Von den Jüden

Rassismus und Verwandtes

Wolfgang Schreiber berichtete in der SZ über die Ausstellung im Bachhaus Eisenach, die hier an lässlich der Hagedorn-Rezension (siehe hier am Ende des Beitrags) schon erwähnt wurde:

Den Begriff Antisemitismus gibt es erst seit 1860, er gilt etwa für Richard Wagner und dessen fatale Schrift über „Das Judentum in der Musik“. Ins Zentrum trifft dagegen hier der Terminus „Antijudaismus“. So zeigt die Ausstellung in einer Vitrine das Faksimile der Lutherbibel des zeitgenössischen Theologen Abraham Calov, die Bach nachweislich benutzt hat. In ihr hat Herausgeber Calov zwischen die Bibeltexte Auszüge aus Luthers Schriften eingestreut. Und Bach hat in dem Buch ein halbes Dutzend Stellen angestrichen, in denen von der „Schuld“ der Juden die Rede ist: Martin Luther hält die Juden für „verworfen“, weil sie in ihrem „Unglauben“ Jesus nicht als den Erlöser anerkennen. Zu Recht seien sie aus Israel „vertrieben“ worden.

Luthers theologisch begründeter Judenhass ist mit seiner 1543 gedruckten Hauptschmähschrift „Von den Jüden und ihren Lügen“ dokumentiert. Sie gipfelt in der Aufforderung „Drumb Jmer weg mit jnen“. Das erlebte seine furchtbare Wiederaufnahme 1938 im Traktat des Thüringer Landesbischofs Martin Sasse: „Martin Luther. Über die Juden. Weg mit ihnen“. Sasse ist hier so präsent wie der Hamburger Pastor Johannes Müller und dessen Buch von 1707, „Judaismus und Jüdenthum. Das ist: Ausführlicher Bericht, von des jüdischen Volcks Unglauben, Blindheit und Verstockung“.  Das Buch befand sich in der mit 81 theologischen Schriften recht solide ausgestatteten Bibliothek des Leipziger Thomaskantors Bach.

Quelle Süddeutsche Zeitung, 13. September 2016 Seite 12 Sie wollten alle Ungläubigen vertreiben Wie sich Johann Sebastian Bach für Luthers Antijudaismus begeisterte, zeigt eine Ausstellung in Eisenach.

Ob Begeisterung das richtige Wort ist für Bachs Haltung, bleibe dahingestellt. Begeisterte sich Luther für den Teufel, als er mit dem Tintenfass nach ihm warf? Was „böse“ genannt wurde und was nicht, gehörte zu den verpflichtenden Glaubensinhalten. Stand es so in der Bibel oder nicht?! Konnte, musste man es so und nicht andes lesen?

Darüberhinaus gilt jedoch: dass man als Künstler aller Ausdrucksmittel bedurfte; dazu gehörte unabdingbar auch – sagen wir – das Toben der Feinde. Da spielte z.B. das Gebot der Feindesliebe keine Rolle. Würden wir auf einen Chor wie „Sind Blitze, sind Donner“ verzichten wollen, wenn der „falsche Verräter“ in Wahrheit der wäre, der es gut mit uns meint?

Der entscheidende Punkt ist aber der Bezug auf die Realität. Gilt dieses Wüten gegen den Feind auch als Ermutigung für den Alltag? Welchen Beweis hätten wir für Bachs Verhalten im täglichen Leben? Absurde Frage: welcher Partei hätte er sich angeschlossen?

Vielen von uns ist es sicher erst aufgefallen, als in der Neuen Bachausgabe auch die alten Schreibweisen der Texte berücksichtigt wurden: Nun war in den Passionen plötzlich von „Jüden“ die Rede, und beim Hören erschrak man, ob das nicht abfällig gemeint sein könnte; was man keinesfalls begünstigen wollte. Aber niemand ging ernsthaft dieser Frage nach, – glaubte man sich doch bei Bach und Luther in sicheren Händen. Wieso eigentlich? Sie waren beide Kinder ihrer Zeit, und Luther war für ein neues Zeitgefühl erheblich verantwortlich, aber auch, so scheint es heute, für das Überdauern vieler mittelalterlicher Relikte. Wer weiß, in welchem Maße sich Reformation und Gegenreformation die Waage hielten, wenn es um die Mittel des Machterhaltes ging.

Luthers kapitale Fehler ließen sich mit Argumenten der viel späteren Aufklärung vom Halse schaffen, Bachs Matthäuspassion allerdings nicht: zu groß war ihre künstlerische Überzeugungskraft, man konnte sie nicht durch korrigierende Maßnahmen, die jeder in ihrer Verkrampftheit erkannte, hoffähig auf theologischer Ebene machen. Noch einmal Wolfgang Schreiber:

Der Protestantismus habe sich zwar vom Antijudaismus Luthers befreit, heißt es in einem Begleittext der Ausstellung, nur Bachs Passionen gäben dem „unaufgeklärten Luthertum des Barock“ noch immer eine Stimme. Das führt ins Zaudern und ins Schwanken: „Soll man sie nur noch wie Opern aufführen, im Konzertsaal, nicht in der Kirche?“ Vielleicht könne man eigens im Beiblatt zu einer Aufführung vor Fehlinterpretationen warnen, wie es der Leipziger Superintendent 1989 tat. Oder sollten Musiker gar dazu aufgefordert werden, „die verfänglichsten Stellen weniger engagiert darzubieten?“ Das Problem werde nur mit Bachs Musik gelöst, sie gewinne gerade aus den Gegensätzen ihre Überzeugungskraft – durch das Mit- und Gegeneinander der hasstriefenden Turba-Chöre und der Choräle kollektiver Glaubensstärke, dazu der Arien als subjektiv-individueller Zuneigung zu Christi Opfer.

Was für gedankliche Verbiegungen! Man sollte noch einmal Nietzsches Sätze zur Matthäuspassion lesen, dann das Buch von Hans Blumenberg und dann auch noch die diesem nicht ganz wohlgesonnene Kritik von Christoph Türcke in der ZEIT 1989: hier.

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Aus Luthers Original-Übersetzung „Deudsch 1545 / Auffs new zugericht“ (siehe hier):

33 DA gieng Pilatus wider hin ein ins Richthaus / vnd rieff Jhesu / vnd sprach zu jm / Bistu der Jüden König?
34 Jhesus antwortet / Redestu das von dir selbs / Oder habens dir andere von mir gesagt?
35 Pilatus antwortet / Bin ich ein Jüde? Dein Volck vnd die Hohenpriester / haben dich mir vberantwortet / Was hastu gethan?
36 Jhesus antwortet / Mein Reich ist nicht von dieser welt / Were mein Reich von dieser welt / meine Diener würden drob kempffen / das ich den Jüden nicht vberantwortet würde. Aber nu ist mein Reich nicht von dannen.
37 Da sprach Pilatus zu jm / So bistu dennoch ein König? Jhesus antwortet / Du sagsts / Jch bin ein König. Jch bin dazu geboren / vnd in die welt komen / das ich die Warheit zeugen sol. Wer aus der warheit ist / der höret meine stimme.
38 Spricht Pilatus zu jm / Was ist warheit. / VND da er das gesaget / gieng er wider hin aus zu den Jüden / vnd spricht zu jnen / Jch finde keine Schuld an jm.
39 Jr habt aber eine gewonheit / das ich euch einen auff Ostern los gebe / Wolt jr nu / das ich euch der Jüden König los gebe?
40 Da schrien sie wider alle sampt / vnd sprachen / Nicht diesen / sondern Barrabam / Barrabas aber war ein Mörder.
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Es ist gut, zunächst einmal zwischen Antisemitismus und Antijudaismus zu unterscheiden. Aber auch den Rassismus wohl zu unterscheiden vom bloßen Fremdenhass. Der Rassismus kann alle uns nahestehenden Menschengruppen treffen, ja, unsere nächsten Verwandten, sofern wir sie nur als nicht recht zugehörig „dingfest“ machen und so einem Außenbezirk zuordnen können. Man sehe nur, wie es den Juden in Spanien erging.

Aufgrund der langen Dauer der Reconquista und der Tatsache, daß das Judentum bis zum 14. Jahrhundert in Spanien mehr als sonst in Europa ein integraler und kulturell einflußreicher Bestandteil der Gesellschaft gewesen war, konnte nun die Suche nach dem ‚unreinen Blut‘ prinzipiell jeden treffen, die Landbevölkerung ebenso wie den spanischen Adel. Zunächst nur im Blick auf die Conversos und Marranen, sehr bald aber bezogen auf das ganze Judentum sowie auf die zwangsbekehrten Muslime (moriscos), wurde jetzt zum ersten Mal von ‚Race‚ gesprochen. Hatte der noch junge Begriff bis dahin allein in der Pferdezucht und in der Verherrlichung adeliger Geschlechter eine Rolle gespielt, so diente er jetzt der Aufspürung zu bekehrender Gruppen.

[Hier wurden zum ersten Mal] mit Hilfe des Rassenbegriffs neue, scheinbar natürliche Kategorien der Zugehörigkeit erfunden. An die Stelle des Glaubensbekenntnisses trat jetzt die Abstammung als zentrales Merkmal von Zugehörigkeit.

Quelle und Zusammenhang s.a. hier.

Als Einführung in die grundsätzlichen Probleme jeglicher Rassentheorie und auch in die Problematik der pauschalen Ablehnung einer biologistischen Sicht menschlicher Unterschiede verwende (und empfehle) ich die Ausführungen von Jörg Albrecht und Ulf von Rauchhaupt im FAZ-Netz hier („Gibt es menschliche Rassen?“).