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Mein Montagmorgen

…mit Mozart und ???

Ja, ich brauche noch andere Konsonanten, z.B. Klenke-Quartett. Mit Klarinette. Ich habe gestern ganz spät die CD gesucht,und am Klavier, anlässlich der Bach-Fuge in E-dur, habe ich mich plötzlich erinnert. Aber jetzt höre ich erstmal Mozart und bin wieder begeistert. Warum hatte ich vergessen, die Begegnung damals zu vertiefen, hier (am Anfang), warum nur? Ich wusste jetzt nicht einmal, dass das hervorragende Quartett ausschließlich aus Frauen besteht. Das umfangreiche Textbuch in drei Sprachen habe ich vielleicht nur oberflächlich gelesen, aber jetzt fällt mit sofort in der ersten Zeile die Wiederkehr des Wortes „Frau“ auf, – das kommt von der Gender-Diskussion -, dann die Reihe der Einzelfotos, beginnend mit der Klarinettistin, die ich aus Konzerten des WDR-Sinfonie-Orchesters kannte. Sie saß oft schon da, wenn noch Mikrofonprobe war für den Einführungsmoderator, der manchmal ich war. Ganz rechts neben den 5 Damen das Foto von Stephan Katte, der mir ein Begriff ist seit dem wunderbaren Brahms-Horntrio mit den Abeggs, für die ich so manchen Text geschrieben habe. Ach, immer ich, ich, ich. Ja, so läuft nun mal das Erinnern, – es wird schon früh genug weitergehen zu Mozart und Bach, die im Zentrum „meiner“ Welt stehen. – Wie intelligent diese Musiker:innen reden, wie schön sie spielen! Martin Hoffmeister ist offenbar Redakteur im MDR. Die Aufnahme aber stammt vom SWR. Gut, und Nicola Jürgensen war damals noch beim WDR. Gerechtigkeit.

Was allerdings heute Morgen zündete, waren die guten Bemerkungen über das Mozart-Quintett: das musste ich hören! erst nachher die Fugen!! Tr. 2 Das Zwiegespräch!!!

 

   

Und nun alles von vorn. Schöner kann die Woche nicht beginnen.

Ein Sprung im Tagesablauf

Am Abend entsteht die Frage: wie genau kann ich mir den „stile antico“ vorstellen?  Den Klang, – das Tempo – das Auf und Ab – einer wie auch immer idealisierten geistlichen Musik, die von Palestrina überliefert ist. Wie hat Bach sie aufgefasst, der sie ja in Ehren hielt? Wie hat Mozart Bach aufgefasst, wenn dieser sich – historisierend – an den Stil Palestrinas anlehnte? Klartext: in welchem Tempo soll ich die E-dur-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier Teil II spielen. Mit welchem Ausdruck?

So – vielleicht auch wieder nicht… wie betörend „antico“ es auch immer klingt. Für Bach nicht gewichtig genug. Aber könnte das folgende eine Alternative sein?

Mozarts Bach hier (entspricht tr. 5-9 auf der CD) oder direkt die Fuge E-dur: (6:52) (bitte nach Klick 1 Moment Geduld)

Es ist nicht meine Absicht, das wunderbare Quartett zu kritisieren, sondern allenfalls: dass es Mozart wie Mozart spielt, und zwar so, wie man es auf Streichinstrumenten tut, vielleicht mit auffällig wenig Vibrato, um der archaisierenden Strenge des Satzes durch gambenähnlichen Klang zu entsprechen. Ich empfinde es anders, aber nicht weil ich an Cembalo- oder Orgelklang denke, – ich denke an den Vortrag am Klavier -, sondern weil die Fuge zu Bachs Musterstücken im „stile antico“ gehört. Aber es ist nicht ein kryptischer Gehorsam, der mich antreibt, sondern die Vermutung, dass hier jede Mozartsche „Leichtigkeit“ fehl am Platze ist. Es geht um „Majestas“ und  „Gravitas“. Auf Mozart selbst angewandt: Stellen Sie sich vor, der Gesang der Geharnischten in der „Zauberflöte“ würde auch nur ein Gran zu schnell interpretiert, die Größe des Augenblicks wäre dahin. „Der, welcher wandert diese Straße voll Beschwerden“. Ich finde, schon William Christie nimmt es ein Minimum zu flott (selbst wenn man andernfalls  beschleunigen müsste, sobald Tamino reagiert): HIER.

Es geht um die Gemessenheit – die Strenge – der Achtelbewegung, schon im dritten (und fünften) Takt der Fuge in E-dur, gerade dieser Achtel-Quartsprung soll nicht leichtfüßig, sondern würdevoll wirken.

Nach wie vor sehr lesenswert ist das Buch „Bach Interpretation“ von Paul Badura-Skoda (Laaber Verlag 1990 z.Zt. vergriffen). Er geht an dieser Stelle aus von der Orgelfuge BWV 564, die natürlich nichts mit „stile antico“ zu tun hat, aber in allen Beispielen geht es um Artikulation und Charakter:

Auf der nächsten Seite nun bringt er zum Vergleich den Anfang des Credo aus der H-moll-Messe und fügt die E-dur-Fuge betreffend hinzu:

Deshalb wäre es grundfalsch, dieses Thema zart und zögernd zu spielen, wie dies leider öfter geschieht.

Ein guter Rat. Man sollte vermeiden, bei einer Bachschen Fuge von vornherein ein „esoterisches Register“ zu ziehen und erst mit wachsender Stimmenzahl Klangfülle zu entwickeln. Man bedenke auch, dass auf Tasteninstrumenten, für die Bach ja schreibt, jeder Ton gewissermaßen mit Glottisschlag beginnt, – mit K, nicht mit H oder M, wenn ich an den Anfang dieses Artikels anknüpfen darf. Daran darf man Streicher ruhig erinnern, da sie seit alters wie die Sänger das Messa di Voce üben und Töne lieben, die aus dem Nichts kommen. Eine andere Sache ist es, dass der Name Mozart im Zusammenhang mit Bachfugen nahelegt, ihnen das „Altmeisterliche“ zu nehmen und die Leichtigkeit der klassischen Bogentechnik zu nutzen. In der Tat, gibt es geschwindere Bach-Fugen, denen dies zugutekommt. Es ist geradezu ein Charakteristikum: ich habe das schon früher einmal ausgeführt (mit Forkel-Zitat über den Tanzcharakter mancher Fugen) hier.

Anders jedoch steht es beim „stile antico“, der nun mal nichts Tänzerisches vermittelt, sondern Linien, die allenfalls – wo erforderlich – mit Nachdruck differenziert und dynamisch herausgehoben  werden dürfen. Die Anbahnung eines Höhepunktes im Gleichmaß der E-dur-Fuge:

Hören! Youtube Andras Schiff hier (ab 4:36 bzw. 6:39)

Man erlebt, wie Bach ab Takt 29 (6:39) aus dem strengen Stil ausbricht, indem er Terzenparallelen in beiden Händen produziert, auffällig in Gegenbewegung, in der linken Hand in T. 31 und 32 im Aufwärtsmodus präsent hält und dann einen unglaublichen Abschluss in Gis-moll vorbereitet in Takt 33, in Parallel- und Gegenbewegung, beginnend mit dem kakophonen Dominantseptnonakkord auf Dis (siehe Kölbl hier), ein Höchstmaß an Expressivität, da wäre jede Beiläufigkeit fehl am Platze. Und daraus ergibt sich eine Tempovorstellung, die solche Gewichtigkeit auch erlaubt. Ein triumphales Pathos, das auch in den oktavenweit ausgespannten Abstiegslinien der letzten fünf Takte offenliegt (grün markiert). Man sieht es schon zu Anfang der Durchführung VI (Takt 35), wenn der Aufstieg des Kontrapunktes aus Takt 3 (s.o. kleines Notenbeispiel) im Sopran wiederkehrt, jetzt aber ausgebreitet wird über eine ganze Oktave.

Angesichts dieser Indizien ist es merkwürdig, dass der große Bach-Exeget Alfred Dürr das Offensichtliche ignoriert und feststelltt, „dass eine Schlußsteigerung, wie wir sie von manchen Fugen her gewohnt sind und wie sie Johann Gottfried Walthers Zitat »Finis coronat opus« nahelegt hier kaum anzutreffen ist“. (Seite 317)  Dabei gilt das sogar noch für den letzten Takt mit der fast provokativ konventionellen Kadenz … ein Signum, wenn auch das Gegenteil einer Krönung.

Man könnte auch streiten über die Fuge D-dur (BWV 874), angefangen mit Busonis Frage: „welcher Sinn wohl darin liegen möge, eine melodische Formel so durch verschiedene Stimmen und Tonarten zu jagen.“ (Dürr S. 282)

Vermutlich liegt sein Missverständnis schon in den Worten „Formel“ und „jagen“: es handelt sich ja, wie Dürr anfangs ganz richtig sagt: um eine „gelehrte“ Fuge. Was wohl auch bedeutet, dass sie eher „freundlich dozierend“ daherkommt, nicht fesch und tänzelnd. Schon die drei ersten wiederholten Töne sind mit Bedeutung geladen, als seien Worte zitiert, eine These, deren Ergänzung in der zweiten Themenhälfte erfolgt. Ein Statement, etwa so wie im Unisono am Ende des Turba-Chores in der Matthäus-Passion: „er hat gesagt: ich bin Gottes Sohn“.  Man könnte sogar genau diesen Text unterlegen:

Und – gibt es vielleicht eine subkutane Verbindung zur nachfolgenden Fuge in dis-moll? Im Charakter komplementär: mit den drei pochenden Tönen zu einer ganz anderen Aussage kommend, in der zwei aufsteigende Quarten eine Rolle spielen, die entfernt an die zweite Hälfte des D-dur-Themas gemahnen. Auf der Klenke-CD in umgekehrter Reihenfolge: Tr. 4 (dis) und Tr. 5 (D), auf Youtube mit Klenke/Mozart – wie oben – HIER – oder direkt bei 4:54 (übrigens in d statt in dis), während die Fuge in D hier bei 1:48 anzuspielen sein müsste.

Youtube Schiff (dis) hier (ab 3:41) / und (D) hier (ab 5:18)

Auch eine frühe Orgelfuge (um 1708)  hätte mitreden können, BWV 574 (Thema von Legrenzi):

Was ich sagen will: die Charaktere der Stücke sind gewiss unterschiedlich, aber die Streicher kommen aus anderen Gründen zu einer ganz anderen Tempowahl als der Pianist. Gewiss auch aufgrund der Tatsache, dass Mozart die Hand im Spiel hatte. Man darf aber wohl behaupten: die unterschiedlichen Konsequenzen sind nicht gleich berechtigt. (Ausgeschlossen etwa, zu entgegnen: „Alles ist relativ“ – es geht doch nur um die Bewahrung der Struktur…)

Zur Klarstellung der Reihenfolge der Klenke-Mozart-Bach-Fugen

Auf der CD

Auf Youtube

Beim Abspielen der Sammlung sollte man wissen, dass die Reihenfolge auf Youtube nicht die vom Klenke-Quartett für die CD  gewählte wiedergibt. Diese aber ist hinsichtlich der Tonartenfolge viel sinnvoller.

Mein Donnerstagmorgen

Ich lese die ZEIT. Und höre die Klenke-CD, wie jeden Morgen. Im Wechsel übrigens mit einer anderen, die ich erst später nennen möchte.

Der erste Gedanke war: es ist vielleicht falsch (aber auch tolerabel), die 5 Fugen separat zu behandeln, eine nach der andern, und dabei immer an den täglichen Umgang mit dem Wohltemperierten Klavier zu denken. An den „anderen“ Zusammenhang. Hier aber ist es Mozart, und die Fugen bilden auf der CD einen neuen Zusammenhang, die eine wirkt wie ein Vor- (oder Nach-)spiel der anderen. Zu schnell finde ich eigentlich nur die erste und die letzte (C-moll und D-dur). Ja: auch die in E-dur, jedenfalls nicht bedeutsam genug. Das gilt auch für die zarte Pflanze in d-moll (Original Bach dis-moll).

Lieb gewonnen habe ich das Horn-Quintett, das ich bisher kaum kannte. So spielt das Leben. Und noch etwas: die Es-dur-Fuge wurde mir früh zu einem Begriff durch meinen älteren Bruder: er steckte mir, dass seine Musik, der Jazz,  problemlos eine Bach-Fuge integrieren konnte, – er meinte das Rediske-Quintett, das zumindest eine oder zwei Durchführungen der Es-dur-Fuge spielte und sie wie ein Praeludium behandelte: nach einem Break setzte unvermittel der „eigentliche“ Jazztitel ein. Das Fugato stand für Intellektualität. Vielleicht ist diese für meine damaligen Ohren attraktive Fassung dafür verantwortlich, dass ich am „Klenke-Tempo“ nichts auszusetzen habe. Um so klarer, dass die D-dur-Fuge nicht dasselbe Tempo haben darf, es sei denn – als Rausschmeißer. Als handle es sich um das berühmte Motiv Beethovens.

Inzwischen habe ich die Leittartikel gelesen, Giovanni di Lorenzo über den ÖRR (den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk), daneben Rieke Havertz über Joe Bidens „spektakulären Sieg im Kampf um das Klima“. Vorgemerkt auch eine Enthüllungsstory (?) auf Seite 3 über Maja Göpel, die mir höchst positiv in Erinnnerung war (siehe hier). Was sich durch diesen Artikel mit Hinweis auf den „Co-Autor“ nicht ändert.

Schlusswort am Freitagmorgen

In dieser Arbeit, die von einer bestimmten CD-Aufnahme der von Mozart adaptierten Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier Bd. II ausging, ist mir ein grundlegender Fehler unterlaufen. Unfassbar, – und nur aus der Arbeitsweise zwischen Hören und Analysieren zu erklären. Aber auch nicht recht entschuldbar. Da bedarf es einer ausführlichen Fehler-Analyse, so dass wenigstens ein didaktisch wertvolles Beispiel daraus wird.

Ich weiß zwar, dass nach diesen erklärenden Worten beim Wiederlesen plötzlich jeder Satz unter Verdacht steht, – auch alles, was richtig und nützlich zu lesen wäre. Die Alternative wäre, alles ohne Rücksicht auf Verluste zu löschen. Und dafür ist mir diese Woche – von Montag bis Freitag – zu sehr ans Herz gewachsen.

Was übrig bleibt, ist meine herzliche Empfehlung der CD des Klenke-Quartetts. Inclusive der Bach-Fugen.