Nächster Opern-Termin: Fidelio

Fidelio Titel Fidelio Inhalt

Dieser Beitrag lag halbfertig im Speicher, geplant als eine Übung in Sachen Opern-Regie, daher auf einen Sendetermin bezogen: Samstag 22. August. Die Salzburger Inszenierung. Siehe HIER.

Einstweilen Studium der Partitur, ein Exemplar meines Vaters. Ob er die Oper einmal dirigiert hat? In seinen Anfängen, etwa in Stralsund oder in Bielefeld, Anfang der 20er Jahre, der Namenszug oben links stammt aus seiner frühen Zeit. Meine Übung beginnt mit der Rekapitulation der Aufzüge, der Szenen, der Charaktere… (Siehe auch Wikipedia-Artikel. Zu beachten insbesondere der Abschnitt „Inszenierungen!)

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Das ist eine schwere Nuss – Naivität und Pathos in schwieriger Melange einerseits, geniale Musiknummern und schwächliche Texte anderseits. Nun traue ich mich mal heran – hier in Salzburg, im Rahmen außerhalb des Repertoires scheint mir so eine Annäherung möglich.

Sagte der Regisseur Claus Guth und wurde dann gefragt, ob er dieses Werk auch als „Befreiungsoper“ auffasse. Seine Antwort:

Ich versuche in meiner Interpretation den Begriff Gefangenschaft und Befreiung weiter zu fassen. Alle Personen dieses Stückes sind befangen und gefangen in Abhängigkeiten – aus emotionalen oder hierarchischen Gründen. Die Hoffnung, sich daraus zu befreien, teilen sie, doch zu gelingen scheint es niemand.

Für Guth spielt durchaus eine Rolle, dass Beethoven alles andere als ein Opernroutinier war:

Bis zum Schluss war er auf der Suche nach der adäquaten Form. Musikalisch sind ihm unfassbar geniale Eingebungen gekommen – theatralisch bleibt das Stück eine Baustelle. Deshalb ist mir der Text auch nicht so heilig – das hat es möglich gemacht, die Rezitative [Guth meint offenbar die gesprochenen Dialoge] zu streichen. Ich habe bemerkt, dass dabei eigentlich keine wesentliche Information verloren geht. Zum Glück war ich nicht der einzige, der an der Qualität dieser Dialoge zweifelt.

Dann kommt im Interview die Frage nach dem (titelgebenden!) Motiv der Oper: nach der Treue. Ob es nicht ein Prinzip sei, das in einer relativistischen und individualistischen Gesellschaft nur noch schwer verstanden werden könne. [Es ist zweifellos unvermeidlich, in der Oper wie im Schauspiel heute das kompakte Ich, die Charaktere, samt allen zwischenmenschlichen Beziehungen, die einst Romane füllten, zu problematisieren, auseinanderzufalten, auf verschiedene Körper zu verteilen, scheitern zu lassen, dies in jedem Fall. Keine Märchen mehr. So mag es überraschen, wie Claus Guth beginnt:]    

Guth: Die Idee der Treue ist wohl zeitlos gültig und verständlich. Interessant wird es tatsächlich, wenn man den Mensch als ein sich stets veränderndes Individuum wahrnimmt. Wem bin ich treu: dem der er/sie damals war – aber was, wenn er jetzt ein „Anderer“ ist? Auch deswegen wurden zwei zusätzliche Figuren, als Schatten, eingeführt. Durch sie laufen diese verschiedenen Ebenen einer Person mit.

Quelle Kleine Zeitung Steiermark 30.07.2015 Interview: Maria Scholl / APA – Austria Presse Agentur

Weiteres zur Regie siehe auch HIER.

Mich interessierte früh das zwiespältige Verhältnis zwischen Kunst und Leben; daher habe ich schon bei einem ersten Text, der Beethoven betraf, nämlich seine Klaviertrios op. 1, die dem Fürsten Karl von Lichnowsky gewidmet sind, den Widerspruch zwischen klassischer Idealität und widriger Realität in aller Kürze zum Thema gemacht. Es ging um die reale Rolle des Ehepaars Lichnowsky, die sich keineswegs auf finanzielles Mäzenatentum beschränkte:

Beethowen Lichnowsky CD TACET 76

Oder soll man planmäßig Leben und Kunst in der Kunst aufeinanderprallen lassen, Befreiung und Leben notfalls auch in der Kunst verweigern, wenn sie im Leben draußen keinen Platz haben?

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Tot ist auch Florestan am Ende von Beethovens Fidelio, jedenfalls in Claus Guths Lesart, und dies Sterben eines Geschundenen, politisch Verfolgten und zu spät Geretteten beschert dem Salzburger Opernsommer Augenblicke von erschreckender Wahrhaftigkeit. (…) Der Held, der sich unter dem Befreiungsjubel des Volkes die Ohren zuhält, der schwersttraumatisiert ist und selbst die Liebe seiner Frau Leonorre alias Fidelio nicht mehr erträgt (…) – ist dies nicht auch ein Alter Ego des Künstlers und Startenors schlechthin, der Gesang und Welt und Welt und Gesang nicht mehr zusammenbringt?

Wie Kaufmann durch Guths psychedelische Doppelgängerschattenwürfe und Christian Schmidts minimalistischen Raum taumelt – ein Kabinett, das von einem schwarzen, Kaaba-artigen Quader durchdrungen wird und später mit einem Kronleuchter prunkt – und wie er am Schluss, für ein paar wenige Glückstakte nach dem Sextett, mit Leonore nach vorne an die Rampe stürmt, nur um dort zusammenzubrechen, ausgerechnet dort: Das lässt hoffen, dass die Kunst die Zeichen der Zeit verstanden hat. Und daran arbeitet.

 Quelle DIE ZEIT 6. August 2015 Seite 47 Hier Leben. Da Kunst Vor den Operntoren von Salzburg kauern Flüchtlinge. Haben die Festspiele die Zeichen der Zeit erkannt? Von Christine Lemke-Matwey.

Beethoven Fidelio Finale

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Walter Riezler (1936):

Man hat die kunstvolle Form und die damit verbundene Ausdehnung der Stücke als Beweis für die geringe dramatische Begabung Beethovens – vor allem im Vergleich zu Mozart, aber auch zu Weber – genommen, was vom Standpunkt der äußeren Wirkung vielleicht richtig ist, aber dem inneren dramatischen Leben dieser Musik nicht gerecht wird. Ist ja doch sogar die Wirkung des vielgetadelten „Kanon“, des Quartetts im ersten Akt „Mir ist so wunderbar“ erfahrungsgemäß wahrhaft erschütternd, trotz der allem Herkommen der Oper widersprechenden statischen (hier übrigens recht kunstlos angewandten) Form des Kanons. Die Musik nimmt die in den einfach-schönen Worten des Dialogs: „Meinst du, ich könnte dir nicht ins Herz sehen?“ angeschlagene Stimmung und die in der Handlung begründete Spannung auf und läßt sie sich ausbreiten.

Aufnahme 1963

Das oben zitierte Buch von Walter Riezler (1878-1965) ist und bleibt eine Fundgrube treffender Einsichten in Beethovens Werk, wenn auch das Erscheinungsdatum 1936 manchen Leser verleiten könnte, nach dem Lebenslauf des Autors zu fragen. Es ist erstaunlich in anderer Hinsicht als vermutet: hier. Er promovierte über den Parthenon und die attische Vasengeschichte, erhielt aber zugleich eine musikalische Ausbildung bei Felix Mottl und Max Reger. – Interessant, was er über die verbessernde Arbeit Beethovens am „Fidelio“ schreibt, lediglich die Arie des Rocco hält er für ein auch in der Endfassung entbehrliches Relikt:

Man fühlt bei diesem schönen Stück Musik ein leises Unbehagen – es ist die einzige Stelle, wo noch etwas von der ersten Fassung übrigblieb, was der menschlichen und dramatischen Haltung des Ganzen, so wie es schließlich gelang, nicht ganz würdig ist. Jedenfalls ist für das Ganze wenig verloren, wenn man die Arie fortläßt, während sonst Striche und Umstellungen sofort an die Substanz des Werkes rühren. Alles steht fest an seinem Platz und ist unentbehrlich – während noch in Mozarts „Zauberflöte“ Weglassungen nur wegen der dann verlorenen Schönheit des einzelnen zu vermeiden sind und Umstellungen nichts Wesentliches bedeuten. Ein Beweis, wie dichtgefügt der Fidelio als Ganzes ist, trotz der „Nummernoper“ und des gesprochenen Dialogs. Der Mißerfolg der ersten Aufführung erwies sich als ein Glücksfall sondergelichen. Niemals wäre Beethoven sonst zu den Änderungen bewogen worden, die dem Werk als Ganzem zu einer Vollkommenheit völlig einziger Art verhalfen. Unter dem Getilgten mag manches schöne Stück gewesen sein – dabeben aber auch manche Länge und etwas so Unmögliches, wie das Duett zwischen Leonore und Marzelline über das eheliche Leben (nach dem Duett Pizarro-Rocco!). Neu hinzu kamen Herrlichkeiten wie das große Rezitativ der Leonore, der Schluß des ersten Finales, an Stelle einer lärmenden Arie des Pizarro mit dem Chor der Wache, und der größte teil der Arie des Florestan mit der Vision des „Engel Leonore“, an Stelle einer schönen, aber matten Klage. Ob das dann folgende ergreifende Melodram, mit dessen Musik Beethoven einmal ausnahmsweise, wie auch da und dort in der Musik zu „Egmont“, nur „Gefühl“ gibt, ohne jede „Form“, schon in der ersten Fassung vorhanden war, steht nicht ganz fest. Wir wissen, dass an diesen Änderungen der Textdichter Treitschke großen Anteil hat. Er beriet sich mit Beethoven über alle Einzelheiten und bewies hierbei feinstes Gefühl auch für musikalische Wirkungen. Ihm verdanken wir auch die endgültige Fassung des schlichten, aber oft sehr schönen Dialogs. Ihm verdanken wir auch die endgültige Fassung des schlichten, aber oft sehr schönen Dialogs. Geradezu genial ist die Änderung des Dialogs gegen Schluß der Kerkerszene. An die Stelle des ursprünglich auf den Abgang Pizarros folgenden Rezitativs trat ein kurzer Dialog, von dem heute nur mehr die in ihrer Einfachheit erschütternden Worte gesprochen werden: „O meine Leonore, was hast du alles meinetwegen erduldet! – Nichts – mein Florestan!“

Quelle Walter Riezler : Beethoven (mit Vorwort von Furtwängler) Atlantis Verlag Berlin und Zürich 1936 Seite 197 ff (heute neu bei Schott!)

Vielleicht ist uns heute das Pathos der alten Zeit in der folgenden Aufnahme zu affirmativ. Wie für die Ewigkeit –  Jon Vickers. „Beauty and Love and Truth!“ Andererseits – kann es Jonas Kaufmann übermorgen etwa beiläufiger übermitteln??? „… ein Engel Leonore“ hier bei 3:40.

Offenbar handelt es sich um eine der Aufnahmen mit dem Philharmonia Orchestra unter Otto Klemperer 1962 oder 1964 bei EMI (Christa Ludwig, Jon Vickers, Walter Berry, Gottlob Frick).

Nach Beethovens „Fidelio“

Anders als ich geglaubt habe, konnte man die Salzburger Aufführung nicht am Computer verfolgen, sondern nur bei 3sat im Fernsehen. Sehr gute Aufführung, großartige zweite Leonoren-Ouvertüre – platziert vor dem letzten Finale, Wie eine innere Rekapitulation des Erlebten, zum Umbau der Bühne, wo der rote Teppich ausgelegt, der riesige Kronleuchter hochgezogen wird. Die Geister-Figuren mit ihren aufgeregten Pantomimen erscheinen mir störend. Sehr überzeugend: der bei Beethoven nicht vorgesehene Tod (Zusammenbruch) Florestans in der abschließenden Jubel-Szene. Wie stand es in der ZEIT?

(…) und wie er am Schluss, für ein paar wenige Glückstakte nach dem Sextett, mit Leonore nach vorne an die Rampe stürmt, nur um dort zusammenzubrechen, ausgerechnet dort: Das lässt hoffen, dass die Kunst die Zeichen der Zeit verstanden hat. Und daran arbeitet.

Ich gehe nachher ins Arbeitszimmer an den Computer und sehe als erstes wieder einmal eine Todesmeldung. Ich kann nicht anders, als sie hier, an dieser Stelle, wiederzugeben. Sie gehört genau in diesen großen Zusammenhang.

 Mariem Hassan Mariem Hassan