Vorne sitzt Schubert, mit der linken Hand auf der Tastatur des Flügels. Oder? Was trägt er bei zum Spiel? Was geht hier überhaupt vor? Der Maler gehört zum engen Freundeskreis, es handelt sich um ein authentisches Bild, was kann es Wertvolleres geben? Manche mögen es als ein albernes Spiel abtun, – so vertrieb man sich halt die Zeit, in einer Zeit, als es noch kein Fernsehen gab. Aber nichts ist albern, nichts unwesentlich, wenn es um Schubert geht. 1997 (zum Schubert-Jahr) hat man dies Bild als Vorlage einer Briefmarke verwendet: wurde Schubert dem Volk dadurch näher gebracht. Wäre das überhaupt wichtig?
Ich habe es kennengelernt in einer Zeit, als es (von mir und den Präsentatoren) kaum wichtig genommen wurde, und zwar in einem Ausstellungskatalog, in dem es folgendermaßen beschrieben wurde:
Heute stören mich die sprachlichen Fehler: es gehörte nicht „scheinbar“, sondern wenn schon, dann „anscheinend“ zu den beliebten Unterhaltungen nicht nur der Schubertianer, sondern wohl der Schubert-Zeit. Und worin der Spaß lag, sollte wenigstens andeutungsweise zum Vorschein kommen. Warum schauen alle so ernst und sinnend?
Das Wort (S)charade führt schon etwas weiter (in den 80er Jahren hätten gewiss nur aufwändigere Recherchen geholfen). Man findet einiges bei Wikipedia hier. Zusätzliche Hinweise gibt es unter dem Stichwort Tableau vivant. Und schließlich kann man noch ein wunderbares Buch durcharbeiten, das die Universität Heidelberg ins Netz gestellt hat: LEBENDE BILDER Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit. Von Birgit Jooss (Berlin 1999), HIER.
Auch im Bildanhang des großen Schubert-Buches von Peter Gülke (Laaber 1991 – Pflichtlektüre!) ist das obige Kupelwieser-Aquarell wiedergegeben. Mit erläuternder Notiz (die allerdings unter das Bild auf der Gegenseite geraten ist), darin der Satz: „Schubert sitzt daneben, am Klavier. Diese Situation findet sich nicht nur auf dieser Darstellung.“ Ich halte das für eine Fehlsuggestion. Schubert sitzt in diesem Fall noch weniger „daneben“ als alle anderen, die z.T. ähnlich in Nachdenken erstarrt sind wie er. Vor allem der Mediziner und Philosoph Philipp Karl Hartmann, der hinter dem Flügel steht (sich aufstützend, nicht „lehnend“, wie in der Bildunterschrift erwähnt), die linke Hand in sinnender Pose über den Mund gelegt.
Das Bild bleibt ein Rätsel: auch wenn man weiß, dass es sich um die Darstellung des Sündenfalls handelt, – so dass die Deutung von Baum, Schlange, Adam und Eva sowie dem Cherub mit dem Schlangenschwert wohl zutrifft -, bleibt die Frage, ob hier ein reales Kunstwerk nachgestellt wird, aber vor allem: warum alle beteiligten Personen so ernst schauen, als ob sie nachdenken oder noch auf etwas warten. Ist Kupelwieser als Baum keine komische Figur? Niemand lächelt. Wissen die anderen, nicht direkt Beteiligten noch gar nicht, was die unbewegliche Gruppe bedeutet? Der Satz „Rechts vorne sitzend Joseph v. Spaun und unter ihm stehend Anton Freiherr v. Dobelhoff“ muss wohl korrigiert werden durch „über ihm stehend“, vor allem aber wäre interessant, was er da zu tuscheln hat, während alle andern schweigen. Oder – im Gegenteil – hat er gerade innegehalten, um ebenfalls zu überlegen, wie es weitergeht? Nein! beide Männer sind auf die Dame im rosa Kleid konzentriert, die ihnen zugewandt sitzt. Ich glaube, es ist kein Spiel, sondern eine Bildungsangelegenheit. Vielleicht stellen die scheinbar unbeteiligten Zuschauer(innen) auch etwas dar? Und die Dame und der Herr hinter der Sündenfallgruppe, was tun sie? Der Herr schaut in den Hintergrund, in die Ecke, wo der „Säulenheilige“ steht, der – mit dem Schrubber in der Hand, was soll das? Vielleicht eine Ersatz-Sichel oder -sense in der Hand des Merkur, der für die Vergänglichkeit zuständig ist? Gruppe aus dem Tartarus fällt mir ein, und Zerberus (Kerberos), der dreiköpfige Hund, der sich vorm Eingang der Unterwelt herumtreibt. Ich wage kaum darauf aufmerksam zu machen: Hinter Schuberts Stuhl sitzt ein Hund, nicht mit drei Köpfen, aber immerhin… Vermutlich war Kupelwieser ein ziemlich hintersinniger Maler. Die Geschichte ist noch lange nicht zuende…
Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens. (Moses I „Genesis“ Kapitel 3, 24)
„Gruppe aus dem Tartarus“ hören und Schillers Text lesen: HIER. Zum Cocytos hier. („Vollendung“ = ob es noch nicht vorüber sei…)
Fragen sich einander ängstlich leise,
Ob noch nicht Vollendung sei!
Ewigkeit schwingt über ihnen Kreise,
Bricht die Sense des Saturns entzwei.
Ja, wenn da nicht der letzte Akkord wäre, hätte Schubert etwas Ähnliches mit der linken Hand zur Untermalung spielen können…
(Fortsetzung folgt)