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Rancune auf „Welt“-Niveau

Selten habe ich einen so armseligen Artikel zuende gelesen wie diesen, der zur Verteidigung des Regietheaters viele Register zu ziehen sucht, besonders die falschen. Typisch, dass er zugleich glauben  machen will, es handle sich um ein längst überholtes Thema, das nur von irgendwelchen Ewiggestrigen künstlich wachgehalten wird. Dabei ist es der Schreiber selbst, der offenbar den größten Teil der Debatte verschlafen hat und daher nur Humbug zur Kritik der sogenannten Aufführungspraxis von sich zu geben vermag. Man erkennt den großmäuligen Raketenzeitjournalisten sofort, der etwas zur Postkutschen-Ästhetik sagen will, ohne über Vorkenntnisse zu verfügen; da ignoriert er Stradivari ebenso wie Vermeer oder die barocke Festkultur, und erledigt alles mit dem Verweis auf Kerzenschein, Darmsaiten und die schlechte Hygiene der Altvorderen.

Er beginnt mit einem Satz, der die einseitig apodiktische Absicht zunächst einmal hinter einem Wall aus Insidernamen versteckt: Hagmann, Neuenfels, Konwitschny, Wieler, Warlikowski – wer da nicht gleich Aha sagt, mag getrost weiterblättern. Wer es aber abhakt und tapfer weiterliest, wird mit einem grammatischen Ungetüm von Satzbau erschreckt: mag sein, dass es im Jounalismus üblich ist, jemandem was vor den Latz zu knallen, schwieriger jedoch, einen vor den Latz geknallt zu bekommen, – ist das nicht ein unzulässiger Übersprung vom Aktiv ins Passiv? Es kann nur noch schlimmer werden: das Klavier soll ins Spiel kommen und vor allem ein Übergang von Kritikerfreund Hagmann zu dessen Vorgesetztem (?), dem Feuilletonchef Martin Meyer, der wohl schon mal gern – zu Hagmanns und des Kommentators Missvergügen – eins austeilt gegen die progressivsten aller lebenden Regisseure. Den entsprechenden Satzteil muss man sich aber erstmal mühsam erarbeiten:

Grund genug für Hagmanns sich gelegentlich auch mit Klavierangelegenheiten beschäftigenden Feuilletonchef Martin Meyer, eine Debatte zum müden Glimmen zu bringen, die eigentlich zu den ältesten und ausgelaugtesten der Branche gehört: die über das Regietheater.

By the way, was ist ein „toter Text“? Etwa alles, was die Literaturgeschicht so hinterlassen hat? Muss demnach alles, was niedergeschrieben wurde, erst von Halbgöttern zum „neu erblühenden Leben erweckt“ werden? Würde es nicht genügen, die Texte Wort für Wort zu lesen? Und durchaus stumm, mit dem bloßen Vorsatz, sich auch stilistisch weiterzubilden, um tote Sekundärtexte zu vermeiden, die nur das müde Glimmen einer ausgelaugten Debatte widerspiegeln?

(…) Jede gute, sogar schlechte Inszenierung ist „Regietheater“, weil sie interpretiert, einen sonst toten Text oder eine nur zu hörende und damit unvollständige Opernpartitur zum theatralischen, immer wieder neu erblühenden Leben erweckt. Jetzt wird nur noch einmal alter Argumentewein in noch ältere Debattenschläuche gegossen.

Gewiss, gewiss, „Argumentewein“ etc, eine herrlich deformierte Redensart … und diese zweifellos unvollständige, weil nur zu hörende Opernpartitur kann zuweilen nur dann zum theatralischen Leben erweckt werden, wenn dieses dem, was die Musik sagen will, diametral entgegengerichtet ist, nicht wahr??? Na gut.

Jetzt kommt der Doktorvater ins Spiel, offenbar aufgrund einer fleißigen Privatrecherche des Kommentators. Neuer Anlass für schiefe Bilder: dieser Gelehrte wurde „vom Stapel gelassen“, als neues Schlachtschiff gleichsam; gemeint ist vielleicht „von der Kette gelassen“, was die Tendenz nicht besser macht. Er durfte zwei Artikel, nein, nicht schreiben, vielleicht „absondern“ oder sagen wir vorsichtshalber „ablästern“? Waren sie wirklich so einfältig, wie hier unterm Wort „Grundtenor“ zusammengefasst? Wir erfahren es nicht, weil es nur um Übermittlung von Häme geht, nicht um Inhalt.

Der Kommentator hat aber nicht nur Nachteiliges über den Doktorvater des Sohnes von Michael Meyer einbringen wollen, sondern auch darüber, dass Klavierfreund Michael Mayer den „tollen“ Pianisten András Schiff hofiert, der offenbar – jetzt geht’s zu weit – ebenfalls etwas gegen bestimmte Regisseure zu schreiben gewagt hat. Grund genug, den Namen seines Ensembles „Andrea Barca“ nicht uneitel zu finden, ihn selbst als „Hobbydirigenten“ zu bezeichnen und seinen Mozart-Stil als „plüschig-gestrig“. Da können weitere Bösartigkeiten kaum noch stören: Schiff spielt ja Beethoven sowohl auf einem nicht ganz modernen Bechstein (1921) als auch auf zwei Hammerklavieren der Zeit. Was wirklich stört, ist der wichtigtuerisch, aber linkisch  zusammengeschraubte Satzbau des Kommentators. Er kann es sich weiß Gott nicht leisten, einen bravourösen Schreiber wie Martin Geck mit einem ironischen Nebensatz zu erledigen und den „von Martin Meyer gepflegten Alfred Brendel“ auf Anmerkungen über Publikumshusten zu reduzieren.

Als WELT-Leser, der ich nicht bin, würde ich mich für den Artikel schämen. Und doch habe ich mich der Strafarbeit unterzogen, den ganzen Artikel abzuschreiben, um es nicht – wie das Elaborat selbst – bei dunklen Anspielungen bewenden zu lassen.

Quelle DIE WELT 30. Dezember 2014 Feuilleton KOMMENTAR

Erbarmen mit Regisseuren

Bei der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) geht bald der langjährige Klassikkritiker Peter Hagmann in Rente. Der gilt wie die meisten Vertreter seiner Zunft durchaus als Freund und Verteidiger von Opernregisseuren wie Hans Neuenfels, Peter Konwitschny, Jossi Wieler oder Krzystof Warlikowski. Regisseure, die sich nicht mit Konvention zufrieden geben, die tiefer in Libretti, Partituren und Zeitumständen bohren, als es oft im Repertoire-Schlendrian geschieht. Naturgemäß mit mal besserem, mal schwächerem Erfolg.

Im Journalismus ist es üblich, zum guten Berufsschluss gern nochmal ordentlich einen vor den Latz geknallt zu bekommen – offenbar Grund genug für Hagmanns sich gelegentlich auch mit Klavierangelegenheiten beschäftigenden Feuilletonchef Martin Meyer, eine Debatte zum müden Glimmen zu bringen, die eigentlich zu den ältesten und ausgelaugtesten der Branche gehört: die über das Regietheater.

Der Begriff ist nicht nur als Pleonasmus schief. Jede gute, sogar schlechte Inszenierung ist „Regietheater“, weil sie interpretiert, einen sonst toten Text oder eine nur zu hörende und damit unvollständige Opernpartitur zum theatralischen, immer wieder neu erblühenden Leben erweckt. Jetzt wird nur noch einmal alter Argumentewein in noch ältere Debattenschläuche gegossen. Zunächst hatte Meyer den Doktorvater seines Sohnes vom Stapel gelassen. Der Zürcher Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken durfte in der „NZZ“ über „Oper der Beliebigkeit“ und ihre „szenische Destabilisierung“ ablästern. Grundtenor: Alles ist so hässlich und rüde, wo bleibt das Schöne, Erhebende?

Abgesehen davon, dass es dies immer noch gibt und dass Auswüchse im Guten wie im Schlechten keinen Trend und keine Doktrin ausmachen, stand da wenig Neues. Das findet sich auch nicht aktuell im jüngstem Beitrag zur „Debatte“ von dem tollen, gern von Meyer hofierten Pianisten András Schiff. Der eben von der Queen zum Sir Geadelte spielt zwar selbst Bach und Beethoven auf einem modernen Bechstein-Flügel statt auf dem Cembalo oder dem Hammerklavier und pflegt zudem als Hobbydirigent mit seiner – nicht eben uneitel – nach ihm benannten Cappella Andrea Barca einen plüschig gestrigen Mozart-Stil.

Als exilierter Ungar hat sich Schiff außerdem zu Recht darüber ereifert, dass in seinem Land die von der aktuellen Rechtsregierung mit Machtbefugnis ausgestatteten regimetreuen Regisseure meist die schlechten und konservativen sind. Ihn selbst aber erfasst anhand willkürlicher Berliner Beispiele diffuses Unbehagen am angeblich Progressiven. Er wünscht sich, das Gebotene so zu sehen, wie es geschrieben steht und wie es der Autor angeblich intendiert hat. Was er selbst als Interpret nicht tut – gar nicht kann, denn wir leben nicht in Mozarts 18. Jahrhundert mit Kerzenschein, Darmsaiten und schlechter Hygiene -, sondern aus seiner (sic!) wissend subjektiven Künstlerverständnis heraus neu schafft.

In der „FAZ“ wünscht sich nun passenderweise auch der geschätzte Martin Geck , dass die gegenwärtigen Wagner-Regisseure doch bitte ein Sabbatical einlegen und noch einmal die Seminarbank zur theoretischen Kenntnisverbesserung drücken mögen. Zumindest für 2015 wünschen wir uns hingegen das Ende dieser unendlichen und völlig sinnlosen Debatte. Möge doch lieber mal wieder der ebenfalls von Meyer gepflegte Alfred Brendel gegen Huster im Konzert ätzen.

Autor des Kommentars: Manuel Brug

Autor des Kommentars zum Kommentar: Jan Reichow

Nachtrag 4. Januar 2015  (nach dem Nordsee-Urlaub, in dem ich gar nicht bloggen wollte, außer bei akutem Ärger oder besonders erfreulichen Begegnungen … )

Lohnender als jeder weitere Kommentar zum „Welt“-Kommentar wäre wohl, mit frischer Kraft einzelnen Namen und Beiträgen samt anhängender Diskussion nachzugehen, also zum Beispiel dem NZZ-Artikel von András Schiff (27.12.2014) und den durchweg erfrischenden Reaktionen darauf (Nachtkritik.de vom 27.12. bis 30.12.2014). Man muss sich durchaus nicht für 2015 ein „Ende dieser unendlichen und völlig sinnlosen Debatte“ wünschen. Im Gegenteil.