Sinn und Unsinn beim Schreiben über Musik
Schlechter Journalismus zu guter Musik hat immer auch ein Gutes: er zwingt uns, nach dem Wesentlichen zu fragen.
Durch Zufall schneite mir die Welt am Sonntag (20. August 2023) ins Haus, ein neuer Goldberg-Variationen-Interpret interessiert mich wenig, wahrscheinlich mal wieder einer, der an Glenn Gould gemessen werden soll… Ach, es geht wohl eher um einen schönen Zeitvertreib in Schloss Elmau? Wenn das Frühstück auf so absurde Weise in den Vordergrund tritt? Ein elitärer Publikumsmagnet? Besonders, wenn man dort eingeladen ist.
Ja ja, das Universum, die Bananen
Mich beleidigt vor allem die eine Banane für Ravel…
Immerhin: auch Beethoven ist eine Zeile wert:
Und dann kommt er ins Schwärmen über Details. „Allein der Triller in der 28. Variation, wie der etwa Beethoven beeinflusst hat! Die Goldberg-Variationen sind das Wörterbuch für alles Kommende.“
So allgemein genommen, wird es ganz falsch. Man lernt Triller in Beethovens eigener Geschichte, und Beethoven lernt bei Bach, was man ganz anders machen kann.
Ein Brief an Beethoven
Wir wissen ja nicht einmal genau, ob Du sie überhaupt kanntest. Ich bin allerdings davon überzeugt. 33 Diabelli-Variationen gegen Bachs insgesamt 32 Sätze – Aria, 30 Variationen, Aria da capo –, das kann kein Zufall sein. Und es sieht Dir so ähnlich: noch einen Satz mehr zu schreiben als der alte Bach!
Deine 31. Variation, das große Largo in c-Moll, scheint ja geradezu Bachs 25., das g-moll-Adagio, heraufzubeschwören in der extravaganten und herzzerreißend traurigen Art, wie die Melodie ausgeziert ist, ebenso wie im Zusammenstürzen des Gesangs am Ende; zutiefst ergreifend, wie alles gleichsam zu Staub zerfällt. Und dass eine Fughetta und eine Fuge unter Deinen Variationen sind, lässt jeden sowieso an Bach denken.
Auf weite Strecken kommen mir Deine Diabelli-Variationen geradezu vor wie gegen die Goldberg-Variationen angeschrieben. Bach schreibt als Thema eine wundervolle Aria, die er so zu lieben scheint, dass er sie am Ende unverändert wiederholt. Du dagegen hältst nicht viel von Diabellis Walzer, dem „Schusterfleck“, wie Du mal schriebst. Aber irgendwann muss es einen Moment gegeben haben, in dem Dir das Potential aufging, das gerade darin liegt, Variationen über ein triviales Thema zu schreiben.
Der ironische Abstand zum Walzer, dessen Zertrümmerung, wird gerade in den zuletzt komponierten Variationen immer stärker zum Ausgangspunkt Deiner Erfindung – stimmt das? Ist der Sarkasmus das, was Dich je länger desto mehr reizte, bei der Stange hielt? Dachtest Du so etwa: „Was habe ich bisher noch nicht ad absurdum geführt – ach ja, der Walzer hat ja gar keine Melodie. Also nehmen wir diese Nicht-Melodie, dass x-mal wiederholte g der Oberstimme und zeigen, wie doof das ist?“
Der Ton mag irritieren, unkonventionell, aber ansonsten: Jeder Satz interessiert mich, da redet jemand von einer Sache, die er versteht! Sofort entsteht der Drang, das hörend nachzuvollziehen, was er meint. Das ist Andreas Staier.
Staier hier im Deutschlandfunk „Lieber Ludwig, welche Rolle spielten für Dich Bachs Goldberg-Variationen?“ Der Cembalist und Pianist Andreas Staier stellt sich in seinem Brief an Beethoven die Frage, welche Rolle Bachs Goldberg-Variationen bei der Komposition von Beethovens Diabelli-Variationen gespielt haben. Hat er sich gar bestimmte Bach‘sche Variationen vorgenommen, um sie zu negieren, gegen sie zu rebellieren? Von Andreas Staier | 25.05.2020
Ludwig van Beethoven: 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli / 33 variations on a waltz by Diabelli in C major, op. 120 („Diabelli Variations“). Andreas Staier – fortepiano. With an improvised introduction by Andreas Staier. [Bis 3:20]
Die einzelnen Variationen!