Verbotene Blicke

Lust der Augen

Ich kenne das Originalbild in vielen Kopien, in diesem Fall handelt es sich um eine Montage, die in dem ZEIT-Artikel vom 9. August mit dem Nachweis „DZ (Fotos: akg-images, plainpicture“ gekennzeichnet ist. In meiner Jugend wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Caravaggio-Bild (s. Wikipedia hier) als ungehörig oder gar obszön zu empfinden, vielleicht hätte ich mich etwas geschämt, Amors Gesicht aber doof gefunden. Inzwischen war ich durch bestimmte Hinweise in der Presse (Berliner Zeitung 2014) darauf vorbereitet, dass es etwas zu beanstanden geben könnte. Absurd. Vorgewarnt aber auch durch ein Buch (2015) von Hanno Rauterberg selbst, dem Autor des aktuellen ZEIT-Artikels:

Nicht dass ich meine jugendliche Harmlosigkeit hervorheben will; das Buch „Lust der Augen“ von Theodor Heuss habe ich 1960 komischerweise sofort doppeldeutig verstanden, wobei das Titelbild des alten Mannes in seiner Bibliothek kaum korrigierend wirkte, abgesehen davon, dass ich keinerlei Verlangen nach Lektüre entwickelte. Dabei war das frühe Interesse an den kostbaren Bildbänden im Bücherschrank meines Vaters durchaus physisch motiviert. Und prinzipiell hätte ich mich verstanden gefühlt, wenn man mir damals zugeflüstert hätte, dass dies alles mit einem legitimen Drang nach Freiheit und Befreiung zu tun habe. Auch Provokation fügte sich in diesen Themenkreis. Wo hatte ich noch Richard Dehmels Gedicht „Venus primitiva!“ entdeckt? In Rauterbergs Buch gibt es das Kapitel „Kunst als Forschung nach dem Wahren“ (das hätte mir schon damals gefallen!) und gleich danach: „Skandal als Mittel der Neubesinnung“. Darin steht folgendes:

Wie weitgehend sich die meisten westlichen Gesellschaften mit aufreizenden, den öffentlichen Streit suchenden Bildern und Kunstwerken arrangiert haben, zeigt sich immer dann drastisch, wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen auf weit weniger ausgeruhte Weise auf die gesuchte Provokation der Künstler reagieren. In mehr als zweihundert Jahren hat eine Kultur der Aufklärung gelernt, mit Spott, Blasphemie und Sarkasmus umzugehen, selbst wer sich im Einzelfall gekränkt fühlt, wird doch meistens das grundsätzliche Recht auf Meinungsfreiheit und damit auch auf Überspitzung, künstlerische Skandalisierung und Karikatur nicht infrage stellen. Insbesondere in vielen islamisch geprägten Gemeinschaften konnte sich diese Form der Liberalität kaum entwickeln, und so kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen um Bilder und ihre Wirkung. (…)

[Im weiteren geht es um das Bilderverbot im Islam und um dessen satirische Behandlung, was vor Jahren sattsam diskutiert wurde.]

In westlichen Gesellschaften treffen solche Reaktionen häufig auf Unverständnis, wobei oftmals übersehen wird, dass auch hier die Idolatrie, jene Vorstellung, dass Gott im Bild und das Bild in Gott sei, über viele Jahrhunderte das Zusammenleben bestimmt. Selbst in gänzlich profanen Sphären hielt sich lange ein allgemeiner Bilderglaube, noch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 sah eine Bestrafung in effigie vor, was hieß: War der Verurteilte entkommen oder gestorben, wurde die Strafe an seinem Bildnis vollstreckt.

Bis heute kommt keine Gesellschaft ganz ohne bestimmte Bildtabus aus. Nur sind es jetzt in der Regel keine religiösen, sondern nationale Tabus. Wer die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft, muss mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechen. Ähnliches gilt für Karikaturen, in denen der Holocaust geleugnet wird. Noch immer, so lässt sich an solchen Beispielen erkennen, hat die Normalisierung nicht dazu geführt, dass die Bilder der Kunst ohne Echo bleiben, dass sie nicht wahr und nicht ernst genommen würden. Doch ist ihre Wirkung stets sozial wie historisch bedingt und die Empfindlichkeiten wandeln sich nicht selten binnen weniger Jahrzehnte.

Quelle Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben / Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2015 / ZITAT Seite 151 f

Besonders interessant wird es, wenn Rauterberg auf die Konflikträchtigkeit tierrechtlicher Themen kommt (Tiertransporte, Massentierhaltung, Schlachttechniken u.ä.).

Das gute Leben, das die Kunst in den Augen mancher nicht mehr zu versprechen vermag, soll nun zumindest für die lebenden Objekte der Kunst eingeklagt werden.

Ich wundere mich, dass die Inszenierung der „Salome“ in Salzburg nicht in diesem Punkt angegriffen worden ist. Der Aufführungsort Felsenreitschule motivierte offenbar die Einführung des leibhaftigen Pferdes in Jochanaans Kerker. Dass der präparierte, am Boden liegende Pferdekopf dann nicht vom lebenden Tier stammt, sondern sozusagen passgenau das menschliche Haupt ersetzt, das dem Körper Jochanaans zwischen den Schultern fehlt, hat offenbar den Skandal noch neutralisiert: es handelt sich ohnehin um die Triebsphäre, der man dank der Zeitgenossenschaft Sigmund Freuds jede Freizügigkeit abverlangt oder zubilligt. Bezeichnenderweise bei gleichzeitiger Aussparung, ja, Verweigerung des Schleiertanzes, – kein Hedonismus findet statt, es sei denn – bis zum Exzess – in der finalen Musik.

 Screenshot Salome Salzburg 2018

Noch einmal sei Hanno Rauterberg zititert:

Auch in anderen Fällen, in denen sich das liberale Milieu in seinen ethischen Überzeugungen verletzt fühlt und diese Verletzung kundtut, geraten die Künstler zusehends in Begründungsnöte. In Zeiten der Normalisierung und also der allgemeinen Verständnissinnigkeit lässt sich die Grenzüberschreitung nicht durch einen lapidaren Hinweis auf die Autonomie der Kunst legitimieren. Da der Künstler keine Ausnahmegestalt mehr ist, das Museum kein Ausnahmeort, lässt sich ein Verstoß gegen die geltende Ethik nur rechtfertigen, solange die alte Verheißung der Kunst, sie agiere im Horizont der Aufklärung und Läuterung, noch Bestand hat. Doch wachsen bei vielen Betrachtern die Zweifel, ob und inwieweit dem weiterhin so sei.

Rauterberg a.a.O. Seite 153

Und nun also der Rauterberg-ZEIT-Artikel, der glücklicherweise online zu lesen ist: HIER. Im übrigen ist es offenbar ein Abschnitt seines neuen Buches : „Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus“ Suhrkamp Berlin 2018.

Siehe auch Kritik im DLF hier.