Wie spießig ist Streichquartett?

Ich gebe zu: ein oberflächlicher Blick über den vorigen Blogeintrag weckt bei vielen (nicht nur jungen) Leuten allein wegen dieser youtube-Ansichten peinliche Aversionen, – das bürgerliche Ensemble mit 4 Streichinstrumenten ist sowas von retro!

Natürlich ein dummes Vorurteil: sobald man sich in die Musik versenkt, – sagen wir: beginnend mit Beethoven op. 59, erst viel später Mozart und Haydn dazu – spürt man: es ist so gigantisch, so himmelstürmend, so diesseitig und so jenseitig, man gehört einem Geheimbund an, der in die nächsten und fernsten Dinge dieser Welt eingeweiht ist und stufenweise zur Erleuchtung führt. Ich übertreibe nur wenig. Man kann natürlich auch mit seiner Spießer-Natur haushalten und in der restlichen Zeit Buchsbäume schneiden oder todesmutig versuchen, dem Zünsler mit Calypso-Gift den Garaus zu machen.

Ich will der Sache mal nachgehen, die ich schon in den 80er Jahren hörte: die Platte des Kronos-Quartetts war die meistverkaufte Kammermusik aller Zeiten, so hieß es vollmundig. Aber das Wort „Kammermusik“ klingt ja schon spießig genug, etwa so wie „Mittagsschlaf“ oder „Abendspaziergang“.

Aber davon später, erstmal ein Beispiel (ich habe wenig Zeit, weil ich mein Zweite-Geigenstimme Schumann für die morgige Probe verinnerlichen will), und zwar etwas ganz anderes:

Ich habe mich auch gefragt: was ist aus dem Quartett geworden, das damals am 4.12.2011 in Bloomington so überzeugend Schumanns op. 41 Nr. 1 gespielt hat, vielleicht in einem Examens-Konzert der Hochschule, und bin dem 1. Geiger Timothy Kantor nachgegangen: ich habe ihn als 2. Geiger in „The Afiara Quartet“ wiedergefunden. Hier in action:

Stichworte und Links zu weiteren ungewöhnlichen Quartett-Assoziationen, ansetzend beim Blick auf den ersten Youtube-Link oben:

Das Kronos-Quartet und – „Purple Haze“, was einfach der Titel des Stücks von Jimmy Hendrix ist, mir aber zugleich das „Turtle Island String Quartet“ in Erinnerung ruft. Ich habe die CD (1998) mehrfach in WDR-Sendungen eingesetzt:

Turtle Island Cover Turtle Island Quartet & HIER

Ich sehe da unter den Mitgliedern Benjamin von Gutzeit … erinnere mich an einen kurzen Briefwechsel mit seinem Vater Anfang der 90er Jahre über „alternatives Violinspiel“,  und entdecke einen interessanten Bericht über den Werdegang des Sohnes in der nmz online (14.2.2013): Unterwegs im Neuland: Benjamin von Gutzeit, Bratscher im Turtle Island String Quartet, im Gespräch von Theo Geißler – HIER.

Da ich in Solingen lebe und mich immer wieder über die großartige Entwicklung des hiesigen Orchesters „Bergische Symphoniker“ unter Peter Kuhn wundere (zugleich ärgere über die Ignoranz des hiesigen lokalpolitischen Journalismus und einiger Klein-Politiker im benachbarten Remscheid), berichte ich gern von dem ausgezeichneten Konzertmeister Mihalj Kekenj. Er führt ein interessantes musikalisches Doppelleben: als Solist hat er mit dem Orchester z.B. hervorragend das D-Dur-Konzert von Mozart und Tschaikowsky-Violinkonzert gespielt, – wofür ich meine Hand ins Feuer lege -, ansonsten wirkt er in seiner Freizeit als Hiphop-Musiker in der Düsseldorfer Szene und hat keine Scheu, beide Sphären zu verbinden, ohne sich dabei auf billige Mixturen einzulassen:

Für mich ist das gar nicht gegensätzlich. Ich spiele Geige seit ich sechs bin und entdeckte Hip-Hop für mich, da war ich zwölf. Beides ist zusammen in mir gewachsen. Das ist völlig natürlich für mich. (…)

Für mich fühlt sich die kammermusikalische Besetzung sogar noch richtiger an als ein großes Orchester. Das ist ganz reduziert auf das, was klassische Instrumente und Soulgesang hervorbringen.Bei meinen Projekten ist klar geworden, dass Soulsänger oder Rapper ganz natürlich mit einem klassischen Ensemble spielen können. Das ist kein Widerspruch.

Aus einem Interview mit der DW am 20.10.2013, aufzufinden HIER

(Fortsetzung folgt)