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Trump und Sennett

Der politische Schauspieler frei nach Kleist

Wieder war es die ZEIT-Lektüre, die mich an die Bücherschränke trieb, unten im Übe-Zimmer, oben im Flur, zweimal Sennett unten & oben, einmal Kleist, gleich hinter mir, seit „Menschengedenken“ (d.h. Schulzeit). Oft zitiert: Über das Marionetten-Theater, nun auf Donald Trump gemünzt. Grazie – gemünzt auf dies Brutalo-Gesicht? Oder seine lächerlichen Tanzbewegungen?

auch in Projekt Gutenberg

Peter Kümmel hat mit Richard Sennett im TV Trump’s Amtseinführung geschaut.

Der Bär tritt auf … ja – unvergesslich. Aber der „darstellende Mensch“ in der Politik, – hatte Sennett sich dessen nicht schon in den 90er Jahren angenommen? Um so interessanter…

Quelle Richard Sennett: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Verlag Fischer Wissenschaft Frankfurt am Main Juli 1991 (1986)

Nicht vergessen: im Vorwort dankt der Autor “ Clifford Curzon und Murray Perahia für ihre Hilfe bei der Skizzierung der ersten Umrisse dieses Buches“. (Erstausgabe New York 1974)

Schade, dass er sich jetzt nicht über den Trump-Parteigänger äußert, dessen Namen ich immer aus Versehen als „Musik“ lese, während manche Leute mit einer gewissen Selbstüberwindung behaupten, er sei aber zweifellos ein Genie:

Quelle: DIE ZEIT 23. Januar 2025 Fernsehen mit Richard Sennett / Der große amerikanische Soziologe verzweifelt (nicht) an seinem Land / Von Peter Kümmel

Ja, Elon Musik, – ich habe kürzlich noch einen Youtube-Beitrag gegoogelt, der mir bestätigte, dass er ein rechter Schwachmatikus ist, der auf dem Sirius besser als auf dem von ihm angepeilten Mars aufgehoben wäre. Zumal wir Musiker diesen Planeten seit Stockhausen besonders hochschätzen. Und vor allem: je weiter desto besser.

Betr.: Sirius

Vor einigen Jahren las ich das Buch zum terrestrischen Manifest von Bruno Latour, heute noch aktueller als 2018 (nach Trumps erster Wahl), hier eine Wendung, die sich mir eingegraben hat:

Quelle Bruno Latour: Das terrestrische Manifest / edition Suhrkamp Berlin 2018

Wie immer lohnt sich auch ein gründliches Studium des Wikipedia-Artikels HIER

Daraus das Zitat:

Im Jahr 2023 bot Elon Musk Wikipedia eine Milliarde Dollar an – unter der Bedingung, dass die Seite für mindestens ein Jahr in „Dickipedia“ umbenannt wird. Im Folgejahr wiederholte er sein Angebot. Im amerikanischen Slang ist „dick“ eine vulgärer Ausdruck, der – obgleich er auch für eine mittelmäßige, eher einfältige, dümmliche Person genutzt werden kann – für das männliche Geschlechtsorgan steht. Musk rief im Dezember 2024 dazu auf, keine Spenden mehr an Wikipedia zu leisten, „bis [sie] ihre redaktionelle Balance wieder ins Gleichgewicht bringt“. Wikipedia bezeichnete er als „Wokepedia“ und kritisierte deren Ausgaben für Diversität und Inklusion. Daraufhin gab es an den Weihnachtstagen eine nennenswerte Zunahme der Spenden an die Wikimedia Foundation. Viele der Spender nannten als Anlass die Äußerungen von Musk.

Wir wissen allerdings noch nicht genug über Elon Musk, wenn wir ihn als Einzelerscheinung betrachten, die durch eine Art menschlicher Charakteristik umschrieben werden könnte. Die Besonderheit besteht zunächst allein darin, dass er über unermesslich viel Geld verfügt, das sich durch ein sozusagen obszönes Gesetz der Akkumulation angehäuft hat, ein so unglaubliches Vermögen, das ihn nach Selbsteinschätzung von den üblichen Bedingungen des Menschseins befreit. Das hat er mit anderen Menschen seines Schlages gemeinsam: sie sind absolut ohne Kultur, und verständigen sich allein über die Kategorien von Technologie, Kapital und politischer Macht. Andere Beispiele: Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Man hat für sie den Terminus BROLIGARCHIE eingeführt. Dahinter steckt das Wort Oligarchie , ergänzt durch die Anspielung auf „Tech-Bros“ = Kumpel.

Der darstellende Mensch als Politiker und dieser als darstellender Mensch. Unter diesem Aspekt habe ich auch einen anderen ZEIT-Artikel gelesen. „Nimmersatt Unter Donald Trump ergreift ein Trupp unermesslich reicher Männer die Macht. Doch viele der Broligarchen sind immerhin offen für Deals.“ Von Jörg Lau. Oder auch für recht lockere Selbstdarstellungen.

Ein anderer der im eben erwähnten Artikel genannten Namen ist Curtis Yarvin, dessen Wikipedia-Artikel schon vieles erzählt. Eben auch einer aus der Broligarchie:

Vielleicht distanziere ich mich schon mal im voraus für den Gebrauch schlimmer Wörter in meinem Blog… Der Song durfte seinerzeit mit Recht auch nicht in den großen Radiosendern gebracht werden. Die Ärzte sind’s, ich bin unschuldig.

Heute: Penthesilea

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Eine Riesenanregung! Erstens die musikalische Qualität der Aufführung, zweitens der faszinierende Komponist Othmar Schoeck, drittens die erneute Kleist-Irritation, ein so unblutiger Verlauf, nichts als drei, vier Pistolenschüsse, so wenig von seiner Sprache, was wollte er überhaupt  s a g e n ?

Kein Schock. Ein sympathisches Gespräch. Wie üblich der Eindruck: man hätte das Programmheft  v o r h e r im Internet lesen müssen (können). Überhaupt: „hätte“. Man hätte die Aufführung zweimal sehen müssen. Mindestens. (Es war aber die letzte Aufführung.)

Penthesilea Gespräch 1 Penthesilea Gespräch 2 Penthesilea Gespräch 3Penthesilea Gespräch 4 + Foto Foto: Thilo Beu

Quelle: Theater Bonn Programmheft Penthesilea Redaktion: Bettina Barta

SCHOECK Nachholbedarf – z.B. das Violinkonzert, gespielt von Stefi Geyer, dieselbe Geigerin die ihren Verehrer Bartók (Deux Portraits) einst abgewiesen hatte. Stand 1947.

Schoeck CD Violinkonzert Horn

Schoeck CD soielt Schoeck

Schoeck CD Lieder

Die blutige Szene in meinem Kleist-Band (um 1970):

Kleist Szene 

Zur Kleist-Interpetation: mir scheint, was in aller Kürze das beste ist, was dazu geschrieben worden ist, steht bei Rüdiger Safranski in dem Buch: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?

Kein anderer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts hat so lustvoll den Akt des Tötens dargestellt wie Kleist. Das gilt für die Schlußszene der „Penthesilea“, wo die Amazonenkönigin den geliebten Achill, nachdem sie ihn im Kampf getötet hat, mit den Zähnen zerfleischt. Das gilt für die Schilderung des Massakers im „Erdbeben von Chile“: (…).

In den Imaginationen seiner Dichtung hat Kleist die Utopien der Versöhnung von Innen und Außen gestaltet, wie etwa im „Käthchen von Heilbronn“ oder im „Amphitryon“; er hat nicht nur, wie in der „Marquise von O.“, die „schöne Anstrengung“ beschrieben, die einen mit sich selbst bekannt macht und Kraft zur sanften Selbstbehauptung gegen eine ganz feindliche und von aberwitzigen Zufällen beherrschten Welt gibt; er hat nicht nur der schwärmerischen Todessehnsucht Ausdruck gegeben – er hat auch seinen Tötungsphantasien, die aus der Verfeindung nicht nur mit dieser oder jener Wirklichkeit, sondern am Ende aus der Verfeindung mit der Wirklichkeit überhaupt herrühren. Die Wirklichkeit gibt ihm keinen Halt mehr, und wenn er sich nicht in die Gestalten seiner Einbildungskraft hineinlegt, so gähnt ihn draußen und drinnen eine entsetzliche Leere an.

Wenige Wochen vor seinem Tode schreibt er an Marie von Kleist: „So geschäftig dem weißen Papier gegenüber meine Einbildung ist, und so bestimmt im Umriß und Farbe die Gestalten sind, die sie alsdann hervorbringt, so schwer, ja ordentlich schmerzhaft ist es mir, mir das, was wirklich ist, vorzustellen.“

Das Ende naht, als Kleist befürchten muß, daß ihm als Dichter nichts mehr einfällt, daß auch die Einbildungskraft, dieser letzte Halt, versiegen könnte. Von diesem Augenblick an sucht Kleist in den Berliner Salons nach einer Frau, die mit ihm zusammen in den Tod gehen will. Man muß genau sein: Kleist hat nach einer Frau gesucht, die sich von ihm töten läßt, ehe er selbst Hand an sich legt. Als er schließlich in Henriette Vogel diese Person gefunden hat, schreibt er triumphierend an Marie von Kleist (an die er zuvor dasselbe Ansinnen gestellt hatte): er habe eine Freundin gefunden, „die mir unerhörte Lust gewährt, sich … so leicht aus einer ganz wunschlosen Lage, wie ein Veilchen aus einer Wiese, herausheben zu lassen“.

Quelle Rüdiger Safranski: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare / Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2005 (Carl Hanser 1990) Seite 47f.

Ich finde, man muss das wissen und Kleist durchaus nicht als „bloßen“ Klassiker und auch nicht nur als Mann seiner Zeit sehen. Sein Napoleon ist unser Hitler, mit allen gedanklichen Komplikationen, die sich daraus ergeben.

Man muss auch das Ende der Geschichte kennen:

Er stellt sich vor, wie sein Tod auf die Freunde wirken wird. An Marie von Kleist schreibt er: „Erst, wenn ich tot sein werde, kann ich mir denken, daß sie mit dem vollen Gefühl ihrer Freundschaft zu mir zurückkehren werden.“ Er stellt sich auch genußvoll vor, wie die Angehörigen trauern werden. Mit Henriette zusammen stellt er sich vor, wie man sie finden wird, „auf dem Wege nach Potsdam, in einem sehr unbeholfenen Zustande, indem wir erschossen da liegen …“

Die letzten Augenblicke sind so beschwingt, weil in ihnen die Einbildungskraft Regie führt. Sie hat die absolute Macht ergriffen, ist stärker als jene „erdhafte“ Wirklichkeit in uns, die nicht sterben will.

Aber sie verlangt nach beglaubigenden Zuschauern. Abwesenden Zuschauern: deshalb die zahlreichen Abschiedsbriefe, die die Adressaten gewissermaßen zu Zeugen machen. Anwesende Zuschauer: deshalb richten es die beiden so ein, daß sie fast unter den Augen ihrer Wirtsleute in den Tod gehen.

Es folgt die Schilderung des Doppelselbstmords am 20. November 1811 in unmittelbarer Nähe des Gasthauses.

Dieses Schlußtableau ist Kleists letztes Werk. Es ist ein Werk, das zugleich ganz innerlich und ganz äußerlich ist. Es ist innerlich, denn im Sterben will Kleist auf eine nicht mehr überbietbare Weise zu sich selbst kommen. Die Macht des Äußeren ist gebrochen, weil er sich selbst den Tod gibt. Zugleich aber triumphiert die Macht des Äußeren. Denn was vom ‚Verfasser‘ dieses letzten Werkes, der Inszenierung des Selbstmordes, übrigbleibt, wird zur Beute der Obduktionsärzte. (…)

Quelle Safranski a.a.O. Seite 49 f.