Das Streichquartett Op.131 cis-moll mit BELCEA
(Nach einem „Überfall“ im Herforder Hotel am 26.8.18)
HIER aus der 3sat Mediathek abrufbar (nur bis 15. September)
Screenshot: Antoine Lederlin Screenshot: Krzysztof Chorzelski
Im Interview:
Bei aller Begeisterung für BELCEAs Beethoven kamen im letzten Satz Zweifel auf, ob diese Aufnahmetechnik (4 Protagonisten klanglich relativ separiert, kaum eingehüllt in Raum) und die technische Perfektion der Interpreten zur „Wildheit“ Beethovens passen.
In der Deutung des Werkes gehe ich von Riezler aus, der merkwürdigerweise im neuen MGG Personenteil fehlt (auch im New Groves). Während noch Dahlhaus (1987, S.312) über sein erstaunliches Buch schreibt, es sei „nach einem halben Jahrhundert immer noch die gedankenreichste und zuverlässigste Beethoven-Monographie in deutscher Sprache“.
Alternativaufnahmen
Mit Notentext
Zum ersten Satz (Fuge)
Man denkt vielleicht einen Moment lang an Bachs Fuge in Cis-moll (WTC I) und wird von vornherein des Unterschiedes gewahr: Beethovens Satz lebt von der Dynamik, Bach braucht sie nicht. Will Beethoven überhaupt eine Fuge realisieren, oder in erster Linie den „stile antico“ mit glühender Leidenschaft aufladen, aufzehren?
Und Beethovens Fugen-Schluss:
Was wir nur fühlen (?), hat Carl Dahlhaus unübertrefflich formuliert:
Hier sei Walter Riezler so vollständig wie möglich zum gleichen Thema wiedergegeben:
Und zum letzten Satz. Auf der dem folgenden Text vorhergehenden Seite hatte Riezler so begonnen:
„Das Finale von op. 131 erscheint dem oberflächlich Hörenden ….“ (weiter wie folgt, ich werde die Taktangaben später durch Zeitangaben – bezogen auf die Ebène-Aufnahme – ergänzen):
Der letzte Satz beginnt bei 32:19
Die „Durchführung“ (T. 78ff) bei 33:39
Eintritt der Reprise (T. 160) bei 34:57
Die „sehr ausgedehnte Koda“ (T. 262 beginnend) bei 36:54
Die Proportionen des Satzes, die sich – nach Riezler – allmählich verbreitern: Exposition 77, Durchführung 82, Reprise 103, Koda 126 Takte. – Was bedeutet das?
Letztlich befriedigt mich Riezlers Fortführung nicht, seine Mutmaßung über die „Sehnsucht“ nach Entspannung“. Andere, ausgedehnte Analysen, wie die in Gerd Indorfs Buch über Beethovens Streichquartette, ermüden durch die Fixierung aufs Detail, die vermaledeite Sonatenform und die Verbalisierung von Vorgängen, die wohl allein durch das Notenstudieren, weniger durch das intensive Hören nachvollzogen werden können, – trotz der Zeitangaben, die sich auf eine bestimmte CD beziehen. Aber sein Fazit, das eine Verbindung zum Streichquartett op. 95 sucht, ist bedenkenswert:
Das f-Moll-Quartett endete – ebenfalls im Umfang eines Satzdrittels – mit einer doppelten Coda. Die erste suchte vergeblich einen überzeugenden Ausweg aus der f-Moll-Tragik, und die zweite Coda flüchtete sich in das ironische „Als ob“. Beethovens letztes Moll-Quartett endet anders: Die lichten D-Dur, A-Dur- und E-Dur-Bereiche, die vor allem im zweiten, vierten und fünften Satz vorherrschten, tauchen im Finale nur noch als träumerische Reminiszenzen der Seitenthemen und als vergebliche Willensanstrengungen auf (z.B. T. 329ff.). Eine glaubwürdige Alternative zur Ausweglosigkeit des Finales gibt es nicht. Dem kann nur noch trotzig und ohne Ironie ein „Dennoch“ entgegengesetzt werden: Die Cis-Dur-Schlußakkorde gewissermaßen als Demonstration von Lebenswillen. So endet dieses großartige Werk, von dem Holz überlieferte: „Später erklärte er für sein größtes, das Cis-Moll-Quartett.“ Und dann zitiert er Beethoven mit den Worten: „…an Fantasie fehlt’s, Gottlob, weniger als je zuvor!“ (Lenz V, S. 217). Wer wollte ihm da widersprechen?
Quelle Gerd Indorf: Beethovens Streichquartette / Rombach Verlag Freiburg i.Br. Berlin Wien 2007 (Seite 479)
Natürlich will da niemand widersprechen. Aber fehlt da nicht die Begeisterung, die Fassungslosigkeit, die dem Werk am ehesten angemessen ist?
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Es ist vielleicht angebracht, gerade in der heutigen Zeit, die mehr erstklassige Streichquartett-Formationen exponiert hat als jede andere, daran zu erinnern, dass noch die vorige Generation ein Kammermusikdenken gepflegt hat, wie wir es heute kaum noch finden. Schwer zu beschreiben, worin das begründet war. War es die Abwesenheit letzter technischer Glätte? Meist fällt einem nur das wabernde Vibrato des späten Amadeus-Quartetts ein. Aber was wissen wir über das Adolf-Busch-Quartett? Mit welchem heutigen Quartett könnten wir ein Musikgespräch erleben, wie es vom Guarneri-Quartett dokumentiert ist? Das letzte Viertel des Buches ist dem Beethoven-Quartett op. 131 gewidmet. Tiefgründig und selbstkritisch. Und wer würde heute auf die Idee kommen, ein solches Kapitel über den letzten Satz, über ein solches Jahrtausendwerk, folgendermaßen zu beschließen?
Ein bisschen von dem Wahnsinn des Guarneri-Quartetts – der Alten Zeit – spürt man auch in dem Fragment aus Beethovens op. 59,3 hier.
Quelle Die Kunst des Quartettspiels / Das Guarneri-Quartett im Gespräch mit David Blum / Bärenreiter Kassel Basel 1988
Trotzdem würde ich das Buch bei einer neuen Lektüre an manchen Stellen etwas mehr gegen den Strich bürsten. Z.B. das Kapitel über Vibrato. Jedenfalls nichts 1 : 1 in die moderne (?) Interpretation übertragen. (Die Erfahrungen aus der „Historisch informierten Musikpraxis“ haben zu neuen ästhetischen Prämissen geführt. Doch das ist ein anderes Thema!)