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Mozart-Motivation

Was bringt mir ein „monochromes“ Quartettkonzert?

Zum Schein will ich mich motivieren und – damit irgendetwas zustandekommt – versuche ich es mit einer Provokation. Drei Mozart-Quartette an einem Konzertabend, – was kann das für den „Klassikfreund“ bedeuten? Das Wort bleibt mir fast in der Tastatur stecken – „Klassikfreund“ -, ja, im Geiste höre ich Mozart gellend hohnlachen, er kann nicht wissen, wie sehr er aus der Sicht der Spießer „in pures Glück“ verpackt ist, in weißes wolkiges Verpackungsmaterial, wirklich, in der realen „Epiphanie“ (jaja, große Worte sind nicht knapp) läuft alles wie erwartet, ich kenne fast jeden Ton, aber wenn mich jemand fragt, ob ich ihn zum Leben brauche, auch wenn die Zeit knapp wird, und überwältigende Erlebnisse rar: Gerate ich nicht in Verlegenheit? Ich will einfach den Punkt bestimmen, an dem mir jedes Mal klar wird, dass es sich um einen „Geniestreich“ handelt, der nicht im geringsten verwechselt werden könnte mit einer Sache „im Stil der Zeit“, sagen wir, von Gyrowetz oder Paisiello oder wem auch immer. Dringlichkeit wäre ein Wort. Notwendigkeit. Also: wo ist der Punkt der blitzartigen Erkenntnis: das ist es, das wird für immer bleiben, niemals werde ich dagegen abstumpfen. Oder zulassen, dass jemand über diese alten Hüte spottet. „Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot, auf, bade, Schüler, unverdrossen, die irdsche Brust im Morgenrot!“ Zuerst werde ich die Titel aufschreiben, dann die Noten anschauen, dann innerhalb der ersten drei Seiten jeweils den Punkt suchen, benennen, begründen, Youtube-Aufnahmen suchen, egal wie gut gespielt, kompositorische Qualität muss sich dingfest machen lassen. Ich bin im Wort. Hier! So steht es da:

Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett B-Dur KV 458 (1784)
„3. Haydn-Quartett“, „Jagd-Quartett“

Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett A-Dur KV 464 (1785)
„5. Haydn-Quartett“

Pause

Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett C-Dur KV 465 (1785)
„6. Haydn-Quartett“, „Dissonanzen-Quartett“

Pause gegen 21:05 | Ende gegen 22:10

Und nun? Ich habe noch 14 Tage Zeit…

Ich wähle das mittlere dieser Quartette, also A-dur KV 464, zumal ich es weniger genau kenne als die anderen, die ich oft gespielt habe, und weil dieses gerade in einer Interpretation derselben Interpreten greifbar ist, die ich live erleben werde, mit dem Hagen Quartett HIER. (Sind sie wirklich dieselben? Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1998!)

Als erstes könnte ich missmutig anmerken, dass mir das Hauptthema nicht gerade bedeutend vorkommt: da ist die typische Zwei-Hälften-Gliederung, zunächst die Öffnung zu Takt 4 (Tonika zu Dominantseptakkord), dann die Schließung zu Takt 8 (Dominantseptakkord zu Tonika). Danach zwei starke Gesten im Unisono und eine sanfte, langgezogene Antwort, die dem Anfang des Stücks entlehnt ist. Weltbewegend ist das nicht, aber auch nicht langweilig. Jetzt müsste etwas kommen … und in der Tat: ein Umschlag nach Moll, das Hauptthema in kontrapunktischer Fortspinnung, Takt 17f in der zweiten Geige von E aus absteigend, Takt 19f in der Bratsche von F aus absteigend, in Takt 21f im Cello vom F aus, in Takt 23f in der ersten von G aus absteigend, alles im Forte; wenn wir in Takt 25 in C-dur ankommen – plötzliches Piano, eine wirklich neue Themengestalt, wiegender Charakter, eigene Begleitung, im Bass allerdings auf dem Ton C beharrend, crescendo und in den Ton H plus H-dur-Akkord mündend, der sich als Dominante von E-dur entpuppt. Pause. Dieses E-dur ist die Tonart des zweiten Themas ab Takt 37, an sich nicht ungewöhnlich, trotzdem bemerkt man spätestens hier, dass sich bereits ziemlich viel ereignet hat, wenn man es Takt für Takt anschaut. Diese Partiturseite verdanke ich der wunderbaren Einrichtung der Petrucci-Veröffentlichung alter Notendrucke, die man allerdings mit Hilfe der Neuen Mozartausgabe auf korrektere Lesarten abgleichen sollte. Youtube ab 1:30 bis 2:09.

Mozart 464 erste Seite

Wo ist für mich der archimedische Punkt? An der Stelle, wo klar ist, dies kann nur Mozart sein und niemand anders? Es beginnt mit der frühen Wendung nach Moll (Takt 17 mit Auftakt) und wird vollends klar mit der zarten thematischen Gestalt in C-dur, der „Überleitung“ ab Takt 24. Es wäre nicht nötig gewesen, es ist Andeutung von Überfluss, Reichtum, Glanz eines Augenblickes.

Dieser Eindruck verstärkt sich nach dem zweiten Thema (Takt 37f); es kommen soviel neue Elemente (Triolen, die außerhalb des zweiten Themas keine Rolle mehr spielen, sequenzartiger Aufstieg und Abstieg, dann vor allem die erneute Bearbeitung des ersten Themas, die Wiederkehr des Motivs aus Takt 9 drei Takte vor dem Doppelstrich, ergänzt durch eine Abschiedswendung), es ist genug, um mit Neugier die Wiederholung zu erwarten. Das zweite Thema bringt den Mozartkenner ohnehin ins Grübeln:

Mozart Jupiter 2. Thzma Zweites Thema „Jupiter“ KV 551

Mozart g-moll Zweites Th Zweites Thema G-moll KV 550

Es verweist den Hörer auch auf den Anfang des Quartettsatzes mit den Tönen E Dis D Cis, und beides kommt ihm bei Beginn des letzten Satzes wieder in den Sinn, bildet auch den letzten Hauch des Quartettes:

Mozart Quartett Finalthema

Nicht nur die Vielfalt der Gedanken auf engem Raum wird uns zugemutet, ebenso die Wahrnehmung der Zusammenhang stiftenden Momente. Und trotzdem klingt es wie ein Spiel. Das ist Mozart.

Nachtrag 25. Februar

Heute abend ist das Konzert des Hagen-Quartetts in der Kölner Philharmonie. Überflüssigerweise werde ich im Quartett KV 464 nachprüfen, was zwei Hörer der youtube-Aufnahme so scharf kritisieren: ob sie immer noch (wie 1998) im zweiten Teil des Minuetto den fünften (leeren!) Takt als Pause aushalten oder 1 Viertel zu früh weiterspielen, was auf eine dezidierte Absicht hindeuten würde. Ich würde diese Entscheidung verteidigen wollen.

Nach-Nachtrag 26. Februar

Es wäre wirklich absurd, am Morgen nach einem solchen Konzert noch ein Wort über diesen Takt zu verschwenden. Auch der Zeitsprung von 1998 auf 2015 war überwältigend: die Interpretation heute wie damals von einer Vollkommenheit, die schwer zu beschreiben ist. Und der erwähnte Takt ist ein Indiz. Ich habe ihn pedantischerweise durchgezählt. Aber es macht keinen Sinn davon zu reden, wenn man nicht vorher das unglaublich homogene Spiel des Quartetts mit dem Grundtempo erwähnt. Rubato sollte man es nicht nennen. In diesen Takten (nach dem Doppelstrich des Menuetts) gibt es zunächst ein ritenuto, dann folgt der „leere“ Takt: führt man hier das ritenuto gedanklich weiter, – oder wirkt hier schon der Gedanke, dass der Fortgang entschiedener ansetzen wird? – Die Vorstellung, dass jeder Pausentakt prinzipiell genauestens durchgezählt werden muss, stammt aus dem Kammermusikunterricht für Anfänger, die ja gern zu ungeduldig sind, einen Moment lang „nichts“ zu tun, die also „die Spannung nicht halten können“. Wer dergleichen diesem Ensemble ankreiden wollte, ob 2015 oder 1998, ist ein Dummkopf, der nicht recht zuhören kann. Die Aufgabe, hier als Zuhörer irgendwie mitzuhalten, ist schwer genug. (Fortsetzung folgt)