Archiv für den Monat: Mai 2017

Mimesis

Zu Erich Auerbachs Buch (und weiteren Begriffsbestimmungen)

Auerbach Mimesis Cover 4. Auflage 1967

Wahrscheinlich im Germanistik-Studium Köln empfohlen von Dorothee Sölle oder Herbert Singer. Lektüre alle paar Jahre wiederholt, ohne letztlich Klarheit über den wegweisenden Entwurf des Ganzen zu gewinnen. Neuer Anlauf 2017, anlässlich der allmählichen Erschließung des Begriffs „Figura“ bei der Beschäftigung mit Dante (hier) und nach dem Eintreffen des Büchleins „Mimesis und Figura“ (mit Auerbachs Aufsatz, der dem Buch Mimesis 1938 voranging).

Auerbach FIGURA cover Vorsatz, MIMESIS neu zu erarbeiten

Auerbach Inhalt Mimesis = Dargestellte Wirklichkeit in der Literatur

Wikipedia-Artikel zu einzelnen Kapiteln:

I Opferung Isaaks, Tora II Titus Petronius III Ammianus Marcellinus IV Gregor von Tours V Rolandslied VI Chretien de Troyes VIII Dante Aligieri IX Giovanni Boccaccio X Antoine de la Sale XI François Rabelais XII Michel de Montaigne XIII William Shakespeare XIV Miguel de Cervantes XV Jean de la Bruyère XVI Abbé Prévost XVII Friedrich Schiller XVIII Stendhal XIX die Brüder Goncourt XX Virginia Woolfe

Wissenswert, was in dem zweiten Buch („Mimesis und Figura“) zu lesen ist über die mindere Bedeutung der Kapitel II – V oder sogar IV:

Eine Reihe von Kapiteln in Mimesis gilt der Lektüre von Autoren und Werken, die wenig kanonisch und die, gemessen an klassischen Stilidealen, einigermaßen disparat und »disproportioniert« wirken, Autoren und Werke, die heute allenfalls von Spezialisten gelesen werden. Ich denke hier an den Roman des Petronius (II. Kapitel) ebenso wie an das historiografische Werk des Ammianus Marcellinus (III. Kapitel) oder die Frankengeschichte Gregor von Tours (IV. Kapitel) oder die Verse der Oxforder Handschrift des Rolandliedes (V. Kapitel).

schreibt Friedrich Balke, und weiter:

Quelle Friedrich Balke: „Mimesis und Figura / Erich Auerbachs niederer Materialismus) (s.o. Buch Mimesis und Figura Seite 13-88)

*    *    *

Abgrenzung gegenüber der Mimesis in der Musik (oder Versuch der Parallelisierung?) – Anverwandlung  (Darstellung) der musikalischen Wirklichkeit:

Mimesis in Musik Inhalt 1 Mimesis in Musik Inhalt 2

Auszug aus der Inhaltsübersicht des Buches: Forschendes Üben Wege instrumentalen Lernens / Über den Interpreten und den Körper als Instrument der Musik / Renate Wieland & Jürgen Uhde (Bärenreiter Kassel 2002)

Zitat aus dem oben (gelbes Cover!) abgebildeten Buch „Mimesis und Figura“:

Einem Studenten, der sich darüber beklagte, er verstehe ein Gedicht von Mallarmé nicht, riet Auerbach, er solle es auswendig lernen. (Fortsetzung im Folgenden:)

Mimesis und Figura Doppelseite

Ich mache insbesondere auf die Textstelle darin aufmerksam:

Die Beschreibung der pointillistischen Rekonstruktion kann auch als mimetische Neuerschaffung beschrieben werden und schließt als solche Auerbach ein weiteres Mal an rhetorische Traditionen an, in deren Zentrum der Begriff der imitatio steht. Diese von Mimesis zu unterscheiden ist ein traditionell schwieriges Problem (…).

***

Wie funktioniert Auerbachs Methode, eine beispielhafte Auswahl zu interpretieren?

Anstelle etwa einer gewaltigen Literaturgeschichte? Mit seinen eigenen Worten so wie die neue Literatur selbst:

(…) den großen äußeren Wendepunkten und Schicksalsschlägen wird weniger Bedeutung zugemessen, es wird ihnen weniger Fähigkeit zugetraut, Entscheidendes über den Gegenstand herzugeben; hingegen besteht das Vertrauen, daß in dem beliebig Herausgegriffenen des Lebensverlaufes, jederzeit, der Gesamtbestand des Geschicks enthalten sei und darstellbar gemacht werden könne; man hat mehr Vertrauen zu Synthesen, die durch Ausschöpfung eines alltäglichen Vorgangs gewonnen werden, als zur chronologisch geordneten Gesamtbehandlung, die den Gegenstand von Anfang bis Ende verfolgt, nichts äußerlich Wesentliches auszulassen bestrebt ist und die großen Schicksalswendungen gleich Gelenken des Geschehens scharf heraushebt. Man kann dies Vorgehen moderner Schriftsteller mit dem einiger moderner Philologen vergleiche, welche meinen, es lasse sich aus einer Interpretation weniger Stellen aus Hamlet, Racine oder Goethe und über die Epochen gewinnen als aus Vorlesungen, die systematisch und chronologisch ihr Leben und ihre Werke behandeln; ja man kann die vorliegende Untersuchung selbst als Beispiel anführen. Etwas wie eine Geschichte des europäischen Realismus hätte ich niemals schreiben können; ich wäre im Stoff ertrunken, ich hätte mich in die hoffnungslosen Diskussionen über die Abgrenzung der verschiedenen Epochen, über die Zuordnung der einzelnen Schriftsteller zu ihnen, vor allem aber über die Definition des Begriffs Realismus einlassen müssen; ich wäre ferner, um der Vollständigkeit willen, genötigt gewesen, mich mit Phänomenen zu befassen, die mir nur flüchtig bekannt sind, so daß ich mir die Kenntnisse über sie ad hoc hätte anlesen müssen, was, nach meiner Überzeugung, eine mißliche Art ist, Kenntnisse zu erwerben und zu verwerten; und die Motive, die meine Untersuchung führen, und um derentwillen sie geschrieben wird, wären unter der Masse von materiellen Angaben, die längst bekannt sind und in Handbüchern nachgelesen werden können, vollständig versunken.

Quelle Mimesis a.a.O. Seite 509

Ähnliches hat Adorno mehrfach angesprochen, z.B. als er zur „Charakteristik Walter Benjamins“ schrieb:

Die kritische Einsicht des späten Nietzsche, daß die Wahrheit nicht mit dem zeitlos Allgemeinen identisch sei, sondern daß einzig das Geschichtliche die Gestalt des Absoluten abgebe, hat er, ohne sie vielleicht zu kennen, als Kanon seines Verfahrens befolgt. Das Programm ist formuliert in einer Notiz zum fragmentarischen Hauptwerk, daß „das Ewige jedenfalls eher ein Rüsche am Kleid ist als ein Idee.“

Quelle Theodor W. Adorno: Prismen Kulturkritik und Gesellschaft / dtv München 1963 (Seite 235)

***

Die Beziehung der Begriffe „Mimesis“ und „Figura“ zur Musik scheint mehr oder weniger zufällig, jedenfalls als eine äußerliche Assoziation, die mit der Sache selbst nicht zu tun hat. Und doch wird man leicht eines anderen belehrt, wenn man in Auerbachs Abhandlung auf den Namen Quintilian kommt, der in der musikalischen Figurenlehre eine Schlüsselstellung einnimmt; sie hat den einfachen Grund, dass die Rhetorik seit dem Mittelalter zu den wichtigsten Schulfächern gehörte und für alle Künste maßgeblich war. Aufgrund dieser Priorität besteht für den Literaten Auerbach noch kein Grund, die Musik zur Notiz zu nehmen, sehr wohl aber für die Musikwissenschaft, die Quellengeschichte dieses Begriffes auch im Blick auf die Musik zu betrachten.

[D]ie Rhetorik erfuhr nicht nur ihre Übertragung in die Musik, sie erlebte in dieser neuen Umgebung auch eine Übersteigerung ihrer Kunstmittel, die in der gewöhnlichen Prosarede, ja wohl auch in der Dichtung unmöglich gewesen wäre. Eine solche Häufung der Figuren, eine derartige Gegensätzlichkeit z.B. im Vortrag, wie es in der Musik nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht ist, würde jeden Redner der Lächerlichkeit preisgeben.

Quelle Hans-Heinrich Unger: Die Beziehungen zwischen Musik und Rhetorik im 16.-18. Jahrhundert / Konrad Triltsch Verlag Würzburg 1941 / Nachdruck Georg Olms Verlag Hildesheim 1985 (Seite 145)

In der Einleitung dieses wichtigen Werkes aus der Schule Arnold Scherings findet sich auch der Hinweis, wie es überhaupt mit der Verbindung zwischen Musik und Rhetorik, die noch bei Beethoven eine Rolle spielte, zuendegehen konnte:

Erst die in der Romantik aufkommende musikalische Laienästhetik hat diese engen Beziehungen zwischen den beiden Künsten Musik und Rhetorik zerrissen; diesen romantischen Ästhetikern war die Musik eine Kunst aus himmlischen Höhen und nebelhaften Fernen, schemenhaft und unbegreiflich, bis schließlich bei Hanslick die musikalische Ästhetik zu bloßem Formalismus erstarrte.

Stellt man diesen Anschauungen die Urteile der Ästhetiker etwa des 18. Jahrhunderts entgegen, so muß sofort die große Klarheit und Sicherheit in allen Fragen des praktischen Musiklebens und seiner ästhetischen Beurteilung in die Augen springen. Man hat sogleich den Eindruck, daß sie für ihre Ansichten und Beurteilungen ein festes, gesichertes Fundament besitzen, das der romantischen Ästhetik fehlt. Die Erklärung für diese Tatsache liegt auf der Hand: die Ästhetiker des 18. Jahrhunderts, wie Heinichen, Mattheson, Scheibe usw., waren mitten im praktischen Musikleben stehende M u s i k e r, die Ästhetiker der Romantik dagegen – Denker und Philosophen, unter deren Einfluß sich die auf festem Boden stehende Musikanschauung oft genug zu bloßer übersinnlicher Spekulation verflüchtigte. (a.a.O. Seite 1f)

Zu beleuchten wäre auch der verhängnisvolle Einfluss Rousseaus auf das romantische Denken, dem sogar Beethoven – obwohl seine kompositorische Wissenschaft noch aus den alten Quellen schöpfte – in dem Motto seiner Missa solemnis huldigte: „Von Herzen – Möge es wieder – Zu Herzen gehn!“ Und irgendwie stimmt das ja auch, wenn man das gesamte Handwerk, das beherrscht wird, verinnerlicht hat. Und schon glaubt jeder Laie, dort tief im Innern stehe es ihm von Geburt an zur direkten Verfügung. Und der Fachmann und Republikaner Beethoven bestätigt es von höchster Warte, – ohne dass es dadurch richtiger wird.

(Fortsetzung folgt)

Toleranz gegenüber Intoleranz?

Nach Markus Lanz

Den Gag mit dem sich reimenden Namen des Moderators im Titel wollte ich mir sparen, ebenso wie eine wohlfeile Distanzierung von dieser Art Talkshow, in der es durchaus nicht selten gelingt, kontroverse Themen so zu führen, dass sie sehr bedenkenswerte Perspektiven eröffnen. Wie in diesem Fall der Konfrontation zweier Islamkritiker, die am Ende doch zum einvernehmlichen Urteil kommen: der individuell auftretende Islam sei friedlich und menschenverbindend, als Massenideologie jedoch gefährlich und menschenverachtend. (Alltägliche mitmenschliche Praxis gegen Machtpolitik.)

Hamed Abdel-Samad, Politologe
Der Islamkritiker erklärt in seinem aktuellen Buch „Ist der Islam noch zu retten?“, weshalb die Religion seines Erachtens nicht reformierbar ist.

Ulrich Kienzle, Journalist
Der Nahost-Experte gibt eine Einschätzung zu Hamed Abdel-Samads Religionskritik. Er sagt: „Der Islam ist gefährlich und nicht gefährlich zugleich.“

Es begann mit dem Begriff „Leitkultur“ und lief letztlich auf die Frage hinaus: Muss man gegenüber intoleranten Weltanschauungen Toleranz walten lassen? Ist Hamed Abdel-Samad schon zu weit gegangen, als er als Redner bei der AfD aufgetreten ist – mit dem Risiko, von dieser Partei für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisiert zu werden? Letztlich distanziert er sich heute: er würde es kein zweites Mal tun. – Andere Frage: Hätte Angela Merkel beim Staatsbesuch in Saudi-Arabien ein Kopftuch tragen sollen? Sie tat es nicht. Aber darf sie den Panzerverkauf an ein solches Regime tolerieren?

Diese Sendung ist inzwischen zum Nachhören freigeschaltet: HIER. Ab 4:35 bis 38:55. Abrufbar bis zum 12.8.2017.

Ich finde, jeder Mensch sollte sich mit diesen Fragen beschäftigen, sie tauchen in verschiedensten Maskierungen allerorts auf – seit jeher und selbst innerhalb der friedlichsten Familie. Es ist unnötig, sich vom Ernstfall überraschen zu lassen. Wie ist es z.B. wenn jemand von mir Solidarität (die Unterschrift zu einem Aufruf) verlangt, während ich zweifle? Wenn jemand bei mir Empathie für seine Antipathien gegen xy einklagt? Und, falls ich sie verweigere, mich an den Pranger stellt?

Hier ein plausibler Klärungsversuch:

In dem Wertekatalog, der sich etwa im deutschen Grundgesetz wiederfindet, steckt eine Grundsatzentscheidung der Gesellschaft, dass Grundrechte, etwa das auf Leben, Gleichberechtigung, Religions- oder Meinungsfreiheit, keinesfalls verletzt werden dürfen. In der Verfassung liegen ethisch-politische Festlegungen, und Abweichungen davon müssen oder dürfen sogar nicht toleriert werden.

Hier wird man vielleicht auch das eingangs genannte Problem des Verhältnisses unserer Gesellschaft zum Islam ansiedeln müssen – und wie so oft genauer differenzieren: Insofern fundamentalistische Strömungen im Islam gegen die Wertefestlegungen unserer Gesellschaft verstoßen, müssen sie nicht toleriert werden. Eine Religion, die versucht, eigene Vorstellungen, die unseren gesellschaftlichen Wertvorstellungen widersprechen, mit welchen Mitteln auch immer in der Gesellschaft durchzusetzen, muss man nicht tolerieren.

Das gilt übrigens für andere Religionen ganz genauso, namentlich auch für die christlichen, in denen es ebenfalls fundamentalistische Strömungen gibt. Und das gilt nicht, weil der Fundamentalismus selbst intolerant ist, sondern weil er gegen die ethisch-politischen Grundsätze unseres Zusammenlebens verstößt. Soweit aber lediglich kulturelle Unterschiede bestehen, hat der Islam wie alle Kulturen, Religionen und Weltanschauungen ein Recht darauf, toleriert zu werden. Dazu gehört seine Ausübung durch die Gläubigen und das Errichten von Gotteshäusern in demselben Umfang, in dem man es auch anderen Religionen gestattet. Auch das gehört zu den ethischen Grundsätzen unserer Gesellschaft.

Quelle Dr.Dr. Rainer Erlinger im SZ-Magazin Heft 10/2011 Süddeutsche Zeitung / Abrufbar HIER.

Aber mit diesen Grundsätzen allein ist es nicht getan. (Wie steht es z.B. mit der Toleranz im Alltag. „Wie … ordnet man die häufigen kleinen Probleme des Alltags ein? Wenn unterschiedliche Vorlieben, Interessen oder Bedürfnisse aufeinanderprallen?“ In diesem Artikel wird auch Karl Poppers „Paradoxon der Toleranz“ behandelt:

 Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen. (1944)

Quelle Erlinger a.a.O. / siehe auch im Originaltext Popper hier.

(Fortsetzung folgt)

Badakhshan Brotfabrik Bonn

Konzert am Sonntag 14. Mai 2017 HIER 

Diese Musik hat eine unerhörte Kraft. Es gibt nichts, was ich dem vergleichen kann. Richard Wagner braucht für solche Wirkungen ein riesiges Orchester (mit Nibelungen-Tuben). Ich stelle mir vor, dass es mit der gewaltigen Präsenz des Pamir-Gebirges zu tun hat.

Das Badakhshan Ensemble hat sich nach der Bergregion benannt, die poetisch (und in persischer Sprache) bekannt ist als Bam-i Dunya, als ‚Dach der Welt‘. Es ist die am dünnsten besiedelte östliche Region Tadjikistans, die bis an den Nordosten Afghanistans reicht. Dort eingebettet in eine Reihe von Flusstälern, die aus dem Pamir-Gebirge kommen, liegen Dutzende von kleinen Siedlungen, in denen die lebendige Tradition eines hingebungsvollen Gesangs gepflegt wird.

Siehe weiter im „Klangkosmos NRW“ bei Birgit Ellinghaus HIER.

Wann und wie ich die Musik dieser Region lieben lernte? 1995, durch eben solchen Gesang und diese CD:

Badakhshan PAN vorn auffindbar HIER

Wo liegt diese Region?

Badakhshan PAN wo

Wie etwa könnte es dort aussehen?

Badakhshan

„Bulbulik“-Lieder, notiert von ©JR Badakhshan CD-Track 3 & 4

Dargilik Bulbulik

Strukturell verwandt mit diesen Volksliedern ist der Klagegesang Dargilik, Badakhshan CD Tracks 12 und 13. Letzteren habe ich vor einigen Jahren notiert, oder sagen wir: skizziert, jedenfalls viel Zeit investiert, also ebenfalls ©JR. Die Notation jedoch – dies für Nicht-Musikethnologen – ist nur etwas wert, wenn man die Musik kennt und sehr genau im Ohr hat. Ganz wichtig in Teil III (Zeile 10) die (um einen Viertelton erhöhte) Intonation des Tones g‘: dafür hat das Akkordeon eine Extrataste!

Dargilik a Dargilik b Youtube Video HIER

Wenn Sie Zugang zu Spotify haben, können Sie die Musik der ganzen CD leicht finden; allerdings bietet nur die physische CD das informative Booklet (in englischer Sprache).

Dargilik über SpotifyScreenshot SpotifyBadakhshan PAN Liste CD-Rückseite

Nach der Aufführung in der Brotfabrik Bonn-Beuel am 14. Mai 2017

Badakhshan 250053 Sebastian Schutyser - Aga Khan Music Initiative 300dpi Foto: Sebastian Schutyser

Anstelle des Musikers in der Mitte (Streichinstrument Ghitchak) war ein weiterer Lautenspieler dabei (aber nicht Rubab).

Badakhshan Ensemble Mitwirkende

Beim Konzert in westlichen Ländern (öffentliche Präsentation von Liedern oder „Stücken“, die in einer bestimmten Region zu Hause sind) begegnet dem Ethnologen (oder auch dem „normalen“ Zuschauer) ein ganz anderes Problem als bei der Beschäftigung mit einer CD oder einem Film aus der Heimat-Region. Die Werke sind für das zu erwartende „fremde“ Publikum perfekt vorbereitet. Die 4 Interpreten sitzen vorne nebeneinander in Feiertagskostümen (Signalwirkung: „Folklore“), sie haben ihre Stücke zugeschnitten und zu Satzgruppen zusammengefasst, keins darf „zu“ lang sein, die Tempowechsel sind wirkungsvoll, der Aufbau steigerungsbewusst, das Publikum lernt wahrscheinlich innerhalb der Konzertdauer von 70 Minuten (ohne Pause) ein Maximum von Melodien und Rhythmen kennen, alle mitgebrachten Instrumente in ökonomisch wechselndem Einsatz (vor allem verschiedene Lauten, die Sängerin auch mit Rahmentrommel oder Maultrommel, der Leiter und Solosänger präsentiert 1 Mal auch die Flöte im Ensemble und solistisch). Man könnte eine solche Programmgestaltung unauthentisch nennen, aber es ist kaum eine Konzertdarbietung vorstellbar, die auch noch das Authentische des Musikgebrauchs im Dorf für ein städtisches westliches Publikum konzertmäßig präpariert. Der Begleiter der Gruppe, der die Interpreten und die Stücke in englischer Sprache kurz ankündigt, sitzt später hinten im Publikum und scheint eine aktive Rolle zu spielen, indem er den Beifall anführt, spontan „Bravo!“ ruft und eine Vorstellung hat, wie ein solches Programm vermittelt werden muss und wie ein erwünschtes Publikum im Westen günstigstenfalls zu reagieren hat. Ein Dargilik in voller Länge ist in dieser Konstellation kaum vorstellbar. Für jemanden, der die Situation (das „zweite Dasein“ der Musik) im Sinne der Interpreten deuten kann, ist die veränderte Darbietungsform kein Hindernis, die verschiedenen Stile und Tonarten wahrzunehmen und zu schätzen, und darüberhinaus zu bedenken, dass vielleicht 10 von 15 Strophen weggelassen, dass dem mutmaßlichen Geschmack der fremden Städter zuliebe auch einige „ausgeterzte“ Instrumental-Passagen eingestreut werden. Eindrucksvoll: die Intensität der vibratofreien Stimmen.

Idylle im deutschen Reich

Wir Ahnungslosen

Telegramm Kinderreich b Aller Segen kommt von oben

Telegramm Kinderreich a Kindergerechtes Spielzeug

Telegramm Kinderreich Hochzeit Im Namen der Gartenzwerge

Telegramm Reichspost Deckblatt  Blätterschmuck Frühling 1937

Telegramm Kinderreich a Detail Räder rollen, ein Fähnlein im Dorf…

Telegramm Kinderreich Hochzeit name Zu Recht vergessene Künstler

Telegramm Info

Was soll das? Gab es denn mich schon? Nein, aber bald. (Fortsetzung folgt!)

Vormerken: Haydn (bis 7.Juni)

Haydn WDR Screenshot 2017-05-07 Dies Bild nur zum Lesen anklicken! Ansonsten bitte eine Zeile weiter auf HIER…

Zum Nachhören: HIER

In Search of Haydn (1/2)

07.05.2017 | 54:25 Min. | Verfügbar bis 07.06.2017 | WDR

Der preisgekrönte Filmemacher Phil Grabsky begibt sich in seiner Dokumentation auf die Spuren von Joseph Haydn, der einer der größten musikalischen neuerer und einer der geistreichsten und produktivsten Komponisten aller Zeiten war. Ausschnitte aus Haydns bedeutendsten Werken, interpretiert von weltweit gefeierten Musikern und Gespräche mit namhaften Haydn-Experten sowie Auszüge aus Haydns Briefen und Erinnerungen geben einen tiefen Einblick in Leben und Werk des Komponisten.

Weiter mit Vogelstimmen

Constance Scharff und Hollis Taylor

Vogelstimmen Bonn Scharff

Siehe dazu auch die neuen Einträge HIER

Weiteres als Anregung:

http://www.hollistaylor.com/compositions.html Hier

Groove Theory, Concerto for Violin, Strings, Harpsichord, and Percussion (2001, commissioned by Monica Huggett and the Portland Baroque Orchestra; funded by major grants from the American Composers Forum and Meet the Composer)

Übrigens hat das kompositorische Werk aus meiner Sicht nichts mit der Einschätzung der ornithologischen Arbeit zu tun, die für mich vorrangig ist. Und darüber sage ich erst etwas, wenn mir das Buch „Is Birdsong Music?“ vorliegt (voraussichtlich Juli 2017).

Ich weiß, dass die Forscherin Constance Scharff sehr respektvoll von Hollis Taylor spricht; sie verdankt ihr viel, wurde von ihr mit dem „musikalischsten“ Vogel der Welt bekannt gemacht, dem australischen Butcherbird. Ich habe diesen wirklich verblüffenden und begeisternden Vogel durch Terra Nova 1997 „nature & culture“ kennengelernt, herausgegeben und mit einer CD ausgestattet von David Rothenberg. Tr. 1 „Dawn Solo from Pied Butcherbirds of Spirey Creek“, recorded by David Lumsdaine. Neue Anregungen! Frau Scharff erzählte in Bonn, dass solch ein Vogel, der stundenlang singt und auf den Gesang der Artgenossen reagiert, irgendwann – wirklich nach Stunden – plötzlich eine ganze Serie fremder Laute, Rufe oder Strophen anderer Vogelarten aneinanderreiht, so als ob er nach soviel Eigenproduktion sagen wollte: „Das kann ich auch noch.“ Zu Beginn des Gesprächs ging Rüsenberg einen Fragebogen durch, der mit der Frage begann: „Lieben Sie Zebrafinken?“ (Es ist ihr Forschungsgebiet, wobei die Zebrafinken in dieser Forschung, die auch Gehirnforschung ist, in etwa die Rolle der weißen Mäuse in den anderen Forschungsrichtungen einnehmen.) Die Antwort war komplex und betraf auch die Rechtfertigung der Arbeit, die mit dem Tod der Tiere verbunden ist. Ich wage nicht, diesen Gedankengang zu rekapitulieren und erst recht nicht, ihn ethisch zu beurteilen. Auf eine andere Frage („welches Buch möchten Sie keinesfalls lesen“) antwortete sie, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern: „Eins mit dem Titel: Why Birds sing“ . Ich ahnte warum: sie ist fern von jeder Vermenschlichung ihrer Tiere, deren sorgfältige Pflege in ihrem Institut zu den täglichen Aufgaben des Teams gehört, andererseits rücken die Tiere mit allen Fähigkeiten und Anlagen ganz in die Nähe des Menschen. Gerade wenn wir berücksichtigen, was uns wirklich trennt. Constance Scharff zitierte den Philosophen Wittgenstein mit seinem wunderbaren Ausspruch: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir ihn nicht verstehen.“ – Bei dem Titel „Why Birds sing“ fiel mir das Buch ein, das ich mir einst besorgt habe, als ich über Messiaen und seine Vogelstimmen-Verwertung gearbeitet habe: „Warum die Vögel singen“ (1929) von Jacques Delamain, dem Fachberater und Freund des Komponisten, der nun – nach meiner Meinung – ein gnadenloser Anthropomorphist war in seiner ganzen Vogelverehrung. – Und nun etwas ganz anderes: David Rothenberg, wie er leibt und lebt. Und … wie heißt sein Beitrag?

Also: die Frage ist, ob das, was mit diesen Ausführungen angedeutet werden soll, auch seriös im Sinne der Wissenschaft ist. Um das entscheiden zu können, haben wir Gottseidank Vorträge wie den, um den es in diesem Beitrag und im Fortgang unserer Aufarbeitung gehen soll…

Hochinteressant in Constance Scharffs Forschung ist die sorgfältige Beachtung der Pause im Gesang der Vögel. Wenn man den Zebrafinken eine Aufnahme ihres Gesanges vorspielt, der aus 5 Tönchen besteht und uns nicht unbedingt wie Gesang erscheint, und dabei z.B. kontinuierlich die Geschwindigkeit verändert, stellt man fest, dass die Tiere empfindlicher auf die Veränderungen der Pausen reagieren, als auf die der Töne. Was u.a. auch bedeutet, dass für die Tiere unter Umständen ganz andere Parameter eine Rolle spielen als wir denken.

Wenn einem singenden Männchen ein Rivale ins Wort fällt (man kann das bei Schwarzdrosseln beobachten, jedenfalls, dass sie aufeinander reagieren, oft in derselben Tonhöhe, auch mit ähnlichen Motiven). Mit einer Aufnahme kann man diesen Fall simulieren und dafür sorgen, dass der konkurrierende Sänger nicht nur lauter, sondern vor allem vorlauter antwortet. Frage: wem wendet sich das Weibchen zu? Dem, der dem anderen immer wieder erfolgreich das Wort abschneidet.

Nicht vergessen (da in dem Gespräch Rüsenberg/Scharff neben Messiaen auch Mozart erwähnt wurde), – es geht da um Mozarts geliebten Vogel Star, sein Gedicht auf dessen Tod und die Melodie des G-dur-Klavierkonzertes, vielleicht auch den „Musikalischen Spaß“ betreffend: siehe SPIEGEL 1990 hier.

Einiges an Grundwissen der Vogelstimmen-Forschung gab es schon vor einigen Jahren bei Rüsenberg (Gespräch mit Donna Maney, Atlanta), nachzulesen hier.

Eine Abschrift des Vortrags von Constance Scharff in Bonn wird für diesen Blog vorbereitet. Gefilmte Auszüge hat Michael Rüsenberg in seiner Web-Präsenz Gedankensprünge.de erstellt: HIER.

Zur katastrophalen Situation der Vögel in Deutschland siehe ZDF Markus Lanz 9.5.2017 HIER ab 53:00 der Ornithologe Prof. Peter Berthold (die Betitelung der Sendung – „Zu Gast sind…“ etc. – wird wahrscheinlich noch korrigiert!) Video verfügbar bis 10.08.2017, 00:30 

Beginnt mit Bezug auf folgendes Buch: Rachel Carson Der stumme Frühling (1962).

Noch einmal zu Hollis Taylor: ich beginne mit dem Studium einiger Abhandlungen, die per Internet abzurufen sind, z.B. „Decoding the song of the pied butcherbird: an initial survey“ HIER .

It is concluded that their elaborate song culture seems to overreach biological necessity, indicating an aesthetic appreciation of sound is present in the pied butcherbird. (aus: Abstract)

This panoply of recombining, varying, and inventing mechanisms causes me to believe that aesthetic statements are being delivered and that the birds appreciate this in their way. (aus: Conclusion)

Es wäre natürlich befriedigender, wenn am Ende Folgerungen stünden, die ohne „seems“ und „causes me to believe“ auskämen.

Lachen – worüber?

Kein Witz

„Unser Mund sei voll Lachens“ BWV 110. Ich hätte nicht gedacht, dass ich eines Tages auf diese Bach-Kantate, die ich seit 45 Jahren liebe, zurückkomme, um ihren Ausdruck des Lachens in Zweifel zu ziehen. Man sieht in der Auflistung, ich habe damals mitgewirkt, und einer hineingeschriebenen Widmung einiger Kollegen (an JMR) entnehme ich heute, dass wir zumindest das Magnificat genau am 21.10.72 im Kloster Einsiedeln in der Schweiz aufgeführt haben. Wir haben uns über alles gefreut, (am meisten übrigens über den Satz „Ach Herr, was ist ein Menschenkind“, weil ihn der Tölzer Knabe Andreas Stein so ergreifend sang) und wir wussten seit der Schallplatten-Produktion in Lenggries, dass die Orchester-Ouvertüre D-dur BWV 1069, die dem ersten Chorsatz der Kantate zugrundeliegt, demnach die reinste Lach-Fuge enthält. Obwohl sie völlig anders lacht als z.B. die Fuge am Anfang der Mozartschen Zauberflöte oder in den Meistersingern. Und eins ist wohl klar: so ausdauernd lacht kein Mensch, außer vielleicht beim Lach-Yoga. Aber ist das nicht bloß ein mechanisches Lachen? Es hat mit Witz oder Humor nichts zu tun. Und wenn ich mir hier bei Bach die Engel auf dem Cover ansehe, denke ich, dass man sein Lachen eher vom „Frohlocken“ her verstehen muss, in gesteigerter Form vielleicht als eine Art Dauerfreude, die mit übermütigem Tanz verbunden sein könnte, wobei fortwährend grundlos gelacht und gekichert werden darf. Ein Beispiel dieser Kantate aus jüngster Zeit, im rechten Tempo: Hier! aber nach dem Anklicken auch freudig erregt abwarten! das Lachen beginnt erst bei 1:38. Ketzerische Bemerkung: keiner der Choristen oder der Solo-Interpreten lacht. ABER: wäre es denn wirklich wünschenswert?

Unser Mund voll Lachens

Unser Mund voll Lachens Text

Merkwürdigerweise würde man hier nie sagen: Das ist aber ein gekünsteltes Lachen, – das kenne ich von manchen Leuten, besonders von Sängern und Schauspielern (die es professionell draufhaben), dass sie über einen relativ harmlosen Scherz immer etwas zu lange lachen (und zu laut). Denn in der Musik soll das Lachen – oder sagen wir besser mit Beethoven: die Freude – kein Ende nehmen, auch ohne jeden Grund; wir lachen auch nicht richtig über die Musik (außer über die gröberen Scherze, z.B. im Scherzo der „Neunten“ oder bei den Londoner „Proms“, wo es mehr in Richtung Slapstick geht), aber immerhin: wir lächeln freundlich, meinetwegen auch in Form eines Dauerlächelns, und das signalisiert: ich verstehe durchaus den Spaß der Ernsten Musik!

Von diesem Lächeln aus einer freudigen Stimmung heraus, muss das eruptive Lachen über einen Witz oder eine komische Situation unterschieden werden.

Notizen über das Lachen

Man lacht gern in Gemeinschaft, oft auch ohne rechten Grund. Lachen ist ansteckend. Freude, gute Laune, „Amüsiertheit“ – von Lachen begleitet – ist etwas ganz anderes als das Lachen über einen Witz, einen Gag, eine treffende humoristische Bemerkung (die aus der guten Laune heraus kommt). Man lacht zwar rhythmisch, mit mehreren Anschlägen, nicht nur einem Schrei, insbesondere nach der Pointe eines Witzes, aber ungeordnet, jeder auf seine Weise. Rhythmisch, aber eben – polyphon.

Es gibt ein hörbares, aber auch ein weniger hörbares, sogar stilles Lachen (nicht gemeint: Kichern, das quasi verschämt angestimmt wird, weil es nicht ganz „am Platze“ ist). Aber das einsame Lachen, z.B. das hörbare Lachen eines Lesers in der Bahn ist für die anderen Reisenden eher peinlich, jedenfalls nur in Grenzen amüsant („Sucht er Anschluss? provoziert sie eine Nachfrage? Lassen Sie uns doch mitlachen!“).

Dazu gehört aber auch: Witzemacher, ungebetene Witzeerzähler sind anstrengend. Ich will nicht lachen müssen; wer jedoch nicht mitlacht, gilt leicht als Spielverderber. Wahr ist allerdings auch, dass der Witz-Aktivist alle anderen zu Statisten macht. Und das lähmt!

Ein Witz kann nicht zweimal im gleichen Kreis erzählt werden, vor allem nicht in derselben Situation; ein witziges Musikstück kann jederzeit wiederholt werden. Wegen der zusätzlichen Komponenten: es läuft nicht auf einen einzigen unveränderlichen Gag hinaus. (Sinfonie mit dem Paukenschlag? Man kann (sollte) diesen Tutti-Effekt bei Wiederholung wenistens anders platzieren, etwas verzögern oder voreilig einschlagen lassen.)

Für das typische Lachen entscheidend ist die Wucht, die Unbeherrschtheit. Lahm lachen geht gar nicht, oder es ist parodistisch gemeint („haa – haa – haa!“), ironisch.

Geschieht eigentlich irgendetwas Lustiges, wenn man gekitzelt wird? Eine Grenzüberschreitung. Ohnehin nur von Leuten akzeptabel, die man sehr gut kennt. Warum lacht man nicht, wenn man sich selbst zu kitzeln versucht? Natürlich kann ich auch nicht über einen Witz lachen, den ich mir selbst erzähle, – er muss ja unbekannt sein -, aber über einen witzigen Einfall durchaus, ich brauche dafür nicht einmal einen Zeugen. Ich kann dann sogar innerlich lachen, oder, leicht schnaufend, nur mit dem Zwerchfell, also auch: andeutungsweise rhythmisch. –

Noch einiges zum Kitzeln: Kann ich eine Katze kitzeln? Nein, es bringt Kratzer, im besten Fall vergrault man sie.

Auch unter Menschen: Es ist wie ein Angriff, aber nur zum Spaß. Als Spaß verstehen es nur Kinder. Oder Menschen (s.o.), die sich gut kennen, (jugendlicher) Übermut gehört dazu, ich glaube nicht, dass es alte Menschen gibt, die einander mit Kitzelaktionen überraschen. Die Plötzlichkeit gehört dazu, selbst bei Ankündigung: ein Überraschungsmoment. Eine winzige Pause, eine Schrecksekunde, liegt zwischen dem körperlichen Zugriff des Anderen und dem eigenen Begreifen: ein Spaß!

Insofern passt das auch zu einer Definition des Witzes, die der Kognitionspsychologe Matthew Hurley in einem SZ-Interview gegeben hat:

Das Komische an sich gibt es nicht. Was alle Witze gemeinsam haben, ist vielmehr, wie wir sie geistig verarbeiten. Wir [die Autoren eines Buches über Humor] argumentieren, dass uns Witze zu Annahmen verleiten, die sich wenig später als falsch herausstellen.

Und später kommt er auch auf die physische Seite:

ZITAT

SZ: Gibt es ein Gen für Witze?

Hurley: Nach unserer Theorie gibt es einen evolutionären Wettbewerbsvorteil für Humor und deshalb eine biologische Grundlage, die den kognitiven und emotionalen Charakter von Humor begründet. Aber genauso spielen Entwicklung und Kultur eine Rolle dafür, wie sich die Eigenschaften entfalten.

SZ: Wie sieht es mit Slapstick aus? was ist witzig daran, wenn jemand wieder und wieder gegen eine Wand läuft?

Hurley: Das erste Mal entdecken wir einen Fehler und lachen darüber. Wir können aber auch darüber lachen, wenn der Vorgang sich wiederholt, denn dann erkennen wir, dass es einen weiteren Fehler gibt – die Unfähigkeit, aus Erfahrung zu lernen.

SZ: Sie erklären sogar das Kitzeln als eine Art Protohumor.

Hurley: J, aber das ist etwas spekulativ. Kitzeln erzeugt einen Eindruck, dass etwas Gefährliches über unsere Haut krabbelt – das ist eine unwillkürliche Annahme, der wir uns nicht entziehen können. Weil diese Illusion so stark ist und weil sie mit jeder Berührung neu belebt wird, wir aber gleichzeitig erkennen, dass dem nicht so ist, lachen wir – und können oft nicht aufhören mit dem Lachen. Es ist ein Nebenprodukt unserer Humorveranlagung und unserer Neurophysiologie.

Quelle Süddeutsche Zeitung 10./11. September 2011 Und was ist daran witzig? Wieso Scherze lustig sind, Slapsticks komisch und was Kitzeln mit Humor zu tun hat – Matthew Hurley im Gespräch [mit Hubertus Breuer]. Anlass war das eben erschienene Buch Inside Jokes: Using Humor to Reverse-Engineer the Mind  von Matthew Hurley in Zusammenarbeit mit Daniel Dennett und Reginald Adams.

Man lese auch Wikipedia über Kitzeln, Witz, Humor.

Und in diesem Blog unter: Schopenhauer, Witze, Cicero, Osterlachen, oder Witze verstehen u.a. – auch schon einmal über Hurley hier.

Zurück zu Bach: Hat er gelacht? (wie Telemann z.B. in der Schulmeisterkantate). Ja, sogar in seinen Fugen. Einmal auch gejodelt. (Cis-dur.)

Ist das Lachen nicht gerade in den monotheistischen Kulturen verpönt? Wagner hat es begriffen: Kundry hatte an der falschen Stelle gelacht. (Meine Oma hat uns Kinder gern gewarnt: Sitzet nicht da, wo die Spötter sitzen!)

In diesem Moment schneit die Post ins Haus, darunter die Zeitschrift „das orchester“. Mir schwant nicht nur Gutes, – womöglich neue Ideen zur klassischen Bespaßung?

das orchester Mai 2017

Die Musikwissenschaftlerin Maria Goeth hat den Humor in der Musik erforscht und wurde hier zu ihrem Thema befragt. Titel des Beitrags: Von Eseln, Möhren und Casting-Shows.

Für mich liegt die Schwierigkeit auch hier darin sich zu verständigen, was man unter Humor versteht. Musik-immanente Komik, mit Musik verbundener Wortwitz, Instrumental-Jokes, verhohnepipelte Klassik oder schlicht: Klamauk? Das meiste liegt auf der Hand und ist oft benannt worden, Haydn – ohne zu definieren, wie sein Humor funktioniert. (Der Paukenschlag ist als Witz zu wenig.) Die Satz-Überschriften von Satie sind bloßer Wort-Witz; ich persönlich finde sie überhaupt nicht witzig, sondern nur gewollt, auch der Humor des jungen Hindemith („Minimax“) hat mir nach zweimal Durchspielen gereicht. Und wenn ich dann lese: „Sogar Wagner konnte lustig sein.“ „Und Verdi hat nach all seinen großen dramatischen Opern mit über 50 beschlossen, dass er nun endlich etwas Heiteres schreiben müsse: den Falstaff.“ Ja, wenn es denn nun um irgendetwas „Heiteres“ gehen soll, könnte einem doch wesentlich mehr einfallen. Mir zum Beispiel als erstes Mendelssohns Sommernachtstraum oder der letzte Satz seines Violinkonzertes. Und dann geht es erst richtig los. Auch mit den Problemen: geht es darum, Jugendliche zu gewinnen oder allgemein: Klassikmuffel, die ohne grobe Scherze gar keinen Witz mitbekommen? Ich wiederum kann dem P.D.Q.Bach-Fake nichts abgewinnen. Ein Witz für Insider? Ganz im Gegenteil!

Da gibt zu denken, was in dem Artikel „Mit Begeisterung anstecken“ (Seite 18) von der Konzert- und Musiktheaterpädagogin Anastassia Tkachenko übermittelt wird:

„Expressionistische Musik können Jugendliche sehr gut nachvollziehen, viel besser als Mozart.“  Ganz wichtig ist ihr auch, dass richtige Instrumente verwendet werden, dass nicht geklimpert, sondern ernsthaft Musik gemacht wird.

Jugendliche reagieren anders auf Musik als Kinder, und – Binsenweisheit! – das meiste hängt von der Vorbildung und der Begabung ab. Und was erwachsene Musiker angeht: sie produzieren soviel Wortwitz, Quatsch und Unsinn in den Spielpausen, dass sie gar nicht das Bedürfnis haben, dem Publikum vorzuführen, dass ihr Beruf aus Clownerien besteht. Schauen Sie doch einmal ins Fernsehprogramm: Es wird weiß Gott nicht zu wenig gelacht und gejohlt. Muss man den Jugendlichen aufschwätzen, dass es auch in der Musik vor allem darum geht?

Wie lustig ist eigentlich der letzte Satz aus Mozarts Klarinettenkonzert? Wahrscheinlich gibt es da das Problem der Länge… und dass man vom langsamen Satz schon so „runtergezogen“ wird.

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Man sollte also Witze von Albernheiten unterscheiden, die durchaus für Lachen sorgen: groteske Grimassen, komische Gangarten, unmotivierte Geräusche, jemandem rücklings auf die Schulter klopfen, künstlich erzeugte Sprachfehler usw., wobei auch Übergänge festzustellen sind.

Es gibt eine allgemeine Formel, die vielleicht einfacher zu handhaben ist als Schopenhauers Indiz der Inkongruenz, wie hier nach Matthew Hurley:

Unser Gehirn produziert ständig Vorhersagen. Es berechnet, wo ein Fußgänger hingeht, wo eine Person sagen wird, was passiert, wenn wir auf einen Knopf drücken. Dazu ,muss es aber unter Zeitdruck Annahmen machen, die sich gelegentlich als falsch herausstellen. Und es ist wichtig, dass diese, wenn nötig, so schnell wie möglich korrigiert werden. Da hilft es, wenn wir es genießen, Fehler zu entdecken. (…) Heiterkeit und Lachen sind die Belohnung für für diese Korrektur. Deshalb sind wir motiviert, ständig nach neuen Denkfehlern zu fahnden. Wir sind leidenschaftliche Fehlersucher. Heiterkeit führt uns dazu, weiter nach Denkfehlern zu suchen – weil es gut für uns ist.

Quelle  Matthew Hurley (s.o.)

Nachtrag 26.04.2018

George Steiner:

Denken ist am lesbarsten, am wenigsten verhüllt in Ausbrüchen entfesselter, geballter Energie, wie etwa im Falle von Furcht oder Haß. Diese Triebkräfte können, insbesondere im Augenblick des Geschehens, kaum vorgetäuscht werden, mögen auch Virtuosen des Doppelspiels oder der Selbstkontrolle die Verschleierung bis zur Meisterschaft beherrschen. (…)

Da Haß die gesamte Palette mentaler und instinkthafter Kräfte mobilisiert, könnte er sehr wohl die vitalste, geladenste Geisteshaltung sein. Er ist stärker, kohäsiver als Liebe (wie Blake intuitiv erkannte). Oft ist er der Wahrheit näher als jede andere Offenbarung des Selbst. Die andere Klasse gedanklicher Erfahrung, bei der es zum Zerreißen des Schleiers kommt, ist die spontanen Lachens. In dem Augenblick, da wir den Witz verstehen oder einen Blick auf die komische Seite erhaschen, liegt unser Wesen bloß. Kurzzeitig gibt es keine ‚Hintergedanken‘. Doch diese Öffnung hin auf die Welt und die anderen ist nicht von Dauer; unabsichtliche Beweggründe kennzeichnen sie.

In dieser Hinsicht wird das Lächeln fast zur Antithese des Lachens. Das Lächeln von Schurken hat Shakespeare sehr beschäftigt.

Quelle George Steiner: Warum Denken traurig macht. Zehn (mögliche) Gründe / Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006 (Seite 62).

Die beste Zeit im Jahr

Zwischentöne im Actus tragicus

Es fasziniert mich, Johann Sebastian Bach als Geistesbruder des großen Gottfried Wilhelm Leibniz zu sehen, der die Infinitesimalrechnung erfand. Natürlich verdanke ich den Impuls der wiederkehrenden Lektüre des Buches „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst“ von Horst Bredekamp. Ich denke auch an Mozart (siehe hier). Und an Bach, Mozart und Leibniz zugleich, wenn ich am Tag vor dem 1. Mai durch den Benrather Schlosspark spaziere und mir vornehme, noch in diesem Frühlingsmonat Schloss Herrenhausen in Hannover zu besuchen.

Benrath 2017 aa … … …Benrath 2017 b … … …Benrath 2017 f … … …Benrath 2017 c … … …Benrath 2017 e … … …Benrath 2017 d Fotos: E.Reichow

A propos: „Natur“. „Wie natürlich ist unsere Natur?“ Man steige einmal in die ZDF-Precht-Sendung vom 20.3.2017 ein [ HIER ], in der sich Richard David Precht mit Andrea Wulf unterhält, die ein Buch über Humboldt geschrieben hat, etwa bei 12:50, und springe nachher zurück auf – sagen wir – 7:00, alles ist interessant, aber nicht ganz auf dem Niveau von Bredekamp (Precht: „Der Barockgarten ist die domestizierte Natur“ – sagt er, um ihn vom englischen Garten abzusetzen. Aber natürlich bedeutet jeder Garten eine Domestizierung der Natur.)

(Fortsetzung folgt)

Übrigens: der Titel dieses Blogbeitrags, der ein bisschen an den vorigen anknüpft, bezieht sich eigentlich auf ein schönes Lied von Martin Luther, das manchmal auch in der (falschen) Schreibweise „Maien“ für „mein“ begegnet: „Die beste Zeit im Jahr ist mein“. Hier eine Aufnahme, anrührend gesungen von dem Kammerchor Hallenser Madrigalisten:

Leider nur zwei von vier Strophen. Es handelt sich um den Chorsatz von Melchior Vulpius. Diesen Satz und eine andere, vielleicht heute bekanntere Melodie desselben Textes fand ich im alten Chorbuch „Musik in der Schule“ Band 3 Möseler Verlag Wolfenbüttel (1954). Ob Vulpius oder schon Luther die Choral-Melodie unterlegt hat, weiß ich nicht. Als Quelle finde ich nur Martin Luther, 1538 (1483 – 1546), Schlußstrophen des Gedichtes “Frau Musica” (“Für alle Freuden auf Erden”)  – Musik: nach der Choralmelodie ”Wenn wir in höchsten Nöten sein”. – (Fragwürdig, – doch nicht etwa Lyon 1547? Lied 211)

Die beste Zeit

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Achtung: Heute auch neuer Eintrag in Blog-Beitrag Syrien-Skandal  HIER.