So kann es doch nicht bleiben:
Die Werke sind uns nicht unbekannt, aber reicht das, um im Konzert ganz bei der Sache zu bleiben?
Anton Webern: Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 mit dem Alban-Berg-Quartett hier.
Wo steht bei Adorno – bezogen auf Anton Webern – das Wort „Der Rest ist Schweigen“ (Shakespeare)? Hat er wirklich einmal geglaubt, mit Weberns Moment-Formen sei das Ende der Musikgeschichte erreicht? Op. 5 dauert „immerhin“ noch 10 Minuten…
Adorno:
Der Begriff des musikalischen Sinns ist nicht so fraglos, daß er stets den Text eindeutig durchwaltete. Während jede Musik der Tradition, zu der auch Schönberg und Webern noch zählen, als notwendig erscheint, ist diese Notwendigkeit nicht die der Kausalität der Dingwelt und nicht die der diskursiven Logik, sondern hat einen Aspekt des ästhetischen Scheins. Ihn meint Nietzsche mit dem Satz, im Kunstwerk könne alles auch anders sein – während es doch so klingen muß, als ob es nicht anders sein könnte. Bei vielen Werken des Wiener Klassizismus lassen, neben den einmal gefundenen, andere Lösungen sich vorstellen, von denen es schwer fiele zu sagen, ob sie minder richtig sind.
Quelle Theodor W. Adorno: Der getreue Korrepetitor (1963) Seite 150
Schönberg betrachtet in der Tat die Zwölftontechnik in der Komponierpraxis als bloße Vorformung des Materials. Er „komponiert“ mit den Zwölftonreihen; er schaltet mit ihnen überlegen, doch auch, als ob nichts geschehen wäre. Dabei ergeben sich ständige Konflikte zwischen der Beschaffenheit des Materials und der ihm auferlegten Verfahrensweise. Weberns späte Musik zeigt das kritische Bewußtsein dieser Konflikte. Sein Ziel ist es, den Anspruch der Reihen mit dem des Werkes zur Deckung zu bringen. Er strebt danach, die Lücke zwischen regelhaft disponiertem Material und frei schaltender Komposition auszufüllen. Das aber bedeutet in der Tat den eingreifendsten Verzicht: Komponieren stellt das Dasein der Komposition selber in Frage. Schönberg vergewaltigt die Reihe. Er komponiert Zwölftonmusik, als ob es keine Zwölftontechnik gäbe. Webern realisiert die Zwölftontechnik und komponiert nicht mehr: Schweigen ist der Rest seiner Meisterschaft. Im Gegensatz der beiden ist die Unversöhnlichkeit der Widersprüche Musik geworden, in welche die Zwölftonmusik unvermeidlich sich verstrickt. Der späte Webern verbietet sich die Prägung musikalischer Gestalten. Diese werden bereits als dem Reihenwesen äußerlich empfunden. Seine letzten Arbeiten sind die in Noten übersetzten Schemata der Reihen.
Quelle Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik (1958) Seite 106
Maurice Ravel: Streichquartett (Quatuor à cordes) mit dem Hagen Quartett: Satz 1 / 8:00
Zur Form: 1.Thema (Anfang), 2.Thema ab 2:07, Durchführung ab 2:37, Reprise ab 4:36 (rit 7:04)
Satz 2 / 6:27
ZITAT Thomas Kabisch:
Im zweiten Satz wird Satztechnik zum Movens des Tonsatzes. Zwei Gedanken stehen zunächst in unvermitteltem Kontrast gegeneinander (fast könnte man von zwei Musikarten sprechen): ein Pizzikato-Thema, das wie eine in Unordnung geratene, etwas chaotische Gitarre klingt (T.1), ein gesangliches Thema in differenzierter Satzweise mit fundierendem Baß und die Harmonie ausführenden Mittelstimmen (T.13).
Das gesangliche Thema Takt 13 ist nicht unmittelbare Erfindung, sondern Ergebnis einer Entwicklung, die im ersten Gedanken wurzelt und einen einzelnen Ton zum Gegenstand hat. Die Tonrepetition auf e‘ im Innern der Takte 1ff. entsteht durch die alternierende Verschränkung von Tief- bzw. Hochton der beiden Mittelstimmen. In Takt 8/9 wird die Repetition gespreizt über zwei, dann drei Oktaven und erzeugt so den Raum, der den Eintritt des zweiten Gedankens verlangt. Der Triller der 1. Violine macht die Öffnung deutlich und ist Vorbereitung für Oberstimme wie für die Mittelstimmen des zweiten Gedankens (T.13).
Quelle MGG (neu) „Ravel“ Personenteil Bd. 13 Sp. 1352 (Thomas Kabisch)
Satz 3 / 9:03 Vorweg: Bitte beginnen Sie erst bei 1:53 bis 2:15 ! (Blickkontakt Cello-Viola) und darüber hinaus bis 3:55 ! Sie können nicht aufhören! Gehen Sie zurück, fangen Sie von vorn an! All dies gehört vielleicht zu den schönsten Momenten, die man in der Kammermusik erleben kann! So war es Odysseus bei den Sirenen zumute. Hören Sie später auch den Schluss des Satzes mehrmals, beobachten Sie den Gestus der Interpreten. So überträgt sich Konzentration.
Satz 4 / 7:06 (ab 4:56 Beifall)
Interessant der Hinweis bei Arbie Orenstein (Reclam Stuttgart 1978 S.170), dass Ravels Werk (1902-03), obwohl „eine eigenständige, reife Leistung“, dem Streichquartett (1893) von Debussy nachgebildet sei.
Robert Schumann Klavierquintett op. 44 mit Daniil Trifonow und dem Ariel Quartet (Beginn bei 1:32) Satz 1 ab 1:32 bis 8:21 // Satz 2 ab 8:37 / 12:18 / Ende 16:17 // Satz 3 ab 16:38 / Ende 21:27 // Satz 4 ab 21:47 / Fu… 26:05/27:22/28:10 …ge / Ende 29:05 //
Martin Geck:
[Der] Kopfsatz beginnt mit einem Allegro brillante ebenso furios, wie der Schlusssatz mit einer Doppelfuge endet, die den Hauptgedanken des Finales mit demjenigen des ersten Satzes kombiniert – nicht ohne auch noch eine Episode aus dem langsamen Satz zu zitieren. Diesem „in modo d’una marcia“ in düsteren Farben gehaltenen Herzstück des Quintetts ist das nachfolgende Intermezzo VI gewidmet.
Quelle Martin Geck: Robert Schumann / Mensch und Musiker der Romantik / Biografie / Siedler München 2010 (Zitat Seite 191 f)
Martin Geck hat völlig recht: der „Trauermarsch“ ist das Herzstück des Werkes, und wenn ich eine Interpretation des Werkes aussuche, muss ich als erstes das Tempo dieses Satzes hören. Empfinde ich es als falsch, – zu langsam oder zu schnell, zu bedeutungsvoll oder zu leichtfertig -, verzichte ich auch auf alles andere. Wenn es „richtig“ ist, wird das sanfte Trio von niederschmetternder Wirkung sein… (Ich bin nicht ganz sicher, ob der Satz nicht auch in der oben gegebenen Version eine Spur zu langsam und in der Klage-Melodie der Streicher zu vordergründig ist.)
hier (mit Martha Argerich u.a.) plus mitlaufender Notentext!!! Interpretation: hektisch, exaltiert.
hier (mit Hélène Grimaud u.a.) nur „marcia“, wenig poetisch, 1.Trio espr.verfehlt (überdeutlich)
Haben Sie beim letzten Satz des Geck-Zitates einen Moment gestockt? Gemeint ist das Intermezzo in seinem Buch, und in der Tat führt es an einen wesentlichen Punkt des Schumannschen Denkens. Es lohnt sich, auch den Aufsatz hervorzusuchen, auf den sich Geck bezieht; auch hier die Feststellung: „Das inhaltliche Zentrum des Klavierquintetts von Schumann ist der langsame Satz.“ Was für ein wunderbares Licht fällt doch zuweilen durch eine angemessene Wort-Analyse auf ein geniales Musikwerk! Und wie froh bin ich, Triftiges zu hören über eine Melodie, die mich schon oft bis in den Schlaf verfolgt hat:
Quelle Martin Geck wie oben / von ihm zitiert: Hans Kohlhase: Robert Schumanns op.44 / Eine semantische Studie / Musik-Konzepte Sonderband Robert Schumann I / Herausgegeben von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn / edition text + kritik 1981 ISBN 3-88377-070-1 (S.148-173)
„…sondern erkennbar Seufzer loslässt…“ – wie wahr – die geliebte Sekunde, die schon am Ende der Arabeske unauslotbar schien. Bis endlich die Dur-Terz am Himmel steht, auf der die Vögel einruhn nach langem Flug (frei nach Benn).
Zum Cuarteto Casals hier! Das folgende Foto stammt nicht aus dem (phantastischen) Konzert in der Veranstaltungshalle der Raketenstation Hombroich, sondern ist ein Screenshot aus der DVD, die es dort zu kaufen gab: