St. Katharina (Südtirol)

Fresken aus der Zeit um 1420

Was wiegt eine reine Seele? Und was der fromme Betrachter?

Schon vor 10 Jahren (laut Notiz im Kunstführer Juli 2009), hat mich ein Text über die Heilige Katharina zwiespältig beeindruckt: Zum einen erfüllte er mich mit Zorn über diese arrogante Fanatikerin, die 50 Philosophen in einen Disput über die Wahrheit verstrickte (die Denker verloren schmählich und – wurden allesamt verbrannt). Zum andern mit Neugier, wie man denn solche hanebüchenen Geschichten mittels Kunst einer gutgläubigen Schar von Gläubigen unterjubelt. In der Tat, sie arbeiten sich in der abschüssigen Einöde bis zum Eingangsbereich der kleinen Kirche vor, um dort zu erfahren, wie prekär die ganze Mühsal des Lebens dereinst enden kann: hilflos auf einer Waagschale. Auch ich hatte soeben noch Mühe gehabt, den schmalen Fahrweg zu meistern, und mir graute bereits vor dem Wendemanöver, das nachher notwendig sein würde. Hand aufs Herz: konnten uns die Fresken irgendeinen Grund geben, an den guten Ausgang unserer kleinen Expedition zu glauben?

Teufel in der Waagschale

Ich zitiere aus dem schönen Südtirol-Kunstführer von Walter Pippke und Ida Leinberger die Zeilen über die Kirche:

Aus dem Grün der umliegenden Wiesen und Wälder sticht zwischen den alten Bauernhöfen die Farbenpracht ihrer vollständig freskierten Südwand hervor, auf der zehn Bilder die Legende der hl. Katharina illustrieren. Die erste Szene zeigt sie bei der Zerstörung eines Götzenbildes, die zweite vor Kaiser Maximinus. Im dritten Bild kommt sie ins Gefängnis, wo ihre berühmte Disputation mit den Philosophen stattfindet (viertes Bild), die sie überzeugt, woraufhin die Philosophen verbrannt werden (fünftes Bild). Als es der Heiligen dem sechsten Bilde zufolge gelingt, auch noch die Kaiserin zu bekehren und diese im siebten Bild enthauptet wird, beginnt auch das Martyrium Katharinas mit einer Räderung (achtes Bild), worauf ihre Enthauptung und ihre Grablegung folgt (neuntes und zehntes Bild). Außerdem sind eine Kreuzigung und ein Gemälde des Erzengels Michael zu sehen, der mit zornigem Blick die Seelenwaage hält und sein Schwert gegen die Teufel schwingt, welche eine Waagschale zugunsten des Bösen herunterzuziehen versuchen.

Diese vorzüglichen und bestens erhaltenen Fresken sind im Eisacktal die erste Begegnung mit der ‚Bozner Schule‘ und ihrer fast 100 Jahre gepflegten speziellen Synthese zwischen italienischer und deutscher Freskotradition. Die Fresken an der Südwand von St. Katharina sind um 1420 entstanden, also in der Spätphase der ‚Bozner Schule‘, die wesentlich von Hans Stockinger beherrscht wurde. Die Bilder stammen von einem unbekannten Maler, dessen Stil von der Veroneser Spätgotik beeinflusst ist.

Quelle Walter Pippke, Ida Leinberger: Südtirol / Landschaft und Kunst einer Gebirgsregion unter dem Einfluss nord- und südeuropäischer Traditionen  / DUMONT KUNST Reiseführer / Ostfildern 3., aktualisierte Auflage 2006 (Zitat Seite 107f)

Und weiter mit dem folgenden Text:

Heinz Braune: „Die kirchliche Wandmalerei Bozens um 1400. Eine Untersuchung ihrer Grundlagen und ihres Entwickelungsganges“. (1906)

Diese Arbeit über die Bozner Malerschule, mit einer genauen Beschreibung aller Fresken an der Außenwand der Kirche St. Katharina bei Tiers in Südtirol ab Seite 49, findet man als pdf online hier.

Die Anordnung des Ganzen aus Einzelteilen (Szenen), unterschiedliche Größen.

Auch das gleißende Sonnenlicht spielt eine Rolle, die Berge draußen, die reale Außenwelt, die vom Alter zerstörten Stellen.

Vor allem: Die brennenden Philosophen – die Todesstrafe für nichts.

Ein separater Gang um die Kirche – Fotos E. Reichow

Durchs Fenster in den Innenraum:

Auswahl einiger Fresken:

Grablegung Katharinas mit Trauergesang:

Von der Kunst (Susanne K. Langer: Fühlen und Form s.hier, Seite 158)

Und das Symbol ist etwas von Anfang bis Ende Geschaffenes. Die das Kunstwerk begründende Illusion ist keine bloße Anordnung gegebener Materialien zu einem ästhetisch gefälligen Muster. Sie geht aus deren Anordnung hervor und ist buchstäblich etwas, das der Künstler macht, nicht etwas, was er findet. Sie gehört zu seinem Werk und löst sich mit dessen Zerstörung auf.

Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, die wesentliche Illusion herzustellen und aufrechtzuerhalten, sie deutlich von der umgebenden Welt der Realität abzuheben und die Artikulation ihrer Formen so weit zu treiben, dass sie unverkennbar mit Formen des Fühlens und Lebens zusammenfällt.

Von der Frömmigkeit (Zeit-Magazin No.36 / 29.8.2019 Seite 16)

Frage an die Bäurin Emma K. aus Völs: Spielte die Religion in Ihrer Kindheit eine große Rolle?

Das wurde sehr ernst genommen. Ich weiß noch, wie mein Großvater gestorben ist. Er wurde in der Stube aufgebahrt, links und rechts Kerzen. Außerdem stand da eine Schale mit Weihwasser, darin ein Flaschenwischer, zum Besprengen des Verstorbenen. Den benutzten meine Schwester und ich fleißig. Ich stellte mir vor, dass ich das Fegefeuer, in dem der Großvater schmorte, löschen muss. Man musste uns wegziehen, weil bald der ganze Boden nass war. Generell beteten alle morgens und abends und vor und nach den Hauptmahlzeiten, außerdem gab es täglich die Schulmesse, und sonntags gingen wir zweimal in die Kirche.

Mehr Wahrheit über Katharina hier (Wikipedia-Artikel)

Zitat aus dem Wikipedia-Artikel:

Der Überlieferung nach lebte sie im 3. und frühen 4. Jahrhundert und erlitt unter dem römischen Kaiser Maxentius (306–312), nach anderen Angaben unter Maximinus Daia (305–313) oder unter Maximian (286–305) das Martyrium.

Nach heutigem Forschungsstand handelt es sich bei Katharina mit großer Sicherheit um eine erfundene Gestalt. Die Katharina-Legende wurde vermutlich nach der Persönlichkeit und dem Schicksal der spätantiken, von Christen ermordeten Philosophin Hypatia aus Alexandria (ca. 355–415/416) konstruiert. Dabei wurden die Rollen von Christen und Heiden vertauscht.

Wahrhaftig: ein Skandal, siehe letzten Link. „Eine aufgehetzte christliche Menge brachte sie [die Philosophin Hypatia] in eine Kirche, ermordete sie dort und zerstückelte ihren Leichnam.“