Schumann: op. 41 Nr. 1 Adagio
Wer diesen Satz nur hört, nie selbst gespielt hat, wird es kaum erraten. Selbst ein Pianist, der natürlich Noten lesen kann, könnte in die Partitur schauen und ihre Tücken nicht erfassen. Und ich spreche von den äußerlichen Tücken der Ausführung, nicht vom Gehalt. Man höre die folgende Aufnahme (wenn man sich ganz ins youtube-Fenster begibt und dort auf „Mehr Anzeigen“ klickt, kann man sofort auf das Adagio 14:12 springen):
In einer anderen Aufnahme – mit dem Amaryllis-Quartett – kann man zum Vergleich bei 14:31 beginnen.
Man erfasst das Problem leichter, wenn man den Anfang und einen späteren Ausschnitt im Notentext sieht:
Wenn man das Stück noch nicht kennt und unmittelbar mit dem Vom-Blatt-Spielen beginnt, wird die zweite Geige nach dem ersten Ton unterbrechen und den Cellisten fragen: Was hast du für Notenwerte? Und der wird etwa sagen: Ich habe eine Synkope, der die 1 fehlt. Und dann kommen durchgehende Sechzehntel. Mein dritter Ton fällt auf Zählzeit 2.
Aber dann, wenn nach dem dritten Einleitungstakt das Thema in der ersten Geige kommt: das Zusammenspiel mit zweiter Geige und Cello dürfte kein Problem sein, aber die Bratsche stiftet Verwirrung. Wie sitzt ihr Rhythmus? So wie im Beispiel unten unter a), aber – allzuleicht hört man (oder nur einer der anderen drei Spieler) eine falsche Betonung, nämlich wie in b), richtet sich danach und verunsichert alle anderen: sie spielen nicht mehr haarscharf synchron.
Bei der Wiederkehr des Themas im Cello (siehe Notenbeispiel weiter oben) spielt die erste Geige ein Pizzicato (s.a. hier in Reihe 2), das rhythmisch genau der Bratschenbegleitung am Anfang (hier Reihe 1 Bsp. a) ) entspricht. Dank des leicht percussiven Pizzicato-Effekts neigt man aufs neue dazu, es so zu hören wie in Reihe 1 b); erschwerend wirken die Synkopen der zweiten Geige. Es ist wichtig, in diesem Takt genau die Sechzehntel weiterzudenken, die im Takt vorher von der Bratsche gespielt werden. Achtung: hier steht zwar diminuendo., aber nicht ritardando.
Ein neuer Versuch, die Verzahnung der Stimmen am Klavier einzuprägen; rot gekennzeichnet sind die „Löcher“: dort gibt es keinen regulären Impuls auf der 3. Zählzeit. Und man muss wissen, dass das nächste Sechzehntel in der Mittelstimme (Viola) eben nicht die 4. Zählzeit markiert, sondern ihr vorangeht. (Das ist natürlich kein Problem, wenn man der Bratsche ohnehin die ganze Zeit zuhört, – was ihr ja auch guttut.)
Wenn dies alles „sitzt“, könnte man beginnen wahrzunehmen, was der musikalische Sinn des scheinbar labilen rhythmischen Gefüges ist: die Zählzeiten verschwinden zu lassen… losgelöst, schwerelos dahinzuschweben, – dahinzuschwimmen ohne zu schwimmen. Es l e b t – ohne sich zu scheuen, an manchen Stellen innezuhalten, so dass die vier Stimmen Zeit haben, das Material hin und her zu wenden, es intensiv zu bedenken. Welches Material? Den Dreiklang aufwärts und abwärts, und die überall zeichenhaft sich windende Schlangenlinie.