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Hat Sokrates Flöte gespielt?

Ein Kultur-Feature in WDR3 am 24.12.22

Der Zufall hat es mir in die Hände gespielt, in die Ohren gespült, im Auto, und es hat mich in den ersten 5 Minuten interessiert, dann irritiert, – als es um Sokrates ging – , dann mit der Aussage eines obskuren Philosophen genervt, der meint, seit Adorno sei nichts Relevantes mehr in der Musikästhetik passiert usw. usw. – Musik, Musik, Musik, – zuhaus habe ich mich vergewissert, ob all dies, dieser tönende Flickenteppich – ausgebreitet sei im Namen des Musikwissenschaftlers Vladimir Jankélévich? Angeblich geht es nur ums Hören! Paradox: Hinter dieser Sendung kann kein Musiker stecken. Mit solchen Schnipseln der Überwältigung zeigt man nicht, was HÖREN ist.

Aber ich will heute nur wissen, was hier eigentlich warum von Sokrates behauptet wird.

ZITAT (Transkription JR):

2:00 (hohe Flötentöne) Sokrates hat sich bis in seinen letzten Tagen mit der Meinung beruhigt, Philosophie sei die höchste Musik. Im Gefängnis kam ihm öfter ein Traum: eine Stimme forderte ihn auf „Sokrates, treibe Musik!“ Erst im Gefängnis und im Angesicht des Todes macht er, um sein Gewissen zu entlasten, Musik. Er spielt Flöte. Nicht zufällig wählt der Proto-Philosoph das Instrument, das man in der Antike dem Gott des Rausches zugeschrieben hat: Dionysos. Warum hat er so lang gezögert, gemeine Musik zu machen? Beginnt mit Sokrates der Philosophen-Aberglaube, den viele Philosophen bis heute teilen, dass alle Musik Sirenenmusik sei? Hatte der geniale Dialektiker Wachs in den Ohren? Was wollte er nicht hören? Die Musik des Lebens? Schreckte er vor dem zurück, was in der Musik aufklingt und was Philosophie nicht benennen konnte?

“Die Musik ist in der Philosophie allgemein ein Waisenkind. Ich würde mal sagen, dass in Deutschland doch wohl Adorno der letzte gewesen ist, der irgendwas dazu gesagt hat, und seitdem sind ja auch schon 50 Jahre vergangen, wenn nicht noch mehr. Insofern denk ich schon, dass die Philosophie der Musik etwas ist, was irgendwie am Boden liegt.“ Peter Trafen (?), Philosoph (?)

Vielleicht hat Sokrates am Ende seines Lebens gespürt, dass er zuviel dem einen Gott geopfert hat: Apollon, dem Gott der Form. Er war ein wenig zu vernünftig und versuchte das Missverhältnis am Ende seines Lebens zu korrigieren. Stärker als der Gedanke berührt die Seele am tiefsten die Musik. Das ahnte er. Wir hören einfach. – (4:46)

Konstantin Heidrich (Fauré-Quartett) – Erika Geldsetzer (es geht in Richtung Zen).

Über Vladimir Jankélévich: „Er spricht aus einem Bedürfnis nach Stille.“ Um ihn geht es mir nicht. Aber mein Vertrauen schwindet natürlich, wenn andere Details fragwürdig sind.

Mir scheint: Es beginnt mit lauter Mutmaßungen… Worauf beruft sich der Autor? Wo steht das, was er von Sokrates und der Flöte behauptet? Nicht bei Plato. Dann käme noch Xenophon in Frage. Aber ganz schnell fündig wird man in esoterischen Quellen:

Quelle hier

Ich erinnere mich an das Thema Sokrates hier im Blog, mit einem Foto aus der Pizzeria, ja, sowas gehört ins tägliche Leben, und dieser große Mann ist ja berühmt dafür, dass er überall Stoff zum Philosophieren findet. Ich bin vielleicht nicht einmal Philosoph, aber privat doch schon etwas weiter als 1955, ich besitze neuerdings sogar den Pizzeria-Griechenkopf in echt, ein Erbstück (siehe unten), er ist ja auch nicht einfach anonym berühmt, wie Sokrates, denn der Name ist erkennbar, in griechischen Buchstaben: Apollon. Nicht der schöne Alkibiades, der mir in den Sinn kam. Natürlich! Niemand anders als Apoll! Jetzt endlich habe ich ihn glasklar identifiziert. Und zwar in dem Augenblick, als er für mich mit einem Wikipedia-Link verifizierbar war.

Apollo von Belvedere bei mir und hier

Das mag nun weiterführen, obwohl nur im Alltag aufgelesen, damals in der Pizzeria Piccolo Sud in Haan sowie heute auf meinem Schreibtisch. Ich lese also dank der neuen Fragestellung in meinem ältesten Philosophie-Büchlein gründlicher nach (es gibt alle bekannten Plato-Dialoge natürlich auch online):

Da haben wir im Phaidon die Mahnung „Sokrates, treibe Musik!“, wenn auch in etwas umständlicheren Worten: „Sokrates, du sollst im Dienst der Musen wirken und dies sei dein Beruf.“ Sokrates begann also zu dichten, und zwar einen Hymnus für genau den Gott, den wir hier sehen: Apollo. Nicht aus dionysischen Gründen! Und da ihm die Gabe der (poetischen) Erfindung nicht gegeben sei, wie er sagt, – wendet er sich danach den Fabeln des Äsop zu, sofern sie ihm zur Hand und im Gedächtnis sind, er bringt sie in Vers und Ton. Was wollen wir mehr an Information? Nichts da von Dionysos…

Vielleicht muss man nur genauer lesen?

Ja, wo bleibt eigentlich die Flöte? Ist es denn möglich, dass ein Kultur-Feature unserer Zeit genau damit anhebt, – ohne jeden Sinn und Verstand, nur um dem Thema Musik eine archaisch-philosophische Basis  zu geben? Und irgendwie in dionysischer Richtung. Flüchtig in Nietzsches „Geburt der Tragödie“ reingeschaut?

Suchen wir lieber bei Plato weiter: im Gastmahl vielleicht? Da ist tatsächlich von einer Flöte die Rede. Alkibiades bringt sie ins Gespräch und – wenn man oberfächlich liest – zugleich das Phänomen des Dionysischen.

Der schöne Alkibiades hält also seinem Freund und Mentor Sokrates eine Lobrede (wobei man ihm zugute halten sollte, dass er betrunken ist): und da wird Sokrates einerseits als hässlicher Waldschrat, zugleich jedoch als attraktiver Flötenspieler beschrieben, – wohlgemerkt: im Gleichnis, weil er nämlich genau das, was „ein guter Flötenbläser spielt oder eine armselige Flötenspielerin“ – weil er genau dasselbe „ohne Instrumente mit bloßen Worten“ bewirkt!

Ein Marsyas der philosophischen Rede also, dergestalt, dass man ihm nicht standhalten kann. „So hielt ich mir die Ohren zu, riß mich gewaltsam wie von den Sirenen los, damit ich nicht hier zu seinen Füßen alt und grau werde.“

Und voraus ging eben ein rein äußerlicher Vergleich mit diesem Satyr Marsyas, der dank einer Fehlübersetzung bis heute gern wegen seines dionysischen Flötenspiels zitiert wird, und man begreift nicht, weshalb ihn Apoll dafür so furchtbar bestrafen ließ, zu widerwärtig, selbst aus der Sicht eines unbeirrbaren Freundes der Saiteninstrumente. Man informiere sich ein wenig darüber im eben gegebenen Wikipedia-Link, wobei auch darin vom „Flötenspiel“ die Rede ist, spezifizierter von der „phrygischen Flöte“. Anders im Artikel über den Marsyas-Schüler Olympos, wo korrekter das Wort „Doppel-Oboe“ gebraucht wird.

Das griechische Wort Aulos bezeichnet heute so wenig wie damals eine Flöte, sondern eben einen „Aulos“, ein Rohrblatt-Instrument, das so scharf klingen kann wie eine türkische Zurna beim Volksfest.

Zu dem recht taktlosen Versuch, Sokrates mit einem Silen zu vergleichen, – siehe bei Wikipedia hier (unter dem Stichwort „Darstellung“) -, kann man nur wiederholen: Alkibiades war betrunken.

Zur Korrektur der durch Fehlübersetzung entstandenen Auffassung, dass der Aulos eine Art Flöte oder gar eine  Blockflöte (flauto dolce!!!) sei, orientiere man sich in modernen musikethnologischen Werken, auch z.B. im Lexikon der Holzblasinstrumente (Laaber Verlag 2018). Oder etwa hier (Wikipedia) und natürlich hier:

Der Mythos stirbt nicht: Und auch dieser Faun, der das Doppelinstrument voll in den Mund schiebt, ist natürlich keine authentische Figur aus der griechischen „Auloszeit“, sondern eine Phantasiegestalt des 19. Jahrhunderts, an dessen Ende das berühmte „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy steht. Wer sich daran erinnert, hat sofort Thema der Flöte im Ohr, vielleicht sogar ein Wort von Pierre Boulez:  „Mit der Flöte des Faunes hat die Musik neuen Atem zu schöpfen begonnen […], man kann sagen, dass die moderne Musik mit L’Après-midi d’un Faune beginnt.“ (Siehe auch hier). Bravo!

Kleine Quellenkunde

„Anabasis“ bei a) Xenophon und bei b) Saint-John Perse

a) ist mir seit der Schulzeit (Obersekunda?) bekannt. Wir haben die „Anabasis“ von Xenophon gelesen und behandelt. Was mir als erstes dazu einfällt, ist die 100fach wiederkehrende stereotype Formel, die wir zuweilen parodierten:

Ἐντεῦϑεν ἐξελαύνει σταϑμοὺς δύο Von dort zog er – oder zogen sie – weiter in soundsoviel Stathmen bis zum Gehtnichtmehr, kamen jedoch letztlich ans Mittelmeer und riefen in höchster Freude: „Trallala! Trallala!“

Für uns gehörte es zu den trockensten Geschichtstexten, die uns je begegneten. Hat man uns nichts Wesentliches dazu vermittelt? Es hieß nur, für unsere Griechisch-Kenntnis sei es die Vorstufe zu Plato, und auch Homer sollte noch folgen, dann auch ein Querschnitt herrlichster griechischer Lyrik. Uns schwante nichts Gutes. Heute rekapituliere ich mit Andacht Xenophons Original-Text und die Übersetzung, beides ist HIER zu finden. Wie kam ich jetzt drauf? Eins meiner liebsten Bücher, ein Brevier, das ich allabendlich vor dem Einschlafen lese (aber erst seit ich begann, es zu verstehen, was mir zuerst nicht leicht gefallen ist). Ich benenne es an dieser Stelle nicht, um die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser keinesfalls abzulenken von dem Stoff, den ich aus ganz selbstbezogenen Gründen gründlicher rezipieren möchte, als ich es mir je in meiner Schulzeit hätte träumen lassen. Einem großen Franzosen zuliebe. (Aber nicht dem, den ich oben schon genannt habe und gleich noch einmal nenne: der ist gewissermaßen Beifang wie eben auch schon dieser alte Xenophon, den ich in die Halbvergessenheit abgedrängt hatte.)

b) Wer also ist Saint-John Perse? Schnell nachgelesen bei Wikipedia hier , und ich sehe dort, dass ich ihn schon ganz früh in meiner kleinen Bibel von ehedem hätte entdecken müssen, „Struktur der Modernen Lyrik“ von Hugo Friedrich. In der Wiki-Werk-Auswahl an zweiter Stelle steht Anabase (1924), dazu als Übersetzer: Walter Benjamin. Wie konnte mir alldies in meiner „Adorno-Zeit“ nach 1960 entgehen? Weil es noch kein Internet, kein Wikipedia gab, das heute die schnellsten Kurzausflüge der menschlichen Geistesgeschichte erlaubt… Ich lese parallel im Wasserbuch von Leonardo, dem – so steht es da! – omo senza lettere. Er „besaß immerhin fast zweihundert Bücher. In der stattlichen Bibliothek des Autodiakten gab es auffallend viel Wörterbücher und Grammatiken des Italienischen und auch des Lateinischen. Er versuchte sogar eine Zeit lang, Lateinische zu lernen und aus Ovids Metamorphosen zu übersetzen, aber das hatte keinen Einfluss auf seine eigene Prosa, der gewiss keine lateinische Satzstruktur anzumerken ist, und der Zauber seiner Prosa kommt gerade vom Fehlen einer wissenschaftlichen Terminologie. Leonardo beschreibt genau und anschaulich, aber mit Ausdrücken und im Duktus der Sprache seiner Kindheit, des gesprochenen Toskanisch, mit Anklängen an die Verse Dantes und Petrarcas, mit Stilgewohnheiten der toskanischen Schwank- und Fazetiendichter“ etc.etc. (siehe Wasserbuch a.a.O. Einleitung von Marianne Schneider Seite 9).

In medias res:

Caroline Sauter hat eine Rezension der Benjaminschen Übersetzung von Saint-John Perses „Anabase“ geschrieben und beginnt folgendermaßen:

Saint-John Perses Anabase ist ein einziger langer Satz, der kaum Zeit lässt, Atem zu schöpfen, der keine Zäsur zulässt; ein Strom aus Worten, der sich über die Seiten ergießt. Ein Kritiker bezeichnet das Werk zurecht als „poème en marche“, und in der Tat erinnert Perses Anabase an Xenophons Anabasis, an den darin beschriebenen langen, entbehrungsreichen „Marsch der Zehntausend“. Allerdings besteht diese Ähnlichkeit weniger auf einer inhaltlichen als vielmehr auf einer sprachlich-stilistischen Ebene: Anabase ist ein ununterbrochener Zug von tausenden Sprach-Bildern, die nur aufscheinen, um direkt wieder zu verblassen, das epische Gedicht ist permanent im Aufbruch, ständig in Bewegung. Sprachlich häufen sich im Text Verlaufsformen von Bewegungsverben, der lyrische Kosmos ist „en voyage“, „en marche“…

Doch es ist ein Aufbrechen ohne Ankommen. „The poem is a series of images of migration”, schreibt T.S. Eliot im Vorwort zu seiner Anabasis-Übersetzung. Tatsächlich stellt der Text Migration und Exil als Erfahrung der Menschheit überhaupt dar, und zwar schlicht deshalb, weil der Mensch mit Sprache umgeht, um seine Welt zu verstehen, zu erklären und zu beschreiben. Saint-John Perses Gedicht zelebriert die Erfahrung sprachlicher Fremdheit angesichts einer wirren Welt („… que ce monde est insane!“). Der Erzähler (er ist ein Fremder: „l’Étranger“) befindet sich als Abenteurer in dieser Welt, die seine eigene ist; er dringt als Pionier ins Unbetretene vor, er wird zum Eroberer, der alles Bisherige zerstört und daraus Neues schafft.

Weiter an der Quelle bei Caroline Sauter HIER.

Interessant, dass ich nun, am Ende der Rezension von Caroline Sauter, genau auf den Textausschnitt  aus „Anabase“ gestoßen bin, der mich hierhergeführt hat. Und zwar in der Übersetzung von Walter Benjamin, der aber nicht genannt wird: in dem Buch, das ich auch noch nicht genannt habe, – von ALAIN BADIOU: „Versuch, die Jugend zu verderben“ (Suhrkamp) Seite 53 f. An Ort und Stelle sieht es folgendermaßen aus, –  ich war bei der ersten Lektüre weit davon entfernt, die Zeilen des Saint-John Perse zu verstehen. Vor allem das Wort Mazzoth, das bei Perse nicht vorkommt, gab mir Rätsel auf.

Perse Badiou Benjamin a Perse Badiou Benjamin b

Inzwischen habe ich mir eine Screenshot-Kopie des französischen Original-Werkes mit der Übersetzung von T.S. Eliot angelegt und zitiere aus dessen Vorwort ein paar Sätze über die Beziehung zu Xenophon (nur weil mich der gegebene Anlass gerade interessiert):

Eliot Vorrede Anabase a Eliot Vorrede Anabase b

Es ist also eigentlich nicht „nötig“, Xenophon für Saint-John Perse zu studieren, ebensowenig wie diesen dem oben genannten bzw. verschwiegenen „geliebten Franzosen“ zuliebe, jedoch – soviel Zeit muss sein, wenn es darum geht, den Zusammenhang mit der eigenen Jugend (Xenophon, Hugo Friedrich), das Netz der Erinnerungen fortzuspinnen, das hier und da halbfertig im Winde flatterte.

Hier ist das Lied, das Saint-John Perse ganz ans Ende seines Werkes ANABASE (1924) gesetzt hat (nebst Übersetzung von T.S. Eliot; der Titel dieser englischen Ausgabe von 1930 lautet ANABASIS). Man kann es zugleich hören, gesprochen von Jean Vilar.

ANABASE 74-75 Rezitation auf youtube (Jean Vilar) HIER

Die folgende Übersicht, die Eliot, wie er schreibt, von Lucien Fabre übernommen hat, ist hilfreich, wenn man sich in das ganze Werk hineinarbeiten will:

ANABASE 10-11 Eliot Übersicht 10 Teile

Structure du recueil (nach der frz. Wikipédia hier)

  • Chanson
    • « Il naissait un poulain… »
  • Anabase
    • I. « Sur trois grandes saisons… »
    • II. « Aux pays fréquentés… »
    • III. « À la moisson des orges… »
    • IV. « C’est là le train du monde… »
    • V. « Pou mon âme mêlée… »
    • VI. « Tout-puissants… »
    • VII. « Nous n’habiterons pas toujours… »
    • VIII. « Lois sur la vente des juments… »
    • IX. « Depuis un si long temps… »
    • X. « Fais choix d’un grand chapeau… »
  • Chanson
    • « Mon cheval arrêté… »

Bei Hugo Friedrich habe ich mir damals den folgenden Passus auf Seite 148 dick angestrichen:

1929 schreibt HOFMANNSTHAL einige Seiten als Vorrede zu Anabase. Darin nennt er MALLARMÉ, VALÉRY und SAINT-JOHN PERSE „kreative Individuen, die sich in die Sprache selbst werfen“, worauf die vorzügliche Bemerkung folgt: „Dies war die lateinische Annäherung an das Unbewußte; sie geschieht nicht im halbträumerischen Sich-Verschwelgen des germanischen Geistes, sondern durch ein Durcheinanderschütteln der Objekte, ein Brechen der Ordnungen“, in einer „dunklen und gewaltsamen Selbstbezauberung durch die Magie der Worte und der Rhythmen“.

Auf den Seiten 162 bis 167 befinden sich Auszüge aus Saint-John Perses Werk Exil (1942) (mit deutscher Übersetzung).

Bewundernswert das Verhalten des Dichters, der als Politiker (!) Alexis Leger hieß, – im „wirklichen“ Leben der Politik, aus der er 1940 verbannt wurde. (Exil in den USA). Auf dem folgenden Foto sieht man ihn noch unter den Verhandlungsteilnehmern des Münchner Abkommens 1938: im Hintergrund, rechts hinter Mussolini.

Bundesarchiv_Bild_183-R69173,_Münchener_Abkommen,_Staatschefs Quelle des Fotos HIER

Erinnerung an Sokrates

sz-sokrates

Die Wochenendausgabe der Süddeutschen

gibt unversehens Anlass, eine Stunde dem Sokrates zu widmen, ausgehend von seiner Todesstunde, ist das etwa zu viel verlangt? Aber es hört nicht auf und erinnert an den ersten bescheidenen Anfang mit der Philosophie. Ich glaube, begonnen hat es auf Langeoog, angeregt durch ältere Mitschüler: sie lasen sorgfältig, markierten Zusammenhänge und schrieben an den Rand des gelesenen Textes Stichworte zur Gliederung. Das hatte ich noch nie gesehen. Sie lasen „Einstein Mein Weltbild“, und mein Exemplar sah bald ähnlich aus:

einstein-weltbild

Es war die Stunde und das Jahr der Taschenbücher, Einsteins Weltbild, das ging aufs Ganze, nichts war mir groß genug. Julian Huxleys „Entfaltung des Lebens“ war ein Schlüsselbuch 1955, ein Älterer (Langeoog!) nannte mir dazu noch den Namen und das Hauptwerk des Bruders Aldous, für mich ein Ritterschlag, ich vermerkte später die erneute Besitznahme im Jahre 1962… (Fischer „Bücher des Wissens“ gab es seit 1952, rde seit September 1955. Sehr wichtig weil erschwinglich! 1,20 oder 1,90 DM?)

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Die nächste Stufe: Sokrates im Gespräch („Vorschule“ auf Langeoog)sokrates-im-gespraech . . . . sokrates-autogr . . . .

Besitzer 1955 (Besetzer 1981) Beide genau 15 Jahre alt!

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Im März 1957 war endlich auch die Schule bei Plato (Sokrates) angelangt:

schule-sokrates-text

Ließ die Begeisterung nach? ich fürchte: ja. Jetzt wäre wieder der rechte Augenblick!

schule-sokrates-datum  Fernziel Re-Lektüre bis März 2017 ?

Fortsetzung folgt oder – Enkelgeneration: wäre diese Art Zugang heute noch denkbar?

Übrigens: das Bild, das mich heute aktivierte (ganz oben), kannte ich damals nicht. In unserm „Bilderbuch“ gab es nur „Die Ermordung des Marat“. Heute kann man ALLES kennen. Siehe HIER. (Tut mans? Will mans?) Es heißt also „Der Tod des Marat“, und es gibt nicht nur das Bild von Jacques-Louis David. Siehe HIER. (Vor allem ganz unten!)

Die (durchaus nachvollziehbare) Bild- und Bildungsverdrossenheit könnte ein Thema sein. Sie ist vielleicht viel brisanter als die vielbeklagte Politikverdrossenheit.

Es war damals leicht, weil klar war, dass man sich darum bemühen muss. Und wo es keinen Sinn hat. Heute ist es leicht, darum schiebt man die eigentliche Mühe auf. Sokrates ist zum Greifen nah, z.B. HIER. Oder sein berühmtester Satz HIER. (Interessant u.a. wegen Popper, dem „Stückwerk-Ingenieur“. Ein gutes Wort. Kann ich mir aneignen.) Neben Platons „erinnernden“ Dialogen (HIER ! Übersetzung und Originaltexte!) sind auch die des Xenophon leicht erreichbar, in Wielands Übersetzung HIER.

Interessantes Nebenergebnis ein ganz anderer Satz:

Muße beschreibt also einen Zustand, in dem Menschen sich wirklich auf etwas einlassen können. Dabei ist es egal, ob es die Gartenarbeit ist, ein interessantes Buch oder eine kreative Tätigkeit. Wichtig ist, dass niemand ein Ergebnis erwartet. Diese Ziel- und Ergebnislosigkeit erlaubt es, ohne Druck und Erwartung Neues auszuprobieren. (Figal)

Die Jugendlichen heute haben den leichten Zugang und versäumen ihn, indem sie lieber spielen und „daddeln“, vermeintlich vorläufig.

Natürlich ist Sokrates nur ein Beispiel. Ich hatte damals auch einmal zwei Bände Kant (Dünndruck, Bielefelder Stadtbücherei) mit auf Langeoog, auch ein größeres Sekundärwerk über ihn, nicht recht verstanden, – wieviel leichter wäre es heute, zunächst einen einfacher gefassten Überblick zu finden, – worum es eigentlich geht, wozu diese Abstraktionen, weshalb die Anstrengung des Gedankens in dieser Form nötig ist. Im täglichen Leben kann man doch offenbar wenig damit anfangen.

Und damit sind wir schon fast beim sogenannten gesunden Menschenverstand. Niemand kann sagen, ob das folgende Buch mir gehört, denn ich war es sicher nicht, der seinen Namen hineingeschrieben hat. Denn warum sollte ich damals meine Schrift verstellt haben, andererseits: warum sollte ein anderer meinen Namen verwendet haben? Vielleicht, um sich vor Aneignung des Büchleins zu schützen? Ich habe einen Verdacht. Das Problem ist nur: es bedeutet nichts, mal mache ich Spaß, mal meine ich es nicht ernst. Aber was wann?

Zum Glück bin ich nicht Sokrates. Und denke dabei nicht nur an den Schierlingsbecher.

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In Haan, beim Italiener Piccolo Sud, habe ich (mit Kindern und Enkeln) auch immer mehrere Epochen und Stilebenen im Blick:

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