In Solingens Wäldern

Geschichten zur Geschichte

Neulich habe ich für den Philosophen aus Solingen Partei ergriffen, als er seine Geburtsstadt zu den langweiligsten Orten der Welt gezählt hatte und nicht nur vom fast unfehlbaren Tageblatt streng getadelt wurde, sondern auch vom Oberbürgermeister, der Wichtigeres zu tun haben sollte. Nun muss ich anfügen, dass der Philosoph allerdings vergaß auf die Schönheiten der Landschaften rings um Solingen hinzuweisen, und soweit ich mich erinnere: auch in der Beschreibung seiner Kindheit („Lenin kam nur bis Lüdenscheid“) darüber kein Wort verlor. Und wenn man noch einige alte Hofschaften kennt oder den Ortsteil Gräfrath, dann weiß man doch auch, was Solingen als Stadt vor der gründlichen Zerstörung im Krieg ausgezeichnet haben muss. Hervorzuheben wäre zudem, dass Solinger Bürger sich heute leichter vor Langeweile schützen können als in Prechts Jugend, da ein inzwischen hervorragendes Orchester existiert, ein beachtenswertes Museum der verfolgten Künste, das unauffällige Museum Plagiarius, das es in sich hat, das Klingenmuseum, zur Ergänzung die hervorragende Schneidindustrie mit ihren Verkaufsräumen. Und schließlich die Nähe der Großstädte Köln, Düsseldorf, Wuppertal, die alles bietet, was am Orte selbst fehlt.

Und doch muss man wohl als erstes vom Bergischen Land, den Landschaften und von den freundlichen Städtchen ringsumher sprechen: Leichlingen, Haan, Hilden, Benrath. So würde ich es auch halten, obwohl mein Stadtteil Ohligs strenggenommen ebenso wie die Nachbarörtchen besonders liebenswerte Lebenswelten bietet, – zumal er zudem den Bahnhof beherbergt, der die Großstädte so leicht erreichbar macht, notfalls also auch als Fluchtwege aus der – provinziellen Langeweile.

Wie komme ich darauf? Weil wir wieder in den Wäldern waren.

Leichlingen SG 10 Leichlingen SG 15Leichlingen SG 1 Leichlingen SG 4 Leichlingen SG 5 Leichlingen SG 6 Leichlingen SG 13 Leichlingen SG 14

(Fotos E.Reichow)

Inschrift auf der Tafel am Altenhof:

Sagen künden von einer Schlacht, die hier in der Nähe des Altenhofes in früherZeit stattgefunden haben soll. Eine „Horde wilder Böhmen“, aufgehetzt durch Philipp von Schwaben, zog plündernd und mordend durch die Bergische Grafschaft. Nachdem sie bei der Belagerung von Bensberg kein Glück gehabt hatten, wandten sich die Böhmen nach Norden und lagerten in der Nähe von Nesselrath. Hier konnten die Ritter von einem Bergischen Aufgebot gestellt und in der sogenannten „Böhmenschlacht“ vernichtet werden. An die 500 Erschlagene sollen die Felder in der Nähe des Altenhofes bedeckt haben. Datiert wird diese Schlacht in das Jahr 1199. Ein möglicher historischer Hintergrund dieser nur mündlich überlieferten Begebenheit war der Thronstreit zwischen dem Welfen Otto von Braunschweig und dem Staufer Philipp von Schwaben. In diesem Streit hatte sich Adolf I. von Berg-Altena auf die Seite der Welfen gestellt und so den Unmut Philipp von Schwabens auf sich gezogen.

Der Altenhof zählt zu den ältesten Höfen in Leichlingen.1589 erschien er erstmals in den Urkunden. Schon 1602 ging er an die Bewohner des nahe gelegenen Schlosses Nesselrath, an die Familie von Ketteler. 1641 findet sich in einer Liste der Schatzgüter der Scheffen zu Leichlingen folgender Eintrag: „Item Wilhelm Kettler hatt ungefehr vor viertzig jahren etliche Lenderey auf der Schatzgüthern zu Klein-Nesselrath und Altenhof in die Freygüther des Stammhauses Neßelrath gezogen“.

Quelle siehe auch hier.

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Wanderung Altenhof 180107 Tafel Böhmen Wuppertal Wanderung Hirschgehege Altenhof 180107  Wanderung Hiirschkuh 180107 Wanderung Blick in Wald 190107  Wanderung Waldweg Glas + 180107

(Fotos JR Huawei)

Nicht weit von hier, in Sichtweite, liegen Gut Nesselrath und die einstige Burg Leysiefen.

Wann die Burg verfiel, ist nicht feststellbar, sicherlich bald nach dem Erwerb durch den bergischen Grafen und mit dem Erstarken der Herrschaft zu Nesselrath. Denn nach 1280 wird die Burg  Leysiefen nie mehr genannt.

Vor dem dunklen historischen Hintergrund wucherten lebendig die Sagen: Von vergrabenen  Schätzen ist die Rede, von einer Räuberherberge, von zersägten  Rittern und von Geistern, die die verborgenen Schätze bewachen. Die Sage weiß auch den Niedergang der Burg zu erklären: ein Junker von Leysiefen versuchte den badenden Elfen von Heribertsborn Kleider zu rauben. Er wurde dabei mit Blindheit geschlagen und fristete fortan auf seiner Burg ein elendes Dasein. Er, der über Schloss, Fischerei und Jagd verfügte, verkam in völliger Armut.

Quelle hier.

Ein altes Bensberger Pfingstlied erzählt Geschichte auf seine (Leichlinger) Weise:

Auf, gebet uns das Pfingstei, 
Hei Rosenblümeleinl 
Und reicht den kühlen Trunk herbei, Hei Rosenblümelein! 
Freu dich, wackres Mägdelein.

Wir kommen von dem Bensberg 
Hei Rosenblümelein! 
Die Heiden stürmten dort den 
Berg, Hei Rosenblümeleinl usw.

Sie wollten han die Veste. Das waren böse Gäste! 
Sie stürmten Thor und Mauer 
Von Pfeilen regnet es ein Schauer.

Und als die Pfeile verschossen sein,  
Da regnet es nieder Mauerstein.

Bergab zog da der Böhmen Zahl  
Bergab ins schöne Wupperthal.

Der Junker Hans war da im Gang,  
Verstand sich auf den Vogelfang.

Die Stadt an dem Wupperstrand  
Ward Leichelingen da genannt.

Sollte ich übersehen haben, dass ich mich gar nicht mehr auf Solingens Boden befand? Manch kühne Reiterin ist uns begegnet, auch zwei Hundeführer und ein ungebremster Mountainbiker – möglicherweise waren wir erst im tiefsten Wald vor allen Gefahren sicher? Und als wir nach Stundenfrist mit dem luciferroten Berlingo, der zwischen den Tannen leuchtete, dort hinter den Leichenfeldern der Vorzeit, die Wupper abermals überquerten, ließ uns die Vergangenheit noch lange nicht in Frieden ruhen.