Afrika -, daher kommt die afroamerikanische Musik aus Afrika. Die Jazzforscher, die alles, was nicht in der Musikästhetik der westlichen Hochkultur enthalten ist, nach Afrika verlegen wollen, ziehen ein Faktum nicht in Betracht: Der größte Teil der traditionellen afrikanischen Musik wurde zu religiösen und sozialen Anlässen gemacht, an denen Afrika extrem reich war und selbst heute noch immer ist.

Für die Afrikaner, die in die amerikanische Sklaverei gerieten, fielen diese Anlässe weg. Ihnen blieb nichts anderers übrig, als sich jener musikalischen Formen zu bedienen, die sie zunächst bei ihren weißen Besitzern und später auch beim weißen Proletariat zu hören bekamen. Ihre Rezeption dieser Musikformen bildet die Basis, aus der in den Jahrzehnten um 1900 der Jazz erwuchs.

GRAZ 2008

WIEN 2023

Was mich das angeht?

Titel, die leicht aufzufinden sind:

S.40 My Gal is a highborn Lady hier oder hier

S.41 Crappy Dan hier

S.43 All coons look alike to me hier (Arthur Collins) hier und hier

S.47 Nobody / When life seems hier

S.77 A Georgia camp meeting hier

S.89/90  Jelly Roll Morton (gesamt) hier Tiger Rag hier different tempi hier

S.94 A happy little chappie hier ?

S.106 Scott Joplin Easy winners (mit Noten) hier

S.106 Frank P. Banta hier

S.120 Original Dixieland Jazz Band 1917 Tiger Rag hier Livery Stable Blues hier

S.126 Duke Ellington 1927 (?) Bugle Call Rag hier

(Fortsetzung folgt)

Als Gegenposition sei an dieser Stelle auf das Buch von Gerhard Kubik (1999) verwiesen, der ein ausgewiesener Afrikakenner ist. Was die Argumentation, dass der Blues aus Afrika kommt, nicht von vornherein glaubwürdiger macht, – als habe sich über Generationen von Sklaven eine solche Erinnerung halten können. Zu berücksichtigen wäre die schlichte Tatsache, dass mit ihrer Ankunft in Amerika das absolute kulturelle Prägerecht der afrikanischen Sklaven die Kirchen und Sekten  übernommen hatten. Da blieb nichts übrig.

Der Name Kubik kommt bei Hendler nicht vor, weil die neueren Forschungen am überlieferten Material und die Einbeziehung der frühen Schichten europäischer Volksmusik einen ganz anderen Weg wiesen.

Und vor allen Dingen: statt den schnellen Weg nach Afrika zu nehmen, lohnt es sich in die Tiefe der Geschichte einzutauchen, und nicht nur dort, wo sie für Menschen unserer Zeit (rückwirkend) interessant ist und Musikprojektionen befeuert. Man lese daraufhin den Wikipedia-Artikel „Great Awakening“ mit Blick auf die unterprivilegierten Schichten der amerikanischen Bevölkerung.

Edwards’ Predigten waren machtvoll und zogen von etwa 1731 an ein großes Publikum an. Der aus England eingereiste methodistische Prediger George Whitefield setzte die Erweckungsbewegung fort, bereiste die britischen Kolonien und predigte in einem dramatischen und emotionalen Stil, der in dieser Zeit neu war. Neu war auch, dass Whitefield im Publikum jedermann – auch Afroamerikaner und Sklaven – akzeptierte…

Durch das Great Revival gelangten erstmals auch viele Sklaven zum christlichen Glauben. In den südlichen Kolonien erlaubten die Baptisten seit den 1770er Jahren sowohl Sklaven als auch Sklavenhaltern das Predigen. Nachdem Frauen in den Kirchen bis dahin überrepräsentiert gewesen waren, stieg auch die Anzahl der männlichen Kirchenmitglieder…

Wie die amerikanische Theologin Kimberly Bracken Long 2002 dargestellt hat, führen Geisteswissenschaftler die Camp Meetings seit den 1980er Jahren auf die Tradition der Holy Fairs zurück, die im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland verbreitet waren. Bis dahin hatte man ihre Wurzeln ausschließlich in der amerikanischen Grenzland-Erfahrung vermutet…

Die Bemühungen, christliche Lehren auf die Lösung sozialer Probleme anzuwenden, waren wichtige Vorläufer und Präzedenz-Fälle für die Social-Gospel-Bewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, auch wenn sie in ihrer eigenen Zeit nur sehr eingeschränkt auf bestimmte Themen wie Alkohol und Sklaverei zur Geltung kam und nicht auf die Gesamtwirtschaft bezogen wurden…

NEU (11.05.23) DIE ZEIT Seite 52 Buch-Empfehlung

Schlaue Schwärme(reien)

Zum Wiederholen vorgemerkt!

Fischschwärme aus Millionen von Individuen, Erdmännchen in Kolonien oder Menschenmengen bei großen Demonstrationen. Welche Kräfte oder Prozesse stecken hinter Kollektivverhalten? (ZDF?)

HIER bis 17.02.33

Beginnen ab 1:54 (übrigens: wieder mal ein guter Film mit ganz schlechter Musik). Drei fundamentale Regeln im Schwarm: 1 Bleibt zusammen! 2 Haltet ausreichend Abstand! 3 Bewegt euch in die gleiche Richtung wie eure Nachbarn! – Aber: Wie trifft ein Fischschwarm Entscheidungen? 4:05 Was löst in einem Fischschwarm die plötzlichen Richtungswechsel aus? Einführung eines Roboterfischs, der die erste Bewegung vorgibt… Kleinstmöglicher Schwarm von 2 Fischen. 6:03 Der größere Schwarm trifft eindeutig die bestimmende (und richtige) Entscheidung.

The Beatles LET IT BE

„…to make classical music a relevant and powerful force in society.“ ???

Etwa so: hier? (Carmen) oder weiter im Web hier? (Halleluja)

Let it be … oder nimm dies:

HIER Hemsing Festival Norwegische VM bei Sol Gabetta

Neues über Vogelstimmen

https://www.spektrum.de/news/ornithologie-wie-voegel-ihren-gesang-wahrnehmen/2118408

Ave Maria „auf dem Hügel“

Die frühen Schlager und ich (Stoffsammlung)

Mein Bruder, – Vater, Mutter, Großeltern, Tante

Tante Ruth (*1913) um 1990 (hatte wie mein Vater Klassik-Klavier studiert, spielte noch mit 92).

Sie sang mir heimlich das Lied „Großmütterchen“, schwer erkennbar aber doch so oft vor, dass ich es auf der Geige zum 80. Geburtstag der Oma (17.8.1951) in Misburg präsentieren konnte (diese summte es leider schon vorher im Garten mit). Auch eine kleine Eigenkomposition von mir war angekündigt, eine anderhalbzeilige Melodie, eine „unvollendete“, die ich beim Vorspiel irgendwie weiterphantasierte und durch Wiederholung aufpeppte, –  Onkel Hans ließ sich zu einem Lob hinreißen, das von meiner Mutter begierig aufgesogen wurde: „Das steckt eben so drin!“ Ach, mein damals nicht abbrechen wollendes Opus sucht mich bisweilen heute noch heim. Ein Lieblingswerk meiner Oma dagegen war und blieb damals „Die diebische Elster“ bzw. deren Ouvertüre, die mein Vater am Klavier vortrug. Keine ernste Musik! Mit diesem Titel! Wir grinsten, wenn es hieß, durch die Belgarder Oma sei die Musikalität in die Reichow-Familie gekommen. Mit der „diebischen Elster“!?

Musikalisches Erbe?

Die Idole meines (tonangebenden) Bruders im Verlauf der Bielefelder 50er Jahre:

Michael Jary René Carol Peter Alexander Wolfgang Sauer Gershwin, Puccini, Schumann, Wagner, Rachmaninow. Die Schlager lehnte ich ab, ohne direkt zu opponieren, die Begeisterung für die Romantik steckte mich an und ergänzte meine Klassik, die von Bach ausging.

Die folgende Schallplatte war eine der wenigen, die bei den Oeynhausener Großeltern um 1950 abgespielt werden konnten (auf einem aufziehbaren Plattenspieler, den unsere Mutter einst bei einem Preisausschreiben gewonnen hatte): wir kannten das Lied auswendig, und ich habe es oft und gern Mitschülern vorgesungen, die tatsächlich gebannt zuhörten: „der Wilddieb, er gibt keine Antwort, er kennt ja die sichere Hand, ein Schuss und gleich drauf ein Aufschrei, und der Förster lag sterbend im Sand.“

Eine spannende Geschichte im leiernden Tonfall – das schien uns attraktiv. Es gab solche Schlager, „Pferdehalfter an der Wand“ u.ä., man fand sie eher etwas lässig (das Western-Wort statt des heutigen „cool“). Später, mit schon wachsender Klassikerfahrung, schätzten wir bestimmte harmonische Höhepunkte. Ab wann wurde unser Hit unter Brüdern – das Lohengrin-Vorspiel? Und wann kam der folgende Schlager, der eigentlich nur mir gehörte, so dachte ich, mit der Klimax einer starken, ehrlichen phrygischen Kadenz, B-dur, A-dur, nebeneinandersetzt, schamlose Quintparallelen. Auch eine Combo in der Givtbude auf Langeoog spielte ihn jeden Abend zum Abschluss (um 23 Uhr). Wir warteten sehnsüchtig auf den Refrain, die Musiker reagierten leicht genervt. War es 1958? Ich wanderte zu einem Café am Langeooger Dorfrand, wo es einen „Plattenautomaten“ gab, und ließ das Lied alle Viertelstunde ablaufen, während ich Dostojewski „Der Idiot“ las. Einsamkeiserfahrung.

Ich hatte keine Ahnung, wo das Lied herkam, ob spanischen oder portugiesischen Ursprungs. Aus dem Süden jedenfalls, der Zauber des Mittelmeers war greifbar.

Givtbude „no morro“ auf der Düne, Langeoog, 200 m vom Landschulheim Gymnasium Bielefeld (1958?) JR Fensterplatz

Und wo kam das Lied wirklich her?

60er Jahre. Die japanische Freundin verriet mir, leicht widerwillig, was sie vom Text verstand: der Sänger schaue in den Himmel, damit man seine Tränen nicht über die Wangen laufen sehe. Das fand ich anrührend oder sogar für uns passend. Ich kannte das Lied nur aus dem Radio und hatte keine Ahnung, wie seltsam geziert sich der Interpret gebärdete. Natürlich studierten wir beide damals sehr „ernsthaft“ Geige. Sarasate stand schon an der Grenze… Marschner, dessen Schönberg-Platte mir imponierte, weckte (neckte) mich mit der „Havanaise“. Es gibt also eine spezifische Unterhaltungsqualität? Unnachahmbar einfach?

Wikipedia „Sukiyaki“ 1961 bzw.1963 hier / Ist dies ein Zugang zu den verkannten Alten Zeiten?

Was also ist überhaupt Unterhaltungsmusik? ZITAT:

Bei der Unterhaltungsmusik, deren Schwerpunkt (…) in der Beziehung zwischen Musik und Rezipient liegt, ist die Frage der Art der Rezeption von entscheidender Bedeutung. Durch die Art der Rezeption kann Kunstmusik zur Unterhaltungsmusik umfunktioniert werden. Diese Tatsache weist bereits auf die andersartige Voraussetzung hin, unter der Unterhaltungsmusik betrachtet werden muß. Unterhaltungsmusik ist im weitesten Sinn keine absolut zu umreißende Musikgattung, da sie durch ihre Abhängigkeit von der Rezeption die Grenzen einer bestimmten Gattung weit überschreitet.

Der Komponist, der … (siehe wie folgt)

[Anm. JR: in dem Buch u.a. „Großmütterchen“]

Quelle Irmgard Keldany-Mohr: „Unterhaltungsmusik“ als soziokulturelles Phänomen des 19. Jahrhundert / Untersuchung über den Einfluß der musikalischen Öffentlichkeit auf die Herausbildung eines neuen Musiktyps / Gustav Bosse Verlag Regensburg 1977

Eine anders differenzierte Stufe der Betrachtung findet man bei Simone Mahrenholz: Ihre

These lautet, dass ein gemeinsamer Nenner für alle eingesetzten bzw.
existierenden Musikformen in der Funktion einer (anvisierten) Transformation der
Wahrnehmung liegt. Diese impliziert eine Bewusstseinsveränderung. Alle im Text
bisher angesprochenen Musikformen haben diesen Effekt (oder dieses Ziel) – mit
unterschiedlicher Intensität und Stoßrichtung. Wie ist Wahrnehmungsveränderung
durch Musik konkret möglich? Worin ist sie situiert?
Als Material zu einer Antwort zwei Beispiele. Erster Fall: Jeder kennt Momente,
in denen man den Blick auf vorbeiziehende Landschaften, beim Autofahren (oder
Bahnfahren) absolut nicht ohne begleitendes Hören von Musik zu erleben bereit
ist. Es ist so, als ob die Realität vor dem Auto- oder Bahnfenster erst perzeptiv und
emotiv aufgeschlossen wird, erst ihre Stellung im Ganzen erhält durch die Kom-
bination mit Musik. (Einen ähnlichen Effekt macht sich Filmmusik zunutze.) Eine
plötzliche Abwesenheit der Musik demgegenüber (etwa die Aufforderung, das Au-
toradio abzustellen oder ein Stromausfall im Smartphone) kommt nahe heran an
Entzug, Krise, Schwund von Sinn und Verlust von Welt überhaupt. Was geschieht
hier? Welche zusätzliche Information zum Gesehenen liefert Musik?
Zweiter Fall: Wir alle kennen ebenfalls den (seltenen) Effekt einer Ekstase, ei-
nes extremen Glücksgefühls, oft eines Transzendierens von Raum und Zeit sowie
der Unterscheidung von Welt- und Selbst, ausgelöst durch eine ›passende‹ Musik
im ›richtigen‹ Kontext. Beide genannten Phänomene gehen oft einher mit dem
Gefühl, einer tieferen, ›realeren‹ Realität teilhaftig zu werden – ohne selbstver-
ständlich Gründe dafür angeben zu können. Es ist eine Art Anschauung, Intuition, Evidenz. Die naheliegende Frage lautet: Woher kommt dieser Eindruck des [Rezipienten,] in Begleitung von Musik anders und anderes wahrzunehmen: mehr an Realität als
sonst, eine Art Tiefendimension und Einbindung in eine Gesamtheit, verbunden
mit einer Erkenntnis, die sich verbal nicht mitteilen lässt? (Wohlgemerkt, dies ist
nicht Musik-Mystizismus, sondern die Beschreibung einer letztlich verbreiteten,
wenngleich individuell herausgehobenen Weise des Musikerfahrens.) Obwohl die
meisten Musikerfahrungen in ihrer Intensität viel weniger ausgeprägt sind und oft
ganz anders ausfallen, stellt sich die Frage: Woher rührt es? Wie ist das Beschrie-
bene möglich?
Eine Antwort hierauf liegt in der musikalischen Materialität.

Quelle Simone Mahrenholz: Musik und Begriff How to do things with music / in: Gibt es Musik? Herausgegeben von Daniel Martin Feige und Christian Grüny /Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Heft 66/2 2021 / Felix Meiner Verlag, Hamburg 2022

In meinem Zusammenhang soll der Hinweis auf die „Materialität“  und die „Wahrnehmungsveränderung“ eine erhellende Rolle spielen.

Im Gegensatz dazu ist für die „Kunstmusik“ festzuhalten, was Daniel Martin Feige mit Blick auf Adorno formuliert, und ich zitiere in aller Vorsicht: man kann daraus keine argumentative Waffe schmieden. Man muss doch den ganzen Essay lesen und vielleicht aufs neue oder immer wieder auch – den Musikphilosophen Theodor W. Adorno:

Inhalt in einem herkömmlichen Sinne haben Kunstwerke schlichtweg nicht. Das heißt nun keineswegs, dass im Fall von Romanen etwa egal wäre, was sie erzählen und im Fall von darstellenden Gemälden das, was sie zeigen. Aber es reicht für Adorno nicht zu sagen, dass repräsentationale Kunstwerke sich nicht in dem erschöpfen, was sie darstellen. Wer verstanden hat, was ein Gemälde darstellt, hat es als Gemälde noch nicht erschöpfend verstanden. Denn für Adorno ist der eigentliche Inhalt eines Kunstwerks die Spannung, die zwischen einer Form und der gesellschaftlichen Realität besteht. Just deshalb gerät das Kraftfeld des Werks durch gesellschaftliche Umbrüche in Bewegung; es kann sogar verblassen, sodass das Werk zu einem bloß noch historischen Gegenstand herabzusinken droht. Mit anderen Worten: Trotz seiner autonomen Konstitution dreht sich das Werk nicht um sich selbt; Adorno denkt Heteronomie und Autonomie des Werks zusammen. Der heteronome Zug, der nicht zuletzt darin besteht, dass ein Werk überhaupt nur ein Werk sein kann im Kontext einer gesellschaftlichen Praxis, die es ein Werk sein lässt, zeigt an, dass das Werk nicht außerhalb der Gesellschaft steht.

Und jetzt habe ich den Satz noch nicht zitiert, der ein vorschnelles, selbstzufriedenes  Kopfnicken verhindert, – da steht über das Werk und die Gesellschaft noch der Satz:

Es ist von ihrer Falschheit affiziert.

Quelle Daniel Martin Feige: Kunstmusik als Modell dialektischen Denkens / Anmerkungen zu einem Satz von Adorno / In: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie / herausgegeben von Andreas Hetzel, Eva Schürmann und Harald Schwaetzer / Essay herausgegeben von Michael Hampe / Verlag frommann-holzboog AZP 47.2 (2002) [Zitat Seite 252]

Ich gebe mich damit einstweilen zufrieden und hüte mich, davon extensiv Gebrauch zu machen, ehe ich es nicht besser verstanden habe als heute. Anlässlich der Erwähnung „repräsentationale(r) Kunstwerke“ bin ich kurz zu Danto ausgewichen und fand die hier verlinkte optische Darstellung seiner Ästhetik sehr unterhaltsam. Und mit diesem Wort kehre ich später wohlgelaunt zurück zu den frühen Erlebnissen mit Schlagern oder Liedern, die der Unterhaltungsmusik zuzurechen sind. Wie gern würde ich die Liste fortführen, bis auch Namen wie Mercedes Sosa und Fernando Farinha darin Platz finden dürften…

Große Gefühle, türkisch

Wo war eigentlich der Orient? (Begegnungen)

Teheran im Lauf der Tournee April 1967

Der östlichste Punkt der „Orient-Tournee“ 1967

Istanbul 1967

Istanbul, unser Hotel & die Umgebung

Was schlimm war: fast einen Monat getrennt zu sein von der gerade erst entstandenen Familie (Marc *1.4.66). Und was malte er 5 Jahre später? Eine orientalische Stadt…

1971 1972

20 Jahre später:

Wir waren gewarnt worden: die massentaugliche Präsenz von Theodorakis würde den feinen Musiker Livaneli erdrücken. Und noch viel mehr, aus ganz anderen Gründen, wurden wir vor Ibrahim Tatlises gewarnt. Das entspreche einem deutschen Konzert in Istanbul, bei dem Fischer-Dieskau gemeinsam mit Heino auf der Bühne stehen müsste. Wir kannten das unten zitierte Verdikt von Fazil Say noch nicht. Und es hätte uns auch nicht irritiert. Ich persönlich war es gewöhnt, von Freunden, denen ich meine liebste arabische Musik vorspielte, ausgelacht zu werden. Ich wusste, dass solche Geschmackswelten nicht einfach durch gute Worte überbrückt werden können. Das „Gefühl“ spielt nicht mit. Bzw. der Schritt vom „ganz großen Gefühl“ zur Lächerlichkeit ist winzig. In der Show von Harald Schmidt wird all dies listigerweise zur Unkenntlichkeit vermengt. Man kann schlecht sagen, dass ein vor Begeisterung rasendes Publikum sich irrt. Jedenfalls nicht, wenn man Chef der Show ist. Man fühlt sich unbehaglich und weiß nicht warum…

55 Jahre später in Solingen: Konzert der Bergischen Symphoniker 7.6.22 (vorige Woche)

siehe hier

Istanbul Sinfonie beim hr mit Einführung des Komponisten Fazil Say:

Hilfe auf Youtube, wenn man Einzel-Sätze anklicken will (Helfer: Ath Samaras vor 8 Jahren)

For better accessibility: Fazil Say – Istanbul Symphony (1. Sinfonie) 00:00 Intro by Fazil Say
07:10 I. Nostalgie 17:20 II. Der Orden 21:25 III. Sultan-Ahmed-Moschee 28:55 IV. Hübsch gekleidete junge Mädchen auf dem Schiff zu den Princess-Inseln 33:10 V. Über die Reisenden auf dem Weg vom Bahnhof Haydarpaşa nach Anatolien 37:16 VI. Orientalische Nacht 44:18 VII. Finale 50:42 Applause
.
*    *    *
.

Fazil Say Wikipedia / Zitat:

Ebenfalls für heftige Diskussionen sorgte seine offen zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des in der Türkei bei bestimmten Gesellschaftsschichten populären Arabesk-Pops. Arabesk-Musik sei „eine Last für Intellektualität, Modernität, Führungskraft und Kunst“ und weiter: „ich schäme, schäme, schäme mich für das Arabesk-Proletentum beim türkischen Volk“.

Über Arabeske hier / Wikipedia über Ibrahim Tatlises hier Harald-Schmidt 1998

Wie lautet noch eine der größten menschenfreundlichen Lügen? „Ich liebe euch alle!“

Eine frühe Radio-Sendung über kulturelle Relativität; heute würde ich wohl anders herangehen:

usw. Was aber hätte ich als erstes lesen sollen?

Licht aus Indien? 1997 (Foto E.Reichow)

Wie einen seine Mutter tröstet

Werbung, Musik und Zweifel

„Die Werbung sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig, und sie setzt voraus, dass das vorausgesetzt wird.“ (Quelle: s.u. „Kommentar“ Video zur Penny-Werbung bei 19:20)

Süddeutsche Zeitung / Zeit der Zärtlichkeit  27./28.Nov. 2021 Seite 17 / Autor: Max Scharnigg

Alles wegtanzen!

Wunschbild Mutter

Kommentar

Trost

CORONA ?

Ja, was man

auch noch sagen sollte,

wurde von Bernd Schweinar gesagt,

bemerkenswerterweise aus dem Pop-Bereich,

heute verbreitet durch den Newsletter der NMZ (Martin Hufner):

Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,

eine quietschfidele Selbstblockade erleben wir gerade in der Politik Deutschlands. Was die Corona-Pandemie angeht. Man möchte nicht mehr länger zuschauen. Es rappelt und ruppelt mal wieder zwischen Überbrückungsgeld, wildem Gefuchtel mit halbherzigen Entscheidungen.

Ich möchte Sie nicht zu sehr langweilen und greife deshalb auf ein Statement des hochgeschätzten Künstlerischen Leiters der Bayerische MusikAkademie Schloss Alteglofsheim und den Bayerischen Rockintendanten Bernd Schweinar zurück. Der antwortete auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur:

Kultur lebt seit jeher von der Polarisation! Ich bin groß geworden mit Themen wie Friedensbewegung und Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Bei beiden Themen haben zahlreiche Künstler:innen eindeutig und voluminös Position bezogen. Das vermisse ich in der heutigen Pandemieproblematik. Die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft beschwören vielfach nur jene herauf, die selbst die Spaltung betreiben. Kultur darf sich hier nicht einschüchtern lassen. Es geht um nichts weniger, als ein funktionierendes Kulturleben mit Publikum in der Zukunft. Und wer sich durch seine Impfverweigerung ausgrenzt bzw. Kultur damit schädigt oder unmöglich macht, den braucht die Kultur auch in Zukunft nicht mehr als Publikum! Diejenigen will ich persönlich auch gar nicht mehr in einem Konzert sehen. Zudem stelle ich die Fußballfrage auch in der Kultur. Ungeimpfte Künstler:innen brauchen unsere Bühnen nicht, weil sie diese Bühnen im Moment beschädigen! Wenn ungeimpfte Künstler:innen sich eigene Bühnen für ungeimpftes Publikum schaffen – mit eigenem finanziellen Risiko – dann sei ihnen das unbenommen.“

*     *     *     *

Und noch etwas zum Lesen, eine Kolumne von Christoph Schwennicke über den wahren Grund für das deutsche Corona-Desaster:

HIER

„Racist, Sexist“

Von der Wut

Ich habe sofort Partei ergriffen. Als alter Herr, der ich natürlich nicht sein will. Da wird gerade erzählt von einem unschönen Erlebnis: Mila, eine junge „Asian American“ bekam von einem Mitschüler zu hören, „sein Vater habe gesagt, er solle sich von Chinesen fernhalten. Sie sei Chinesin, entgegnete sie. Darauf wich er von ihr zurück. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass Mila Rassismus erfuhr, und das Erlebnis beschäftigte sie so sehr, dass sie es in einem Song verarbeitete.“ (Sie war Mitglied einer Band.)

Es ist wohl klar, für wen ich Partei ergriffen habe, – aber das Gegenteil ist der Fall. Nämlich nicht für das süße kleine Mädchen, sondern für den bestimmt auch sehr süßen kleinen dummen Jungen. Wie gern hätte ich in der Umgebung der Kinder aufklärend gewirkt, wenn das nicht nach plumper Annäherung ausgesehen hätte, suspekt auf jeden Fall. Bedenken Sie: in der heutigen Zeit, wo kein Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland ungestraft  Birnen verteilen dürfte!

Ein neunjähriger Junge macht die Erfahrung, dass ein gleichaltriges Mädchen nicht einfach ein nettes Mädchen ist, sondern mit einer gewissen Berechtigung (Vater!) als Chinesin bezeichnet werden könnte, – eine allerdings böse gemeinte Bezeichnung, und das Mädchen hatte noch nie davon gehört. Und nun wird die Wut des Mädchens gelobt und groß inszeniert, vermutlich halfen ihr Erwachsene dabei. Millionen haben die Lektion kapiert und geklickt. Große Emotionen kommen weltweit gut an. Darf ich nun, als alter, weißer Mann, von Toleranz und Intelligenz reden? Und dran erinnern, dass Kinder (9-Jährige sind Kinder, auch wenn man sie auf die Bühne stellt!) letztlich durch Beispiel, wachsende Denkfähigkeit und Wahrnehmungsschulung zu jungen Erwachsenen werden, die ihre Wut und Streitlust unter die eigene Kontrolle gebracht haben.

Z.B. wenn der eine das Wort „Rassist“ noch nicht kennt, aber es womöglich verdient, dann darf man auch noch „Sexist“ dazusetzen, damit die verständliche Wut noch deutlicher wird. Und vor allem die Musik in Richtung Lautstärke missbrauchen, damit man weitere Töne nicht zu entdecken braucht. Und dann vor allem eine Pressekonferenz geben, indem das eigene Seelenleben lustig als recht zerbrechlich zelebriert wird.

Man muss den Jungen weiterhin von seinem Vater lernen lassen, ihn bloßstellen, lächerlich machen, statt mit ihm zu reden, ihm etwas zum Lesen zu geben oder die Eltern miteinander reden zu lassen. Wie bürgerlich wäre das denn!!!

Man dürfte als alter weißer Mann daran festhalten, wie süß die Wut wirkt, wenn kleine Göhren sich aufregen und dies möglichst einfältig, um auf der Gegenseite Fremdscham und Beißhemmung auszulösen. Ja, das funktioniert doch!

Ich habe also die SZ relativ aufmerksam gelesen, mit einem Anflug von Wohlwollen. Aber unwiderstehlich stieg das Verlangen, ein millionenfach angeklicktes Musik-Video auch zu erleben. Bitteschön:  HIER. Oder auch eine Art Pressekonferenz: HIER.

Also gut gemacht, der Schaumschlag-Journalismus. Es wirkt. Jetzt klicken auch Sie und ich. (Die Schreiberin könnte exakt meine Tochter sein. Und ich, ich könnte exakt mein Vater sein, kombiniert mit meiner Mutter, die ständig von Vererbung sprach. Man kam nicht drauf, dass das auch etwas mit Rassismus zu tun haben kann. Oder man ergänzt es durch eine Milieu-Theorie.)

Quelle Süddeutsche Zeitung 19./20. Juni 2021 Seite 17 An alle Idioten Man kann ja nicht immer nur betroffen sein, manchmal braucht es einfach Wut, „The Linda-Lindas“ machen Kinnhaken als Musik. Von Johanna Adorján.

Guter Journalismus

Ich finde es gut, wenn ein Zeitungsartikel es fertig bringt, lesende Menschen zu bannen und zu aktivieren, und zwar so, dass sie sich nicht nachträglich schämen müssen („niedere Instinkte“!). Denn auch das gibt es, und ich muss dabei nicht auf andere zeigen. Ich glaube, dass auch die Schreiberin des Linda-Linda-Artikels dazugehört, dass sie sich nur hat überrumpeln lassen durch das bevorzugte Syndrom „mutige kleine Frau“ + „Kinder haben immer recht“ kombiniert mit den Klischees „es gibt keine primitive Musik“ + „Hauptsache Emotion“.

Möglich wäre allerdings: „keine Musik ist zu primitiv, analysiert zu werden“.

Heute 21.6.21 las ich einen Artikel in den mir täglich aufgedrängten t-online-Nachrichten über das Thema „Russland-Krieg“ vor 80 Jahren, über das ich schon genug gelesen zu haben glaubte. Ich dachte an den Bruder meiner Mutter, der an der Ostfront umgekommen ist, an die Mutter meines Vaters, die vor den Russen aus Pommern geflohen ist (wo übrigens die Nazis mehrheitlich gewählt worden waren) und vieles andere. Auch an die Russen, die ich als Kind erlebt habe, als sie in Greifswald einmarschierten („Sie sind lieb“).

Und nun der Artikel, – „Sie sind unter uns“ – , der mich veranlasste, nach weiteren Arbeiten desselben Autors Ausschau zu halten, bemerkenswert auch der zu Carolin Emcke und dem auf sie bezogenen Shitstorm. Alles HIER.

Aktuelles Oktober 2020

Notizblogzettel (Hier aufbewahren! Erinnern!)

LANZ 8.Oktober 2020 Sahra Wagenknecht / Middelhoff hier ab etwa 55′ Zur wirtschaftlichen Zukunft unserer Welt.

 ZDF Screenshot ZDF Screenshot

PRECHT & REZO

Gestern 10.10.20 nachts zwischen 23 und 24 h gehört. Würde ich auch noch mal ansehen (oder anderen empfehlen), man versteht die beiden akustisch ungleich gut. Interessante Prognosen („die Schallplatte bleibt“).

Immerhin, der im Urlaub etwas belächelte Bildband „Kunst in 30 Sekunden“ hat mich zum ersten Mal auf Artemisia Gentilleschi gebracht. (Danach kam erst der Artikel in der ZEIT). Und die Kurzbesprechung des Velasquez-Bildes „Las Meninas“ hat mich an den wunderbaren Essayband „Meisterwerke der Malerei“ herausgegeben von Reinhard Brandt erinnert, in dem genau jenes Bild von Seite 115 bis 140 tiefgehend behandelt ist (vgl. auch Wikipedia hier), und zugleich gibt es einen aktuellen oder vielmehr akuten Anlass, ein anderes Kapitel darin (über Roy Lichtenstein von Regina Prange) aufs neue zu studieren, weil es indirekt mich und andere Leuten täglich beim Einkaufen mit Kunst konfrontiert, ohne dass wir alle dieser Tatsache die fällige Beachtung schenken. Oder? Prüfen Sie sich selbst, und zwar ganz unten am Ende dieses Artikels!!! Nebenbei: Wie banal und wie brutal darf Kunst eigentlich sein? Im Alter scheint es schlimmer. Doch es ist alles eine Sache der Auslegung!

Die Bildquellen der Pop Art entstammen Zeitungen und Illustrierten mit ihren Cartoons, Werbeanzeigen und Schlagzeilen. Sie thematisieren den strahlenden Star und das Image der Jugend, die Welt des Stehimbisses und des Supermarkts, die unpersönliche Heraldik industrieller und patriotischer Insignien und nicht zuletzt der Modell-Wohnung des exemplarischen Konsumenten. Die Pop-Künstler konzentrierten sich also auf solche Motive, die das private Leben in standardisierten Formen, das Emotionale durch Konvention dirigiert, in der Warenform verdinglicht, zeigen. Die stereotype Artikulation des Gefühls oder des sinnlichen Genusses ist das Bindeglied der imitierten Trivialmythen. Lichtensteins Beitrag zur Massenkultur ist in dieser Hinsicht […] in seiner Kunst wie in seinen Selbstkommentaren, explizit. Anders als Warhol, der sich mit seinen Äußerungen in die Oberfläche der Popkultur einfühlte und sich selbst zur Kunstfigur schuf, behandelt er, der schon relativ bejahrt zur Pop Art kam, ein Magisterdiplom in der Tasche hatte und selbst lehrte, seine Arbeit fast wissenschaftlich. Die Gebrauchsgraphik und ihr schlechter Geschmack stehen ihm ein für die Gegenwart der industrialisierten Gesellschaft. Durch ihre schonungslose Bejahung in einer Art „brutaler“ und „antiseptischer“ Darstellung will er gegen die Kunst seit Cézanne opponieren, die „außerordentlich romantisch und unrealistisch geworden ist…“ Seine Sensibilität gegen das Antisensible stellt sich gegen eine „europäische Sensibilität“, welche sich „in dicken und dünnen Farbstrichen“ ausdrückt, also durch die Künstlerhand. Die Wahrheit des Cartoon liege darin, daß er „heftige Emotion und Leidenschaft in einer völlig mechanischen und distanzierten Weise ausdrückt.“ (folgende Quelle, Autorin Regina Prange Seite 249f)

Quelle Meisterwerke der Malerei / Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol / von Reinhard Brandt (Hg. und Einführung) / Reclam Leipzig 2001 (2013)

 Wikipedia hier

ZITAT (Hanno Rauterberg)

Artemisia war die Kunst, und die Kunst war sie – auch diese Botschaft spricht aus dem allegorischen Selbstporträt im grünen Seidenkleid, das sie vor leerer Leinwand zeigt. Es hatte natürlich auch praktische Gründe, das eigene Gesicht in die Gemälde hineinzumalen, damit ließen sich Kosten für teure Modelle sparen. Doch ebenso verlockend schien, das auf diese Weise die Bilder nicht nur für sich sprachen, sondern aus ihnen auch Artemisia zu sprechen schien und sich so der eigene Name gleich doppelt bewerben ließ. Erwarb ein Sammler eines ihrer Werke, konnte er glauben, so auch eines Teils der Künstlerin habhaft zu werden. Sie verkaufte, könnte man sagen, ihre Kunst und sich selbst.

Allerdings wäre das eine sehr verkürzte und sehr heutige Lesart. Denn nie gibt es bei Artemisia so etwas wie ein authentisches, ein wahres Selbst. Im 17. Jahrhundert war der Begriff des Projekts aufgekommen, die Vorstellung also, etwas entwerfen, in die Zukunft hineinplanen zu können. War man sich in den Jahrhunderten zuvor sicher, mit dem eigenen Leben nur Teil eines größeren, göttlichen Plans zu sein, war diese Idee einer göttlichen Ordnung im Barock nicht länger zu halten. In Artemisias Kunst ist das unübersehbar, sie brüskiert jedes innige Bedürfnis nach Demut. Sie verweltlich das Überweltliche und macht ihre Betrachter zu Komplizen einer Geschichte, die fast immer von einer körperlich einnehmenden, das Schicksal wendenden Tat handelt. Es sind Bilder, die von Veränderung erzählen, und sei es, dass diese Veränderung zum Tode führt.

Artemisia Gentilleschi  Wiki hier

Artikel in der ZEIT mit Rauterberg hier Britische Nationalgalerie hier

Unter dem zuletzt gegebenen Link kann man den folgenden Film finden & anschauen:

Ein Essay von Kai Köhler aus der Zeitung Junge Welt wurde mir freundlicherweise zugeschickt, enthält viele, soweit ich weiß, recht unbekannte Details zu Bartóks politischer Einstellung. Macht mich zugleich nachdrücklich aufmerksam auf die linke Tageszeitung, die mir ansonsten von Berthold Seligers lesenswerten Musikbeiträgen her bekannt war.

Bartók – Volkslied und Moderne – jw 2020 09 25

Enkel-Musik

Damit meine ich Pop-Musik, die in der Enkel-Generation im Schwang ist. Ich will wissen, was diese Jugendlichen daran fasziniert, und wenn ich mit ihnen rede, muss ich die Sachen gut kennen, um „sachgerechte“ Fragen zu stellen

Reine (extern hier ) von Dadju (über den Sänger siehe Wiki hier)

Oh oh ah, Seysey

Aujourd’hui je suis fatigué, je t’ai regardé dormir
Et si ma voix peut t’apaiser
Je chanterai pour toi toute la nuit
Je t’entends dire à tes pines-co
„Dadju, j’peux plus m’passer de lui“
Hey, tout va glisser sur ta peau
C’est comme si je te passais de l’huile
Et s’ils ne sont pas nous, c’est tant pis pour eux
Et s’ils sont jaloux, c’est tant pis pour eux
Fais-le moi savoir quand c’est douloureux
Je suis là s’il faut encaisser pour nous deux

Et je le sais, je te fais confiance
Quand tu me souris, tu fais pas semblant
J’ai pas besoin d’attendre plus longtemps
Je sais qu’il est temps d’partager mon sang
Et t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
J’vais t’élever au rang de reine
Au rang de reine, au rang de reine
Oh oh ah

Je…

Oder zum Beispiel (jetzt gleich im externen Fenster) der Titel Django von Dadju

Oh, oh, ah (It’s E-Kelly)

Je veux que tu portes mon nom de famille
Mais ça prend du temps
J’ai même parlé de notre avenir à tes parents mais ils m’ont dit d’attendre
J’ai fait tout ce que ton père m’a dit mais
Il est jamais content
Et s’il décide d’être l’ennemi de notre amour il sera forcé d’entendre

Quand j’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django
J’briserai les chaînes comme Django, Djan-Djan-Django

Il veut nous éloigner
Donc il sort toutes sortes de foutaises
Et quand j’lui demande quel genre d’homme il te faut il me dit „comme toi mais pas toi“
Laisse-moi le calmer, il faut que son cœur s’apaise
Laisse-moi lui montrer qu’il a tort de…

Des weiteren wurde genannt:  Vossi Bop von Stormzy

Was soll ich davon halten? (Songtext Vossi Bop siehe hier)

(folgt)

Jahrelang habe ich immer wieder gern den Scherz gemacht: „Dein Geburtstag fällt dieses Jahr aus“ oder wahlweise „Heute steht es in der Zeitung: Weihnachten ist offiziell abgesagt!“  Aber dieses Jahr ja wirklich, ich habe es in der Hand, Corona-Schutz für alle verbindlich! Ich las es zwischen den Zeilen in der Zeitschrift FOLKER:

 Danke im voraus für alle guten Wünsche! Aber ich bin das nicht, ich kann das nicht sein, mein Geburtstag fällt aus! Wie das Oktoberfest, wie Halloween, – nein, kein Geburtstag und schon gar nicht dieser.

Ich (79) verbleibe erinnerungstechnisch das relativ junge Tragetaschengesamtkunstwerk im Eingangsbereich des Moarhofs in Völs Südtirol September 2020

Ausgang & Eingang (Fotos E.Reichow)

Wilde Auswahl (März Charts)

Bitte überspringen!

Dieser Artikel muss wirklich nicht sein, er entspringt dem mutwilligen Entschluss, einen Zeitungsartikel (der womöglich absurden Gedanken nachhängt, was mir selbst auch oft genug passiert) ernst zu nehmen, nur weil ich probeweise alles ernst nehme, was jemand zur Musik sagt. Es ist ja Indiz für irgendetwas, was sich schwer in Worte fassen lässt, – wie jeder weiß, der sich mit Musik verbal beschäftigt.

Und so entstand ein virtuelles Arbeitspapier, das mir gestattete, das zu hören, wovon die Rede war. Drei Musikstücke, Muskstile (?), Einzeltitel, die für viele Menschen etwas bedeuten, denn sonst stünden diese Titel ja wohl nicht in „den Charts“ (deren Entstehungskriterien jetzt für mich nicht zur Debatte stehen).

 Süddeutsche Zeitung 29./30.August 2020

Normalerweis würde ich kurzen Prozess machen, aber da ich nun mal mit Vogelstimmen leicht zu fangen bin, bleibe ich hängen. Einem Gesprächspartner hätte ich vielleicht entgegnet, man müsse unbedingt klären, was wir unter „gute Musik“ verstehen. Das hat doch mit Neurowissenschaft herzlich wenig zu tun, nicht wahr? Lass uns über „Bedeutung“ reden. Warum wir Vogelgezwitscher lieben und das Piepsen der Weckers hassen? Weil das eine einem vergnügten Vor-sich-hin-Trällern gleicht, das andere aber einem nervigen Befehl, möglichst umgehend das gemütliche Bett zu verlassen. Wenn der elektronische Wecker listig mit Vogelgezwitscher gespeist wäre, würde dies in Kürze genau dieselbe Funktion des ärgerlichen Weckrufes übernehmen. Es hätte eine andere Bedeutung bekommen.

Ob das Gehirn Musik und Sprache in lauter kleine Pakete verteilt, interessiert mich nicht im geringsten, wenn die Großpakete so gestaltet sind wie die in den folgenden Links und Texten abrufbaren. Ich höre sie allerdings sozusagen im wissenschaftlichen Auftrag und verweigere nur die große Arbeit, die am Ende herauskommen könnte.

Im Namen der Liebe

Unser Traum ist kein Traum, im Namen der Liebe
Wir sind wir, wir sind hier, wir sind nicht allein
Stopp, im Namen der Liebe
Hass hat Hass nie besiegt, lass es Liebe sein
Top, wir können nicht verlieren
Weil ein Herz, das liebt, keine Grenzen kennt
Unser Traum ist kein Traum, er ist wahr
Es gibt nichts, was uns trennt

Halt die Welt mal an
Weil so, wie es grad ist, nichts bleiben kann
Und selbst wenn der Schein uns trügt
Ich will, dass über uns der Himmel blüht
Schieß‘ den alten Plan in die Umlaufbahn
Nichts steht wirklich still und ich will
Und wenn ich will, geschieht ein Wunder

Unser Traum ist kein Traum, im Namen der Liebe
Wir sind wir, wir sind hier, wir sind nicht allein
Stopp, im Namen der Liebe
Hass hat Hass nie besiegt, lass es Liebe sein
Top, wir können nicht verlieren
Weil ein Herz, das liebt, keine Grenzen kennt
Unser Traum ist kein Traum, er ist wahr
Es gibt nichts, was uns trennt
Es gibt nichts, was uns trennt

Was du siehst, das will ich sehen
Und das, was du verstehst, will ich verstehen
Du bist du und ich bin ich
Zusammen sind wir zwei ein Schwergewicht
Eins und eins macht zwei
Wir sind jetzt und frei
Was uns fehlt ist Mut, es wird gut
Und wenn wir wollen geschehen Wunder

Unser Traum ist kein Traum, im Namen der Liebe
Wir sind wir, wir sind hier, wir sind nicht allein
Stopp, im Namen der Liebe
Hass hat Hass nie besiegt, lass es Liebe sein
Top, wir können nicht verlieren
Weil ein Herz, das liebt, keine Grenzen kennt
Unser Traum ist kein Traum, er ist wahr
Es gibt nichts, was uns trennt
Es gibt nichts, was uns trennt

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Zur „Arbeit“ gehört, alle nur erreichbaren Fan-Kommentare zu lesen und zu deuten. Und da liegt auf der Hand, dass die Texte zur Kenntnis und für bare Münze genommen werden. Die Aussage ist scheinbar sehr klar, sie liegt auf der Linie, die auch im Fußball als Slogan vorgegeben wird und dort recht sinnvoll wirkt, da sie die Beleidigungen dunkelhäutiger Profispieler als Thema zuspitzt. Man sieht z.B. auch eine lange Reihe von realen Spielerportraits, deren Autorität den Slogan verstärkt („gibt dem Hass keine Chance!“ o.ä.). Dann kommt das reale Spiel, und das Publikum kann beweisen, ob es kapiert hat, was gemeint war. Wenn man das Video dieses Schlagers oberflächlich betrachtet, könnte man glauben, es sei ähnlich angelegt. Sympathie für Fremde! Daraus kann man sich aber ausklinken, zumal der Text so allgemein gehalten ist, dass man jeden Inhalt hineindeuten kann: „Im Namen der Liebe: Hass hat Hass nie besiegt, lass es Liebe sein, Top, wir können nicht verlieren“ usw., letztlich dürfen wir die frommen Wünsche auf zwei Personen reduzieren und alle anderen ausschließen. „Eins und eins macht zwei – Wir sind jetzt und frei“. Freundliche Begegnungen allenthalben, selbst Kopftücher inbegriffen, bunte Großstadt auf Grußabstand. Es hält sich alles im Rahmen des Beliebigen, wie in den alten Zeiten, als man so allgemein wie nur möglich hoffte „Wunder gibt es immer wieder“ (1970) oder sich noch schwammiger „Ein Bisschen Frieden“ (1982) wünschte. Und es gibt auch musikalisch keinen nennenswerten Niveau-Unterschied. Die Melodie „Im Namen der Liebe“ ist wie tausend andere. Der gemeinsame Nenner: Meidet Konflikte, habt euch alle lieb. Denkt euch nichts dabei.

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Heaven shall burn (Info über diese Gruppe bei Wikipedia hier)
1 Titel
HIER Heaven shall burn mit „Übermacht“

Übermacht (Text)

Absolute rule, reason alone did not prevail
Only one hope, your time is up
And all new entities will dawn
And they’ll be risen from no ashes
Merciless and adamant, all options gone
We are surrounded by the wolves

Es zwingt Dich auf die Knie
Vor Unerbittlichem stehst Du allein
Und voller Zweifel im Zustand der Angst
Endlich, beugt sich Dein Haupt der Übermacht

Du hast die Henker selbst gewählt
Hast jeden Widerstand aus Deinem Geist verbannt
Als die Jahre des Handelns verstrichen
Dein Tanz im Lügenreigen
Brachte Dein treues Herz zum Schweigen

Days of the green wolves dawning
A new hegemony ascending, survive at any cost
Like flies you’ll crowd around the only light
No storm will sweep away what you call safety
No war will swallow all your rapture
For generations, unfolding in obscurity
Lifted upward to the stars by collective heresy

Days of the green wolves dawning
A new hegemony ascending, survive at any cost
Now you know, time wasted is time lost

Es ist vorbei
Vor Unerbittlichem stehst Du allein
Und ohne Gnade hör‘ ich die Seelen brechen
Endlich, devot folgst Du dem Übergang

Did you never see the shadows?
Freedom from danger is no more
How could you fail to hear the echoes
The calling of impending doom?

Days of the green wolves dawning
A new hegemony ascending, survive at any cost
So much too late you saw and understood

Es zwingt Dich auf die Knie
Endlich, beugt sich Dein Haupt der Übermacht

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Ein Spiel mit der Rebellion, Identifikation mit der Übermacht, man will selbst gefährlich wirken, indem man an dieser gefährlichen Überwelt teilhat, das Unterliegen ist fingiert, gleich stehen sie auf und machen weiter, siehe Stillstand bei 3:03, man braucht das, um nicht gegen die Effekte abzustumpfen, Ästhetik der Horrorfilms, man lerne Näheres bei Wikipedia hier

Psychologisch ist der Clip und die Musik nicht so weit von Marianne Rosenberg entfernt, wie der Autor des SZ-Artikels meint, das eine ist die Heuchelei der Zärtlichkeit, das andere die der unzähmbaren Wildheit. „Das Tier in mir“.

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Rapper Fler hier bei Wikipedia
Am 20. März 2020 wurde Flers 16. Soloalbum Atlantis veröffentlicht.
Die zugehörigen Singles Shirinbae, Fame, Noname
(ein Disstrack gegen seinen ehemaligen Weggefährten Bushido),
Grind und Lost erreichten allesamt die deutschen Charts.
https://www.youtube.com/watch?v=MZXZ5seI7Rk Hier „Shirinbae“
https://www.youtube.com/watch?v=a0-0tOeigKg    Hier  „Grind“
https://www.youtube.com/watch?v=IvJd8P1yzMs      Hier „Vermächtnis“
.
Vermächtnis (Text)

Simes got that secret sauce

Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (mein Vermächtnis)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (im Gedächtnis)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (nein)
Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster (nein)

Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (meine Legacy)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (so wie Maxim)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (eh-eh)
Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster

Don-Bosco-Heim, ich war Maler und Lackierer (psst, psst)
Karte, BVG-Ticket, der Verlierer (Blick nach oben)
Meine Mama gab mir die Antidepressiva (Psychiatrie)
Wegen ihr bin ich so ein schlechter Diskutierer (kann nix dafür)
Reflektiere mein selbst nur in der AP (tick-tock)
Reflektiere mein selbst nur in dem Selfie (Paparazzi)

Seh‘ dich hier am Block niemals ohne einen Begleiter (heiße Luft)
Von dem Shisha-Rauchen wirst du bestimmt kein Fighter (pah, pah)
Deine Bitch ist mein Beifahrer (legendär)
Trag‘ den Carlo-Sweater wie’n Bulldozer (drip, drip)
Roli ist an mei’m linken Arm am Schimmern (pow, pow)
Hater schauen auf mein Insta, Kammerflimmern (Herzinfarkt)

Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (mein Vermächtnis)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (im Gedächtnis)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (nein)
Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster (nein)
Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (meine Legacy)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (so wie Maxim)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (eh-eh)                                                          Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster

Mein Outfit passt in das Schemata (immer fly)
Für die Vollidioten vom Dezernat (kleine Girls)
Deutsche Star-Producer nur Plastik-Beats (Plastik-Beats)
Keiner pu-pu-pumpt wie am Muscle Beach (keiner)
Rap ist straight seit dem ersten Take (huh, huh)

Ihr gebt mir Anerkennung mit eurem Hate (huh)
Live on Stage mit der Uzi-Waffe (klick, pow)
Dreißig Grad, ich trage die Gucci-Jacke (ja)
Deutsche Rapper biten MHD (wouh)
Rapper biten Rapper, Schneeballsystem (ja)
Guck mal, jeder bläst jetzt für die Radio-Plays (ay)
Doch hat mal angefangen durch die Carlo-Tapes (wouh)

Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (mein Vermächtnis)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (im Gedächtnis)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (nein)
Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster (nein)
Wenn ich sterbe, ist das hier mein Vermächtnis (meine Legacy)
Hoffe, ich bleibe der Straße im Gedächtnis (so wie Maxim)
Wenn ich sterbe, spielt das hier kein Orchester (eh-eh)
Mit paar Gangster chillen macht dich noch lang nicht zum Gangster

************************************

Man könnte sagen, das ist einfach nur schlechte Sprache, Unterschicht, unbeholfen, mit einigen hochgegriffenen Vokabeln („Schemata“, „Vermächtnis“, „Orchester“, dies allerdings gereimt auf „Gangster“). Man könnte auch sagen, das steht in der Tradition des „poète maudit“, aber eher rückbezogen auf Villon als auf Verlaine, man darf an Kinski denken und einige Berufsprovokateure. Aber nur wenn man es als Provokation ganz hoch hängen will. Dagegen dürfte ein anderer sagen: Rap steht in der Tradition des klassischen Rezitativs (bei dem manche nur warten, wann endlich die „Musik“ beginnt). Oder im Gegenteil, Rilke abwandelnd: Hört euch die Rapper an, wenn erst das Singen begann, wie bald sie lügen. Dieser Mann wird nicht singen. Aber er verwendet auch keine Musik, an die man sich hängen könnte. Oder doch: ein Ostinato aus hochgesetzten klassischen Akkorden. Fetzen. Den Fans genügt eine rhythmisierte Sprache, die gegen Normen verstößt, aber mit fast musikalischem Nachdruck. Mit unwillkürlicher oder auch beabsichtigter Komik („keiner pu-pu-pumpt“). Man muss die Sprache hören, nicht lesen. Am Ende wird er hingerichtet, und man beginnt von vorn, aufmerksamer, spielt er das oder ist er das?!

Musik mit Implikationen

Toleranz und Intelligenz

 lesen (extern) HIER

Sieht es wirklich so friedlich aus, wie wir es gerne hätten? Es ist offensichtlich nicht unproblematisch, links der Moslem, rechts der Christ. Aber kein Zweifel, sie spielen und hören einander zu. Es handelt sich um eine Abbildung aus den Cantigas de Santa Maria, und diese Maria genießt zwar im Islam und im Christentum gleichermaßen große Verehrung, – aber … im Judentum? Man lese über Alfonso el Sabio (1221-1284) hier und über Maria hier. Seien wir froh darüber, dass es diese Zeugnisse gibt, aber trotzdem sollte man mehrfach nachfragen, bevor man Schlüsse daraus zieht. Sollte man heute überhaupt noch von Religion reden, wenn es um Musik geht? Im Fall Johann Sebastian Bach (1685-1750) gebe ich gern zu, dass man etwas von Luther und auch vom Pietismus wissen müsste, sogar eine Anzahl von Chorälen verinnerlicht haben sollte. Aber zwischen den eben avisierten historischen Welten gibt es noch einen gewaltigen doppelten Riss, der durch die Geschichte gegangen ist, komprimiert in der Jahreszahl 1492.

Quelle Christian Geulen: Geschichte des Rassismus / C.H.Beck  München 2007 / Seite 38

Es gibt nicht viel Anlass, in einem früheren Abschnitt der Geschichte ein Goldenes Zeitalter des friedlichen kulturellen Miteinanders zu unterstellen. Vielleicht von Mensch zu Mensch, aber nicht zwischen organisierten Machtstrukturen. Auf der nächsten Seite dieses Büchleins ist vom ersten wahrhaft ‚globalisierten‘ Wirtschaftssystem der Geschichte die Rede. Gemeint ist der später so genannte „Dreiecks-Sklavenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika“, so zynisch das klingt. Die Folgen waren unterschiedlich, und überall in der Welt gab es Varianten solcher Begegnungen. Vernichtung oder Koexistenz waren nicht die einzigen Alternativen. Die spanischen und portugiesischen Kolonisatoren verhielten sich anders als die nordeuropäischen, mit der (nicht beabsichtigten) Folge, dass sich langfristig nur in Südamerika eine wirklich multiethnische Bevölkerung entwickelte, und so z.B. auch eine wirkliche Symbiose der Musikstile, die etwa zur Genese neuer Tanzformen führte. Volksmusik, – wenn ich das hier schon anführen darf. Und niemand dort hätte andere Ohren gebraucht.

Das hat allerdings nicht unbedingt mit dem Nahen Osten zu tun. Nichts in den verschiedenen Kulturen der Welt ist ohne weiteres 1 zu 1 übertragbar.

Konzentrieren wir uns also auf den ZEIT-Artikel, der sich weit entfernt von diesem Hintergrund in unserer Gegenwart entfaltet, – was soll es bedeuten: Mit anderen Ohren zu hören? All dies ausschalten? Andererseits die Warnung vor Vereinfachung, während sie massiv weitergetrieben wird. Der Rhythmus, essentieller Parameter der orientalischen Musik, kommt in dem Artikel gar nicht erst vor. Und vom Westen heißt es: „Der Gigant der abendländischen Musik, Johann Sebastian Bach, komponierte fast ausschließlich religiöse Musik.“ Das ist nicht wahr, ich muss es nicht aufzählen, von den Brandenburgischen Konzerten über die Goldberg-Variationen bis zur Kunst der Fuge. Da gibt es nun mal nichts, was mit den Meditationen bestimmter Sufi-Orden des Nahen Ostens vergleichbar wäre, die „über Jahrhunderte hinweg die Kaderschmieden klassischer Musik“ gewesen sein sollen. Das Wort klassische Musik ist auch nur ein Etikett, wie Volksmusik oder Kunstmusik. Wenn gesagt wird, dass ein Abend deutscher Musik mit dem Violinkonzert von Brahms und Stücken aus Ludwig Erks Deutschem Liederhort nicht denkbar sei, so steckt darin nur der wahre Kern, dass Brahms diese Sammlung nicht leiden konnte. Aber seine eigene Volksliedersammlung hätte er wohl gelten gelassen, und in jedem Radioprogramm wäre eine Liedergruppe nach seinem Violinkonzert oder vor den vierhändigen Ungarischen Tänzen denkbar.

Es grenzt an fahrlässige Pauschalisierung, aber man muss irgendetwas an Prämissen vorgeben, bevor man uns ein neues Hören empfiehlt; denn dies beginnt nun einmal nicht mit guten Vorsätzen, sondern mit (Geschmacks-)Bildung und knallharten Detailkenntnissen. Beginnen wir also mit besonders breiten Schubladen!

Meine Vereinfachung ad hoc

Die Musik wirkt anders auf die Menschen als etwa die Gebrauchsgraphik, wo ein sich wiederholendes Ornament den ganzen Raum füllen darf, ohne dass jemand sagt: die Wände langweilen mich, im Gegenteil, erst so entfaltet diese Kunst ihre belebende oder beruhigende Wirkung, auch – und gerade – als Hintergrund.

Die Musik bedarf der Zeit, macht durch ihre Präsenz fortwährend auf sich aufmerksam. Und da gibt es von vornherein eine Ökonomie der Mittel: Wenn ein Orchester dasitzt, soll es tätig sein; es wirkt deplaziert, wenn zwischendurch eine halbe Stunde lang nur kurze Liedchen mit Lautenbegleitung gesungen werden.

Wenn dagegen ein Trommler eine halbe Stunde untätig bleibt, während der Sitarspieler ein entsprechend großes Solo spielt, entspricht dies dem zugebilligten Rang der Melodie gegenüber dem Rhythmus und zugleich einem Sinn für Steigerung der Mittel, wenn nun beide Spieler zusammenwirken. (Beispiel Indische Musik.)

Und es gibt einen inhaltlichen Anspruch: die endlose Wiederholung einer leicht überschaubaren Melodie, selbst in diversen Abwandlungen, ist einem gebildeten Publikum, das adäquat beschäftigt sein will, nicht zuzumuten. (Ravels Bolero ist eine Ausnahme, zudem wiederholt er eine durchaus nicht leicht überschaubare Melodie, und die Steigerung der Mittel lässt ein in der Ferne – in 15 Minuten – winkendes Ziel erahnen.)

Volksmusik lebt von der Wiederholung, wie auch die einfache Choreographie des Volkstanzes. Das einzelne Lied lebt von den Strophen oder Zeilen mit einem Fortgang des Textes, der Tanz zudem von der hypnotischen Wirkung der Kreisbewegungen und auch vom Wechsel der Tanzarten (Rhythmen), von der Mode, den Bräuchen und der gesellschaftlichen Notwendigkeit.

Kunstmusik lebt von dem sinnvollen Aufbau größerer Gebilde, die Zeit brauchen und den Zeitaufwand lohnen. In der (alten!)  klassischen westlichen Musik ist dies bereits in Umrissen vorgezeichnet durch bestehende, erprobte Formen wie Oratorium, Kantate, Sinfonie (Sonate), Konzert für Solo und Orchester und ähnliches, in der klassischen orientalischen durch die Aussicht auf eine große, detaillierte Darstellung eines Maqams (Dastgah, Raga), solistisch oder im Ensemble, auch innerhalb bestimmter Formen (Nouba, Qasida, Tawsih, Taqsim, Daramad).

Die Wahrnehmung solcher Gebilde erfordert Bildung: die Fähigkeit der fesselnden Darstellung (Künstler) und des kennerhaften Nachvollzuges (Publikum).

Es genügt also nicht, (vorläufig) reizvolle neue Farben zum Verwechseln ähnlich wiederzugeben (Weltmusik mit „fremdkulturellen“ Akzenten), exotistische Einzelstücke im exotischen Outfit zu bieten, aneinandergereiht nach mehr oder weniger zufälligen geschmacklichen Erwägungen.

Je mehr man weiß und kennt, desto empfindlicher wird man gegenüber falschen Tönen und geistlosen Imitaten. Auch weltanschaulich oder ethisch, im Umgang miteinander. Dies aufzuzeigen, ist wohl auch der Sinn des ZEIT-Artikels, der aber zugleich mit Illusionen spielt: als sei im Rahmen von Konzerten, die sich an Pop-Sessions orientieren, eine Differenzierung zu lernen, die sonst jahrelanger Übung bedarf.

Was nicht hilft (aber auch nicht schadet): der bloße Wille zur Toleranz, gerade gegenüber dem, was geschmacklich (in der Vermischung) misslungen scheint. Sie braucht keine Begründung. Und es ist sogar unnötig, den anderen Mitmenschen im eigenen Land, andere Ohren zu wünschen.

Die Sorge des ZEIT-Artikel-Autors mag dennoch begründet sein:

Brot backen, Yogi werden, fremde Sprachen entdecken: Das Angebot an virtuellen Bildungsmöglichkeiten während der Corona-Krise ist überwältigend. Von diesem Appetit auf Neues profitiert in Deutschland auch die nahöstliche Musik, deren Bekanntheit durch die Zuwanderung der letzten Jahre ein ansehnliches Niveau erreicht hat. Rasch haben westlich ausgebildete Geiger oder Cellisten syrische Volkslieder oder „arabische Tonleitern“ erlernt, Wohnzimmerkonzerte mit der Kurzhalslaute Oud oder der Kastenzither Kanun werden über Facebook tausendfach geteilt. Das Ganze nennt sich dann „orientalische“, „türkische“ oder „arabische“ Musik und ist fast immer volkstümlich konnotiert. Klänge „aus Tausendundeiner Nacht“ eben.

Er hält das für Marketingstrategien. Man könnte aber auch hier globale Toleranz fordern. Daher ist die Schlussfolgerung interessant, – welcher Gewinn winkt uns?

Was ist der Zweck des ZEIT-Artikels?

ZITAT:

Warum ist es wichtig, dies zu verstehen? Ein klischeefreies Hören nahöstlicher Musik kann dem europäisch geschulten Geist neue Horizonte eröffnen. Diese Musik in ihrem künstlerischen wie historischen Reichtum zu erfahren könnte ein bedeutender Schritt sein bei der Überwindung eines eurozentrischen Weltbildes, das unseren Blick auf Musik und Philosophie genauso verzerrt wie auf Religion, Politik, Geschichte und Ästhetik. Die Welt mit anderen Ohren zu hören wirkt mindestens so bereichernd, wie sie mit neuen Augen zu sehen.

Also: Bereicherung? Gewiss, man soll den Begriff nicht überfrachten, gemeint ist offenbar das Erleben von geistigen Reichtümern, die man gar nicht im aggressiven Sinn erobert.

Was bringt uns diese Einsicht? Ein klischeefreies Hören nahöstlicher Musik? Was ist mit indischer, vietnamesischer, indonesischer Musik? Wieviel darf es denn sein zur „Überwindung eines eurozentrischen Weltbildes, das unseren Blick auf Musik und Philosophie genauso verzerrt wie auf Religion, Politik, Geschichte und Ästhetik.“

Soviel auf einmal!? Nach dem Mozart-Effekt eine Art Makam-Effekt. Ich wäre der letzte, der sich darüber nicht freuen würde, könnte aber auch an die von Mantle Hood geforderte Bi- oder gar Multi-Musikalität erinnern. Es bleibt also schier unendlich viel zu tun. Bevor wir auf  Philosophie, Religion, Politik, Geschichte und Ästhetik kommen.

Was für eine Illusion!

Die Toleranz ist nicht alles. Die Intelligenz des Menschen ist auch dazu da, grundsätzliche Differenzen zu erkennen. Deshalb bin ich gleich mit dem Rhythmus gekommen. Ich hätte auch vom Gebrauch der Harmonien anfangen können. Oder davon, dass sie im klassischen Sinn bei uns eigentlich nur noch in Pop und Volksmusik verwendet werden, und dass sie der unversöhnliche Feind der fein ausgebildeten Makam-Ohren sind…

Beides große Erfindungen der musikalischen Menschheit.