Archiv für den Monat: Februar 2021

Vorgemerkt (aktuell)

A propos Irish Fiddle, Dürer, Mozart

IRLAND-Filme abrufbar bis 11-02-2021

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-1-5-100.html

Dublin und der Osten

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-2-5-100.html

Die Irische Riviera

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-3-5-100.html

Der wilde Westen / Cliffs of Moher [doch weiterhin abrufbar: hier]

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-4-5-100.html

Der stürmische Nordwesten *** [doch noch abrufbar: hier]

https://www.3sat.de/dokumentation/reise/irlands-kuesten-5-5-100.html

Belfast und der Norden

*** ab 8:38 Donegal Fiddler Vincent Campbell bis 12:50 mehr über ihn (†) hier

Anderes Beispiel: John Doherty  Wie John Doherty 1965  „The Broken Pledge and The Repeal of the Union“ spielte:  HIER !

Die Geschichte von „The Black Mare of Fanad“ – zuerst verschriftlich:

Quelle: The Northern Fiddler von Allen Feldman & Eamonn O’Doherty

Die obige Geschichte in Wort und Ton, John Doherty erzählt und spielt „The Black Mare of Fanad“ – https://www.youtube.com/watch?v=ujjcW-kiMBo hier

In „The Hare and the Hounds“ demonstriert John Doherty 1971 seine programmatisch eingesetzten Fiddle Techniken hier. Nie wäre ich darauf gekommen, das Schriftbild war mir ein Rätsel, ich kannte ja die Transkription seit langem aus „The Northern Fiddler“: ohne das Bellen des Hundes, das Entwischen und Hakenschlagen des Hasen zu erkennen. Ein Stück Programmmusik. Heute – nach fast 4 Jahrzehnten – wird also das Buch um eine neue Dimension erweitert: durch die Youtube-„Realität“.

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Allerhand Erinnerungen werden wach: sehen Sie hier http://s128739886.online.de/ist-es-tommy-potts/ und hier http://s128739886.online.de/the-sailors-bonnet/ .

Übrigens war ich dabei, als Allan Feldman, der Autor von „The Northern Fiddler“, bei unserer Aufnahmereise 1983 in Miltown Malbay, im Haus des Festival-Organisators dem „Papst“ der irischen Musikforschung vorgestellt wurde, Brendan Breathnach, und von diesem herutergeputzt wurde. Seine Buch sie gezeichnet von einer Verfälschung der Folk-Geschichte, und der andere verteidigte sich schwach, er hatte keine Chance. Ich weiß nicht mehr genau, was der Gegenstand der Konfrontation war, vielleicht latent politisch (rechts gegen links), aber ich glaube, ein wesentlicher Punkt war, dass B.B. sich darüber aufregte, dass Feldman sozusagen einen Nachruf auf die alte Volksmusik geschrieben habe, während er, der alte Mann, sie als unvergänglich sehen wollte.

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https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/albrecht-duerer-superstar-100.html

Albrecht Dürer – Superstar hier verfügbar bis 2029

Ein willkommener Vorwand, um mich an meine Rasenstücke zu erinnern: Hier.

Wer ist das?

Nicht Melanchthon, natürlich auch kein Selbstbildnis, siehe hier.

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Mozart – ein hervorragend gemachter Konzert-Film:

Mozart schreibt… Cara sorella mia! – Briefe und Musik

Szene die Interpreten

Weiteres zu Prof. Leisinger finden Sie hier (die dort behandelte Costa-Violine begegnet auch im Verlauf dieses Films!)

https://www.3sat.de/kultur/musik/cara-sorella-mia-102.html

HIER verfügbar bis 13.02.2021

Dies ist der zuerst vorgelesene Brief (Nachschrift zum Brief des Vaters) 14. April 1770,

… und hier die vorangehenden Briefseiten des Vaters Leopold (mit der Geschichte um das Miserere von Allegri):

Wenn Sie nur wenig Zeit haben (???), hören Sie wenigstens den Schluss ab 1:08:46, ich finde, das ist sensationell gespielt. Und es ist sensationell komponiert (1788!). KV 526 (lesen!)

Hermann Abert nannte den Satz „the super-virtuoso Rondo of Mozart’s Sonatas“. Gleichzeitig ist er ein ununterbrochener kontrapunktischer Schlagabtausch der Instrumente.“ (Villa musica)

Aber Vorsicht! wenn Sie im Film erst dort beginnen, betrügen Sie sich ganz nebenbei um die bezauberndsten Texte: die Mozart-Briefe, so wie sie von Adele Neuhauser gelesen werden; ein Tatort ist nichts gegen diese charmante Sprechkunst.

Es erinnert mich an ein frühes Buch von Ortheil, entdeckt in den 80er Jahren; seine Interpretation habe ich nie vergessen. Mozarts Briefe als Sprachkunstwerke. Die Erinnerung an diese eindringliche, sensible Interpretation hatte mich viele Jahre später bewegt, mir die 7 Bände der Gesamtausgabe zuzulegen, – nicht der Werke Ortheils, sondern der Mozart-Briefe.

… es hätte der Beginn des Mozart-Lesens werden können: ohne die Erinnerung an dieses Buch hätte ich die Brieflesung mit Adele Neuhauser gestern nicht so ernst genommen (ich erinnere mich an eine erfolgreiche Bielefelder Klavierpädagogin, die bei der Erwähnung der Mozartschen Briefe nie vergaß, sich vor Entsetzen zu schütteln. Das war eine verbreitete Haltung. Natürlich genoss die junge Musikergeneration längst seine verbalen Emanationen, insbesondere die Bäsle-Briefe – aber noch ohne sie als speziellen Ausdruck derselben Kreativität zu werten, die man in seiner Musik wahrnimmt.)

Angesichts dieses Buchanfangs ist es interessant nachzulesen, was Hannah Schmidt in der ZEIT über das Instrument des Jahres 2021 schreibt … indem sie auf Mozart verweist und seinen Brief aus dem Jahr 1777 zitiert (hier).

Aber man kann fast beliebige Seiten aus Ortheils sensiblen Brief-Analysen auswählen um zu begreifen, wie Mozart zu verstehen ist, in seiner Suche nach einer anderen Ausruckswelt; das habe ich nirgendwo sonst so gefunden wie hier. Eine Erklärung, was in ihm vorgegangen ist, was für ein Reifungsprozess, als er wenige Jahre nach den sicherlich schönen Violinkonzerten die Sinfonia Concertante für Violine und Bratsche schreiben konnte (1779), ein so unbegreiflich tiefes und menschlich, kommunikativ erschütterndes Werk.

Zum Vergleich mit der oben hervorgehobenen Version an dieser Stelle noch das große „Nebenwerk“ aus der Zeit des Don Giovanni 1788, also KV 526 und zwar mit Noten (Szeryng/Haebler / Finale ab 17:42) HIER

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Über Radikalisierung (Spiegel-TV Attila H.)

https://www.spiegel.de/panorama/leute/attila-hildmann-spiegel-tv-ueber-den-absturz-des-fernsehkochs-a-a939bb37-84d8-45dc-8d24-75f720af39ab

HIER

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Übrigens:

Die Probleme des Lockdowns sind längst bekannt!

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Ein Sprichwort zum Abschied

(aus dem „Streiflicht“ der Süddeutschen Zeitung am 11. Februar 2021 Seite 1)

Fliegen, sagte der junge Pinguin, ist eine reaktionäre, diskriminierende Unart alter weißer Albatrosse.

Das Bild der Welt

Das Buch der Natur und mein Mikrokosmos

Vorbemerkung für „Fremdleser“: Ausgangspunkt für mich war ein neues Buch von Hans Blumenberg, das nicht leicht zu lesen ist. Man überlegt also ganz pragmatisch: lohnt sich die Arbeit, der Zeitaufwand, es gibt noch so vieles … (Vorläufig: Antwort ja, unbedingt, aber ich lese nicht von Seite 9 – 409, sondern springe vom Anfangskapitel in solche, die mich unmittelbarer interessieren, also z.B. Leibniz wegen Bach-Zeit Kap.X). Mein Rat an Zaungäste: nach Belieben auszublenden, was nur für mich von Bedeutung ist oder sein soll. Ich erweitere den Motivationskreis, indem ich mich an Geertz erinnere, der mich in früheren Jahren fasziniert hat, in den 90ern etwa, ansetzend bei „Dichte Beschreibung“ und dem Hahnenkampf auf Bali. Wie immer verbunden mit der Frühzeit der eigenen Interessenerweiterung, in den letzten Schuljahren. Daher beginne ich mit dem Buch von Mersmann, aber nicht inhaltlich, sondern mit dessen Widmung: sie suggeriert, dass meine „Rolle in der Gesellschaft“ damals nicht nur ein Hirngespinst war, sondern früh ein gewisse Bestätigung von außen erfuhr (ohne auch nur im geringsten politisch motiviert zu sein). Ich wollte größere Zusammenhänge „beherrschen“.  Der Titel-Zusatz „in der abendländischen Kultur“ war entscheidend. (Das Buch hatte ich mir aussuchen dürfen!) Man lebt ja nicht freiwillig so isoliert wie heute – nach einem Jahr Corona und der Gewissheit, dass diese Zeit noch andauern wird. Was half damals wie jetzt? Lesen, Denken und Musikhören.

1958 -1960

Und wenn ich noch einmal 10 oder 12 Jahre zurückgehe, so sehe ich, wie der Blick aufs große Ganze zuerst angeregt wurde (abgesehen von Grimms Märchen und Heldensagen und nicht zuletzt vom alltäglichen Blick aus dem Wohnzimmerfenster meiner Großeltern auf die Porta Westfalica):

Ende der 40er Jahre

In meinem vorletzten Bielefelder Schuljahr begann ich vor einer Langeoog-Fahrt eine neue Privat-Kladde, die meine Interessen erweiternd begleiten sollte, was durch die Inhaltsangabe am Ende bestätigt wurde. Fast alles daraus ist mir bis heute in Erinnerung, hat mich also ein Leben lang begleitet. Es gab auch andere Kladden (z.B.Thema Musik).

.     .     .     .     . .     .     .     .     . 15 Jahre später Und 5 Jahrzehnte zu spät

Vielleicht sollte ich heutzutage lieber dem Verschwinden einer Illusion nachgehen, indem ich einigen roten Fäden folge, die das Labyrinth immerhin zu strukturieren scheinen.

An Ariadnes Stelle sehe ich Hans Blumenberg, der den Terminus „absolute Metapher“ verwendet, wo andere vom „Weltbild“ sprechen oder etwas unbedarft von der „Mutter Natur“. Franz Josef Wetz schreibt in seiner Monographie über Blumenberg, er habe den Terminus eingeführt zur Kennzeichnung jener sprachlichen Bilder,

die semantische Gehalte umfassen, welche sich der Ausdruckskraft der begrifflichen und objektivierenden Sprache von Philosophie und Wissenschaft entziehen. Ihm zufolge gibt es eine Dimension des unbegrifflich Metaphorischen, die sich nicht ins begrifflich Logische übersetzen läßt.

Worum handelt es sich dabei? Über die Bedeutung absoluter Metaphern gibt nach Blumenberg vor allem ihre Funktion näheren Aufschluß. Allgemein diebnen absolute Metaphern der Beantwortung höchster und unabweislicher Fragen, die sich jeder wissenschaftlichen Klärung entziehen: »Absolute Metaphern beantworten jene vermeintlich naiven, prinzipiell unbeantwortbaren Fragen, deren Relevanz ganz einfach darin liegt, daß sie nicht eliminierbar sind, weil wir sie nicht stellen, sondern als im Daseinsgrund gestellte vorfinden.«  (PM, 19) Blumenberg unterteilt diese Fragen in theoretische Totalitätsfragen und pragmatische Orientierungsfragen. Absolute Metaphern haben demnach eine »theoretische« (PM, 62) und zugleich eine »pragmatische« (ebd.) Aufgabe. Ihre theoretische Funktion besteht im Aufschließen von Totalhorizonten. Absolute Metaphern »geben einer Welt Struktur, repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität« (PM 20). Sie lassen ein Bild von der Totalität der Wirklichkeit entstehen. Zu solchen Welt-Bildern zählen die Vorstellungen von der Wirklichkeit als Polis, Lebewesen, Theater oder Uhrwerk. Diese und ähnliche Metaphern beanspruchen nicht, einzelne Sachverhalte der Wirklichkeit darzustellen, sondern die Totalität der Welt selbst zu vergegenwärtigen. Selbstredend genügen sie nicht dem Anspruch des strengen Denkens, und dennoch müssen sie ihm genug sein, wenn nicht auf eine Vorstellung vom Ganzen verzichtet werden soll. So bieten uns vertraute sprachliche Bilder eine Anschauung von der unbegrifflichen Totalität der Wirklichkeit, an deren Stelle sie treten. Zwar haben Metaphern – wie als „Restbestände“ – auch als „Grundbestände“ die Funktion eines bloßen „Ersatzes“; aber mit dem wesentlichen Unterschied, daß letztere für etwas stehen, das sich weder in Begriffe überführen noch durch Begriffe angemessen erfassen läßt: die Wirklichkeit im Ganzen.

Nun veranschaulichen absolute Metaphern aber nicht bloß die ungegenständliche Totalität der Welt, sie fungieren darüber hinaus als Orientierungsmuster. Zum Gehalt absoluter Metaphern gehören Wertungen, die bestimmte »Haltungen, Erwartungen, Tärigkeiten und Untätigkeiten, Sehnsüchte und Enttäuschungen, Interessen und Gleichgültigkeiten« (PM, 20) freisetzen. Absolute Metaphern sind sonach auch Ausdrucksformen von »Grundhaltungen und Verhaltungen« (PM, 62). Sie repräsentieren und orientieren zugleich.

Quelle Franz Josef Wetz : Hans Blumenberg / zur Einführung. Junius Verlag Hamburg 2004 / Seite 20f [Die Signatur PM verweist auf das Buch „Paradigmen zu einer Metaphorologie“, Bonn 1960]

Was macht mir Probleme?

Ich war mit der Vorstellung erwachsen geworden (Adorno: Philosophie der Neuen Musik 1958): „Das Ganze ist das Unwahre“, und es bedurfte eines speziellen philosophischen Zuspruchs, die Wirklichkeit (insgesamt) oder gar „die Totalität der Welt“ noch ins Auge zu fassen. Die Welt splitterte sich allenthalben auf, lauter starke Impulse, aus Musik wurden Musikkulturen, aus allen Richtungen kamen wichtige Botschaften, der Begriff „Weltmusik“ tauchte bei Stockhausen auf, eine individuelle Suggestion, wer festen Boden unter den Füßen brauchte, konzentrierte sich doch immer wieder und immer noch auf das Einzelne, auf ein Werk, ein „opus perfectum et absolutum“. Und über der Einleitung des oben genannten Adorno-Buches stand das strenge Hegel-Wort:

Denn in der Kunst haben wir es mit keinem bloß angenehmen oder nützlichen Spielwerk, sondern … mit einer Entfaltung der Wahrheit zu tun.

Aber was ist Wahrheit?

Ich weiß nicht, ob es nun Zufall war, dass ich das Wort „Entfaltung“ wählte, als es beim Gegenstand meiner Dissertation um das Gegenteil einer Opus-Musik ging, ein Melodiemodell der arabischen Musik. Diese Musik ist eine andere Welt, aber zweifellos eine Welt, und zwar eine, in der man sich entfalten und bewegen konnte; zumindest gedankliche Wegzehrung kam von Leuten wie Feyerabend oder Watzlawick. Die eine Welt ist demnach so wirklich wie die andere.

Der Sprung in die Ethnologie (Clifford Geertz)

ZITAT Gottovik

Für die Untersuchung der Symbolsysteme einer fremden Kultur schlägt Geertz nun ein Verfahren vor, das er als ,,das beständige dialektische Lavieren zwischen kleinsten lokalspezifischen Details und umfassendsten Strukturen“ bezeichnet. Er bezieht sich in diesem Zusammenhang explizit auf Wilhelm Dilthey und den hermeneutischen Zirkel, dem zufolge das Ganze aus der Perspektive seiner Teile und vice versa zu betrachten sei. Auf diese Weise gelangt Geertz schließlich zu der These, dass das Verstehen fremder Kulturen prinzipiell mit dem Lesen eines Gedichtes, d.h. der Interpretation eines Textes verglichen werden könne, gilt doch auch hier die gleiche Zirkelstruktur des Verstehens: Die Teile entfalten ihre Bedeutung erst in der Beziehung zum Ganzen, während das Ganze stets mehr ist als die Summe seiner Teile. Geertz versucht demnach, mit der Hinwendung zur Texthermeneutik dem Verstehensbegriff der interpretativen Anthropologie eine erkenntnistheoretische Grundlage zu geben.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die Text- und Lese-Metapher in allen drei genannten Essays von zentraler Bedeutung ist. So zum Beispiel auch in Deep Play, wo Geertz folgendes ausführt: ,,Die Kultur eines Volkes besteht aus einem Ensemble von Texten, die ihrerseits wieder Ensembles sind, und der Ethnologe bemüht sich, sie über die Schultern derjenigen, für die sie eigentlich gedacht sind, zu lesen.“ [Anm.20] In diesem Sinne versucht auch Geertz,die Bedeutung des Hahnenkampfes über die Schultern der Balinesen zu erfassen, d.h. ,aus der Perspektive der Einheimischen‘ zu verstehen; dafür ist es notwendig, den Hahnenkampf in eine aufschlußreiche Beziehung zu anderen Symbolsystemen der balinesischen Kultur zu setzen. Die von Geertz erhobene Forderung, die balinesische Kultur im Medium ihrer Tänze, Schattenspiele, Bildhauerkunst, Mädchen (!) oder Hahnenkämpfezu betrachten und diese wie Texte im Hinblick auf ihre Bedeutung zu lesen, [Anm.21] setzt einen erweiterten Textbegriff voraus. In diesem Zusammenhang wird nun der dritte hier zur Debatte stehende Essay mit dem Titel Thick Description: Toward an Interpretive Theory of Culture relevant. [Anm.22]  Auch dort findet sich die Lese- und Textmetapher, wenn es etwa heißt: Ethnographie betreiben gleicht dem Versuch, ein Manuskript zu lesen (im Sinne von ,eine Lesart entwickeln‘), das […] aber nicht in konventionellen Lautzeichen,sondern in vergänglichen Beispielen geformten Verhaltens geschrieben ist. [Anm. 23]

Quelle Volker Gottowik: Clifford Geertz und der Verstehensbegriff der interpretativen Anthropologie / in: Hans-Martin Gerlach, Andreas Hütig, Oliver Immel (Hrsg.): Symbol, Existenz, Lebenswelt. Kulturphilosophische Zugänge zur Interkulturalität. Peter Lang, Sonderdruck 2004, S. 155–167. [Dieser ganze Text online hier.]

Ein kleines Missverständnis wäre zu klären: denn darauf beruht offenbar das Ausrufezeichen hinter dem Wort „Mädchen“ im hier zitierten Text. Der Satz beginnt mit den Worten „Die von Geertz erhobene Forderung“, – dieser aber erhebt gerade nicht diese Forderung, sondern er bezieht sich dabei kritisch auf die übliche Akzentuierung in der Reiseliteratur, leicht ersichtlich, wenn man den Kontext genauer untersucht (siehe im folgenden Scan rechts unten, rot gekennzeichnet: wenn man Bali nicht nur…) :

Quelle Clifford Geertz: Dichte Beschreibung / Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme / Suhrkamp Frankfurt am Main 1987

Und zurück in unsere Welt…

Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt (Inhalt)

Blumenbergs Kapitel im Buch der Lesbarkeit

I (Rothacker)

II (Cassirer)

III Bibel Augustinus Dante

IV Griechen

V Augustinus Aquino

VI Nikolaus von Cues Bonaventura,

VII Galilei, Campanella

VIII Bacon Bruno Descartes Borelli Spinoza

IX Gracián Schopenhauer Ernst Robert Curtius

X Leibniz

XI Berkeley

XII Diderot Vico Herder

XIII Böttiger Brockes Reimarus Kant Hamann Humboldt

XIV Lichtenberg

XV Goethe

XVI Novalis Gebrüder Schlegel Goethe

XVII Friedrich Schlegel Novalis

XVIII Alexander von Humboldt

XIX Novalis Lichtenberg Flaubert Mallarmé Valéry Benjamin

XX Schopenhauer

XXI Freud C.G.Jung Abraham

XXII Schrödinger Planck Chargaff Miescher Ankel Markl Monod

(Fortsetzung folgt)

 

Unfassbar hässlich

Aber: wie genial ist eigentlich ein Nacktmull?

Was lehrt er uns?

Screenshot eines Artikels, den Sie hier finden. Da gibt es nichts zu befürchten, im Gegenteil. (Bild: picture-alliance/Zentralbild/Wolfgang Thieme)

Mehr über das süße Tierchen bei Wikipedia: hier. Darin der interessante Satz:

Zur Verständigung untereinander benutzen die Tiere bis zu 18 verschiedene Laute, die teilweise an Vogelzwitschern erinnern.

Und auch dieser:

Aufgrund seiner von vielen Menschen subjektiv empfundenen Hässlichkeit hat der Nacktmull auch schon Eingang in die Populärkultur gefunden.

Ich gebe den Satz wieder – auch wegen des darin enthaltenen Links zum Begriff der Hässlichkeit, der mich schon mehrfach angezogen hat: etwa hier oder auch hier.

Und jetzt ist der rechte Augenblick gekommen zu verraten, wie ich überhaupt auf den Nacktmulch und seine besondere Begabung komme, es ist nicht die Suche nach dem Hässlichen schlechthin: schuld ist wieder mal ein schöner Artikel aus dem Ressort Naturwissenschaft der Süddeutschen Zeitung; die Sachen faszinieren mich oft mehr als die Musikthemen, was an den Autor*innen liegen mag. In diesem Fall wieder Tina Baier, und ihr aktueller Beitrag ist neben vielen anderen hier nachzulesen. Einige Sätze habe ich von dort kopiert und zitiert. (Aber die echte Zeitung aus Papier habe ich für bares Geld erworben, der Beweis folgt auf dem Fuße.)

ZITAT

Kleine Nacktmulle lernen den spezifischen Dialekt ihrer Kolonie wahrscheinlich, indem sie den erwachsenen Tieren zuhören und ihre Laute nachahmen. Das lässt unter anderem ein Experiment vermuten, bei dem die Wissenschaftler zwei Nacktmull-Zwillinge, deren Mutter gestorben war, aus ihrer ursprünglichen Kolonie entfernten und in jeweils eine andere setzten. Innerhalb weniger Monate hatten beide den Dialekt ihrer neuen Kolonie gelernt. Allerdings nicht ganz akzentfrei, was nach Ansicht der Wissenschaftler daran liegen könnte, dass sie zu Beginn ihres Lebens zunächst angefangen hatten, einen anderen Dialekt zu lernen.

Anders als bei den meisten anderen Säugetieren sind die Lautäußerungen von Nacktmullen also nicht genetisch festgelegt, sondern hoch variabel. Diese Erkenntnis stützt die Theorie, wonach es einen Zusammenhang zwischen einem Leben in einer komplexen Gemeinschaft und der Entstehung einer ausgeklügelten Sprache gibt. Das gilt nicht nur für Nacktmulle, sondern wäre auch eine Erklärung für die Entstehung der komplexen Sprache des Menschen.

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Februar 2021 Seite 13

Liebe Leserinnen und Leser, wenn ich eins im Leben gelernt habe, dann dies: dass man mit Ambivalenzen leben lernen muss. Fanden Sie den kleinen Nacktmull tatsächlich süß oder haben Sie mir die Wortwahl übel genommen? Bitte bleiben Sie nicht bei diesem Eindruck stehen, ich verdiene jede Aufmerksamkeit. Und für mich selbst war es erfreulich, unter dem Link zum Wort „Hässlichkeit“ einer alten Bekannten wiederzubegegnen. Ich erinnerte mich an die schöne Zeit, als ich mich in Südtirol mit der einschlägigen Kunstgeschichte befasste (siehe hier http://s128739886.online.de/st-katharina) und den Namen Maultasch, der mir dort schon öfter vorgekommen war, sinnreich ikonographisch hergeleitet sah, so dass ich mir eine naseweise schriftliche Bemerkung nicht verkneifen konnte. Auch der bekannte Name „Kusstatscher“ kam mir in den Sinn. Alles im Bereich der Normalität. „Aber, Herrschaften, es kommt immer auf den Zusammenhang an,“ sagte einst mein Deutschlehrer, „man nennt das Kontextualität.“ Er ahnte nicht, dass im Kontext „hässlich“ ein Nacktmull abgebildet sein könnte. Dies ist die Wahrheit einer seriösen Kunstgeschichte:

Quelle Walter Pippke, Ida Leinberger: Südtirol / Landschaft und Kunst einer Gebirgsregion unter dem Einfluss nord- und südeuropäischer Traditionen  / DUMONT KUNST Reiseführer / Ostfildern 3., aktualisierte Auflage 2006

Handelt es sich denn wirklich um ein Portrait und nicht um eine Satire? Darf man sich über solche armen Menschen lustig machen? Dürfen verdiente Politiker*innen karikiert werden? Natürlich, natürlich, sagt jeder, die Satire darf alles. Aber wie kann man die Wahrheit der Darstellung oder die Bosheit der Satire nachprüfen, wenn Jahrhunderte vergangen sind?

Bei Wikipedia lese ich die folgende Bildlegende:

Die hässliche Herzogin (Gemälde von Massys 1525) Quentin Massys National Gallery, London Es wurde wahrscheinlich gedacht, um alte Frauen zu persiflieren, die fälschlicherweise versuchen ihre Jugend wieder zu beleben, und nicht als Porträt einer bestimmten Person. Gegenstück zu Portrait of an old man, by Quinten Matsys

Es gibt auch die Möglichkeit, das Paradox der Hässlichkeit zu verinnerlichen, siehe hier.

Daher beende ich diesen Blogbeitrag, der an sich ein naturwissenschaftliches Phänomen zum Aspekt „Lautäußerungen“ betraf, mit einer speziellen Ausformung der Menschengestalt. Auch Leonardo hat sich mit solchen Prägungen befasst, für meinen Geschmack ist selbst seine „Mona Lisa“ kein Muster der Schönheit. Und lächelt sie nicht ein bisschen süffisant? Da sieht man doch die aufrechte Fürstin Maultasch mit anderen Augen.