Archiv für den Monat: Juni 2019

Einübung in die Welt der symbolischen Formen

Mit Wikipedias Hilfe

Ich beginne mit einem früheren Eintrag in diesem Blog, nämlich bei dem Artikel „Animal symbolicum“ hier und nehme vor allem die dort gegebenen Links ernst. Hier seien als Ausgangspunkt nur ein paar Sätze zitiert, um die verbreitete Überfrachtung des Begriffes Symbol zu vermeiden:

Symbol als rein konventionelles Zeichen (Peirce)

Nach der Terminologie des US-amerikanischen Semiotikers und Philosophen Charles Sanders Peirce ist ein Zeichen entweder ein Index, ein Ikon oder ein Symbol. Im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen terminologischen Tradition wird der Ausdruck Symbol als rein konventionelles Zeichen definiert.

Quelle hier

Zugleich möchte ich die folgenden Zeilen als neue Motivierung vorschlagen (Verlinkungen und Anmerkungen habe ich in diesen Zitaten eliminiert):

Nachdem die spekulative Metaphysik als Welterklärung durch Kant vom Sockel gestoßen worden war und Darwin, Nietzsche und Freud die Menschen der Illusionen teleologischer Sinngebung beraubt hatten, kommt für Cassirer der philosophischen Anthropologie die Funktion der orientierenden Vermittlung eines Weltbegriffes zu; denn durch die bloße Introspektion der Philosophie des Geistes erhalte man nur ein fragmentarisches Bild des Menschen. Das Wesen des Menschen könne man vielmehr nur unter Beachtung der Bedingungen seiner Kultur bestimmen.

Während die Kulturphilosophie sich der Binnenstruktur der symbolischen Formen widmet, ist es Aufgabe der Anthropologie, eine Definition des Menschen zu liefern, welche ihn vom Tier abgrenzt. Cassirer schließt hierzu an die Arbeiten des Biologen Jakob Johann von Uexküll an. Dieser hatte das tierische Leben charakterisiert durch ein „Merknetz“, welches die Sinnesdaten verarbeitet, und ein „Wirknetz“, welches auf die von außen wahrgenommenen Informationen reagiert. Merk- und Wirknetz bilden für Uexküll einen geschlossenen „Funktionskreis“, d. h. auf jede relevante Wahrnehmung folgt unmittelbar eine Reaktion. Dies gelte für den Menschen nicht: „Der ‚Funktionskreis’ ist beim Menschen nicht nur quantitativ erweitert; er hat sich auch qualitativ gewandelt.“ Zwischen Wahrnehmung und Reaktion trete beim Menschen das Symbol als wesentlicher Bezug zur Wirklichkeit.

Quelle https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Cassirer#Grundlagen hier

Solange diese Begriffe nicht geklärt sind, unterlaufen fortwährend Fragestellungen, deren Behandlung zu missdeutbaren Ergebnissen führen. Z.B. wenn man über tierische Intelligenz spricht. Mir ging es heute so, als ich den ZEIT-Artikel über Schimpansen las. Der dort suggerierte fließende Übergang zwischen der Intelligenz der Schimpansen (wie sie sich etwa im Werkzeuggebrauch manifestiert) und der des Menschen verhindert einen Seitenblick auf den grundlegenden Unterschied, der mit dem Gebrauch der Sprache verbunden ist. Es geht dabei auch um den Blick in die Welt, ja, deren Entzifferung. Vom Schimpansen weiß man, dass er sich selbst im Spiegelbild erkennt; dass er einen roten Fleck, der ihm auf die Stirn gemalt wurde, nicht nur im Spiegelbild erkennt, sondern auch auf der eigenen Stirn zu entfernen sucht. Ob aber ein Hund einen anderen Hund (oder sich selbst) auf dem Fernsehbildschirm wahrnimmt, wenn die entsprechenden Geräusche ausgeschaltet sind, das ist eine Frage, die immer wieder fruchtlose Diskussionen entfacht. Ein Hund kann eine vorüberschleichende Katze durch das geschlossene Fenster erkennen, – aber nicht auf dem Bildschirm, weil er ihn nicht lesen kann? Ist das so?

 Quelle hier

In diesem schönen Artikel der ZEIT (6.6.2019 Seite 32) lese ich folgendes:

Golden barriers, goldene Barrieren, hatte der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould die Grenze genannt, die Menschen zwischen sich und und den anderen Tieren errichtete. Doch diese Trennmauer wurde niedriger und löchriger. Bei jeder neuen Population habituierter Schimpansen entdeckten Forscher andere Verhaltensweisen. Erst Ende Mai berichtete ein Team um Simone Pika und Tobias Deschner, dass Schimpansen in Gabun Landschildkröten fressen. Dafür knacken sie die Panzer an Baumstämmen auf und teilen sich das Fleisch. Ein Männchen legte gar einen Teil in eine Astgabel und fraß die Reste am nächsten Morgen. Für die Forscher war das ein Hinweis darauf, dass die Affen für die Zukunft planen können – auch das wurde lange für exclusiv menschlich gehalten.

Ich halte mich bei den Kriterien dessen, was den Menschen vom Tier unterscheidet, immer noch an die Philosophin Susanne K. Langer (1941!), die schrieb (deutsche Ausgabe 1965):

Die Fähigkeit, Symbole zu verstehen, d.h., alles an einer sinnlichen Gegebenheit als irrelevant anzusehen außer eines bestimmten in ihr verkörperten Form, ist der charakteristischste Wesenszug des menschlichen Geistes. Er äußer sich in einem unbewußten, spontanen Abstraktionsprozeß, der fortwährend im Geist vor sich geht: ein Prozeß, der den Begriff in jeder der Erfahrung begegnenden Gestalt erkennt und zur Bildung einer entsprechenden Vorstellung führt. Dies ist der wahre Sinn der aristotelischen Definition des Menschen als ‚animal rationale‘. Abstrahierendes Sehen ist die Grundlage unserer Rationalität und auch ihre sichere Gewähr, längst ehe der Geist zu bewußter Verallgemeinerung oder zum Syllogismus sich aufschwang. Diese Funktion teilt der Mensch mit keinem Tier. Tiere können Symbole nicht deuten, daher sehen sie auch keine Bilder. Man sagt zuweilen, daß Hunde auch auf die besten Bilder deshalb nicht reagieren, weil sie mehr durch die Nase als durchs Auge leben; aber das Verhalten eines Hundes, der eine bewegungslose Katze durch ein Fenster erspäht, straft diese Erklärung Lügen. Die Hunde verachten unsere Gemälde, weil sie farbige Leinwand, nicht aber Bilder sehen. Die Darstellung einer Katze vermittelt ihnen nicht die Vorstellung einer solchen.

Quelle Susanne K. Langer: Philosophie auf neuem Wege / Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst / Fischer Wissenschaft Frankfurt am Main 1965 / Seite 79 f

Noch einmal zum ZEIT-Artikel, dessen Schluss mich an eine Meldung erinnerte, die vor ein paar Jahren durch die Zeitungen ging: dass Schimpansen beobachtet worden seien, die wie gebannt vor Wasserfällen verharrten oder in merkwürdige Tanzbewegungen verfielen. Von einer Art religiöser Verzückung war die Rede. Ich war sicher, dass man im Internet fündig wird, und in der Tat: Jane Goodall sprach in einem Interview darüber, s.a. SZ hier. Dort wird auch schon die Geschichte vom Steinewerfen erwähnt, die man jetzt am Ende des ZEIT-Artikels findet, – Hjalmar Kühl vom Pan-African-Programme habe vor drei Jahren darüber berichtet:

An vier Standorten hat er beobachtet, dass Schimpansen immer wieder Steine gegen einen Baum werfen oder diese in einer Baumhöhle ablegen. Warum die Tiere das tun, kann niemand erklären, Kühl spricht von ‚ritualisiertem Verhalten‘, er ist vorsichtig bei der Interpretation. Doch möglicherweise könnte das Verhalten Hinweise liefern, wie menschliche Riten und Kulte entstanden. – Eine rätselhafte Beobachtung, eine anrührende Vermutung – vielleicht ist damit die Mauer zwischen Mensch und Tier wieder ein wenig löchriger geworden.

Man kann sogar einen Youtube-Film abrufen, der das ritualisierte Verhalten belegt: siehe hier. Im beigegebenen Text findet man jedoch nichts über die Mauer zwischen Mensch und Tier, sondern nur folgendes:

In West Africa chimpanzees throw stones at trees resulting in conspicuous accumulations at these sites. Why exactly the animals do this the researchers do not yet know, yet the behavior appears to have some cultural elements.

Einige kulturelle Elemente werden ihnen zugestanden. Der entscheidende Punkt fehlt: die Sprache, das symbolische Denkvermögen. Dessen wichtige Voraussetzung ist der Abstraktionsprozess: aus einem unentwirrbaren Wust von Sinneseindrücken den wesentlichen Zug herauszulösen, mit dem man „operieren“ kann. Man könnte zwar sagen, dass dies bedeutet, den Reichtum des Sinneseindrucks zu mindern. Wer weiß denn, ob der wesentliche Zug übrigbleibt? Aber das ist gleichgültig, denn der „Reichtum“ bleibt dem abstrahierten Zug als „Konnotation“ erhalten: sobald ich das Wort nenne, das nunmehr stellvertretend – als Symbol – fungiert, ist uns der Reichtum des Gemeinten – die Vorstellung – gegenwärtig. Ich muss nicht mehr auf die Dinge zeigen können, um mich ihrer zu vergewissern oder sie einem anderen Menschen nahezubringen, ich muss sie nur nennen, wie weit sie auch immer von uns entfernt sind. Wir sehen sie.

Dass rituelle Handlungen, mit denen man das Steinewerfen der Schimpansen tatsächlich in Verbindung bringen könnte (von außen betrachtet) – wohlgemerkt: dank der Zwecklosigkeit des Vorgangs -,  beim Menschen etwas mit symbolischem Denken zu tun haben; wobei hier also zum Ausdruck gebracht wird, was sonst z.B. mit Worten geschieht, – expressiv -, das macht Susanne K. Langer folgendermaßen plausibel:

Welchem Zweck magische Praxis auch dienen mag, ihre unmittelbare Begründung ist der Drang, große Vorstellungen zu symbolisieren. Sie ist die konkrete Tätigkeit, in die eine reiche und wilde Einbildungskraft automatisch übergeht. Ihr Ursprung ist vermutlich überhaupt nicht praktisch, sondern ritualistisch; ihr zentrales Anliegen ist, eine göttliche Gegenwart zu symbolisieren, zur Ausgestaltung eines religiösen Universums beizutragen. „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht.“ Magie wird nie in alltäglicher Gemütsverfassung betrieben wie gewöhnliche kausale Verrichtungen; diese Tatsache straft die häufig vertretene Meinung Lügen, daß das ‚magische Verfahren‘ auf einer irrtümlichen Ansicht von Kausalität beruhe. Einem Wilden, der ein Tamtam schlägt, um seines Bruders Malaria zu vertreiben, würde darum noch lange kein Fehler unterlaufen, derart daß er seinen Pfeil mit dem stumpfen Ende nach vorn abschösse oder Blumen als Köder an seinem Angelhaken befestigte. Nicht Unkenntnis der kausalen Beziehungen, sondern das Hinzutreten eines Interesses, welches stärker ist als sein praktisches, läßt ihn an magischen Riten festhalten. Dieses stärkere Interesse betrifft den expressiven Wert solcher mystischen Akte.

Magie ist also keine Verfahrensweise, sondern eine Sprache; sie ist ein integrierender Bestandteil eines umfassenden Phänomens, des Rituals, welches die Sprache der Religion ist. Das Ritual ist eine symbolische Transformation von Erfahrungen, die in keinem anderen Medium adäquat zum Ausdruck gebracht werden können. Weil es einem ursprünglichen menschlichen Bedürfnis entspringt, ist es ein spontanes Tun – das heißt, es entsteht absichtslos, ohne Anpassung an einen bewußten Zweck. Es entwickelt sich ohne vorgezeichneten Plan; seine strukturelle Form ist ganz und gar natürlich, so komplex sie auch sein mag. Niemals ist es den Menschen ‚auferlegt‘ worden; sie handelten so ganz aus eigenem Antrieb, wie Bienen schwärmen und Vögel Nester bauen, wie Eichkätzchen Futter auf Vorrat sammeln und Katzen sich putzen. Niemand hat Rituale künstlich verfertigt, so wenig wie Hebräisch oder Sanskrit oder Latein von jemandem verfertigt worden sind. Rede und Gebärde, Gesang und Opfer – die Formen expressiven Handelns – sind die symbolischen Transformationen, die der Geist eines Stammes oder einer Völkerschaft in bestimmten Stadien ihrer Entwicklung und ihres Gemeinschaftslebens natürlicherweise hervorbringen.

Quelle Susanne K. Langer: Philosophie auf neuem Wege / Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst / Fischer Wissenschaft Frankfurt am Main 1965 (Seite 57 f)

„Rede und Gebärde, Gesang und Opfer“ als „Formen expressiven Handelns“: Man sieht, dass wir auf dem Wege zur Musik sind…

Bilder wahrnehmen

Die digitale Schau im Städelmuseum Frankfurt abrufbar

Der Titel dieses Artikels soll vielleicht daran erinnern, dass man Bilder als Kunstwerke nicht nur konsumiert, registriert und im Schnellverfahren beurteilt, sondern auf sich wirken lässt und Fragestellungen an ihnen entwickelt. Nicht anders als in Musik. Es gehört ja dazu, und muss nicht als pädagogischer Zeigefinger gebrandmarkt werden. Keineswegs wird das bloße Sehen entwertet, das intensive Schauen. Wer länger hinschaut, auf dieses isolierte Ding, erlaubt sich auch, es in einem Zusammenhang mit der Welt zu denken. Und es wieder herauszulösen.

Ich erinnere mich an Zurbaran in Düsseldorf. Da gab es Nachhilfe vom Video und aus Zeitungen (hier).

Aber so habe ich es noch nie erlebt, obwohl ich das Frankfurter Städelmuseum nie betreten habe. Jetzt aber bin ich sicher, dass ich es tun werde. Bilder live!

Und fast hätte ich vergessen, durch wen ich drauf gekommen bin: Dank an Wilfried Schaus-Sahm!

 HIER 

 HIER

 HIER

  HIER

Andere Bilder, digital und live heute

 s.a. hier (2016)

Heute 4. Juni in der Kölner Philharmonie Hier

(Über den Link geht es auch zum Programmheft!)

 Handy: JR

Hinterher nette Begegnung am Tisch im Foyer; ich hatte schon in der Pause die Mozart-CD gekauft, weil ich glaubte, dass auch das Quartett in A-dur drauf sei (Beethovens Vorbildwerk). Mein eiliges Foto nach dem ersten Quartett brachte mir eine freundliche Verwarnung der Saaldienerin ein: „Fotografieren nicht erlaubt“. Das Bild ist entsprechend. Im Saal: Block B und E voll besetzt, auch in den Seitenrängen etwa halb, oben hier und da Einzelpersonen. Ein nicht unbedingt junges, aber höchst aufmerksames Publikum, teilweise atemlose Stille, begeisterte Rufe im Applaus. Beim 1. Stück war Abel Tomàs Realp Primarius, der Cellist ist sein Bruder. (Diese beiden verwendeten auch digitale Noten, die andern blätterten.) Sehr eindringlich auch das Stück von Sotelo vor dem gewaltigen Beethoven; mit Motiven aus dessen Cis-moll-Quartett, das Motiv his-cis-a aus Fuge und das Thema des nachfolgenden Satzes. Motivierende Klänge. Ein unglaublich schöner Abend (fortgesetzt durch die Mozart-CD, füge ich heute, am 5.6. nach dem Frühstück, hinzu).

Stimme und Klang

Man macht auf… und jeder kann reinschauen

Der Zusammenhang ist wieder eigenartig: der hier abgebildete Film lief kürzlich 1 einziges Mal im nahgelegenen Veranstaltungsort Cobra (Solingen-Ohligs), wir waren allerdings plötzlich verhindert hinzugehen. Revanche: Ich entdeckte, dass man bereits die DVD bestellen kann, – gesagt, getan. Ich wollte gleichzeitig den Artikel zu Michael Haydn abschließen, den ich seit der Rückfahrt aus Texel im Sinn hatte, hier; er endete mit Mozarts „Exsultate, jubilate“. Sängerin Regula Mühlemann. Die DVD trifft ein, ich lege sie auf, – und sie beginnt mit Regula Mühlemanns Studioarbeit an „Exsultate, jubilate“, später bei 58:31 erneut. R.M. sagt:

Als Sänger muss man sich akzeptieren, sich akzeptieren mit all den positiven und negativen Sachen, die man hat. Und ich find’s auch so krass, wie man … man macht da auf, … und jeder kann da reinschauen.  Man liefert sich einfach völlig aus. Und wenn da drin Unsicherheiten sind, irgendeine Panik oder irgendetwas, zu dem man selbst nicht steht, dann kann man da nicht aufmachen. Und ich find, wenn man das nicht kann, kann man vieles nicht transportieren, kann man die Emotionen nicht auslösen, weil man selbst immer etwas blockiert, etwas versteckt.

Die DVD ist also schon da! Der Trailer gibt einen starken Vorgeschmack:

Der Verlauf des Filmes

0:46 Kehlkopfbild zu „Exsultate“, 1:09 Titel, 1:14 Stimmakrobat: „Im Moment arbeite ich daran, dass ich solche Rhythmen mache, also Klickrhythmen und dazu pfeife mit den Backenmuskeln und dazu singe durch die Nase.“ (Andreas Schaerer). 1:53 (Miriam Helle) „Es gibt dieses Haka-Ritual der Maoris, das die neuseeländische Rugbymannschaft vor einem Spiel singt und tanzt. Und schon beim Zuschauen spürt man die Präsenz und wie sie sich in die Kraft reinschwingen mit der Stimme. 2:19 (Matthias Echternach) „Ich glaub, eine Erklärung woher diese Faszination für Stimme kommt, kann man nicht tatsächlich geben. Wie soll man Liebe zu Menschen erklären? 2:45 (Regula Mühlemann) „Ich bin ein Klang-Fetischist, ich suche extrem nach diesem Klang, diesem 360-Grad-Klang, der frei im Raum schwebt und von allen Seiten kommt. Wie so ein Bild. Riesig.“  BILDWECHSEL 3:11 Stille, Atmen. (Miriam Helle) „Ich hab vorhin noch ein Handy gehört. Die, die das Handy noch nicht ausgeschaltet haben, tun das bitte jetzt. Einige von Euch machen es schon. Macht mit dem Ausatmen einen A-Ton oder irgendeinen Ton. Ohne Zensur, lasst irgendeinen Ton kommen. Und wenn ihr mehr Platz braucht, könnt ihr auch in die Mitte kommen.“ Durcheinander, Geschrei, chorisches Einpendeln auf einen Tonbereich. „Im Alltag gebrauchen wir die Stimme kaum noch intuitiv. Kinder machen das noch, aber wir Erwachsenen kennen das nur noch in Ausnahmesituationen, wenn wir Schmerzen haben, beim Orgasmus oder bei der Geburt. Vor allem die älteren Leute, die hierher kommen, haben zum Teil noch nie frei gesungen.Sie haben vielleicht in der Schule gesungen, aber immer nur nach Noten. Zum großen Teil erleben sie hier zum ersten Mal, die Stimme frei zu gebrauchen.“ 7:06 nach draußen, nächtliche Stimmung, Straßenbahn. 7:19 Studiosituation große Partitur Jazzgesang 9:40 Szenenüberblendung Jodlerin Nadja Räss im „Scanner“ durchleuchtet, Techniker: „Jetzt bitte ich dich mal O-U zu jodeln, aber ganz langsam zu beginnen und dann immer schneller zu werden, bis du das Tempo quasi aufgibst.“ Man sieht den Kehlkopf. „Unglaublich!“ 11:07 Seitenansicht jodelnde Kehle: „Ist echt auch einfach nur schön!“ 11:26 Wir haben so viele verschiedene Gesangsarten, die wir irgendwie probieren zu bewerten, ob das nun Popmusik ist, ob das Jodeln oder Obertongesang ist, – erstmal die Frage: Machen alle das gleiche? Das A, das U, das O, und hier beim U macht sie jetzt den Mund ziemlich auf, wenn du in die Höhe gehst.“ Jodel 11:50 bis 12:02 Bruch (Regula Mühlemann) Übungen mit aufsteigender Skala O und E, vor dem Mund die ruhige Flamme einer Kerze. „Erst wenn sie ruhig steht, fängst du an zu singen“. „Da wo du nachlässt, nicht mehr in der alten Führung drin bist, da mach es so. Du musst bei dir bleiben, das machst du gut.“ R.M. „Man beginnt einfach … Man hilft nach, wenn es einem nicht wohl ist.“ „Aber wenn du drin bist, musst du dir immer denken: das ist eine Übereinanderschichtung von Mitten. Mitte Bauch, Mitte Zwerchfell, Mitte Kehle, Mitte Kopf, und da oben kommt das Ganze wieder raus. Und eigentlich wäre das die Idee, dass wir so in uns drin sind, in der ganzen Klanglichkeit drin, dass wir zwar in den Saal projizieren, aber auch nach hinten, das sind die zwei Seiten der Medaille.“ R.M. „Das ist dann das Schöne, wenn wenn es ein 360-Grad-Klang ist. Bei Anna Netrebko habe ich das mal erlebt. Auf der Bühne war eine Ecke, und sie hat so gesungen und sich währenddessen umgedreht, und der Sound hat sich nicht verändert.“ 13:54 „Komm, jetzt gehen wir mal zur Wand.“ „Aber so wie sie kann ich das nicht.“ Drehung und anatomischer Blick in die Kehle. Bis 14:30 Vortrag „Wenn wir Stimme haben, wenn wir miteinander reden…“ SCHALL … das f“‘ der Königin der Nacht, 1396 HZ, nachweisbar 2200 HZ , 2200 mal pro Sec schlagen diese Stimmlippen tatsächlich aufeinander. Noch höher: Georgia Brown aus Brasilien. Das will ich Ihnen kurz zeigen, auch wenn’s unangenehm ist: 15:51/ ab 16:00 neue Szene „Ich bin Ursula Schleiß…“ JODELN mit Nadja Räss bis 19:54 Szenenwechsel Laubbläser 20:12 Kirchplatz, Park, Fahrradfahrer Innenraum 20:49 „Wortbetonung!“ Chorprobe Monteverdi „Singen macht etwas sehr Positives mit uns und das können wir sogar nachweisen…“ Blick auf Straßenbahnen, Dom, Wald, asiatische Solostimme 23:09 Sängerin mit Gesten zum Gesang, wird von Kursteilnehmern imitiert, Klatschen, gemeinsames Spiel, 24:34 Instrumente dazu „Wenn ich im fremden Land bin, wie zum Beispiel hier in Japan“ Nudelsuppe bestellen … klingt wie Musik, Sonnenuntergang, Andreas Schaerer, Japan Jazz Improv. 27:00 Überblendung Großstadtlichter Japan Zebrastreifen Fußgängerübergang, „es gibt unglaublich viel Schönes und unglaublich viel Grausames auf der Welt, für mich ist es wichtig, all diese Gefühle in der Musik auszudrücken. Wenn man das nicht macht, verliert man die Balance“. 28:48 Jazz und ? Schamane? Chaos 29:35 Schwarzblende „Mein erstes aktives Stimmerlebnis, an das ich mich erinnern kann… im Badezimmer meiner Tante“ Rhythmus der Quadrate…vier Jahre… Andreas Schaerer… Miriam Helle… „ich dachte immer, ich kann nicht singen, Schulzeit“ Ausbildung als Stimmtherapeutin Straßenverkehr Erlebnisberichte der Teilnehmer – Mit fallender Stimme ausatmen „nüchtern hab ich sowas noch nie gemacht“ Schwangere „Und dann stellst du dir vor, eine Wehe kommt… ihr reitet gemeinsam auf der Welle der Wehe“ 33:31 Szenenwechsel Studio dreigestrichenes f … halten, halten halten! 34:27 Betrachtung der Kehl-Computeraufnahme „dieses große Gefüge hier, das ist deine Zunge, alles Schwarze ist Luft“. Georgia Brown (s.a. hier) Kehlkopf Experiment „Wonderful? Fuck you!“ 36:52 Kindergarten bis 41:03 Schienen, Gleise, fahrender Zug, Züge im Film unter Beobachtung, Herstellung der entsprechenden Geräusche durch Menschen 41:30 der Stimmkünstler (Jazz)  kommt an, 42:04 er arbeitet mit einer Probandin rrrrrrrr, dann Selbstbiographisches, „außerhalb der Norm singen“ 43:43 Georgia Brown im Studio vor Bildschirm, Glissando aufwärts, der Techniker staunt entsprechend, „what the hell, have you done there!?“Bildschirmbetrachtung: „Georgia,das hier ist das Speltrum der menschlichen Stimme, hier siehst du den Ton, den du singst, und siehst du, wie regelmäßig das nach oben geht? Das ist wunderbar, aber dann passiert was Komisches: Wenn du mit diesem Ton nach oben gehst, gibt es hier einen zweiten Ton, ich habe keine Ahnung, was du da machst.“ Lachen. 44:53 (Verlassen das Gebäude.) „Ich hab mit den hohen Tönen angefangen, als ich ein Kind war. Ich spielte mit meinen Puppen. Eine Puppe stellte eine Frage, und die andere antwortete mit dieser Stimme“, sie piepst hoch. Gitarrist bat sie, eine Melodie mit den hohen Tönen nachzusingen, sie begann die besten Gitarren-Soli der Welt nachzusingen. 45:40 Übergang in begleiteten Jazzgesang. 46:21 Szenenwechsel: Bariton ff Opernprobe am Klavier, auch Regula M. 48:38 „Ich merke, wenn ein Ton gut oder frei ist. … denn der Ton ist wie im Nichts. Aber wenn man beim Singen diesen Zustand erreicht oder für einen Moment hat, dann ist das ein sehr beglückendes Gefühl, weil man sich im Jetzt fühlt. Man spürt das Jetzt, irgendwie.“ Szenenwechsel 49:18 Tunnel, Schlagzeug, Stimmakrobat, freier Jazz im Konzert. „Wenn es dir bei einem Konzert gelingt, dass diese Magie entsteht, dann ist das eigentlich eine Befreiung der Seele….“ 52:31 Regula M. singt Mozart, Computerbild Kehlkopf, echte Aufnahmesituation, Stress incl. (siehe Zitat zu Anfang des Artikels!) – 56:04 Autos, Fußgänger. Studio Frage betr. Spektrogramm (wie 43:43) der Fachmann sagt: „Gute Frage!“ 57:41 draußen vor der Tür, Autobus. „Wir haben die ganzen Daten von Georgia Brown vielfältig diskutiert… Wir verstehn es nicht!“ 58:34 Regula M. singt Mozart Aufnahmesituation (wunderbar), sie sagt (s.o. Anfang des Artikels): „Als Sänger muss man sich akzeptieren, sich akzeptieren mit all den positiven und negativen Sachen, die man hat.“ etc. 1:00:26 Szenenwechsel Hörsaal, großes Publikum, Show, Beifall, Moderatorin, Schnitt Nahaufnahme: „Woran möchtest du heute arbeiten?“ Psychoarbeit Schreitherapie, Gefühle rauslassen… bis 1:05:51 Szenenwechsel Brücke, Nacht, auf dem Weg zu den erleuchteten Fenstern, Regula M. vorm Auftritt mit Ramon Vargas, sie erzählt über seine Krise 1:07:23 Konzertauftritt bis 1:09:14 Schnitt, weiter Schreitherapie, Schwangere in der Badewanne, 1:11:02 drei Personen sehen einen Film, Fahrrad fährt hinaus, Kinder laufen vorbei, sie pfeifen, lachen, dann Techniker: „Wollen wir diese Magie wirklich entschlüsseln? Wollen wir wissen, warum die Stimme so toll wirkt? Oder wollen wir es vielleicht als Mysterium belassen?“ 1:11:48 Märchenhaft verkleidete Kinder tanzen zur Musik, Eltern schauen zu, „Liebes Dornröschen!“ Spindel sticht. Schnitt Aufführung mit Bühnendarstellung (Regula M., Orchestergraben etc.) 1:14:48 Andreas Schaerer auf der Bühne, Publikum, improvisiert, Jazzkombo dazu, 1:17:20 abschließende Verbeugungen im Beifall etc. Totale, Baby ist geboren, ins Wasser getaucht, 1:18:38, Gesang (langsamer Jodel) vom Anfang des Filmes, Ausklang, Nachspann. 1:21:33 ENDE

Fazit JR: ich wollte (mir und anderen) einen Überblick verschaffen, einzelne Stellen leichter auffindbar machen. Sehr anregend. Mein Gesamteindruck ist aber nicht nur positiv, manches erinnert mich an den Selbstbefreiungsoptimismus der 70er Jahre. Für meinen Geschmack zuviel Jazz, mit dem (unzureichenden) Japan-Anteil wird bewusst, dass alles fehlt, was aus „Fremdkulturen“ kommen könnte. Was bleibt, ist das Stimmphänomen (das man nicht als Mysterium belassen sollte). Auch die physiologischen Computerbilder (als Rätsel). Und vor allem Regula Mühlemann (mit Mozart). Aber auch der Film als Ganzes.

Anderes Thema (ob es passt oder nicht):

Wir hatten Christian Zehnder bzw. das Duo Stimmhorn in der WDR „Matinee der Liedersänger“, Saison 2002 (im Bahnhof Langendreer Bochum) siehe hier.