Fertiggemachtes und andere Kunststücke

Von Objekten und Menschen

Ausgerechnet in dieser hochgestimmten Zeit möchte ich mich eines einst umstrittenen Kunstwerks erinnern – falls ich es so bezeichnen darf -, einer Skulptur, fontain genannt, die verloren gegangen ist, das erste ready-made oder objet trouvé; es handelte sich um ein fabrikfrisches Urinal, das damals auf dem Müll landete, vielleicht weil es – vom Sockel genommen – nicht mehr als Kunstwerk erkennbar war. Vielen Menschen will es nicht in den Kopf, dass es jemals als solches gemeint war, sie werden sogar böse, wenn sie darüber diskutieren sollen. Wie gesagt, es ist verschwunden, das Original-Urinal wurde allerdings von einem berühmten Photographen abgelichtet. Und eine lebensechte Replik findet man im Musée Maillol in Paris und auch anderswo. Wie schätzt man die Sache heute ein, nachdem daraus längst eine etablierte Kunstrichtung geworden ist – conceptual art?

The precedents for conceptual artists of the 1960s and 1970s were created in the early twentieth century by French artist Marcel Duchamp (1887 – 1968). In 1917, the father oft conceptual art – as he is often called – submitted a factory-made urinal to the Armory Show in New York on the basis that art could be anything the artist designated it to be. The labour on Duchamp’s part was minimal: he simply rotated the urinal from its functional vertical position to the horizontal and signed the piece with the fictional signature ‚R Mutt, 1917‘, a pun on the manufacturer’s name and the popular comic strip ‚Mutt and Jeff‘. Today, only photographs remain of the original Fountain, taken by Alfred Stieglitz (1864 – 1946) in his 291 Gallery in New York, seven days after the work was rejected by the judges of the Armory Show. (Multiple copies of the sculpture have since been made, thereby further questioning the idea of an ‚original‘ work of art that Duchamp intended to challenge.) The raw and confrontational nature of the Fountain is pronounced in Stieglitz’s photographs, as is the mystical symbolism of the piece, its formal relations to a Madonna figure or seated Buddha made apparent by the photographs‘ compositions.

Quelle Charlotte Cotton: The Photograph As Contemporary Art (third Edition) Thames & Hudson world of art London 2004, 2009, 2014 (Zitat Seite 22)

Man lese den Wikipedia-Beitrag über Duchamp HIER, lese die Argumente des Künstlers, gehe innerhalb des Artikels zur Werkauswahl und klicke in der Liste Einzelwerke an, z.B. auch das ready-made „Flaschentrockner“.

Empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang ein schmaler Band von Michael Hauskeller: Was ist Kunst? Positionen der Ästhetik von Platon bis Danto (becksche reihe München 1998, 6./ 2002). Ab Seite 99 über den Philosophen Arthur C. Danto. ZITAT:

Warhol und andere Pop-Art-Künstler hatten gezeigt, daß von zwei Gegenständen, die genau gleich aussahen, eines ein Kunstwerk und das andere keines sein konnte. Darüberhinais schien plötzlich jeder beliebige Alltagsgegenstand, und zwar unabhäng9ig von seiner materialen Beschaffenheit und ästhetischen Qualität, kunstfähig zu sein. Schon fünfzig Jahre früher hatte marcel Duchamp mit seinen Ready-Mades Alltagsgegenstände zur Kunst erklärt, damit aber nur die Aufmerksamkeit des Betrachters auf Eigenschaften des gegenstandes gelenkt, die schon vorher da waren, aber gemeinhin übersehen wurden. Duchamp öffnete die Augen für die eigentümliche Schönheit, die auch etwas so Gewöhnliches wie ein Flaschentrockner und ein Urinal besitzen, wenn man sie nur als Dinge und in Absehung von jeder Zweckbestimmung betrachtet. Warhols Brillo Boxes aber waren nicht schöner als irgendetwas anderes. Mit ihnen hatte sich die Kunst von den letzten gegenständlichen Beschränkungen befreit. Es begann die „posthistorische Periode der Malerei“: Zum ersten mal in der geschichte der Kunst war alles möglich, konnte schlechthin alles Kunst sein.

Daraus folgte aber nach Danto nicht, daß auch alles Kunst war, und auch nicht, daß alles Kunst werden konnte, sofern man es nur dazu erklärte. Meine Schreibtischlampe wird nicht dadurch zum Kunstwerk, daß ich behaupte, sie sei eines, selbst dann nicht, wenn ich ein anerkannter Künstler wäre. Dazu müßte ich auch erklären können, was gerade sie zum Kunstwerk macht, und das heißt nichts anderes als zu erklären, worüber sie ist. Genau hierin besteht nämlich der Unterschied zwischen einem Kunstwerk und einem gewöhnlichen Ding. Wie Wörter oder Sätze ist Kunst immer über etwas, während gewöhnliche Dinge niemals über etwas sind. Ihnen fehlt der bezug, das Über-etwas-sein (aboutness). Die Topfreiniger-Kartons im Supermarkt sind über nichts, Warhols Brillo Boxes hingegen sind über die Welt, in der wir leben, über uns selbst und unsere Wahrnehmung dieser Welt.

Hauskeller

Von diesem Büchlein aus findet man einen idealen gedanklichen Anschluss in dem neuen Werk von Hanno Rauterberg über „Die Kunst und das gute Leben“:

Ein Maler der Vormoderne weiß sich – unabhängig vom jeweiligen Auftraggeber – eingebettet in eine lange Geschichte der Stile, der ikonografischen Ausdeutungen und Techniken. Er vermag diese Geschichte auf seine Weise zu variieren und fortzuspinnen, und jeder Betrachter kann seine Kunst folglich auf diese Weise begreifen: als Teil einer übergeordneten Entwicklung der Malerei oder Skulptur. (…)

Weil es keinen konzisen Kanon mehr gibt, nichts, was einer Regelästhetik gleichkäme, ist das einzelne Kunstwerk vor allem auf seine Beglaubigung angewiesen. Weil potentiell alles als Kunstwerk deklariert werden kann, wie etwa Arthur E. Danto dargelegt hat, weil also keine formalen Kriterien existieren, die über den Status und die Bedeutung eines Werkes entscheiden, bedarf es anderer Instanzen. Eine ist das Museum, eine noch wichtigere ist der Künstler. Er muss am Ende durch seine Person und also durch sein ethisches Verhalten die ästhetische Integrität seines Werkes erst ermöglichen.

Angenommen, es käme heraus, dass Marcel Duchamp nicht im Namen der Kunst handelte, als er einen gewöhnlichen Flaschentrocker zu einer museumswürdigen Skulptur erhob. Angenommen, er wäre von einer Flaschentrockner-Industrie dafür bezahlt worden, diesem Produkt eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu erschleichen. Angenommen, auch die Museen wären heimlich in diese Kampagne eingebunden gewesen. Dann würde die Bedeutung Duchamps, sicherlich einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, deutlich geschmälert. Denn das Werk als solches gibt es nicht. Es zählen nicht die intrinsischen Qualitäten, seine technische Virtuosität oder kompositorische Raffinesse, sein Anspielungsreichtum. Was allein zählt, ist die Idee. Diese aber bezieht ihre Kraft ganz wesentlich aus der Lauterkeit der sie grundierenden Motive. Und Lauterkeit bedeutet in diesem Fall, dass sie allein der Kunst dienen und die Kunst meinen. je prekärer also der ästhetische Status eines Werkes, desto wichtiger wird die ethische Absicherung.

Quelle Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben. Über die Ethik der Ästhetik. / Edition Suhrkamp Berlin 2015 (Zitat Seite 27 f)

Rauterberg

Ich muss noch einen Abschnitt weitergehen, um mich an ein Projekt zu erinnern, das ich weiterverfolgen will. Der entscheidende Name ist drucktechnisch hervorgehoben (von ethischer Absicherung war die Rede):

Dieses gilt umso mehr, da vormoderne Künstler in der Regel nicht dazu neigten, ihre eigenen Träume, Hoffnungen oder Zornesausbrüche zum Thema ihrer Kunst zu machen. Ihre Werke waren kein bewusster Ausdruck eines verborgenen Ichs, und schon deshalb kann der Betrachter bei einem Gemälde von Caravaggio leichter über alle biographischen Aspekte hinwegschauen. Schier unmöglich ist dies hingegen bei Künstlern wie Joseph Beuys oder Christoph Schlingensief, die nicht mehr zwischen Leben und Werk trennen wollen. Einige wie Timm Ulrichs und Ben Vautier haben sich selbst zu Kunstwerken erklärt und ausgestellt, andere wie Gilbert und George oder Marina Abramović machen ihren eigenen Körper, manchmal ihren Alltag zum Gegenstand ihrer Kunst. Umso mehr hängt die Glaubwürdigkeit an ihnen als Person. Auch hier sind Ethik und Ästhetik eng verknüpft und von einer Eigenmächtigkeit der Werke kann nur schwerlich die Rede sein.

Quelle Rauterberg a.a.O. Seite 28 f.