Vor 45.500 Jahren
Warum mich das Schwein bewegt? Dank der Süddeutschen und ihrer naturwissenschaftlichen Redaktion (Autor: Christian Weber). Vielleicht ist es zunächst die etwas flapsig wirkende Überschrift, dann aber vor allem das im Artikel auftauchende Stichwort vom „ältesten Ausdruck symbolischen Denkens“ rührt vieles an.
Schauen Sie nur in den Blogartikel hier, und schon verstehen Sie mich: Symbolische Formen!!! Die Grundlage unseres Weltverhältnisses und die Voraussetzung der menschlichen Kunst. (Die Musik, Bach, Raga, Gamelan etc.)
Die Nachricht trifft auf gute Gesellschaft, man muss sich nur immer wieder die Mühe machen, die Bücher zu bewegen und zueinander in Beziehung zu setzen. Zu den neuesten gehört HOMO SAPIENS, der Große ATLAS der Menschheit, die Jahresgabe der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 2019, am letztmöglichen Bestelltag eingehandelt. Ich will daraus zitieren, um Gewicht und Größe zu dokumentieren.
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Doch zunächst frage ich mich: wie fing das eigentlich alles an? (Private Evolution gewissermaßen.) Diese damals ganz neuen Fischer-Bücher, überhaupt die leichter erschwinglichenTaschenbücher, bedeuteten mir viel: auch „Einstein und das neue Universum“ oder LAOTSE herausgegeben von Lin Yutang.
Was für eine historische Strecke zwischen diesem Taschenbuch und dem Großen Atlas der Menschheit, der jetzt vor mir liegt, und dessen Rückseite mir schon Stoff genug gibt, um 1 Stunde lang den Namen und Völkern nachzugehen, die dort aufgelistet sind und miteinander in Beziehung gesetzt werden!
Klicken Sie nur drauf, nehmen Sie den Zoom in Anspruch, um den Stammbaum der Menschheit zu betrachten: unter den grün eingefärbten Namen finden Sie Russen, Italiener und Franzosen (nur damit Sie in etwa wissen, wo wir uns befänden), oben im gelben Bereich (na, wen wohl?), ja genau! Und nun gehen sie ganz herunter und etwas links: der Punkt bzw. das Sternchen dort: das ist der gemeinsame Vorfahr aller Menschen, also der Gattung HOMO SAPIENS. Und das Coverbild des massiven Werkes lässt ahnen, dass auch die Wanderwege des Menschen um den Globus sorgfältig dargestellt werden.
Und hier sehen Sie auf meinem kleinen Scan, einem Ausschnitt aus einer Weltkarte, wie und wann die Menschen zum Beispiel über Indonesien nach Australien gekommen sind. Auf der Karte finden Sie in orange eingezeichnet die Zahlen 14, 15 und 19, denen in der Liste darunter folgende Kennzeichnungen (nebst Jahreszahlen!) entsprechen:14 Vulkanausbruch des Toba, 15 Saravak (Niah-Höhlen) und 19 Bobongara (Bobongara Point). Wenn Sie den hier gegebenen Links nachgehen, finden Sie bereits nähere Informationen zur Menschheitsgeschichte.
Und wo liegt Sulawesi (s.o. im SZ-Artikel), die Insel mit dem Fundort des in Fels gezeichneten Schweins?
Ausschnitt aus Weltkarte S. 160/161
Zur weiteren Identifizierung nehme ich vorlieb mit einem Schulatlas aus dem Jahr 1960: da hieß Chennai (Südindien) – ganz links im Bild – noch Madras, weiter rechts unten sieht man den langgestreckten Bogen der indonesischen Inseln, darüber den Block Borneo, ganz rechts in der unteren Ecke die Küste Australiens, und dazwischen, wie ein seltsam gewundener Drachen „Celebes“, später umgetauft in Sulawesi.
Legende zur Doppelseite 160/161 „Menschen auf der ganzen Welt“
Die Besiedlung der Erde durch den anatomisch modernen Menschen lässt sich, nach den derzeit verfügbaren genetischen und archäologischen Daten, den hier dargestellten Verläufen entsprechend kartieren. Erstmals kann uns die Wissenschaft Auskunft über unsere geografische Verbreitung nach den Auswanderungen aus Afrika und die anfänglichen Wege zur menschlichen Vielfalt geben. Die alten Küstenlinien werden hier anhand hydrografischer Aufzeichnungen rekonstruiert. Die Daten verschaffen einen Überblick. Die Pfeilfarben entsprechen vier Stufen der menschlichen Besiedlung der Erde. [braun, blau, grau, orange]
HIER der Zugang zur Quelle (ich mache keine Reklame, ich bin nur dankbar dafür, dass ich das Buch bereits besitze). Man beachte aber auch die dort wiedergegebenen Kritikpunkte, z.B.:
Die französische Erstauflage datiert in das Jahr 2012, es folgten bis 2019 4 weitere Auflagen, ersichtlich und bedauerlich ohne Aktualisierung des Forschungsstandes. 2020 nun die ebenfalls nicht überarbeitet deutsche Ausgabe. Letzteres ist bedauerlich, denn auch wenn 8 Jahre wenig erscheinen, ist doch manches, vor allem wichtiges hinzugekommen, wodurch einiges im Buch bereits überholt ist. Insbesondere die frühesten, wissenschaftlich abgesicherten Nachweise des Homo sapiens, die 300 000 Jahre alten, überragenden Funde vom Jebel Irhoud in Marokko finden keine Erwähnung (Immerhin wird auf diese in einer winzigen Anmerkung „Hinweis für die Leser“ eingegangen. Ob diese über dem Impressum versteckte Notiz wohl von vielen Lesern entdeckt wird?). Diese und weiter hier einzureihende Neufunde stellen das im Atlas geradezu starrköpfig vertretene Dogma einer Herkunft aus Ostafrika mehr als in Frage. Überhaupt ergeben sich daraus gewichtige Argumente gegen eine monozentrische Entstehung von Homo sapiens. Die welthistorisch für die kognitiven und technischen Fähigkeiten der Menschen vor 300 000 Jahren wichtigen Speerfunde von Schöningen finden überhaupt keine Erwähnung – aber an diese weitgehende Nichtbeachtung bedeutender deutscher Fundkomplexe in der französischen Forschung hat man sich gewöhnt. Auch die faszinierenden Neanderthaler-Befunde aus der Bruniquel-Höhle, deren geistiger Hintergrund diese Art eigentlich bereits in den Rang eines Homo sapiens erheben, fehlen. Solches hätte man in einem Nachwort in der deutschen Ausgabe ergänzen sollen/müssen mit dem Hinweis, wie dynamisch die Forschung zurzeit voranschreitet.
Trotz dieser Kritikpunkte kann das Buch nur wärmstens empfohlen werden. Das relevante Quellenmaterial zur Thematik ist in hervorragender Qualität vorgelegt, viele Denkanstöße werden gegeben, z. B. zur „Vielfalt der Gene, der Völker und der Sprachen“. Zudem ist der Atlas bei Blick auf seine Ausstattung und seinen Umfang zu einem fast schon lächerlichen Preis zu bekommen.
[Wolf-Dieter Steinmetz M.A. 9.1.2021]