Die Jahre 1000 und 1750
Mit dem ersten Datumbegann die eigentliche Geschichte des Abendlandes, mit dem zweiten die der Aufklärung. Wobei wir maßgebende Gestalten davor probeweise außer Acht lassen, z.B. Karl den Großen und den noch größeren Johann Sebastian Bach.
Nach einer Phase des Hin- und Her-Blätterns beginne ich im letzten Teil, zumal festzustellen war, dass ein Punkt, der mich in Telemanns Selbstbiographie (es gibt drei davon!) (gab es nicht vier s.S. 105?) am meisten interessiert hat, zwar auf Seite 134 wiedergegeben ist, aber nirgendwo inhaltlich behandelt wird:
Gut, ein Beispiel für Telemanns Weltoffenheit in alle Richtungen, aber er war 1706 erst 25 Jahre alt, und es handelte sich vielleicht um eine Episode auf der Flucht, ohne weitere Folgen. Somit springe ich sofort in die Kapitel, die den Komponisten von seiner menschlichen Seite her beleuchten, zumal persönliche Zeugnisse über die Selbstbiographien hinaus rar sind. Von seinem „Ehedrama“ (Seite 256) wusste ich nichts. Auch nicht – von seiner Blumenliebe! Also sammle ich als erstes ein paar Zeilen aus dem Kapitel „Persönlichkeit und Charakter“ (Seite 288 ff), Zeilen, die hier und da auch kleine Fragezeichen auf Leserseite ergeben mögen:
Telemanns Persönlichkeit beurteilen zu wollen, ist eine extrem schwierige Aufgabe, weil man eigentlich nur aus seinem Handeln Schlüsse ziehen kann, da private Äußerungen weitgehend fehlen. Wahrscheinlich war er ein Bauchmensch, der wie alle Musiker Komponieren und Spielen nach Stimmungen und Gefühlen ausrichtete und sich von diesen leiten ließ. (…)
Vermutlich war Telemann Sanguiniker. (…)
Telemann war ein Selfmademan, der in seinen Autobiographien nicht müde wurde zu betonen, dass alle seine Fähigkeiten der Natur zu verdanken waren, gepaart mit einer hinlänglichen Portion Wissensdurst und Fleiß, die ebenfalls der Natur entsprangen. Sein Glaube bestand darin, dass die Natur, also Gott, aus ihm einen herausragenden Musiker machen wollte, indem er dieses Talent nicht nur aufgriff, sondern selbst ausbildete und erweiterte. Unter allen Barockkomponisten war Telemann der einzige, der niemals formalen Unterricht gehabt hatte, und er war stolz darauf, weil er seine Gaben allein auf die Natur zurückführte. (…)
Telemann war ein Macher. (…)
Telemann war ein Workaholic (…).
Telemann war Künstler und Manager in Personalunion. Er muss über ein außerordentliches künstlerische Potential verfügt haben, das es ihm täglich gestattete, auf hohem, oft höchstem Niveau Neues zu schaffen und damit genau den Publikumsgeschmack zu treffen. Andernfalls hätte es gerade in Hamburg über Jahrzehnte hinweg Klagen über die Kirchenmusik gegeben (…).
Dass Telemann neben dem harten Kern des Machers und Managers auch eine weiche Seite besaß, beweisen nicht nur seine Dichtungen und viele seiner langsamen Sätze, sondern gerade seine Blumenliebe. es ist bezeichnend, dass er nach Schließung der Hamburger Oper 1738 seinen Verlag nur noch dazu nutzte, seine Schulden abzutragen und dann einstellte, um sich ins Private zurückzuziehen und einem anmutigen Hobby nachzugehen. Dies zeigt, dass Telemann ein vielseitiger Künstler war und dass das Management allein dem künstlerischen Erfolg, nicht aber als Selbstzweck diente. Auch pflegte er die Blumenliebe nicht im Verborgenen, sondern hatte keine Scheu, daran seine Freunde und Bekannten teilhaben zu lassen, indem er sie entweder in seinen Garten lud oder um neue Pflanzen aus aller Welt bat. Die Blumenliebe beweist, dass Telemann im Grunde seines Herzens ein Schöngeist und eben kein harter Brocken war. (…)
Besonders auffallend ist, dass drei von den fünf zeitgenössischen Abbildungen den Komponisten mit offenem Hemd darstellten, was damals höchst ungewöhnlich war, weil sich damit eine legere, aufgeklärte Haltung und Naturverbundenheit offenbarten. (…)
Auf Seite 274f findet man Näheres von Telemanns „anmutigem Hobby“:
Telemann muss sich einen Garten vor den Toren Hamburgs zugelegt haben, der groß genug war, eine Vielzahl von Pflanzen unterzubringen und auch Gäste zu empfangen. !753 besuchte ihn dort Christlob Mylius (1722-1754), ein Freund Lessings, und notierte: „Den 28. Mai gieng ich zu dem Hrn. Capellmeister Telemann, und besah auch seinen Garten, worin viel fremde und schöne Pflanzen sind. Dieser 70jährige Greis ist noch recht munter und war sehr höflich. Er hat mir zum Andenken meinen Abschied aus Europa componirt.“
Gewiss hatte Telemann Gartenanlagen bereits früher kennengelernt, etwa in Eisenach, Frankfurt am Main und Paris. Nun, offenbar im Anschluss an die Paris-Reise 1737/38, entwickelte er selbst ein botanisches Hobby, vielleicht angeregt durch andere Hamburger Hobbygörtner. Telemann nutzte seine bestehenden Kontakte, um sich aus aller Welt Pflanzen senden zu lassen. Ihre List, die er [in einem Brief an] von Uffenbach versehentlich beigefügt hatte, ist erhalten; sie umfasst nicht weniger als 63 Arten, darunter auch ungewöhnliche wie Chinesischer Hanf und Chinesische Aster. 1743 bat er Lorenz Christoph Mizler (1711-1778), ihm aus Polen Blumen zu senden, 1749 auch den Dresdner Konzertmeister Johann Georg Pisendel (1687-1755) und noch 1750 und 1751 schickten ihm Georg Friedrich Händel aus London und Carl Heinrich Graun (1703-1759) aus Berlin neue Gewächse; darunter befanden sich für die damalige Zeit recht seltene exotische Pflanzen wie Aloen und Säulenkakteen, wie sie in ausgewählten Hofgärten zu finden waren.
(Die Anmerkungszahlen habe ich in dieser Abschrift weggelassen. Darin z.B. Quellennachweis Dokumente zu Georg Philipp Telemann ‚Bluhmen-Liebe‘ . JR )
(Fortsetzung folgt)