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Als der Krieg zuende ging

Was fühlte man vor 75 Jahren? 

 Ende November 1943

Sieht so eine glückliche Familie aus? Der Kleine in der Mitte ist gesund, wird aber Ende des Jahres erkranken und am 28. Januar an Menengitis sterben, die beiden älteren werden hungern. Die Mutter (30) wird an Tbc erkranken, immer wieder monatelang bettlägerig, verbündet sich mit ihrem Arzt, der Vater (42), zur Zeit noch hoch im Norden in Kirkenes stationiert, wird am Ende in russische Kriegsgefangenschaft geraten, entkommen können. Kehrt nach Haus zurück, psychisches Chaos. Der Bruder der Mutter, in Russland an der Front, besucht sie während seines letzten Urlaubs, um sein neues Patenkind zu sehen, kann es nur noch beerdigen helfen, zimmert das Kreuz fürs Grab, psychisches Chaos. Sie fahren zusammen mit den Kindern nach Bad Oeynhausen, verbringen den Heimaturlaub bei den Eltern auf der Lohe. Der Abschied ist für immer, ab März gibt es keine Post mehr von ihm, er ist gefallen.

Die Mutter schreibt alles auf. Sie hat immer alles aufgeschrieben. Sogar immer wieder die gleichen Zeiträume beschrieben, aus verschiedenen Perspektiven, der des älteren Kindes, der des verstorbenen Kindes, der des nun wieder jüngsten Kindes. Parallel. Am Ende ihres Lebens alles noch einmal oder noch zweimal. Mit unterschiedlichen Adressaten. Sie liest viel, unterstreicht alles, was sie verinnerlichen will. Viel Sinnsuche, im Alter viel Rudolf Steiner.

Da steht am Ende: „Bis hierher mußte mit Mehlkleister eingeklebt werden, weil Krieg war.“ Es gab also eine Normalität. Allerdings immer „unter dem Eindruck der Unruhe und rastlosen täglichen Arbeit, und die Freude kommt nicht so zu ihrem Recht,“ schreibt die Mutter.

Am zweiten Weihnachtstag geht sie mit den „Großen“ ins Greifswalder Theater: „Schneeweißchen und Rosenrot“. Danach spielen die beiden Jungs zu Hause nur noch Theater, der jüngere, der auf dem Foto so sorgenvoll dreinschaut, macht vorwiegend das Kasperle.

War der Krieg kein Thema? Doch, ein Beispiel: als der Kleine geboren wurde, in Bad Oeynhausen, am 18. Mai 1943:

Es war in der Nacht, als die Edertalsperre bombardiert wurde. Ich spazierte in dieser Nacht durch die Klinik. Der Arzt war zur Werre gefahren, um sich die Überschwemmung anzusehen. Die Hebamme, die ich selbst mitbringen mußte, war bei mir, und der Arzt berichtete uns bei seiner Rückkehr, wie furchtbar das Überschwemmungsgebiet aussehe, wieviel tote Tiere und auch Menschen angeschwemmt seien. So etwas vergißt man nicht.

(Anm.: es muss die Weser gemeint sein, deren Zufluss die Werre ist. Aber nur jene hat direkte Verbindung gehabt, über die Fulda und deren Zufluss Eder. Siehe auch Operation Chastise.)

Doch, der Krieg war ein Thema, aber klingt da nicht noch eine gewisse Begeisterung durch? ein Brief vom 22. Februar 1944 aus Oeynhausen  an ihren Mann in Kirkenes:

Es geht uns hier gut. Die Kinder sind vergnügt und ausgelassen, haben besten Appetit und gehen mit solcher Fröhlichkeit unter die kalte Waschung, daß es eine Lust ist. Gestern hatten sie und auch wir ein großes Erlebnis.

Ernst, die Kinder und ich machten uns mittags in schöner Sonne auf nach Wittelmeyers, mitten während eines tollen Alarms, auf den wir hier keine Rücksicht nehmen. Unterwegs waren wir Zeuge der Luftschlacht, die sich über uns abspielte. Die Jäger machten sich mit einer Verbitterung dahinter, daß man die Bomber z. T. einzeln in Unsicherheit ihre Straßen suchen sah. Dann wurden auch diese Einzelnen noch gestellt, und einen sahen wir brennend abstürzen, einen viermotorigen Bomber. Es war ein grausig schönes Bild. Ernst war begeistert, und Bernd zitterte vor Erregung. Heute morgen wollte er schon um 8° nach draußen, um seinen Spielkameraden von diesem Erlebnis zu berichten. –

Und aus einem Brief vom 24.II.1944, also 2 Tage später:

Aber trotzdem: wir werden wieder Mut fassen und wollen dankbar sein, für das, was uns geblieben ist. Und eins ist mir in diesen Wochen ganz klar geworden, daß das sicherste Unterpfand unseres Glücks unsere Liebe sein wird. –

Hier hat mich der Strom der Bomber unterbrochen. Ich bin auf’s Dach gestiegen, mittags 12° und habe 100te von Bombern in der glitzernden Sonne, von starkem Jagdschutz begleitet, über uns hinziehen sehen. Wohin mögen sie ihre schwere Ladung gebracht habe? Unsre Jäger sausen über uns herum, aber sie haben noch keinen geholt, heute, vielleicht auf dem Rückflug. Oft bin ich ganz benommen von solchen Eindrücken, und Bernd weinte eben laut. Er versteht allmählich, daß einiger Ernst im Leben ist. – Er wartet mit Ungeduld auf die Achselklappen.

(Umgekehrt, in den Kopf der Briefseite:) Heute morgen, ehe Ernst ging, meinte Bernd, sie müßten doch ganz schnell noch den Bi-Ba-Butzemann spielen „so wie bei Papi“, und sie taten es auch.

Seltsam, alle Kinderbilder von Flugzeugen und Luftkämpfen sind verloren gegangen. Es gab soetwas. Bausätze aus bunter, bedruckter Pappe, mit denen wir kleine Flugzeuge herstellen konnte. Sie hatten im Cockpit Fensteröffnungen. Wir konnten sogar schon Fliegen hineinstecken, die wir von ihren Flügeln befreit hatten (dann waren es nämlich „Käfer“). Kinder beim Ringelreihen überlebten.

Also war die Freude wohl doch noch zu ihrem Recht gekommen.

Wir blieben nicht in Oeynhausen, aber als wir wieder in Greifswald waren, kam der Krieg schnell näher. Meine Mutter wollte fliehen, nach Westen, mit uns 2 Kindern auf dem Fahrrad(!!), gerade jetzt bekamen wir Scharlach, und an Flucht war nicht mehr zu denken. Dass wir den friedlichen Einmarsch der Russen erlebten, kein wirkliches Bombardement, haben wir einer Heldentat zu verdanken. Niemand hat darüber gesprochen, ich hätte es ab 1956 wissen können, seit ich dieses Buch von Onkel Curt Rettmann geschickt bekam (ich habe es kaum gelesen). Die auf dem Titelblatt abgebildete Kirche, „die dicke Marie“, ist die, in der ich getauft worden war.

 

         

Quelle Karlheinz Ginnow: Greifswald Die Stadt am Bodden Carl Hinstorff Verlag Rostock

Unten: Das Licht der Welt aus meiner Sicht 1940 / die Oma aus Oeynhausen war da / 5 Jahre später hätte schon alles für immer zuende gewesen sein können (wie mit ihrem Sohn Ernst).

 geb. am 6. Dezember 1940