Archiv für den Monat: Oktober 2023

Wind, Wolken, Bewegung

 

↑Texel – ein visuelles Bündnis mit den Elementen 22.08.23 / ↓Langenfeld 08.10.23

Flugplatz Langenfeld Wiescheid

Annäherung

   in der Halle hängt ein Veteran

  hier ein direkter Zugang?

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Strategien der Störche

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https://de.wikipedia.org/wiki/Windsurfen hier  https://de.wikipedia.org/wiki/Wellenreiten hier  https://de.wikipedia.org/wiki/Wingsurfen hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Segelflug hier  https://www.segelfliegengrundausbildung.de/index.php/theoretische-spl-ausbildung/3-meteorologie/3-2-windsysteme hier

nach den Stürmen (Texel 17.09.23)

India’s Musical Traditions

Die bewährten Wege in die andere Kultur existieren noch!

Ich werde erzählen, welche ich als richtungweisend empfinde. Dank Internet sind es nämlich fast unübersichtlich viele geworden. Nach wie vor gibt es die Verbindung „India Instruments“ , an die ich mich halte, – wobei die Alarmzeichen nicht zu übersehen sind. Eine der lebendigsten Lehr- und Lern-Quellen, die in Rotterdam (Joep Bor, Wim van der Meer – mit Hariprasad Chaurasia), verliert die Frischwasserzufuhr, was auf gut deutsch heißt: öffentliche Förderung und Geld. Trotzdem beginne ich nicht mit einem Klagegesang, sondern mit dem, was mich nach wie vor begeistert, seit meinen ersten Live-Begegnungen ab 1969 mit Meistern wie den Ali Brothers und Bismillah Khan, mit Nikhil Banerjee, Ali Akbar Khan und den Familien des Imrat Khan und Nikhil Ghosh) .

Wie heute Vijay Kichlu, – leider gerade erst zu einem Zeitpunkt, wo er mit 92 Jahren verstorben ist. (Zitat Yogendra:) Er war ein klassischer indischer Sänger, der Khyal bei Latafat Hussein Khan und Dhrupad bei Aminuddin Dagar gelernt hatte. Die ganz große Karriere blieb ihm verwehrt, vielleicht weil er nicht aus einer Musikerfamilie stammte oder weil er lange Zeit sehr erfolgreich als Manager in der Wirtschaft gearbeitet hatte. Beides wurde aber zum Vorteil, als er 1977 die Leitung der neu gegründeten ITC Sangeet Research Academy ( LINK ) in Kolkata übernahm. Diese einzigartige Einrichtung widmet sich der alten Lehrtradition klassisch indischer Musik von Meister*in zu Schüler*in (Guru Shishya Parampara) im Rahmen einer modernen Institution. / Ich fahre erst fort, wenn ich wie Sie, – die Lehre der folgenden Video-Dokumentation vollständig absorbiert habe. Erst später wende ich mich den weiteren Links zu und versammle die Texte (aus „India Instruments“), die mir besonders hilfreich erscheinen für das Verständnis der gegenwärtigen Situation. (Mit freundlicher Erlaubnis von ©Yogendra / Jens Eckert hier.)

Man kann den Text mitlesen im TRANSKRIPT (unter Youtube-Video anklicken).

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Der Weg ins indische Dorf (ein pädagogisches Projekt in Indien)

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Raga-Studiengang in Rotterdam geschlossen – Globales Musikverständnis im Abseits

– Hintergrundbericht von Yogendra –


1987 startete an der Hogeschool voor Muziek en Theater Rotterdam (heute Codarts University for the Arts) der erste Studiengang für Praxis der klassischen nordindischen Musik in Europa – ein einzigartiges, mutiges Experiment, das jetzt nach rund 35 Jahren zu Ende geht. Die letzten Bachelor-Studierenden haben dieses Jahr ihre Abschlüsse gemacht und der Studiengang ist geschlossen worden. Ein Master-Studium indische Musik wird zwar noch angeboten, aber ohne Bachelor-Unterbau und ohne feste Lehrkräfte dürfte der kaum Perspektive haben. Schon seit einigen Jahren war das Indische-Musik-Programm durch Budgetkürzungen ausgehöhlt worden. Die künstlerische Lehre als Herz des Studiums erfolgte nur noch durch Gastdozent*innen, ohne künstlerische Leitung. Die Zahl der Bewerber*innen war stetig zurückgegangen. Und durch die Corona-Pandemie kam das Programm vollends zum Erliegen. Dieses Schicksal teilt es mit den Studiengängen für Tango und für Flamenco – auch die sind geschlossen worden. Vom einst breit aufgestellten World Music Department bleiben jetzt nur noch die Abteilungen für türkische und für lateinamerikanische Musik übrig.

CODarts Rotterdam

Die Idee für den Studiengang war aus einer 5-köpfigen Kerngruppe entstanden: Sarangispieler Joep Bor und Khyal-Sänger Wim van der Meer waren Musikwissenschaftler mit langjährigen Studienzeiten in Indien. Huib Schippers, Jane Harvey und Toss Levy lernten bei dem in Amsterdam ansässigen Sitaristen Jamaluddin Bhartiya und gaben einen Newsletter für indische Musik heraus. Gemeinsam gründeten sie 1986 ISTAR Netherlands als freie Schule für indische Musik und indischen Tanz. Die Resonanz war groß, aber es wurde schnell klar, dass eine langfristige Arbeit nur im Rahmen bestehender Musikinstitutionen funktionieren würde. So entwickelte die Gruppe kurzerhand ein Konzept für einen Studiengang Indische Musikpraxis am Rotterdam Conservatorium. Dazu wurde die traditionelle indische Guru-Shishya-Parampara Lehrform an die formalen Anforderungen einer europäischen Musikhochschule angepasst. Die zentrale Rolle des Gurus blieb erhalten, aber wichtige Inhalte wurden in getrennten Fächern vermittelt und es wurden Anforderungen und Leistungsprüfungen und eine Studiendauer definiert. Außerdem mussten neben indischer Musik auch Grundlagen westlicher Musik studiert werden, um Kompetenz für genreübergreifende Zusammenarbeit aufzubauen. Umgekehrt entstanden aus dem Indische-Musik-Programm im Lauf der Jahre auch übergreifende Lehrangebote für modale Improvisation, Arbeit mit zyklischen Rhythmen und Gehörbildung mit relativer Solmisation, die für Studierende anderer Traditionen neue Horizonte eröffneten. „Towards a Global View on Music“ war das Motto, mit dem Mitgründer Joep Bor das Konzept erfolgreich präsentierte.

Seine Blütezeit erlebte das Indische-Musik-Programm in den langen Jahren unter der künstlerischen Leitung des großen Bansuri-Meisters Hariprasad Chaurasia. Das Charisma des weltweit konzertierenden Stars zog Studierende aus ganz Europa an. Hariprasad verbrachte regelmäßig so viel Zeit dort, dass ein intensives mehrjähriges Studium bei ihm möglich war. Neben Hariprasad waren mit dem Sitarvirtuosen Budhaditya Mukherjee und dem Tablameister Faiyaz Khan zwei weitere indische Musiker von Weltrang viele Jahre als regelmäßige Gastdozenten aktiv. Und wenn die renommierten Gurus nicht vor Ort waren, betreuten in den Niederlanden ansässige Tutoren die Studierenden weiter. Der Erfolg und die Bedeutung dieser langjährigen Arbeit werden klar bei einem Blick auf Absolvent*innen aus dieser Zeit, die sich nach dem Rotterdamer Studium selbst einen Namen als Performer*innen indischer Musik gemacht haben – z.B. die Flötist*innen Henri Tournier, Julia Ohrmann und Stephanie Bosch, die Sitarist*innen Siddharth Kishna, Rohini Sahajpal und Tammo Heikens, die Cellistin Saskia Rao-de Haas, die Geigerin Lenneke van Staalen, der Sarodspieler Martijn Baaijens, die Dhrupad-Sängerin Marianne Svasek und die Tablaspieler Heiko Dijker und Florian Schiertz.

Die Gründe dafür, warum das Programm letztlich nicht mehr genug Interessenten angezogen hat, sind vielschichtig. Die Codarts University for the Arts Rotterdam musste in den letzten 20 Jahren streng reglementierte Bachelor- und Masterstudiengänge einführen, Effizienz steigern und Kosten reduzieren, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Aus dem Indische-Musik-Gründungskreis war zum Ende nur noch Jane Harvey an Bord; die anderen vier hatten sich im Lauf der Zeit anderweitig engagiert. So fehlten kräftige Stimmen, die dem Programm Aufmerksamkeit und Resonanz verschafften, innerhalb von Codarts ebenso wie bei anderen Institutionen und in der Öffentlichkeit. Außendarstellung und Werbung wurden vernachlässigt. Fatal dürfte gewesen sein, dass an Hariprasad Chaurasia als künstlerischem Leiter bis weit über sein Rentenalter hinaus festgehalten und kein Nachfolger mehr eingesetzt wurde. Ohne einen charismatischen Guru als Mittelpunkt fehlte dem Programm wohl das Herz.

Hariprasad Chaurassia

Aber auch die jüngere Geschichte hat dem Programm entgegen gearbeitet. In seiner Gründungszeit, nach dem Ende des Kalten Krieges, gab es eine enorme Aufbruchsstimmung. Plötzlich schien es möglich, dass Kulturen sich auf Augenhöhe begegnen. Multikulti war in Europa eine positive Vision, und das Zusammenwachsen der Welt in der Globalisierung erschien als Lösung vieler Probleme. In der Musikwelt hatte sich World Music als neue Kategorie etabliert mit dem Anspruch, Musikkulturen aus aller Welt gleichberechtigt mit populären und klassischen westlichen Genres zu sehen. Gegenseitige Akzeptanz und Befruchtung war die Idee. Aber die Zeiten haben sich geändert. Neue Konflikte und Fronten sind entstanden. Die digitale Revolution hat zwar Musik aus aller Welt prinzipiell jederzeit und überall verfügbar gemacht. Aber gleichzeitig sehen Kulturen sich wahlweise als bedroht oder als überlegen und grenzen sich voneinander ab statt einander zu befruchten. Statt Gemeinsamkeiten als Menschheit werden die Unterschiedlichkeiten verschiedener Gruppen betont. Identitätspolitische Aktivist*innen reklamieren mit dem Kampfbegriff „Kulturelle Aneignung“ Besitzansprüche. Und globale Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Klimawandel sorgen für zusätzlichen Druck. Das sind schwierigste Bedingungen für ein kleines Nischenfach wie indische Musik an einer Musikhochschule.

Musik ist immer gelebte Praxis. Darin gleicht sie den Sprachen. Exklusive Verfügungsmacht über eine gelebte Praxis ist nicht nur unmöglich sondern auch widersinnig. Populäre Musik im weitesten Sinn ist heute ein durch und durch globales Phänomen, in dem alles mit allem kreativ kombiniert werden kann. Und auch in künstlerisch ambitionierter Musik mit kleiner wirtschaftlicher Bedeutung sind längst alle Grenzen durchlässig geworden. Wenn aber alles geht, heißt das eben auch, dass traditionelle Praktiken wie die klassische indische Musik weiter ihre Existenzberechtigung haben – sowohl um ihrer selbst willen, als auch als Basis und Quelle der Inspiration für neue Formen. In diesem Sinn kann sich ein Studium indischer Musik auch heute noch lohnen. In welcher Form auch immer. Das Verschwinden einer Studienmöglichkeit an einer Hochschule ist deshalb ein beklagenswerter Verlust.

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Weiteres aus dem India Newsletter April-September 2023 (Dank an Yogendra / Jens Eckert !)

Ausschluss von Grammys – Dämpfer für KI-Musik?

Die Einsatzmöglichkeiten von sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI) in der Musikindustrie sind zuletzt rasant größer geworden. KI kann beim Mischen und Mastern für die Musikproduktion Prozesse optimieren. Sie kann regelkonform Melodien, Harmonien und Rhythmen erstellen, unvollständige Stücke komplettieren oder sogar ganze Stücke generieren. Auch klassische indische Musik hat KI inzwischen gelernt. Sie kann neue Ragas erfinden, in bestimmten Ragas und Talas Kompositionen ausspucken und stilgerechte Variationen dazu entwickeln, die üblicherweise improvisiert werden. Seit kurzem kann KI auch Stimmen von Sänger*innen so perfekt imitieren, dass Deep Fake Aufnahmen möglich geworden sind. Längst verstorbene Größen singen jetzt aktuelle Hits, verschlissene Stimmen gealterter Stars klingen wieder jugendlich frisch, Stimmen von VIPs aus allen Bereichen rappen und singen was das Zeug hält. Juristische Fragen, die sich daraus ergeben, werden wohl erst viel später beantwortet werden. Technisch scheint es keine prinzipiellen Grenzen zu geben. Auch die potenzielle Reichweite ist gigantisch – wird doch heute die überwältigende Masse aller Musik digital produziert und konsumiert. Aber jetzt hat die US-amerikanische Recording Academy Stellung bezogen gegen eine völlige Vereinnahmung durch KI. In den Regeln für ihre 66. Grammy-Verleihung hat die Recording Academy im Juni festgelegt, dass Werke, die keine menschliche Urheberschaft beinhalten, in keiner Kategorie zulässig sind. Der wichtige Musikpreis soll weiterhin nur an menschliche Schöpfer gehen. Vielleicht ein Weckruf?


Wie geht eigentlich (indische) Musik? (31) – Handy-Etikette im klassisch indischen Konzert

– Zitat von Nayan Ghosh –


In der Reihe „Wie geht eigentlich (indische) Musik?“ bringen wir seit Frühjahr 2016 assoziative, prägnante Anregungen
von Künstler*innen und Intellektuellen.

Die Handys der Zuhörer sind auf lautlos gestellt. Einschalten nur für Notfälle. Das Handy des Interpreten muss auf Flugmodus gestellt werden. (…) Die Zuhörer sollten bereit sein, der Darbietung ihre ausschließliche Aufmerksamkeit zu schenken, andernfalls sollten sie ein Konzert einfach nicht besuchen. Ebenso sollte man nicht in ein Konzert gehen, wenn man erkältet ist oder Husten hat. Ein Mindestmaß an Disziplin und Höflichkeit sollte eine akzeptierte Norm sein. (…) Schließlich bin ich der festen Überzeugung, dass niemand eine Aufführung während des Konzerts filmen sollte, es sei denn, der Künstler und/oder die Organisatoren haben es erlaubt. Behalten Sie das Erlebnis in Ihrem Gedächtnis und nehmen Sie es mit nach Hause. Wenn Sie filmen, stören Sie nicht nur die Menschen um Sie herum, sondern lenken auch Ihre EIGENE Aufmerksamkeit vom konzentrierten Zuhören auf das Einstellen der Kamera ab. Wann immer ich Gäste in der ersten Reihe gesehen habe, die sich unterhalten oder mit dem Handy telefonieren, habe ich meinen Auftritt unterbrochen und ihnen in aller Bescheidenheit gesagt, dass ich erst weiterspiele NACHDEM Sie Ihre Angelegenheiten beendet haben.

Nayan Ghosh (*1956) wuchs in einer renommierten Musikerfamilie auf und lernte von Kindheit an Tabla, Gesang und Sitar. Zunächst machte er Karriere als Tablabegleiter von Künstlern wie Ravi Shankar, Nikhil Banerjee, Vilayat Khan, Rais Khan, Shivkumar Sharma, Amjad Ali Khan und Pandit Jasraj. Später gelang ihm das Kunststück, sich auch als Solist auf der Sitar zu etablieren. 2014 wurde er für seine Verdienste um die klassische indische Instrumentalmusik mit dem Sangeet Natak Akademi Award ausgezeichnet.

Zitat aus: Kommentar zu einem Facebook Post von Subhranil Sarkar, 1. August 2023


INDIA INSTRUMENTS Netzwerk HIER

Weiterführende Links:

https://aliakbarkhan.com/aak-radio/ hier
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783839410745-025/html hier

Sokrates, die alte Schule und eine „ungeschriebene Geheimlehre“

Die private Vorgeschichte

Bilder aus dem Lehrer-Kollegium meines Vaters, 50er Jahre (Fotos privat).

Eine Konferenz

Zentral: Direktor „Peach“ Paul Müller

Ein eher privates Treffen

Mein Vater, nach einem Chor-Konzert, entspannt mit Frau und Kind (*1950), ihm zur Seite zwei Kollegen: „Eule“ Klaus und „OWB“ Oberwahrenbrock, etwa 1956. Meine Mutter datierte Fotos oft mit dem Hinweis: „Das war nach seiner ersten (oder zweiten) Operation.“

Die offizielle Präsentation

daraus ein Ausschnitt:

1.Reihe ganz links und ganz rechts:

Artur Reichow (1901-1959) ← Ltg. Winkler → Hellmuth Dempe (1904-1990)

(Lebensinhalt: Übungen für das komplexe Klavierspiel)

(Lebensinhalt: die Wahrheit des einfachen Lebens)

„Unsere“ letzten 50er Jahre:

eine bedrückende Zeit!

Mein Vater und meine Mutter, Spätsommer 1957, im Café Freudental, vor seiner letzten Operation. Wird alles neu? Das neue (alte) Holz-Haus am Paderborner Weg 26 – auf der anderen Seite der Bielefelder „Promenade“, also der Stadt zugewandt – hatte ihm (oder vor allem ihr?) einen Lebenswunsch erfüllt. Nur zum Schein hatte er damals fürs Foto auch noch einen Pinsel in die Hand genommen.

oben Artur, unten (v.r.n.l.) Gertrud, Jan, Bernd

Es muss dieses letzte Kaffeetrinken gewesen sein, bei dem Hellmuth Dempe hinzustieß, wie meine Mutter berichtete: die beiden Kollegen diskutierten und gerieten in Streit. Worüber? Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie über pädagogische, disziplinarische Fragen völlig unterschiedlicher Ansicht waren: mein Vater autoritär, leicht aufbrausend, Dempe philosophisch, auf sokratisches Gespräch vertrauend, zumindest „offiziell“. Wahrscheinlich beide mit Hang zur Rechthaberei. Oder war es „der vegetarische Gedanke“? (Buch Seite 90). Brisant auch für meine Mutter, ebenso Dempes Verehrung für Albert Schweitzer. Dempe war 3 Jahre jünger als mein Vater, hatte aber zum Zeitpunkt des Streitgesprächs – im Gegensatz zu ihm – noch 30 Jahre der Entwicklung vor sich. Und wenn man meint, er habe sich an einige unantastbare philosophische Autoritäten geklammert, „im Anschluss an Platon“, so mag eine Passage über die“ sokratische Methode“ uns aufklären: da gebraucht er zwar ungeniert die Formulierung von einem möglichen „geistigen Führer des Volkes“, spricht aber zugleich von einer notwendigen „Reinigung [dieser Methode] von den mancherlei Fehlern und Zufälligkeiten, mit denen sie ihr Schöpfer ins Leben gerufen und entwickelt hatte.“

Ich hätte damals, als ich selbsttätig die Lektüre des Fischerbuchs „Sokrates im Gespräch“ begonnen hatte (1955), dann mit dem rde-Band „Der Tod des Sokrates“ von Romano Guardini (1958) und drei Bänden Schleiermacher-Übersetzungen fortfuhr und mich dauerhaft für das Thema begeisterte, von Dempe ernsthaft lernen können. Oder auch gerade nicht, – während es tatsächlich einem vorübergehenden Lehrer wie Karl Ernst Nipkow mit der AG „Moderne Lyrik“ spielend gelang. So dass ich mich zugleich von Albert Schweitzer und seiner Bach-Frömmigkeit verabschiedete, für die der alternde Dempe noch in diesem späten Buch treuherzige Elogen schrieb.

Die Übungen der Breithaupt-Methode, der unser Vater am Klavier anhing, lehnten wir ab (mein älterer Bruder und ich), weil sie nicht zur absoluten Selbständigkeit der Finger zu führen schien. Aber wie er schwor ich später auf eine Sammlung von konzentrierten Einzel-Übungen (André Stoyanov), mit deren Hilfe ich glaubte allen technischen Schwierigkeiten des Klaviers gewachsen zu sein. S.a. hier.

Zu Dempes Schrift

Der Herausgeber seiner Schriften wurde Frieder Lötzsch, – Theologie-Professor in Münster, interessanterweise ein ehemaliger Klavierschüler meines Vaters. Bei einem Treffen der Ehemaligen im Bielefelder Ratsgymnasium hatte er einen Tisch mit eigenen Schriften aufgestellt. Wir haben jedoch bei dieser Gelegenheit unsere Kindheitsbekanntschaft nicht aufgefrischt.

Was mich bewogen hat, jetzt plötzlich diesen Lehrer unserer Schule, dessen Unterricht ich nie unmittelbar genoss, als Pädagogen so ernst zu nehmen, wie nie zu Zeiten meines Vaters? Es war der differenzierte tiefere Zusammenhang der beiden Lebensverläufe (nach 2 Weltkriegen!). Und: z.B. der folgende ungeschminkte Erfahrungsbericht über die (korrigierte) sokratische Lehrmethode, – exemplifiziert ausgerechnet an einem berühmten Heraklit-Satz, der mit dem Krieg als Vater aller Dinge zu tun hat oder zu haben scheint: aus der Sicht meiner Generation gehört das Thema unzweifelhaft in den Kompetenzbereich der Väter, die aber hier im realen Leben wohl beide jedes Wort darüber vermieden.

Quelle Hellmuth Dempe: Philosophie als Lebensform – Zur Wahrheit des einfachen Lebens / Essays im Anschluss an Platon / Herausgegeben mit einem Nachwort von Frieder Lötzsch / Reihe „Philosophische Plädoyers Bd.4 LIT Verlag Berlin 2006 (Seite 13 ff)

Noch etwas erinnere ich: der zweite Musiklehrer an unserer Schule, der den furchtbar unfähigen Eulenstein (?) ersetzte, hieß Georg Scheel, der offenbar in Berlin Studienkollege meines Vaters gewesen war und ernsthafte Ambitionen als Komponist entfaltete. Er war eines Abends bei uns zu Gast und hatte vorher den Wunsch geäußert, einen eigenen Text vorzutragen: über die Zukunft der Musik in einem modernen Staat. Den Entwurf hatte er allerdings nach dem Muster Platons entwickelt, so dass sich starke Einwände ergaben (etwa: das sei reichlich totalitär, – wobei dieses Wort nicht gebraucht wurde, aber ob und wie von meinem Vater, weiß ich nicht). Irgendwie entsprach das dem Zug der Zeit, neue, alte Grundlagen hochzuheben, wozu vielleicht auch gehörte, dass die Hitler-Zeit eher als Unfall eingestuft wurde. Ohne der Vergangenheit auch nur mit einem Wörtchen zu gedenken, eher der Tatsache, dass Georg Scheel „aus dem Osten“ kam. Im Unterricht erregte er mit dem Vortrag eines Klavierstücks aus op.11 von Schönberg spöttische Aufmerksamkeit, das seinen dürftigen pianistischen Fähigkeiten entsprach (sehr kurz und thematisch auf Terz-Intervall beschränkt). Er selbst komponierte eher markig-kernig für Schul-Chor mit Quart- und Quintklängen: „Bemeßt den Schritt! Bemeßt den Schwung! Die Erde bleibt noch lange jung! Dort fällt ein Korn, das ſtirbt und ruht. Die Ruh iſt ſüß. Es hat es gut.“

Zu den Themen des Dempe-Buches (Inhaltsverzeichnis):

Die Nummern 2., 6., 8. und 13. bezeichnen im antiken Versmaß gehaltene Gedichte des Autor, immer nur Höchstes wollend, entfernt an Goethes „Urworte. Orphisch“ gemahnend, die ich noch gläubig auswendig lernte, – bevor Gottfried Benn kam und für Radikalität sorgte. Einige Zeilen aus Dempes Nr.8 :  „Eines im Vielen zu sein, / vieles im Einen zu tun, / Naht dann das Schöne im Sein, / reich in dem menschlichen Kreis, glänzt es im göttlichen Licht / über dem friedlosen Streit, / und das Gerechte erblüht. / Dunkelt die leidvolle Welt, / zeigt sich Gewalt überall, / Ichsucht und Torheit und  Neid. / Aber die ordnende Zahl, / Eidos und Kosmos zugleich, / weist auf den Urgrund des Alls, / der nur dem Einen gehört.“ (…)

Ich dachte und denke nicht daran, in solchen Worten über die Gegenwart nachzudenken.

In Nr. 7 „Platon und das 20. Jahrhundert“ verweile ich im Abschnitt 7.8. und vermute, dass darin die eigentlich treibende Kraft für Dempe steckt: „Gegentendenzen aus philologischer Forschung“, darin der Satz: „Die eigenartige Mathematisierung der Wirklichkeit, wie sie in der platonischen Philosophie vorliegt, wird von führenden Physikern unserer Tage, z.B. HEISENBERG, als Vorahnung heutiger atomphysikalischer Anschauungen empfunden und gewürdigt.“ (Es lag in der Zeit: JR „Einstein und das Universum“ Fischerbuch Aug.1955).

Im vorhergehenden Text geht Dempe ausführlich ein auf „Die Tübinger Schule“ mit H.J.Krämer und K.Kaiser „Platons ungeschriebene Lehre“ – zwischen Plato und Plotin, eine Sammlung, „die uns ermöglicht, die esoterische Philosophie vor Augen zu stellen“. Ich hörte zum ersten Mal, welcher Kritik die Schleiermacher-Übersetzung, der ich immer kritiklos folgte, ausgesetzt war und ist.

(Fortsetzung folgt)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ungeschriebene_Lehre hier

Jürgen Villers hier

Ergänzendes zu „Aneinander-vorbei-lieben“

Bezogen auf einen älteren Blog-Beitrag, auf die Zeilen:

am frühen Morgen (als ich) die neue ZEIT überflogen hatte. Also irgendwie „dialektisch disponiert“ war. Ausschlaggebend waren vielleicht zwei Artikel: „Ein kleines toxisches Glossar“ (Seite 53) und „Soll man Gott nun fürchten und lieben?“ (Seite 64). Ich werde sie im Hintergrund behandeln und am Ende dieses Blog-Artikels veröffentlichen (wenn es sich lohnt). – I.M.S.

Hier ist der Hintergrund. Was mich aufhorchen ließ: die Behandlung eines häufig selbst-therapeutisch akzentuierten Vokabulars, im einzelnen fast parodistisch beschrieben in dem Artikel „Ein kleines toxisches Glossar“ von Jolinde Hüchtker. Etwa zum Netflix-Thema der nicht gelingenden Verliebtheit eines Paares: zu reden von

„unterschiedlichen Punkten ihrer Healing Journey, der Reise zum geheilten, besseren Selbst. Wer heilt, will sich nicht erklären müssen , daher weißt meistens keiner, wovon sich alle so dringend erholen wollen. Wo es mal hier: »Ich will mich selbst verwirklichen«, oder: »Ich bin anderer Meinung«, hält heute diese – vermulich endlose – Reise her, um andere abzuwimmeln.

Trauma-Dumping  Der Begriff wurde für Situationen wie diese erfunden: Im Büro erzählt ein Kollege unerwartet vom Suizid seines Vaters oder von dem missbräuchlichen Sportlehrer, wodurch er sein Trauma beim überforderten Gegenüber »ablädt«. Nennt man bereits einen gruseligen Film oder ein schlechtes Date »traumatisch«, verändert sich, was Trauma-Dumping ist: wenn jemand von seinem Liebeskummer erzählt oder seinem schlechten Tag und man selbst eigentlich zuhöre, trösten, kurzum, einfach nur ein Freund sein muss.

Oder unter dem Stichwort „Grenzen“:

Un sich zu schützen, setzt man Grenzen (»Fass mich nicht an!«). Der US-Schauspieler Jonah Hill etwa formuliert seine »Grenzen« aber so: Wenn seine Freundin mit anderen Männern surfen gehe, modele oder Bikinifotos poste, sei er nicht der Richtige für sie, weil sie damit seine Grenzen nicht respektiere. Mit Selbstschutz hat das nichts zu tun. Stattdessen bemüht Hill dieses Wort aus der sogenannten Selfcare, um den Alltag seiner Freundin zu kontrollieren und das ins Vokabular tiefer Selbsteinfühlung zu verpacken.

Quelle DIE ZEIT 28. Sept. 2023 (Seite 53) Ein kleines toxisches Glossar / Von Jolinde Hüchtker

In diesem Stil könnte ich als ein „An-einander-vorbei-lieben“ auch (nachträglich) wichtigtuerisch eine unausgereifte, ängstliche Form der ersten Liebe bezeichnen, die sich nicht einmal ein vorsichtig angedeutetes Geständnis traut oder in der indirekten Verbalisierung noch gänzlich ungeübt ist. Aber diesen sozialen Defekt nicht ehrenrührig bezeichnen mag, der mit ein wenig Phantasie leicht aufgelöst werden könnte. Es ist bequemer, daraus einen Komplex zu konstruieren.

Das (allzu)große Thema GOTT aufgreifen, um es loszuwerden. Um es nicht argumentativ zurückzuweisen. Der islamisch getönte Lebensbericht, der eine große Geschichte inszeniert, um zu bemänteln, dass es eigentlich nichts zu sagen gibt…

Quelle DIE ZEIT (28.09.23 Seite 64) Mouhanad Khorchide: Soll man Gott fürchten und lieben? / Deutschlands bekanntester Islamtheologe hat einen Roman geschrieben. / Hier erzählt seine Hauptfigur von der Suche nach dem verlorenen Glauben (erschienen im Verlag Bonifatius).

Gott? Markus Gabriel hier plus LESCH hier

Noch einmal M. Gabriel (die drei epochalen Irrtümer) hier

1. der Gedanke, dass die gesamte Wirklichkeit physikalisch messbar und naturwissenschaftlich beschreibbar ist. So dass es NICHTS gibt, das nicht naturwissenschaftlich erforschbar ist. Physikalismus.

2. dass Denken, Geist, Bewusstsein, unsere inneren geistigen u. mentalen Zustände nichts anderes sind als Emergenze, ausstrahlende Phänomene des Gehirns. Neurozentrismus.

3. dass es keine objektiv feststehenden Wertemaßstäbe ethischer Natur gibt. Also dass das, was wir tun oder unterlassen sollen, aus moralischen Gründen, lediglich ein arbiträre Setzung einer Kultur oder des menschlichen Geistes ist. Moralischer Nihilismus.

Zurückblicken auf:

Kant und Swedenborg

und auf:

Frühe Bewusstseinsspaltung

und (bei der Suche nach „Begehren“) auf :

Zu Hegel

Begehren (Wille)

Quelle Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus / Reclam Stuttgart 2002 (Seite 62)