Tanbur

Zur Langhalslaute siehe zunächst HIER.

Eine faszinierende Musik, mit einer seltsamen Tonauswahl, die ich nicht zuordnen konnte; zuerst habe ich an Maqam Saba gedacht, den ich besonders liebe, oder was soll ich sagen: eine Tonfolge, die animierend, aufregend wirkt, aber auch mit einer latent bedrohlichen Schattierung. Seit ich die wunderbare neue CD Kurdistan besitze und den persischen Namen Sohrab Pournazeri auf dem Cover wiederentdeckt habe, weiß ich auch, wie ich den Maqam benennen darf. Das Youtube-Video kann man sogar mit dem Track 5 gleichzeitig laufen lassen. Ich muss mir die Töne notieren und die Ornamentik beobachten; ich habe schon die Geige genommen, die D-Saite einen Ton tiefer gestimmt, dann kann ich auf den beiden unteren Saiten (G und C) ähnliche Tonfolgen nachspielen und ein Gefühl dafür entwickeln. KHOR HALAT.

Pournazeri (bitte anklicken)

(Fortsetzung folgt, Vergangenheit! Blick zurück, aber auch auf diese neue, kostbare CD! Zur allgemeinen Orientierung sollte man vorweg einiges lesen über die Stadt – den Stadtteil? – KOBANE, auch über den Kampf der Kurden dort: Hier! )

Kurdistan CD Zum Reinhören bei jpc HIER.

Ich erinnere mich also an meine erste Begegnung, mein vorsichtig tastendes Skript, – in der Einführung auch quasi entschuldigende Worte, weil ich fürchtete, die ständig wiederholte melodische Formel könnte allzu befremdend wirken:

Kurdistan Skript Die rührenden Lied-Texte! Wer hat das übersetzt? Damals hatte mich am Ü-Wagen ein freundlicher Kurde namens Hassan Saidou angesprochen (Kameramann?) und einen Freund als fähigen Dolmetscher empfohlen: Darwich Hasso aus Bonn.

Kurdistan Skript b Kurdistan Skript c

Der Sänger Mohammed Ali Tedjo aus der Region um Aleppo war ein Vertreter des älteren (?), eher reserviert wirkenden Stils, den zweiten Teil des Konzertes bestritt Said Youssef aus Beirut, ein junger Mann, der seine Liebeslyrik mit glühender Leidenschaft vortrug (s.u.). Erstaunlich. Was für eine Zeit des Aufbruchs. Wo in der heutigen Radiolandschaft würde man noch solche Gedichte in extenso präsentiert bekommen? Und nicht einmal auf dieser so schön edierten, mit suggestiven Fotos geschmückten CD.

Kurdistan Skript e  Kurdistan Skript d

Ein merkwürdiges Phänomen habe ich in der Sendung von 1974 erwähnt: sie betraf den Sänger Moh. Ali Tedjo: „Die Tonfolge, die er singt, weicht intervallmäßig ab von der, die er auf der Laute spielt!“ Ich kann es kaum glauben, aber auch nicht bezweifeln, da ich damals schon seit 5 Jahren (seit der Rückkehr von der ersten Orient-Tournee 1967) auf modale Skalen fixiert war. Auch im Fall dieser neuen CD führt meine Faszination zu allererst dahin, die Melodien mithilfe ihres „Tonvorrates“ zu differenzieren und zu memorieren. Es ist zum Lachen: oft ist es gar nicht leicht, allein den Grundton im Blick zu halten, obwohl er fortwährend gegenwärtig ist; aber die Beleuchtung verändert sich. Ich beginne also mit dem Track 5, verwende skizzenhaft Notenschrift, sie dient nur der eigenen Rückerinnerung, nicht einer echten Objektivierung – aber man lasse sich nicht abschrecken: es gibt Sekundenangaben, die erlauben, die Töne mit bloßem Ohr „abzutasten“. Erst anschließend werde ich mich mit dem beschäftigen, was der Booklet-Text zu den Melodien sagt. Wohlgemerkt: auch wenn unser Vorgehen jetzt anders aussieht: die Musik ist hinreißend, keine tönende Wissenschaft!!!

Kurdisch aaKurdisch bb

Nein, diese (inzwischen etwas erweiterte) Skizze hat wirklich keinen wissenschaftlichen Wert, aber ich könnte mit ihr in der Hand während des Zuhörens ein paar Hinweise geben. Um es gleich zu sagen: was mich frappiert und zur Unterbrechung genötigt hat, ist die Entdeckung, dass sich zumindest in der Notation ein enharmonischer Wechsel ergibt (Zeile 11, dann Zeile 12 am Ende und Übergang Zeile 13 zu 14), von dem ich (noch) nicht sagen kann, ob er auch beim Erklingen wirklich von Bedeutung ist oder ob er sich zwanglos als „ges-moll“ statt wir hier als „fis-moll“ hören ließe. Kurz: ist hier einfach eine zweite Melodie eingefügt, mit Grundton Fis, oder handelt es sich um eine organische „Ausbuchtung“ der Melodie, die von Anfang an herrschte und auf den Grundton D bezogen war?

Nach der Beendigung der Skizze scheint mir klar, dass es sich nicht um zwei verschiedene Melodien handelt, die „künstlich“ kombiniert wurden, sondern um zwei Aspekte desselben Modus. Ich rechne damit, dass ich die gleiche (oder eine ähnliche) „Ausweitung der Kampfzone“ in dem Tanbur-Solo (s.o.) finden kann, obwohl es nur ein Drittel der Länge hat. Wenn dies nachweisbar ist, halte ich für sicher, dass dies die zwei Aspekte des Maqams sind, und vermute, dass diese Charakteristik mit dem Thema „Sonnenaufgang“ zu tun hat (ähnlich wie – vgl. Dhruba Ghosh Einführung hier – die indischen Ragas Ramkali und Marwa mit Sonnenaufgang bzw. -untergang).

Ich glaube, ich habe richtig vermutet: die „Schaltstelle“ befindet sich im Tanbur-Solo genau bei 3:40, wo der neue Aspekt des Maqams eingeführt wir („fis-moll“), mit regelmäßiger Rückkehr zum eigentlichen Grundton z.B. bei 4:13, 4:20, 4:34, 4:45. Ab 4:50 auffällige Bevorzugung des Tones unter dem Grundton samt seiner Unterterz, erst ab 5:06 demonstrative Rückkehr bis ins völlige Pianissimo = im Grundton verlöschend.

Aber um die tonalen Schattierungen wirklich im Detail zu beschreiben, brauchte ich ein Abspielgerät, das die Geschwindigkeit halbiert, so dass die Verhältnisse auch im schnellsten Tremolo mikroskopisch genau zu erkennen wären.

Ich würde mir die Tonfolgen so merken: D – Es – F – Ges. Also wie in Saba, aber ohne dass das erwartete A als übermäßige Sekunde folgt; es folgt stattdessen ein As als Nachbarton: Unklar bleibt mir im Moment, ob der Ton Es einen Viertelton höher intoniert wird. Unterhalb des Grundtons D (der übrigens nur als D geschrieben wird, klingend ist es ein C !! Ich schreibe es nur als D, weil andere Maqamat wie Bayati oder Saba eben üblicherweise auch auf D (Dugah) notiert werden) – also: unterhalb des Grundtons D haben wir immer ein A (ich glaube als leere Saite) plus ein H als Durchgang zum C.

Alles relativ leicht zu hören, aber schwer zu beschreiben. Mit der Geige in der Hand (tiefer gestimmte D-Saite, damit man ein reales C als „leere“ Saite hat). Ich schreibe das hier in dieser Form nur für mich selbst, – sonst wäre ich nichts als ein schlechter Pädagoge… Meine Notation ist völlig unbefriedigend, ich lasse sie trotzdem folgen, mit der Bitte um Nachsicht; für eine musikethnologische Arbeit müsste ich noch ein paar Tage allein in die Notation investieren. Und dann käme noch das Hauptproblem: nämlich einen „Muttersprachler“ dieser Musik zu befragen, ob ich wenigstens einen Schatten des wahren Maqams erkannt habe, also vielleicht zumindest die Nahtstellen.

Wenn ja, könnte ich auch in Zukunft Maqam Khor Halat sicher erkennen, wenn er in einem kurdischen Bühnenprogramm vorkäme.

Tanbur Solo Skizze

Und hier folgt dann noch ein Blick auf Maqam Saba, wie er bei Rodolphe d’Erlanger im Buche steht, damit ich ihn nicht ohne Sinn und Verstand einbezogen habe. Ich weiß natürlich, dass ich Herrn Sohrab Pournazeri mit persischen Kategorien näherkäme als mit arabischen, aber ich kann mit beiden nicht über meinen eigenen Schatten springen (vgl. den abwegigen Terminus „fis-moll“).

Saba d'Erlanger