Schlagwort-Archive: Hans Winking

Nachthelle

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Wetter Gegenwärtiger Sonnentag

Schubert-Rekapitulation:

Die Nacht ist heiter und ist rein,
Im allerhellsten Glanz:
Die Häuser schaun verwundert drein,
Stehn übersilbert ganz.

In mir ist’s hell so wunderbar,
So voll und übervoll,
Und innen waltet’s frei und klar,
Ganz ohne Leid und Groll.

Ich fass‘ in meinem Herzenshaus
Nicht all‘ das reiche Licht:
Es will hinaus, es muß hinaus, –
Die letzte Schranke bricht!

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Unsere Freundschaft begann mit Schubert: ich hatte die von Hans Winking produzierten Aufnahmen der Schillerlieder mit Prégardien und Staier („Schöne Welt, wo bist du?“) in einer Radiosendung hervorgehoben, das war wohl 1994, und er rief mich spontan an. Er war ein guter Kollege, ein aufmerksamer, kritischer und einfallsreicher Gesprächspartner. Jetzt ist er am 18. August 67jährig überraschend gestorben. Er hatte Energie für weitere 20 Jahre.

Winking 15.3.2013 Im Bürgermeisterhaus Essen-Werden März 2013

Unser letzter Kontakt: er hatte in meinem Blog gelesen, dass ich plante, die Bayreuther Tristan-Übertragung live am Computer zu hören. Per Mail kam am 7. August seine launige Warnung:

Tristan?

… im Fernsehen. Und dann noch dirigiert von diesem Herrn Thielemann und zu allem Überfluss auch noch inszeniert von dieser Katharina W. Nee, nee, nix für mich. Das Stück ist viel zu gut, um so verramscht zu werden. Vielleicht kann man es auch garnicht inszenieren. Ich für meinen Teil, mein lieber Jan, sitze zwar z.Zt. noch in Essen-Werden, werde mich aber heute am Abend in einem Wiener Beisl mit einer schönen Frau befinden…

Herzliche Grüße, bis bald mal? Bin am Dienstag wieder hier.

Hans

Leider hat es kein Wiedersehen gegeben. Nur die Trauerfeier am 26. August in Essen-Werden.

Warum diese Musik? Siehe hier. (Hans Winkings Moderation in „Mein Lieblingsstück“.) Leider nicht mehr abrufbar…

Allerfrüheste Mehrstimmigkeit heute

Artikel in der heutigen Süddeutschen Zeitung (19. Dezember 2014 Seite 13):

Eine Terz früher / In London wurde wohl das früheste bekannte mehrstimmige Stück der Musikgeschichte entdeckt. Von Johan Schloemann.

Vielmehr … von Giovanni Varelli, Doktorand der Musikwissenschaft am St. John’s College der Universität Cambridge.

Der wissenschaftliche Artikel erschien offenbar schon am 27. September 2013, nämlich HIER, ist aber wie geschaffen für die Vorweihnachtszeit 2014, zumal man das stumme Notenbild-Denkmal seit 2 Tagen auf youtube ertönen hört, zum Leben erweckt von zwei engelgleichen Jünglingen („undergraduates at St John’s College, Cambridge“):

Historischer Zusammenhang (laut Wikipedia)

Die ersten Quellen aus dem 9. Jahrhundert beschreiben das Organum als eine aktive Praxis. Diese Praxis mag schon einige Hundert Jahre älter sein – ihre Ursprünge lassen sich nicht rekonstruieren. Bis heute ist nicht klar, ob das frühe Organum sich aus einem primitiven, strengen Parallelismus entwickelt hat oder aber aus einer recht freien, nur durch die Kirchentonarten gebundenen Heterophonie.

Das erste Dokument, das die Organumpraxis nachvollziehbar beschreibt, war die Musica enchiriadis (gegen 895), ein Traktat, das traditionell (und vermutlich inkorrekt) dem Mönch Hucbald (* um 840; † 930) zugeschrieben wird. Danach war die Organumpraxis gar nicht als Mehrstimmigkeit im modernen Sinn konzipiert: Die hinzutretende Stimme sollte lediglich den einstimmigen Gesang verstärken. Die Musica enchiriadis macht außerdem deutlich, dass Oktav-verdopplung[en] akzeptiert wurden, schließlich ließen sie sich bei gemeinsamem Gesang von Männer- und Knabenstimmen nicht vermeiden. Auch das Mitspielen einer Singstimme durch Instrumente war Praxis. Der Traktat Scholia enchiriadis behandelte das Thema eingehender.

Im originären Parallelgesang lag die originale Melodie in der oberen Stimme (Vox principalis). Die Vox organalis wurde ein perfektes Intervall tiefer parallel geführt, meist eine Quarte tiefer. So hörte man die Melodie als Hauptstimme, die Vox organalis als Begleitung oder Verstärkung. Diese Art des Organums wird heute üblicherweise als Parallelorganum bezeichnet, je nach Intervall beispielsweise als Quartorganum oder Quintorganum, obwohl in frühen Traktaten Begriffe wie Sinfonia gebräuchlich waren.

Da die Musica enchiriadis kurz vor der (Wieder-)Entwicklung einer standardisierten musikalischen Notation geschrieben wurde, sind die dort enthaltenen Beschreibungen des Organum rein verbal. Es ist nicht bekannt, wie genau sie befolgt wurden.

Vollständiger Wikipedia-Artikel HIER.

Ach, ihr beiden Engel, lasst mich die Noten sehen, damit ich glauben kann, was ich höre!

***

Eins darf man heute nicht vergessen: egal was damals notiert wurde und wie sehr es vielleicht in den Basiliken und Klosterkirchen an Farbe gewonnen haben mag, – wenn wir uns an dem orientieren, was man hier realiter hört, muss es armselig gewesen sein im Vergleich zu dem, was am Hofe Harun ar-Rashids von leidenschaftlichen Maqam-Interpreten geboten wurde. Oder zu der majestätischen Orchestermusik, die im fernen Kyoto zum Ruhme des japanischen Kaiserhofes erklang.

Nachtrag 5.1.2015

Zur Entstehung der Musica enchiriadis in der Abtei Essen-Werden, ca. 900

Es entstehen umfassende Schriften, die eine Entstehung der „Musica enchiriadis“ in der Abtei Essen-Werden äußerst wahrscheinlich machen. Der Traktat „Musica enchiriadis“ beinhaltet die früheste Notation für ein genaues mehrstimmiges Singen und bildet somit die Grundlage für alle spätere Mehrstimmigkeit in Europa.

Zwar ist die Urschrift verschollen, doch finden sich Teile daraus in einem Fragment der Schrift, dem Fragment K3:H3 der Düsseldorfer Universitäts- und Landesbibliothek – auch bekannt unter dem Namen „Düsseldorfer Fragment“ – welches die älteste Abschrift darstellt und in der Abtei in Essen-Werden entstanden ist. Kenntnisreichtum und Kreativität des Schreibers stellen diese Schrift in Autornähe. Als Verfasser oder Initiator der verschollenen Urschrift – der Vorlage, welche auch das Düsseldorfer Fragment beinhaltet haben muß – gilt mit höchster Wahrscheinlichkeit der Abt Hoger von Werden († 906). Neben dem „Düsseldorfer Fragment“ fand sich in Werden außerdem die umfangreichste und wichtigste Abschrift der „Musica enchiriadis“: die (in Bamberg aufbewahrte) „Bamberger Handschrift Var. 1“, um 1000 geschrieben. Diese Abschrift ist ebenso in Werden entstanden und steht in deutlicher Beziehung zum „Düsseldorfer Fragment“.

(Dazu: Dieter Torkewitz: Das älteste Dokument zur Entstehung der abendländischen Mehrstimmigkeit: eine Handschrift aus Werden an der Ruhr: das „Düsseldorfer Fragment“. In: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft. Bd. 44. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 1999)

Hinweis: Prof. Dieter Torkewitz ist am 29.1. 2015 zu Gast bei Hans Winking im Bürgermeisterhaus Essen-Werden: „Der musikalische Salon“ 19.00 Uhr. „Im Schatten des Kunstwerks“ – Musiktheorie im Zwielicht.