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Nachtrag zur spanischen Mystik und Zurbarán

Die Suggestion des Ausdrucks „Siglo de Oro“ (siehe Wikipedia-Artikel), die Blüte von Kunst und Literatur, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass all dies nur mit Hof und Kirche zu tun hatte, nicht mit der breiten Bevölkerung. „Aufstieg und Abstieg Spaniens als Welt- und Großmacht sind (…) eng verknüpft mit Reformation und Gegenreformation. Spanien fühlte sich als stärkste Vormacht des Katholizismus, fand aber zu keinem Zusammenwirken mit der anderen katholischen Großmacht Frankreich. Selbst im Verhältnis zum Papst bestanden Spannungen und Konflikte.“ (…) „Dazu schwächte sich Spanien selbst im Innern durch Massenaustreibungen gerade der ökonomisch aktivsten Teile seiner Bevölkerung.“
So schreibt Imanuel Geiss in seiner „Geschichte im Überblick“ (s.a. weiter unten).
Ich würde gern dem Gedanken nachgehen, ob die bedeutende Entwicklung der spanischen Mystik – die ja auch im Werk Zurbaráns zum Ausdruck kommt – nicht gerade mit den äußeren Zwangsverhältnissen zu tun hat. (Ähnlich wie die Entwicklung der deutschen „Innerlichkeit“ mit den politischen Restriktionen der Zeit nach dem Wiener Kongress und schon vorher im Pietismus der Zeit des Absolutismus angelegt war. Stichworte Fürstenwillkür – Metternich – Geheimdienst – Polizeistaat…)
Merkwürdigerweise finde ich eine unverblümte Darstellung ausgerechnet in einem stark spirituell orientierten katholischen Zusammenhang (Zitat folgt): der Grund ist wahrscheinlich, dass auch die Mystik, der (Aus-)Weg nach Innen, verdächtig erschien und verfolgt wurde.

Der spanische Hof lebte damals in üppigem Wohlstand und Prunk. Madrid wurde die Hauptstadt des neuen Staates. Trotz der immensen Gold- und Silberlieferungen aus den Minen Lateinamerikas, verarmte die Bevölkerung Spaniens. Im zweiten Teil des 16. Jahrhunderts musste z.B. Getreide aus anderen europäischen Ländern eingeführt werden. Die damalige Vorstellung, dass Arbeit einem adeligen Spanier nicht gemäß sei (sicher nicht nur in Spanien), führte weiterhin dazu, dass die notwendige eigene Wertschöpfung, um den Wohlstand einer Gesellschaft abzusichern, völlig vernachlässigt wurde. Handwerk und Landwirtschaft waren im Wesentlichen in den Händen der konvertierten Mauren. Da diese aber durch Zwangsumsiedlung, Unterernährung, Unterdrückung des Glaubens und damit bedingte Abwanderung immer stärker dezimiert wurden, verarmte Spanien mehr und mehr. Ein spanisches Sprichwort „tiene moro tiene oro“ – „hat man Mauren, hat man Gold“, macht die Bedeutung der Mauren für die Wertschöpfung deutlich. Einige regionale Fürsten z. B. aus Valencia und Aragón, setzten sich deshalb auch für den Verbleib der Mauren in Spanien besonders ein. Jedoch schon vor der endgültigen Vertreibung im Jahre 1609 zogen zahlreiche Handwerker aus den ‚europäischen’ Ländern nach Spanien, um die Versorgung der wohlhabenden Schichten zu ermöglichen und davon zu profitieren. Große Bedeutung hatte die spanische Inquisition, sie kann gewissermaßen als ein ‚staatlicher Geheimdienst’ betrachtet werden. Ihr Auftrag war es, die Macht des altchristlichen Hochadels und des spanischen Großreiches zu sichern. Die christliche Religion (und die damals damit verbundenen Vorstellungen) wurde als einendes Mittel eingesetzt und jegliche Abweichung verfolgt und bestraft. Die bekannten und berüchtigten Autodafés (Ketzerverbrennungen), waren Massenveranstaltungen, die besonders auf die konvertierten Juden und Mauren abschreckend wirken und jegliche Opposition und Solidarität verhindern sollten. Im spanischen Hochadel, im Klerus und in der Bevölkerung gab es trotzdem beachtlichen Widerstand gegen die Unterdrückung der Juden und Mauren. Mit der Inthronisierung Phillips II. 1556 wurde die Rolle der Inquisition noch verstärkt, dies fand zum Beispiel auch Ausdruck in einer Liste der verbotenen Bücher, dem Index Valdés, der auch ein Verbot fast aller mystischen Schriften und die Übersetzungen der Bibel in die spanische Sprache enthielt. Fray Luis de León, ein spanischer Mystiker und Gelehrter, wurde für seine Übersetzung des „Hoheliedes“ aus dem Hebräischen ins Spanische fünf Jahre in einem Gefängnis eingekerkert.

Quelle http://www.johannes-akademie.de unter „Spanische Mystik“.

Zur spanischen Inquisition (bis 1834!!!) siehe Wikipedia HIER

Insofern liest sich auch in einer kurzgefassten, aber zuverlässigen Geschichtschronik die spanische Situation im „siglo de oro“ ziemlich ernüchternd:

Der spanischen Wirtschaft eröffnete sich mit der Massenauswanderung in die Kolonien Amerikas ein riesiges Betätigungsfeld, ähnlich wie den Griechen nach dem Alexanderzug im Vorderen Orient. [vgl. Zurbaráns Verkauf von Bildern seiner Werkstatt nach Übersee! JR] Aber die Reichtümer aus der Neuen Welt kamen Spanien am wenigsten zugute. Vor allem das amerikanische Silber floß zur Bezahlung spanischer Söldner für den Kampf gegen die niederländische Unabhängigkeitsbewegung (seit 1572) durch Spanien in den Norden ab und trug dort zur führenden Rolle Hollands in der ursprünglichen Akkumulation bei. Drei Staatsbankrotte Spaniens (1557, 1576, 1596) sprechen für die ökonomische Überanstrengung durch pausenlose Kriege.

Dazu schwächte sich Spanien selbst im Innern durch Massenaustreibungen gerade der ökonomisch aktivsten Teile seiner Bevölkerung. Der Vertreibung der Juden im Epochenjahr 1492 folgte die der seit der Eroberung Andalusiens (1492) gebliebenen Moriskos (1609-14).

(…) In den ständigen Kriegen gegen die einen oder anderen seiner zahlreichen Gegner hatte Spanien nie eine Chance zur inneren Konsolidierung oder gar Homogenisierung seiner heterogenen Besitzungen. (…)

Spanien wurde auch Opfer seines ehrgeizigen Engagements für die Gegenreformation, und hier mißlang so gut wie alles: (…)

Mit Philipps II. Tod (1598)  hatte Spanien bereits seinen Höhepunkt überschritten. Von da an ging es nur noch bergab: (…) … Vertreibung der Moriscos …

Auf dem Papier umspannte Spanien mit dem portugiesischen Kolonialreich nunmehr die gesamte Erde, machte sich damit aber auch verwundbarer, vor allem gegenüber den nachdrängenden Holländern (ab 1598). (…) [JR: Geburtsjahr Zurbaráns!]

Und heute wieder aktuell, – Thema katalanische Unabhängigkeit:

Vorher schon hatte die permanente Überbelastung nach außen interne Spannungen mobilisiert: Der katalanische Aufstand (1640-52) eröffnete das seitdem wiederholte Aufbegehren Kataloniens gegen die zentralisierende Dominanz Kastiliens (1705-14, 1833-40, 1873-76, 1934, 1936-39, ca. 1970-79): Katalonien wurde Republik und unterstellte sich Frankreich.

Quelle Imanuel Geiss: Geschichte im Überblick Daten und Zusammenhänge der Weltgeschichte / Rowohlt Sachbuch Reinbek bei Hamburg 1986 (Seite 272 ff)

Erste Ausbildung des neuzeitlichen Rassismus

(…) Die Folge war nicht nur jenes Edikt von 1492 zur flächendeckenden Zwangsbekehrung, sondern damit verbunden eine, den späteren Hexenverfolgungen nicht unähnliche Politik des Verdachts. Angesichts der unsicher gewordenen Kriterien der Zugehörigkeit zum Christentum bemühte man sich, den Unglauben im allgemeinen und das Judentum im besonderen noch in seinen verstecktesten und entstelltesten Formen aufzuspüren, um ein einheitliches katholisches Spanien in natürlicher Reinheit herzustellen. besonders im Blick auf jene große, durch die jahrhundertelange Verfolgungspraxis überhaupt erst geschaffene Gruppe der teilweise seit Generationen Konvertierten, die dennoch – wirklich oder angeblich – an den jüdischen Traditionen festhielt, verwandelte sich die klassische Frage nach der ‚Reinheit des Glaubens‘ in die neue, nun aber entscheidende Frage nach der ‚Reinheit des Blutes‘ (limpieza de sangre).

Aufgrund der langen Dauer der Reconquista und der Tatsache, daß das Judentum bis zum 14. Jahrhundert in Spanien mehr als sonst in Europa ein integraler und kulturell einflußreicher Bestandteil der Gesellschaft gewesen war, konnte nun die Suche nach dem ‚unreinen Blut‘ prinzipiell jeden treffen, die Landbevölkerung ebenso wie den spanischen Adel. Zunächst nur im Blick auf die Conversos und Marranen, sehr bald aber bezogen auf das ganze Judentum sowie auf die zwangsbekehrten Muslime (moriscos), wurde jetzt zum ersten Mal von ‚Race‚ gesprochen. Hatte der noch junge Begriff bis dahin allein in der Pferdezucht und in der Verherrlichung adeliger Geschlechter eine Rolle gespielt, so diente er jetzt der Aufspürung zu bekehrender Gruppen.

(…) Historisch wurde hier zum ersten Mal die Bedeutung der christlichen Bekehrung und der Taufe als eindeutiges Kriterium der Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft aufgeweicht und untergraben. Um der darauf reagierenden Politik der Zwangsbekehrung ein Objekt zu geben, wurden mit Hilfe des Rassenbegriffs neue, scheinbar natürliche Kategorien der Zugehörigkeit erfunden. An die Stelle des Glaubensbekenntnisses trat jetzt die Abstammung als zentrales Merkmal von Zugehörigkeit.

Quelle Christian Geulen: Geschichte des Rassismus Verlag C.H.Beck München 2007 (Seite 34 f)