Alle Menschen müssen sterben

Max Reger z.B. am 11. Mai 1916 !

Gestern traf per Post diese Neuaufnahme der Choralfantasien (Reger: „Phantasien“) für Orgel ein, höchst erfreulich, Musikproduktion Dabringhaus und Grimm. Grund genug für mich, meine Reger-Aktivitäten von vor 25 Jahren zu überdenken. Sie begannen nicht aus eigenem Antrieb, aber die Aufnahmen mit Christoph Bossert, die ich damals vorweg zu hören bekam, faszinierten mich. Und für die Firma Intercord sollte es der Start für die Produktion des gesamten Orgelwerks werden; das Unternehmen gedieh aber leider nur bis dritten oder vierten CD, dann wurde die Firma aufgelöst, und die so sorgfältig vorbereitete Edition verschwand vom Markt, den es natürlich für Orgelwerke im krass kommerziellen Sinne nicht gibt. Um so wichtiger, wenn eine neue Initiative entsteht und diese Klänge in ihrer unerhörten Gewalt wiedererweckt.

Reger DG Cover vorn Reger DG Cover hinten f

Da auch meine Texte damals in der Versenkung verschwunden sind, möchte ich sie bei diesem Anlass wieder hervorholen, vielleicht als Anreiz, die Regerschen Orgelwerke aufs neue ernstzunehmen, ebenso die romantischen Orgeln, für die sie geschrieben wurden. Ich jedenfalls brauchte die gedankliche Motivation und eine Zeit der Versenkung in diese Welt, der ich ansonsten ferngerückt war. Und der Text sollte, indem er doch zuweilen recht weit ausholte, diese Anstrengung widerspiegeln und vielleicht – so meine Hoffnung – auch Menschen musikalisch motivieren, die gerade nicht von Kirchenmusik geprägt sind.

Die neue, oben abgebildete Doppel-CD enthält selbstverständlich einen eigenen Einführungstext, der vom Organisten selbst stammt und authentische Auskunft über die Werke, die Orgeln und den Interpreten gibt. Erwähnt sei, dass er u.a. bei Christoph Bossert studiert hat.

Reger a Reger b

Reger c Reger d

Reger e Reger f

Reger g Reger h

Reger i Reger j

Reger Noten 3 Noten nach Edition Breitkopf 8490

Die äußere Form des Booklets und die sorgfältige Gestaltung war bei Intercord der Bearbeitung durch Ingrid Sonntag zu verdanken.

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Über Balász Szabó siehe hier. Bemerkenswert ist, dass die Doppel-CD der Regerschen Choral-Phantasien auch die Choral-Fantasie von Heinrich Reimann enthält, die 1896 zum Auslöser der Regerschen Kompositionswelle und in seinem op. 40 Nr. 1 gewissermaßen überboten wurde: „Wie schön leuchtet der Morgenstern“.

Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Choralmelodien war, dass die zu Grunde liegenden Choräle in Dur stehen. In allen Fantasien entwickelt sich aus einem düsteren Anfang eine krönender, heller Abschluss ähnlich wie bei Reimanns Phantasie: „Durch Nacht zum Licht“ (Volbach). Die „Projektion des Höhepunktes auf den Schluß“ kann als ein übliches Verfahren der großen symphonischen Formen des 19. Jahrhunderts klassifiziert werden. So wird die ‚Apotheose‘ in der letzten Choralzeile als Krönung der Fuge mit allen Mitteln erfüllt. Auch der Inhalt der Choraltexte unterstreicht diese Tendenz.

(Aus dem Booklet von Dr. Balász Szabó)

Selbstprüfung

Hören Sie diese (oder jede andere) Aufnahme der Regerschen Choralphantasie und versuchen Sie, die Choralmelodie zu erkennen oder gar mitzusingen, ohne die Noten zuhilfe zu nehmen. Sie ist vollständig in das ganze Klanggewebe eingelassen, und die Töne sind auch in der linearen, figurativen Verarbeitung durchaus nicht hervorgehoben. Der Organist hat sie natürlich jederzeit im Auge, Reger hat die betreffenden Stellen sogar mit dem fortlaufenden Text der Strophen versehen. Ich behaupte: Sie (oder ich), nein: niemand, der im Kirchenschiff sitzt und aufmerksam zuhört, erkennt die Melodie.

Was sagt das über die Musik oder über unsere Musikalität?

Versuchen Sie, keine regressive Antwort zu geben. Es ist eine Fangfrage. Der Sinn der Musik ist ja keinesfalls , völlig durchsichtig zu sein oder unsere detektivischen Fähigkeiten zu bestätigen…

Sie „darf“ größer sein als wir selbst.