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Greifbares aus der Weltgeschichte Nahost

Beziehungsweise: schwer Begreifbares, betreffend Palästina

(Sie haben keine Zeit? Dann gehen Sie bitte an den Schluss dieses Artikels!)

Solinger Tageblatt 28. Okt. 2023 Seite 2

Meist befällt mich beim Anblick von Chronologien bleierne Müdigkeit, und doch dreht es sich in Diskussionen oft um Details („wer hat angefangen?“ / „Wer hat zurückgeschlagen?“), die sich nur anhand penibel belegter Datenabläufe klären lassen. Nicht durch ein vages historisches Gefühl. Und wenn ich merke, wie trügerisch sein kann, achte ich auf jede vertrauenswürdige Nachhilfe.

Schließlich will ich im Gespräch mit Enkeln nicht Vorurteile sprechen lassen. Oder etwa rekapitulieren, was ich einst im biblischen Unterricht über die „Kinder Israel“ gelernt habe. Es geht um den gegenwärtigen Zustand des Nahen Ostens – und wie es dazu kommen konnte. Und was wir damit zu tun haben. Stichwort Schoa. Wie weit muss ich zurückgehen, – mein Vorurteil sagt: bis Pontius Pilatus, nein viel weiter, viel früher, Römerherrschaft, nein, Zerstörung des Salomo-Tempels 70 vor Christus. Zerstreuung der Juden in alle Welt. Blieben denn keine in Palästina? Gingen die (muslimischen) Araber nicht erst mit Mohammed, also viel später auf  Eroberungstour. Seit 630 nach Osten, Norden und Westen, hier bis an den Atlantik, nach Spanien, wo sie Mauren (Mohren) genannt wurden, während die weißesten Kreuzritter um 1000 in umgekehrter Richtung expandierten. Und das Osmanische Reich? Ich gerate ins Schlingern.

Ich fange lieber bei der Tageszeitung an, prüfe, ob eine parteipolitische Tendenz in der Berichterstattung erkennbar ist, ob ich weitere Quellen zu Rate ziehen sollte, – aber – schnell muss es gehen. Da draußen verändert sich ständig die Lage, nicht nur im Nahen Osten, sondern: die Weltlage. Nur nicht die Flinte ins Korn werfen – Schluss auch mit den falschen Bildern – Fakten, Fakten, Fakten!

Journalismus, das ist es! Damit fang ich an: da gibt es immerhin, schaut doch selbst, diese (s.o.) „Sieben folgenschwere Mythen“! Liebe Enkel und Enkelinnnen, das ist wohl auch für Euch geeignet, falls das stimmt mit der allgemein kürzeren Aufmerksamkeitsspanne, – uns Alten geht es ja nicht anders, die Realität hat keine Geduld mehr. Ich nehme, was ich greifen kann.

https://rp-online.de/politik/analyse-und-meinung/die-mythen-der-palaestinenser-und-israelis-im-nahostkonflikt_aid-100047045 HIER Autor: Martin Kessler

Der Begriff „Palästinenser“ Wiki hier

Israel Wikipedia-Artikel hier / Vorweggenommen seien die folgenden ZITATE:

Das Gebiet des heutigen Israel gilt als Wiege des Judentums sowie auch der beiden jüngeren abrahamitischen Religionen. Es stand seit 63 v. Chr. nacheinander unter römischer, byzantinischer, sassanidischer, arabischer, osmanischer und britischer Herrschaft. Die dort seit rund 3.000 Jahren ansässigen Juden (biblisch: Israeliten, Hebräer) wurden im Laufe der Geschichte mehrmals vertrieben oder zur Emigration gedrängt (jüdische Diaspora). Vom ausgehenden 19. Jahrhundert an bestanden unter europäischen Juden, nicht zuletzt aufgrund der in Europa zunehmenden Judenverfolgung, Bestrebungen, im damals osmanischen Palästina wieder einen jüdischen Staat zu errichten (Zionismus, benannt nach Zion, dem Tempelberg).

Der Aufstand der Makkabäer 165 v. Chr. brachte Israel noch einmal für etwa 100 Jahre staatliche Unabhängigkeit. 63 v. Chr. begann die Zeit der römischen Oberherrschaft. Die Römer gliederten das Gebiet in zwei Provinzen auf: Syria im Norden, Judäa im Süden. Im Jüdischen Krieg wurden Jerusalem und der Jerusalemer Tempel 70 n. Chr. vollkommen zerstört. Der letzte jüdische Aufstand in Israel gegen die römische Herrschaft (Bar-Kochba-Aufstand) wurde 135 n. Chr. niedergeschlagen. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung wurde vertrieben. Das Land selbst wurde seither „Palästina“ genannt. Diesen Namen, der auf das seinerzeit bereits in den Nachbarvölkern aufgegangene Volk der Philister zurückgeht, erhielt das Land aufgrund eines Erlasses von Kaiser Hadrian, um die Erinnerung an die judäischen Bewohner zu tilgen, deren Aufstand er niederschlug. Trotzdem blieb Palästina – neben Rom und seinen Provinzen in Europa und Nordafrika sowie abgesehen von Mesopotamien (Babylonien) – ein Zentrum des Judentums; bis ins Mittelalter hinein waren sowohl die babylonischen als auch die palästinischen Rabbinen wegweisend für die Entwicklung der jüdischen Religion und Lebensweise auch außerhalb dieser Gebiete.

Im Zuge der islamischen Expansion geriet das Gebiet 636 unter arabische Herrschaft. Seit dieser Zeit wurde Palästina mehrheitlich von Arabern bewohnt. Die Kreuzfahrer beherrschten von 1099 bis 1291 das von ihnen so bezeichnete „Lateinische Königreich Jerusalem“. Es folgten die Mamluken von 1291 bis 1517 und dann die osmanische Herrschaft von 1517 bis 1918. Keine dieser Obrigkeiten hatte für Palästina eine eigene Verwaltung vorgesehen oder das Gebiet als selbstständige geographische Einheit betrachtet. Auch für die Osmanen war die Region ein Teil Syriens, wohl auf die römische Bezeichnung Syria zurückgehend. Das Land wurde in drei Distrikte eingeteilt.

* * *

Durch den Sieg der Briten im Ersten Weltkrieg wurde 1917 die osmanische Herrschaft in Palästina beendet. Im Anschluss an die Konferenz von Sanremo 1920 übertrug der Völkerbund 1922 Großbritannien das Mandat für Palästina mit dem Gebiet, das heute gemeinsam von Israel und Jordanien eingenommen wird. Zu den Mandatsbedingungen gehörte, dass die Briten die Verwirklichung der Balfour-Deklaration ermöglichen sollten, die aber die Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina nicht beeinträchtigen sollte. Die Mandatsmacht war aufgefordert, die jüdische Einwanderung zu ermöglichen, diese jüdischen Einwanderer geschlossen anzusiedeln und hierfür auch das ehemalige osmanische Staatsland zu verwenden. Es sollte dabei ausdrücklich dafür Sorge getragen werden, dass „nichts getan werden soll, was die bürgerlichen und die religiösen Rechte bestehender nichtjüdischer Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und die politische Stellung, deren sich die Juden in irgendeinem anderen Lande erfreuen, präjudizieren könnte“.

Im Juli 1922 teilten die Briten Palästina in zwei Verwaltungsbezirke, Palästina und Transjordanien, das etwa drei Viertel des Mandatsgebietes umfasste. Zunächst wurden Transjordanien und Palästina noch als Verwaltungseinheit mit einheitlichen Mandatsgesetzen, der gleichen Währung und gleichen Mandatspässen betrachtet (siehe auch: Weißbuch von 1939), aber Juden war es nur noch erlaubt, sich westlich des Jordans anzusiedeln. Im östlichen Teil, in Transjordanien, dem heutigen Jordanien, setzten die Briten den haschemitischen Herrscher Abdallah ein, der von der arabischen Halbinsel vertrieben worden war.

Quelle: Wikipedia

Fakten? Wo genau stehen sie nun? Vielleicht wieder in der neuen ZEIT (3.11.23)?

Und weiter auf Seite 4 (Verschiedene Autoren):

Hier folgen als Thesen nicht unbedingt die Fakten, sondern Kernprobleme, – zu diskutierende Themen, deren Darstellung im Text nachzulesen ist. Ich lasse die Lösung offen. (Aber immer zu beachten: wer sind die Autor_innen, was haben sie gelernt und für wen arbeiten sie. Also auch hier anklicken.)

Im Krieg lügen alle Seiten /Yassin Musharbash

Bei diesem Konflikt geht es im Kern um Religion /Jan Ross

Der Nahostkonflikt ist hoffnungslos und unlösbar /Frank Werner

Die Briten sind an allem schuld /Josef Joffe

Israel ist eine Kolonialmacht /Anna Sauerbrey

Israels Geheimdienste sind die besten der Welt /Josef Joffe

Israel ist die einzige Demokratie in Nahost /Jörg Lau

Die Zweistaatenlösung ist tot /Michael Thumann

Die Hamas ist ein Werkzeug des Iran /Yassin Musharbash

*    *    *    *

Heute hört man ja immer öfter den Satz: „Das wird man doch noch sagen dürfen!“ Aber in Wirklichkeit ist das weit verbreitete Schweigen ein gesellschaftliches Problem. Daher halte ich den folgenden Artikel aus der ZEIT (2. November 2023 Seite 53) für besonders wichtig. Bitte zum Vergrößern jeweils zweimal klicken:

Autor: Thomas E. Schmidt

Gestern im Tageblatt:

Deshalb erträgt man auch Kommentare wie diesen in der Tageszeitung, nennt ihn nicht tendenziös oder „geschmacklos“ und verlangt nicht Proportionaltät, die andere Seite betreffend. Gleiches kann nicht durch Gleiches aufgewogen werden. Der 7. Oktober 2023 ist ein in das kollektive Gedächtnis eingebranntes Datum. Kein „Narrativ“, das durch ein anderes überlagert werden kann.

Seltsam: man kann das auch in 2 Minuten hören, von seiten unserer Regierung, in einer offiziellen Rede, die auch viel beachtet und gelobt wurde, mit Recht: hier von Min. 7:40 bis 9:40.

Mein Montagmorgen

…mit Mozart und ???

Ja, ich brauche noch andere Konsonanten, z.B. Klenke-Quartett. Mit Klarinette. Ich habe gestern ganz spät die CD gesucht,und am Klavier, anlässlich der Bach-Fuge in E-dur, habe ich mich plötzlich erinnert. Aber jetzt höre ich erstmal Mozart und bin wieder begeistert. Warum hatte ich vergessen, die Begegnung damals zu vertiefen, hier (am Anfang), warum nur? Ich wusste jetzt nicht einmal, dass das hervorragende Quartett ausschließlich aus Frauen besteht. Das umfangreiche Textbuch in drei Sprachen habe ich vielleicht nur oberflächlich gelesen, aber jetzt fällt mit sofort in der ersten Zeile die Wiederkehr des Wortes „Frau“ auf, – das kommt von der Gender-Diskussion -, dann die Reihe der Einzelfotos, beginnend mit der Klarinettistin, die ich aus Konzerten des WDR-Sinfonie-Orchesters kannte. Sie saß oft schon da, wenn noch Mikrofonprobe war für den Einführungsmoderator, der manchmal ich war. Ganz rechts neben den 5 Damen das Foto von Stephan Katte, der mir ein Begriff ist seit dem wunderbaren Brahms-Horntrio mit den Abeggs, für die ich so manchen Text geschrieben habe. Ach, immer ich, ich, ich. Ja, so läuft nun mal das Erinnern, – es wird schon früh genug weitergehen zu Mozart und Bach, die im Zentrum „meiner“ Welt stehen. – Wie intelligent diese Musiker:innen reden, wie schön sie spielen! Martin Hoffmeister ist offenbar Redakteur im MDR. Die Aufnahme aber stammt vom SWR. Gut, und Nicola Jürgensen war damals noch beim WDR. Gerechtigkeit.

Was allerdings heute Morgen zündete, waren die guten Bemerkungen über das Mozart-Quintett: das musste ich hören! erst nachher die Fugen!! Tr. 2 Das Zwiegespräch!!!

 

   

Und nun alles von vorn. Schöner kann die Woche nicht beginnen.

Ein Sprung im Tagesablauf

Am Abend entsteht die Frage: wie genau kann ich mir den „stile antico“ vorstellen?  Den Klang, – das Tempo – das Auf und Ab – einer wie auch immer idealisierten geistlichen Musik, die von Palestrina überliefert ist. Wie hat Bach sie aufgefasst, der sie ja in Ehren hielt? Wie hat Mozart Bach aufgefasst, wenn dieser sich – historisierend – an den Stil Palestrinas anlehnte? Klartext: in welchem Tempo soll ich die E-dur-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier Teil II spielen. Mit welchem Ausdruck?

So – vielleicht auch wieder nicht… wie betörend „antico“ es auch immer klingt. Für Bach nicht gewichtig genug. Aber könnte das folgende eine Alternative sein?

Mozarts Bach hier (entspricht tr. 5-9 auf der CD) oder direkt die Fuge E-dur: (6:52) (bitte nach Klick 1 Moment Geduld)

Es ist nicht meine Absicht, das wunderbare Quartett zu kritisieren, sondern allenfalls: dass es Mozart wie Mozart spielt, und zwar so, wie man es auf Streichinstrumenten tut, vielleicht mit auffällig wenig Vibrato, um der archaisierenden Strenge des Satzes durch gambenähnlichen Klang zu entsprechen. Ich empfinde es anders, aber nicht weil ich an Cembalo- oder Orgelklang denke, – ich denke an den Vortrag am Klavier -, sondern weil die Fuge zu Bachs Musterstücken im „stile antico“ gehört. Aber es ist nicht ein kryptischer Gehorsam, der mich antreibt, sondern die Vermutung, dass hier jede Mozartsche „Leichtigkeit“ fehl am Platze ist. Es geht um „Majestas“ und  „Gravitas“. Auf Mozart selbst angewandt: Stellen Sie sich vor, der Gesang der Geharnischten in der „Zauberflöte“ würde auch nur ein Gran zu schnell interpretiert, die Größe des Augenblicks wäre dahin. „Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden“. Ich finde, schon William Christie nimmt es ein Minimum zu flott (selbst wenn man andernfalls  beschleunigen müsste, sobald Tamino reagiert): HIER.

Es geht um die Gemessenheit – die Strenge – der Achtelbewegung, schon im dritten (und fünften) Takt der Fuge in E-dur, gerade dieser Achtel-Quartsprung soll nicht leichtfüßig, sondern würdevoll wirken.

Nach wie vor sehr lesenswert ist das Buch „Bach Interpretation“ von Paul Badura-Skoda (Laaber Verlag 1990 z.Zt. vergriffen). Er geht an dieser Stelle aus von der Orgelfuge BWV 564, die natürlich nichts mit „stile antico“ zu tun hat, aber in allen Beispielen geht es um Artikulation und Charakter:

Auf der nächsten Seite nun bringt er zum Vergleich den Anfang des Credo aus der H-moll-Messe und fügt die E-dur-Fuge betreffend hinzu:

Deshalb wäre es grundfalsch, dieses Thema zart und zögernd zu spielen, wie dies leider öfter geschieht.

Ein guter Rat. Man sollte vermeiden, bei einer Bachschen Fuge von vornherein ein „esoterisches Register“ zu ziehen und erst mit wachsender Stimmenzahl Klangfülle zu entwickeln. Man bedenke auch, dass auf Tasteninstrumenten, für die Bach ja schreibt, jeder Ton gewissermaßen mit Glottisschlag beginnt, – mit K, nicht mit H oder M, wenn ich an den Anfang dieses Artikels anknüpfen darf. Daran darf man Streicher ruhig erinnern, da sie seit alters wie die Sänger das Messa di Voce üben und Töne lieben, die aus dem Nichts kommen. Eine andere Sache ist es, dass der Name Mozart im Zusammenhang mit Bachfugen nahelegt, ihnen das „Altmeisterliche“ zu nehmen und die Leichtigkeit der klassischen Bogentechnik zu nutzen. In der Tat, gibt es geschwindere Bach-Fugen, denen dies zugutekommt. Es ist geradezu ein Charakteristikum: ich habe das schon früher einmal ausgeführt (mit Forkel-Zitat über den Tanzcharakter mancher Fugen) hier.

Anders jedoch steht es beim „stile antico“, der nun mal nichts Tänzerisches vermittelt, sondern Linien, die allenfalls – wo erforderlich – mit Nachdruck differenziert und dynamisch herausgehoben  werden dürfen. Die Anbahnung eines Höhepunktes im Gleichmaß der E-dur-Fuge:

Hören! Youtube Andras Schiff hier (ab 4:36 bzw. 6:39)

Man erlebt, wie Bach ab Takt 29 (6:39) aus dem strengen Stil ausbricht, indem er Terzenparallelen in beiden Händen produziert, auffällig in Gegenbewegung, in der linken Hand in T. 31 und 32 im Aufwärtsmodus präsent hält und dann einen unglaublichen Abschluss in Gis-moll vorbereitet in Takt 33, in Parallel- und Gegenbewegung, beginnend mit dem kakophonen Dominantseptnonakkord auf Dis (siehe Kölbl hier), ein Höchstmaß an Expressivität, da wäre jede Beiläufigkeit fehl am Platze. Und daraus ergibt sich eine Tempovorstellung, die solche Gewichtigkeit auch erlaubt. Ein triumphales Pathos, das auch in den oktavenweit ausgespannten Abstiegslinien der letzten fünf Takte offenliegt (grün markiert). Man sieht es schon zu Anfang der Durchführung VI (Takt 35), wenn der Aufstieg des Kontrapunktes aus Takt 3 (s.o. kleines Notenbeispiel) im Sopran wiederkehrt, jetzt aber ausgebreitet wird über eine ganze Oktave.

Angesichts dieser Indizien ist es merkwürdig, dass der große Bach-Exeget Alfred Dürr das Offensichtliche ignoriert und feststelltt, „dass eine Schlußsteigerung, wie wir sie von manchen Fugen her gewohnt sind und wie sie Johann Gottfried Walthers Zitat »Finis coronat opus« nahelegt hier kaum anzutreffen ist“. (Seite 317)  Dabei gilt das sogar noch für den letzten Takt mit der fast provokativ konventionellen Kadenz … ein Signum, wenn auch das Gegenteil einer Krönung.

Man könnte auch streiten über die Fuge D-dur (BWV 874), angefangen mit Busonis Frage: „welcher Sinn wohl darin liegen möge, eine melodische Formel so durch verschiedene Stimmen und Tonarten zu jagen.“ (Dürr S. 282)

Vermutlich liegt sein Missverständnis schon in den Worten „Formel“ und „jagen“: es handelt sich ja, wie Dürr anfangs ganz richtig sagt: um eine „gelehrte“ Fuge. Was wohl auch bedeutet, dass sie eher „freundlich dozierend“ daherkommt, nicht fesch und tänzelnd. Schon die drei ersten wiederholten Töne sind mit Bedeutung geladen, als seien Worte zitiert, eine These, deren Ergänzung in der zweiten Themenhälfte erfolgt. Ein Statement, etwa so wie im Unisono am Ende des Turba-Chores in der Matthäus-Passion: „er hat gesagt: ich bin Gottes Sohn“.  Man könnte sogar genau diesen Text unterlegen:

Und – gibt es vielleicht eine subkutane Verbindung zur nachfolgenden Fuge in dis-moll? Im Charakter komplementär: mit den drei pochenden Tönen zu einer ganz anderen Aussage kommend, in der zwei aufsteigende Quarten eine Rolle spielen, die entfernt an die zweite Hälfte des D-dur-Themas gemahnen. Auf der Klenke-CD in umgekehrter Reihenfolge: Tr. 4 (dis) und Tr. 5 (D), auf Youtube mit Klenke/Mozart – wie oben – HIER – oder direkt bei 4:54 (übrigens in d statt in dis), während die Fuge in D hier bei 1:48 anzuspielen sein müsste.

Youtube Schiff (dis) hier (ab 3:41) / und (D) hier (ab 5:18)

Auch eine frühe Orgelfuge (um 1708)  hätte mitreden können, BWV 574 (Thema von Legrenzi):

Was ich sagen will: die Charaktere der Stücke sind gewiss unterschiedlich, aber die Streicher kommen aus anderen Gründen zu einer ganz anderen Tempowahl als der Pianist. Gewiss auch aufgrund der Tatsache, dass Mozart die Hand im Spiel hatte. Man darf aber wohl behaupten: die unterschiedlichen Konsequenzen sind nicht gleich berechtigt. (Ausgeschlossen etwa, zu entgegnen: „Alles ist relativ“ – es geht doch nur um die Bewahrung der Struktur…)

Zur Klarstellung der Reihenfolge der Klenke-Mozart-Bach-Fugen

Auf der CD

Auf Youtube

Beim Abspielen der Sammlung sollte man wissen, dass die Reihenfolge auf Youtube nicht die vom Klenke-Quartett für die CD  gewählte wiedergibt. Diese aber ist hinsichtlich der Tonartenfolge viel sinnvoller.

Mein Donnerstagmorgen

Ich lese die ZEIT. Und höre die Klenke-CD, wie jeden Morgen. Im Wechsel übrigens mit einer anderen, die ich erst später nennen möchte.

Der erste Gedanke war: es ist vielleicht falsch (aber auch tolerabel), die 5 Fugen separat zu behandeln, eine nach der andern, und dabei immer an den täglichen Umgang mit dem Wohltemperierten Klavier zu denken. An den „anderen“ Zusammenhang. Hier aber ist es Mozart, und die Fugen bilden auf der CD einen neuen Zusammenhang, die eine wirkt wie ein Vor- (oder Nach-)spiel der anderen. Zu schnell finde ich eigentlich nur die erste und die letzte (C-moll und D-dur). Ja: auch die in E-dur, jedenfalls nicht bedeutsam genug. Das gilt auch für die zarte Pflanze in d-moll (Original Bach dis-moll).

Lieb gewonnen habe ich das Horn-Quintett, das ich bisher kaum kannte. So spielt das Leben. Und noch etwas: die Es-dur-Fuge wurde mir früh zu einem Begriff durch meinen älteren Bruder: er steckte mir, dass seine Musik, der Jazz,  problemlos eine Bach-Fuge integrieren konnte, – er meinte das Rediske-Quintett, das zumindest eine oder zwei Durchführungen der Es-dur-Fuge spielte und sie wie ein Praeludium behandelte: nach einem Break setzte unvermittel der „eigentliche“ Jazztitel ein. Das Fugato stand für Intellektualität. Vielleicht ist diese für meine damaligen Ohren attraktive Fassung dafür verantwortlich, dass ich am „Klenke-Tempo“ nichts auszusetzen habe. Um so klarer, dass die D-dur-Fuge nicht dasselbe Tempo haben darf, es sei denn – als Rausschmeißer. Als handle es sich um das berühmte Motiv Beethovens.

Inzwischen habe ich die Leittartikel gelesen, Giovanni di Lorenzo über den ÖRR (den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk), daneben Rieke Havertz über Joe Bidens „spektakulären Sieg im Kampf um das Klima“. Vorgemerkt auch eine Enthüllungsstory (?) auf Seite 3 über Maja Göpel, die mir höchst positiv in Erinnnerung war (siehe hier). Was sich durch diesen Artikel mit Hinweis auf den „Co-Autor“ nicht ändert.

Schlusswort am Freitagmorgen

In dieser Arbeit, die von einer bestimmten CD-Aufnahme der von Mozart adaptierten Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier Bd. II ausging, ist mir ein grundlegender Fehler unterlaufen. Unfassbar, – und nur aus der Arbeitsweise zwischen Hören und Analysieren zu erklären. Aber auch nicht recht entschuldbar. Da bedarf es einer ausführlichen Fehler-Analyse, so dass wenigstens ein didaktisch wertvolles Beispiel daraus wird.

Ich weiß zwar, dass nach diesen erklärenden Worten beim Wiederlesen plötzlich jeder Satz unter Verdacht steht, – auch alles, was richtig und nützlich zu lesen wäre. Die Alternative wäre, alles ohne Rücksicht auf Verluste zu löschen. Und dafür ist mir diese Woche – von Montag bis Freitag – zu sehr ans Herz gewachsen.

Was übrig bleibt, ist meine herzliche Empfehlung der CD des Klenke-Quartetts. Inclusive der Bach-Fugen.