Geht nicht. Oder doch?
Hören Sie die Musik über YouTube, – kehren Sie hierher zurück und versuchen Sie synchron die Noten im Duo-Text mitzulesen: 1 Kadenztakt vorweg (fehlt im Duo), ab 2:08 Wiederholung der Exposition, also wieder zurück an den Anfang der Notenseite:
(Quelle: hier)
Die Duo-Noten stammen so nicht von Haydn, entsprechen aber (reduziert) ziemlich genau dem Ablauf des originalen Quartett-Satzes, von dem hier noch vier weitere Seiten wiedergegeben sein sollen, incl. der Doppelstrichseite, von der aus wieder der Sprung zurück an den Anfang erfolgt:
Des Rätsels Lösung (Zitat Nachwort der Duo-Edition):
Die vorliegende Sammlung ist eine Bearbeitung für zwei Violinen von Werken Joseph Haydns. Der Verfasser war ein Zeitgenosse Haydns, Näheres ist jedoch nicht bekannt.
Die Sammlung wurde zunächst bei dem Wiener Verleger Giovanni Cappi herausgegeben, kurz danach erschien sie bei Bernard Viguerie in Paris. Der Verlagszeichnisnummer Vigueries nach war dies im Jahre 1798.
Alle Sätze sind Kombinationen von verschiedenen Sätzen aus Streichquartetten, Symphonien und Klaviertrios.
(Offenburg 2004 / Mihoko Kimura)
(JR) Die Kombinationen erscheinen uns heute reichlich unbekümmert, wenn etwa der erste Satz aus einem Klaviertrio stammt, der zweite und dritte Satz aber aus der Sinfonie mit dem Paukenschlag. Andererseits ist es ein interessantes Dokument der (suggerierten) Praxis: wie nämlich die Musikliebhaber der Zeit mit den beliebten Originalen umgehen. Eine Potpourri-Technik, – wobei aber die „Ganzheit“ der ursprünglichen Sätze weitgehend gewahrt bleibt (nicht die der Werke). Erwähnenswert, dass z.B. das Rondo von Duo I eine Transposition des berühmten „all’ongarese“ aus dem Klaviertrio G-dur nach F-dur darstellt. – Ob insgesamt der Verkaufstitel im Jahre 1798 korrekt ist oder einen Raubdruck verschleiert, wage ich nicht zu entscheiden.
Natürlich gibt es großformatige Duos zwei Violinen „sui generis“ (für Violine und Cello sowieso – Kodaly! -, Violine und Bratsche sowieso – Mozart!), etwa von Spohr oder gar Ysaÿe, aber es ist nicht befriedigend, wenn man sie unterhalb eines virtuosen Niveaus zu bewältigen sucht (Intonation!). In diesem besonderen Fall ist es aber reizvoll, die Haydn-Quartett-Sätze im Ohr zu haben – also Musik in ihrer anspruchsvollsten Form -, aber nun in ihrer reduzierten Version zu realisieren, ohne dass die formalen Blöcke verkindlicht erscheinen. Man spürt: „da fehlt was“ , aber trotzdem ist es kein „best of“, keine Sammlung „schöner Stellen“, – man ahnt den „Zugzwang“ der großen Form und ist glücklich trotz des defizienten Wahrnehmungswinkels. Es ist nur eine Ohren-Übung, fühlt sich aber an wie der (musikalische) Ernst des Lebens. Mehr davon!
Ich denke mit Sympathie an die Laienmusiker:innen jener Zeit, die noch keine Kassettenrecorder und keine Handys kannte. Und mit Trauer an Kinderzimmer unserer Zeit, in denen das Handy als wichtigstes und allgegenwärtiges Spielzeug bereitliegt. Jämmerliche Ersatztätigkeit der Finger, die dazu da sind, reale Welt zu be-greifen..
Edition Offenburg als Beispiel.