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Vor dem Festland „klassischer“ Musik

Glücklich gestrandet

Musik & Ästhetik, Heft 108 Oktober 2023 aus dem Artikel von Hans-Joachim Hinrichsen: Expressivität – ein lehrreicher Fall für die Musikphilosophie

Hören: A Day in the Life (Beatles)

https://de.wikipedia.org/wiki/A_Day_in_the_Life hier / darüberhinaus: SEHEN plus HÖREN!

Analyse von Peter Wicke: hier

Der Text (Übersetzung hier):

I read the news today, oh boy / About a lucky man who made the grade / And though the news was rather sad / Well, I just had to laugh Ah….

I saw the photograph Ah….

He blew his mind out in a car / He didn’t notice that the lights had changed / a crowd of people stood and stared / They’d seen his face before

Nobody was really sure if he was from the House of Lords

I saw a film today, oh boy / The English Army had just won the war / A crowd of people turned away / But I just had to look / Having read the book /

I’d love to turn – – – you on – – – – – – – 2:16

Woke up, fell out of bed / Dragged a comb across my head / Found my way downstairs and drank a cup / And looking up, I noticed I was late /

Found my coat and grabbed my hat / Made the bus in seconds flat / Found my way upstairs and had a smoke / And somebody spoke and I went into a dream Ah…..

I read the news today, oh boy / Four thousand holes in Blackburn, Lancashire / And though the holes were rather small / They had to count them all / Now they know how many holes it takes to fill the Albert Hall :

I’d love to turn – – –  you on – – – – – – – 4:20 Nachhall 5:02 + (5:12)

Zum Ausdruck, zur Expressivität: bei Schumann, bei Brahms, Wagner, ja, aber nie hätte ich angesichts der Popmusik überhaupt die Frage danach gestellt. Und in der(ungewollten) Diskussion über Schlager oder „Songs“ hätte ich die Beteiligung der (echten?) Gefühle am ehesten in Frage gestellt, abgeschoben wie die Rührung bei einem provokativen Bekenntnis zum Kitsch, – um mich im Nachhinein zu korrigieren: natürlich – die Melancholie von „Yesterday“, „Eleanor Rigby“, „Michelle“, der Überschwang von „Sie liebt dich, yeah yeah yeah“ – es ist doch offensichtlich, – möglicherweise durch Tränen zu beweisen, wodurch auch immer sie ausgelöst sein mögen, – der Einsatz der feierlichen Streichquartettklänge, der Hinweis auf „the lonely people“, die Interjektionen „yeah yeah yeah“, die traurigen Intervallfolgen in „Michelle“, – und wäre nicht gerade die demonstrative Abwesenheit großer Gefühle, die gesungene Tonlosigkeit, der „apathische Ausdruck“ ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass es (auch) um die (nicht mögliche) Kundgabe des Leidens geht?

Zugegeben: die zwanghafte Assoziation zeitgebundener Faktoren, die entspannte oder erregte Situation, in der man diese Musik kennengelernt und oft gehört hat, gern in alkoholisiertem Zustand, ja, mit einer gewissen Herablassung, – wir sind bereit, auch die banaleren Gefühle in den Fokus zu nehmen. Also: den Widerstand entlarven wir sogar als Indiz, dass da etwas zumindest psychisch Relevantes vorliegt. Aber gewiss nichts auf musikalisch-struktureller Ebene? Ich schäme mich heute bei all diesen vorgeblichen Einwänden, Vorbehalten, die ich in meiner Kindheit mit Recht gegen eine Försterhaus- und Heideröslein-Romantik auffahren konnte. Oder mit Ironie handhabte („Der Wilddieb“ – selbst singend). In den 60er Jahren aber gab es – neben dem Jazz – absolut neue Töne im Pop: (übertrieben formuliert) unabweisbare Momente der Wahrheit. Damals hat selbst Adorno es nicht fertiggebracht, die intelligente Jugend zu hindern, im Ernst über die Beatles, über „Queen“ (Freddie Mercury!) oder „Depeche Mode“ zu diskutieren.

All dies ging mir durch den Kopf, als ich auf die luziden Gedankengänge des Philosophen Daniel Martin Feige stieß, der, wie es oft so scheinheilig heißt, „keine Berührungsängste“ kennt. Der vor allem aber nicht die Fronten zwischen Klassik und Pop verhärtet oder sich vorab durch Abwehr des klassischen Sektors unglaubwürdig macht.

Wenn es in der obigen Besprechung (Musik & Ästhetik) in Bezug auf Feige heißt: Expressivität sei, im Sinne der Konturtheorie der analytischen Musikphilosophie, »eine Eigenart der Musik selbst«, so führt das in die falsche Richtung, denn Feige macht sich an Ort und Stelle diese Auffassung gerade nicht zueigen. (Sie besagt, „dass wir in Musik emotionale Qualitäten in etwa so entdecken, wie wir das Gesicht eines Bernhardiners als traurig wahrnehmen“.) Er führt aus, dass ein solches Konturmodell musikalischer Expressivität „mit gravierenden Problemen konfrontiert“ sei. Denn es bleibe unklar, „inwieweit die Theorie in der Lage sei, Eigenschaften der Musik selbst zu benennen, anstatt bloß Assoziationen angesichts von Musik zu kennzeichnen.“ Zitat:

Er spricht von der Unterscheidung zwischen der Darstellung einer Emotion und dem Ausdrücken einer Emotion, und im Sinne Goodmans von Exemplifikation (S.457f):

Musik ist ästhetisch darin, dass sie diese Eigenschaft nicht allein hat, sondern zugleich gewissermaßen auch zeigt. Goodman ist dabei der Auffassung, dass viele Symbole nicht allein Eigenschaften exemplifizieren, die sie buchstäblich haben, sondern auch solche, die sie metaphorisch haben. Erst aufgrund dieses Schachzugs ergibt sich eine Lösung des oben benannten Problems, dass musikalische Werke auch Emotionen ausdrücken können, obwohl sie weder leben noch Bewusstsein haben: Ein trauriges musikalisches Werk ist nicht in einem buchstäblichen Sinne traurig, sondern in einem metaphorischen Sinne.

Zwischenbemerkung (JR): der Hinweis bei Feige, „dass musikalische Werke auch Emotionen ausdrücken können, obwohl sie weder leben noch Bewusstsein haben“, ist ernster gemeint, als er klingt. Tatsächlich kommt es auf den Zusammenhang an, – ob die Töne einen Text präsentieren, ob motivische Einheiten akzentuiert oder auffällig oft wiederholt werden. (Es kann der Eindruck entstehen, dass jemand eindringlich zu uns spricht, vielleicht der Autor, vielleicht eine Opernfigur? oder gar die Musik selbst?) Ein chromatisch absteigendes Motiv kann etwas bedeuten, – oder zum Bestandteil des kontrapunktischen Baukastens gehören. Verbunden mit den Worten „der Tod“ wird es unweigerlich emotional aufgeladen, als bloße Variante ist es innerhalb einer Passacaglia formelhaft verfügbar, kann aber in einem Lamento unerhört intensiviert werden, ergreifend auch in Paminas „Ach des Jammers Maß ist voll“. Als zweites Thema der Cis-moll-Fuge im II. Band des Wohltemperierten Klaviers jedoch überwiegt zweifellos seine kontrapunktische Funktion innerhalb der Doppelfuge, deren erstes Thema aus diatonischem Laufwerk besteht.

Kommt nicht die unverkennbare (Nicht-) Emotion des Beatles-Songs „A Day in the Life“ aus der selbstverliebten Wiederholung des einen Melodiebogens, mit weichen Glissando-Verbindungen aufgehübscht, so dass der Aufschwung zur höheren Oktave (nach 1 Minute) als erlösender Impuls der Selbstmotivation erscheint? Das zärtliche Wiegen in Ruhe war trügerisch. Das Oszillieren vor dem Aufschwung wird auch zur Zelle der Lärm-Protuberanz nach der zweiten Strophe…

Während ich mich hier bereits in Einzelheiten verliere, die mich bewegen, stoße ich bei Daniel Martin Feige – so scheint es – erst nach 8 Seiten zum Thema: „Was hat all das mit der Frage zu tun, was Popmusik ist?“, denn die Philosophie hat die Aufgabe, zunächst die Grundbegriffe zu klären, – dazu gehört für Feige auch Goodmans Modell der Exemplifikation bzw. metaphorischen Exemplifikation. Ich kann dieser Spur nachgehen und habe viel zu tun: ich schaue nach, was ich Anfang der 90er Jahre in Susanne Langers „Philosophie auf neuem Wege“ über Denotation (S.72), „diskursive und präsentative Formen“ (S.86) gelernt haben sollte, ein im Moment zeitraubender Umweg. Oder ich versuche über google fündig zu werden, z.B. hier. Es kostet Zeit, die mir den Elan für den neuen Zugang zur Popmusik raubt, die mir doch konkret und „einfach“ erschien. Bei Feige erwartet mich eine kurze (!) Deutung der Eröffnung von Hegels Seinslogik, eine „Rekonstruktion unserer grundlegenden Denkbestimmungen, die zugleich als grundlegende Bestimmungen der Realität selbst verstanden werden.“ Ich gelobe, später immer wieder zu diesem Abschnitt zurückzukehren, ihn nachzuholen, und verhalte mich wie üblich: ich mache weiter und lerne, was Feige „zumindest kurz“ anbietet zu den Grundbegriffen der Popmusik, „kontrastiv zu ihrem Sinn in Jazz und in der europäischen Kunstmusik“ (Seite 461). Ich notiere die Begriffe 1 Performance2 Werk  XX  3  Aufnahme / und darunter X Interpretation , sowie XX  Dokumentation musikalischer Performances .

Ich frage mich, warum ich mich so gern mit diesem Thema beschäftige? Auch die inzwischen erschlossenen Links hätten einen inspirierenden Schub auslösen können. Warum ist der Beitrag von Daniel Martin Feige entscheidend?

Da ist zunächst sein Hinweis auf die Tatsache, dass die Songs „im Kontext einer Zeit entstanden, in der das Album die primäre Einheit der Popmusik war. Unter den Bedingungen digitaler Distribution sind die einzelnen Tracks etwas anderes als eine Single, die immer auch eine Probe des Albums war;  neben den populären Hitsingles gab es für den Kenner ästhetische Qualitäten auf B-Seiten zu entdecken, die unter dem Radar der Massen blieben.“ (S.466) Und etwas später:

Dass A Day in the Life auf einem Album zu finden ist und damit ein Teil seiner ästhetischen Pointe prinzipiell auch durch den Ort auf diesem Album zustande kommt, lässt sich ganz handgreiflich schon durch den Anfang der Aufnahme feststellen: Der Schlussakkord des zwölften Tracks, der Reprise des titelgebenden Songs Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, ragt gewissermaßen in den 13. und letzten Track, nämlich A Day in the Life, hinein. Scheint eigentlich die Reprise der Schluss zu sein, so kommt mit dem Stück noch etwas nach dem Schluss des Albums: A Day in the Life ist gewissermaßen die Coda des Albums.

Es geht weiter mit einer Passage, die vielleicht etwas umständlich und detailversessen erscheint, – deshalb besonders hervorgehoben zu werden verdient:

Der Beginn des Tracks ist getragen, das Tempo mit ungefähr 75 BPM eher langsam; zunächst spielt die Gitarre die Akkorde G-Dur / b-Moll halbtaktig (NB: b engl. meint deutsch h), e-Moll einen ganzen Takt, dann spielt sie zwei Takte C-Dur, und nach diesem Intro beginnt der eigentliche Song. Bereits in diese letzten zwei Takte spielt ein Klavier hinein, das den Akkord auf die ersten beiden Achtel des im 4/4-Takt gehaltenen Songs, auf die dritte Achtel sowie die fünfte und sechste anschlägt und durch ein Crescendo den Song einleitet.

Hören! 0:00 bis 0:13! (Betonung fett ) = 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 // 1 Song beginnt auf 2  Die beiden ersten Strophen erstrecken sich 0:13 bis 0:44 (=Beginn der dritten Strophe)

Es folgt eine Beschreibung des harmonischen Verlaufes (die man aber schon anhand der Analyse bei Peter Wicke geübt haben kann, Link s.o.), mit dem Ergebnis:

Eine entsprechende funktionsharmonische Beschreibung verpasst aber das ästhetische Zentrum des ersten Teils des Songs: Es ist John Lennons hypnotischer wie fragiler Gesang. Für die Geste des Gesangs iost nicht zuletzt der markantze Gebrauch von Echo auf der Stimme wesentlich, sondern auch mit Blick auf das Schlagzeugspiel Ringo Starrs, dass es in Form von Fills im weiteren Verlauf des ersten Teils mehr und mehr eine dialogische Ergänzung zu Lennons Gesang darstellt.

Damit bin ich zunächst beschäftigt, – Feige geht weiter zum Text des Songs, worin es weniger um „stringente Durchführung eines Themas“ gehe, als „um eine bestimmte Atmosphäre, um eine selbstgenügsame Bewegung textlicher Assoziationen“. Es erschließe sich u.a. durch eine Verbindung eigentlich getrennter Songteile (Einsatz von Streichern) „eine spezifisch eigene ästhetische Logik der Wahrnehmung zu inszenieren, eine Logik, die sich nur in und durch den ästhetischen Nachvollzug des Songs selbst schließt. Diese ist wesentlich gekennzeichnet von einer Zerstreutheit von Elementen – sowohl auf textlicher als auch auf musikalischer Ebene“. (Seite 467)

Und so werde ich darauf gelenkt, wie „die herkömmliche Strophenform (…) in bestimmter Weise zum Einsturz gebracht“ wird:  ein ästhetisch sehr merkwürdiger Vorgang, bei dem Lennons Stimme sozusagen in einem Orchesterklang aufgeht. Die Ablösung durch McCartneys Gesang und die Wiederkehr einer weiteren Strophe von Lennon analysiert Feige sehr suggestiv: „immanent etablierte Songformen der Popmusik“ werden so überschritten, „eine besondere Form weder eines logischen noch eines dialektischen Gangs der Dinge“, im Detail wunderbar erfasst:

Feige Seite 468

Natürlich handelt es sich auch innerhalb der Popmusik um einen völlig außergewöhnlichen Fall, mit dem der Michael-Jackson-Song nicht vergleichbar ist. Um so intruktiver ist dessen alternative Behandlung durch Daniel Martin Feige.

(Fortsetzung folgt)

Hören: Billie Jean (Michael Jackson)

https://de.wikipedia.org/wiki/Billie_Jean#Musikvideo hier

Text zum Mitlesen:

Billie Jean Songtext

She was more like a beauty queen from a movie scene
I said, „Don′t mind, but what do you mean I am the one
Who will dance on the floor in the round?“
She said I am the one
Who will dance on the floor in the round
She told me her name was Billie Jean as she caused a scene
Then every head turned with eyes that dreamed of being the one
Who will dance on the floor in the round

People always told me, „Be careful of what you do
Don’t go around breaking young girls′ hearts“ (hee-eeh)
And mother always told me, „Be careful of who you love
And be careful of what you do (oh, oh)
‚Cause the lie becomes the truth“ (oh, oh), eh-eh

Billie Jean is not my lover, uh
She’s just a girl who claims that I am the one (oh, baby)
But the kid is not my son (ooh!), uh
She says I am the one (oh, baby)
But the kid is not my son
(Hee-hee-hee, hee-hee-hee, ooh!) no, no

For 40 days and for 40 nights, I was on her side
But who can stand when she′s in demand? Her schemes and plans
′Cause we danced on the floor in the round (hee)
So take my strong advice
Just remember to always think twice
(Don’t think twice!) Do think twice! (Ah-hoo)
She told my baby we′d danced ‚til 3:00, then she looked at me
Then showed a photo of a baby crying, his eyes were like mine (oh, no)
′Cause we danced on the floor in the round, baby
(Ooh, hee-hee-hee)

People always told me, „Be careful of what you do
And don’t go around breaking young girls′ hearts“ (don’t break no hearts)
But she came and stood right by me
Just the smell of sweet perfume
This happened much too soon
She called me to her room, hey

Billie Jean is not my lover (hoo)
She’s just a girl who claims that I am the one, uh
But the kid is not my son
No-no-no, no-no-no-no-no-no (hoo)
Billie Jean is not my lover, uh
She′s just a girl who claims that I am the one (oh, baby)
But the kid is not my son (no, no)
She says I am the one (oh, baby)
But the kid is not my son
(No, hee-hee)

Hee! Hoo!

She says I am the one, uh
But the kid is not my son
No-no-no, hoo (oh)
Billie Jean is not my lover
She′s just a girl who claims that I am the one (you know what you did to me, baby)
But the kid is not my son
No-no-no, no-no-no-no

She says I am the one (no)
But the kid is not my son (no-no-no)
She says I am the one (you know what you did)
She says he is my son (breakin‘ my heart, babe)
She says I am the one

Yeah, Billie Jean is not my lover, uh
Yeah, Billie Jean is not my lover, uh
Yeah, Billie Jean is not my lover, uh
Yeah, Billie Jean is not my lover, uh (don′t call me Billie Jean, hoo)
Billie Jean is not my lover, uh (she’s not at the scene)
Yeah, Billie Jean is not…

Der Inhalt des Musikvideos „Billie Jean“ (laut Wikipedia):

Beim Videoclip führte Steve Barron Regie. Es war der erste Videoclip eines schwarzen Künstlers, der regelmäßig auf dem Musiksender MTV gespielt wurde. Das Video wurde 1983 in Los Angeles gedreht und gilt als innovativ für die damalige Zeit. Michael Jackson bewegt sich in diesem Video elegant tänzelnd durch eine leere Stadtszenerie, während er von einem Detektiv verfolgt wird. Der Detektiv versucht sich Jackson zu nähern, doch jedes Mal, wenn er sein Ziel fotografieren will, verschwindet Jackson spurlos. Alle Dinge, die Jackson berührt, wie die Bodenfliesen, ein Mülleimer und der alte Schriftzug eines Hotels, leuchten auf. Am Ende sucht Jackson das Hotelzimmer einer unbekannten Person auf. Der Detektiv wird schließlich beim Versuch, Jackson durch das Fenster zu fotografieren, von Polizisten erwischt und abgeführt.

Erst jetzt habe ich Zugang, ohne diese Hilfe blieben mir die Szenen ohne roten Faden, ich war auf der falschen Spur, glaubte zum Beispiel, er sei im Hotelzimmerbett auf seine Mutter gestoßen, die sich von ihm als ihrem Sohn lossagt, habe überlegt, warum es nicht ein Fremder oder eine Geliebte sein konnte, dachte danach einen Moment lang, es handle sich bei dem unbekannten Paar auf der Straße um diese zwei aus dem Hotel, nein, ohne Bedeutung. Grund genug, weiter zu suchen, noch einmal von vorne zu beginnen, diesmal mit Hauptaugenmerk auf die Tanzszenen, Vision „Traumtänzer“. Ich sollte bei Daniel Martin Feige nachlesen und tue es mit Vergnügen:

Natürlich wird schon früh Michael Jacksons Gesang durch – von ihm selbst eingesungene – Backing Vocals unterlegt. Im Text geht es darum, dass dem Sänger ein Kind anzuhängen versucht wird; er basiert anscheinend auf einer autobiografischen Erfahrung. Wichtig ist jedoch vornehmlich, in welcher Weise Michael Jacksons Gesang Teil des Grooves und der Bewegung des ganzen Tracks wird; die distinkten Kiekser und vokalen Geräusche seines Gesangs – schon nach vier Takten ist Michael Jackson bereits kurz am Mikrofon zu hören und produziert einen perkussiven Laut – sind nicht allein Sound Tademarks, sondern gehen im Fall von Billie Jean eine untrennbare Allianz mit dem Groove ein. Und der alles andere als – um die einleitende Diskussion zur musikalischen Expressivität von Emotionen noch einmal aufzugreifen – fröhliche, sondern eher lakonische wie melancholische Charakter des Tracks ist keineswegs allein auf den Text zurückzuführen: Die Neubestimmung der Funk- und Soultradition in und durch Tracks wie Billie Jean geht nicht zuletzt darauf zurück, dass hier die Produktionsaspekte dem Track einen ästhetisch eher kühlen als kontrollierten Charakter geben, ohne zugleich dadurch den Groove zu beschädigen – eine Beschreibung, die wohl auch für Michael Jacksons Choreografie von Bewegungen zutreffend sein dürfte. Es scheint mir nicht zu hoch gegriffen, dass der Track wie Jacksons Tanz einer einheitlichen expressiven Ästhetik folgen.

Daniel Martin Feige sucht also „die Erweiterung des musikalischen Materials hin zu vormals als außermusikalisch verstandenen Aspekten in den Blick zu nehmen.“ Und besonders mit Blick auf Billie Jeans sei festzuhalten:

Von Funk und Soul bis hin zu House und Drum ›n‹ Bass leben viele Arten von Popmusik nicht zuletzt vom Groove, den ihre Tracks exemplifizieren – einem anderen Groove als demjenigen von Jazzimprovisationen und etwas ganz anderem als dem, was in der Tradition europäischer Kunsztmusik seit der Genese des Werk paradigmas überhaupt von Belang ist.

Quelle Daniel Martin Feige: Ausdruck in der Popmusik / in: Jürgen Stolzenberg (Hg.) Ausdruck in der Musik / Theorien und Formationen / et+k edition textkritik MÜNCHEN 2921

Was weiß Wikipedia über GROOVE ? siehe hier.